BGH Beschluss v. - VII ZB 91/17

Zwangsvollstreckungsverfahren: Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung durch Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle

Leitsatz

Durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle kann der Gläubiger den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist.

Gesetze: § 850f Abs 2 ZPO, § 174 Abs 2 InsO, § 175 Abs 2 InsO, § 201 InsO, § 302 Nr 1 InsO

Instanzenzug: Az: 2 T 723/17 Beschlussvorgehend AG Mayen Az: 7b M 756/17

Gründe

I.

1Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle vom wegen einer Forderung, die in dem bei dem Amtsgericht Mayen - Insolvenzgericht - über das Vermögen des Schuldners geführten und inzwischen aufgehobenen Insolvenzverfahren als Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ("Anzeige § 302 InsO") zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten wurde.

2Das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - hat den von der Gläubigerin beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, ihren weitergehenden Antrag auf Änderung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens gemäß § 850f Abs. 2 ZPO jedoch zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sie sich mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

3Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann der Antrag auf Änderung des unpfändbaren Betrages gemäß § 850f Abs. 2 ZPO nicht abgelehnt werden.

41. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in JurBüro 2018, 162 veröffentlicht ist, hat zur Begründung ausgeführt, dass die Gläubigerin den - durch den zu vollstreckenden Titel selbst zu erbringenden - Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung im Sinne des § 850f Abs. 2 ZPO nicht durch Vorlage des vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle führen könne.

5Mit Beschluss vom - VII ZB 17/05, NJW 2005, 1663, habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein solcher Nachweis nicht durch Vorlage eines Vollstreckungsbescheids, der eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung als Anspruchsgrund bezeichne, geführt werden könne. Die Erwägungen, mit denen der Bundesgerichtshof seine Entscheidung begründet habe, könnten entsprechend herangezogen werden. Im Rahmen der Fest-stellung einer Forderung zur Insolvenztabelle erfolge - ebenso wie im Mahn-verfahren - keine Schlüssigkeitsprüfung und keine Entscheidung über den Anspruchsgrund durch das Gericht. Dies gelte auch, wenn der Auszug aus der Insolvenztabelle die festgestellte Forderung als eine solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung bezeichne. Die auf die entsprechende An-meldung der Gläubigerin nach Nichtbestreiten des Schuldners erfolgende Feststellung, dass die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung herrühre, diene dem Zweck, dass die Forderung von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sei. Hierauf und auf die Möglichkeit des Widerspruchs habe das Insolvenzgericht den Schuldner hinzuweisen. Habe der Schuldner keinen Widerspruch gegen die Forderung und deren Qualifizierung erhoben, folge hieraus nur, dass die Gläubigerin aus dem vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle wegen der festgestellten Forderung auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung gegen den Schuldner vollstrecken, nicht aber, dass sie hierauf auch die verschärfte Pfändung gemäß § 850f Abs. 2 ZPO stützen könne. Hierfür bedürfe es vielmehr eines Titels, dem zumindest eine richterliche Schlüssigkeitsprüfung des Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung vorausgegangen sei.

62. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7a) Die Vorschrift des § 850f Abs. 2 ZPO erweitert den Zugriff des Gläubigers auf das Arbeitseinkommen des Schuldners, wenn er wegen eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vollstreckt. Der Schuldner soll in diesen Fällen bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit auch mit den Teilen seines Arbeitseinkommens einstehen, die ihm sonst nach der Vorschrift des § 850c ZPO zu belassen wären. Über die Herabsetzung des unpfändbaren Betrages entscheidet auf Antrag des Gläubigers das Vollstreckungsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ( Rn. 6, NJW 2005, 1663).

8Hingegen ist es nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts, auch über das Vorliegen eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu entscheiden. Die Aufgabenverteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren hat zur Folge, dass die materiell-rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs dem Prozessgericht obliegt, während die Vollstreckungsorgane die formellen Voraussetzungen prüfen, von denen die Durchsetzung des vollstreckbaren Anspruchs abhängt. Um den Nachweis für das Vollstreckungsprivileg gemäß § 850f Abs. 2 ZPO zu erbringen, hat der Gläubiger dem Vollstreckungsgericht daher einen Titel vorzulegen, aus dem sich - gegebenenfalls im Wege der Auslegung - der deliktische Schuldgrund und der von § 850f Abs. 2 ZPO vorausgesetzte Grad des Verschuldens ergeben. Ergibt sich dies aus dem Titel nicht, kann der Gläubiger im Wege der Klage nachträglich feststellen lassen, dass der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt ( Rn. 7 f., NJW 2005, 1663).

9b) Durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle kann der Gläubiger den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist.

10aa) Allerdings hat das Beschwerdegericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Vorlage eines Vollstreckungsbescheids, der die Forderung als eine solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung bezeichnet, nicht als Nachweis für das Vollstreckungsprivileg gemäß § 850f Abs. 2 ZPO genügt. Der Grund hierfür liegt darin, dass diese Bezeichnung nicht auf einer Schlüssigkeitsprüfung und einer entsprechenden Einordnung des Anspruchsgrunds nebst Verschuldensgrad durch das Prozessgericht beruht, sondern allein auf der nicht überprüften Angabe des Gläubigers. Hinzu kommt, dass das Mahnverfahren der Titulierung eines Zahlungsanspruchs dient und nicht (auch) dazu bestimmt ist, zur Vorbereitung der privilegierten Vollstreckung den deliktischen Schuldgrund und den erforderlichen Verschuldensgrad feststellen zu lassen. Ein Widerspruch des Schuldners zielt demgemäß auf die Abwehr des Zahlungsanspruchs. Zur Einlegung des Widerspruchs hat der Schuldner keine Veranlassung, wenn er den Betrag jedenfalls im Ergebnis schuldet. Denn will er lediglich eine Abänderung der seitens des Gläubigers erfolgten Anspruchsbegründung, bleibt er mit dem Kostenrisiko belastet ( Rn. 9 ff., NJW 2005, 1663).

11Das Beschwerdegericht hat weiter zutreffend ausgeführt, dass auch im Verfahren zur Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle keine Prüfung der Schlüssigkeit der Forderung und keine Entscheidung über deren Einordnung als deliktische Forderung sowie den Verschuldensgrad durch das Gericht stattfindet. Im Ausgangspunkt beruht die Feststellung der Forderung in der Insolvenztabelle als eine solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung daher - ebenso wie im Mahnverfahren - auf der Angabe des Gläubigers.

12bb) Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle, aus dem sich die Feststellung einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung und ein fehlender Widerspruch des Schuldners ergeben, als Nachweis für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO ungenügend ist.

13Denn die Eintragung in die Insolvenztabelle stellt sich als Titel zugunsten des Insolvenzgläubigers dar, aus dem sich auch der Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ergibt, wenn die Forderung als solche festgestellt und im Prüfungstermin vom Schuldner nicht bestritten worden ist (dazu unter (1)). Der Schutz des Schuldners gebietet keine Einschränkung in Bezug auf die Eignung des Titels als Nachweis für das Vollstreckungsprivileg gemäß § 850f Abs. 2 ZPO (dazu unter (2)).

14(1) Der Gesetzgeber hat mit §§ 174 ff. InsO ein Verfahren vorgesehen, das einem Insolvenzgläubiger nicht nur ermöglicht, seine Forderung gegen den Schuldner, sondern gegebenenfalls auch den Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung feststellen und in die Insolvenztabelle ein-tragen zu lassen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Insolvenzgläubiger gemäß § 174 Abs. 2 InsO bei der Anmeldung Grund und Betrag der Forderung sowie Tatsachen angibt, aus denen sich nach seiner Einschätzung ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zugrunde liegt. Eine wirksame Anmeldung erfordert danach Tatsachenvortrag, eine nur schlagwortartige Angabe eines Vorsatzdelikts genügt nicht. Der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung muss vielmehr so beschrieben werden, dass die daraus hergeleitete Forderung in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei bestimmt ist und der Schuldner erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird. Eines Vortrags, der sämtliche objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale der behaupteten vorsätzlichen unerlaubten Handlung ausfüllt, bedarf es dagegen nicht ( Rn. 8, NJW-RR 2014, 432). Der Schuldner kann der angemeldeten Forderung im Prüfungstermin insgesamt oder auch nur insoweit widersprechen, als es um ihre Einordnung als Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung geht. Ein Widerspruch des Schuldners steht gemäß § 178 Abs. 1 Satz 2 InsO zwar nicht der Feststellung der Forderung entgegen, hat jedoch Auswirkungen auf die Rechte des Insolvenzgläubigers nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Gemäß § 201 Abs. 2 InsO kann ein Insolvenzgläubiger nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben, wenn seine Forderung festgestellt und vom Schuldner im Prüfungstermin nicht bestritten worden ist, wobei einer nicht bestrittenen Forderung eine Forderung gleichsteht, bei der ein erhobener Widerspruch beseitigt ist. Hieraus folgt mittelbar die Rechtskraftwirkung der entsprechenden Eintragung in die Tabelle für den Schuldner ( Rn. 19, NJW 2014, 391). Wird eine als Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung angemeldete Forderung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner im Prüfungstermin weder insgesamt noch beschränkt auf den Rechtsgrund des Vorsatzdelikts bestritten oder ist ein erhobener Widerspruch beseitigt, hat dies weiter zur Folge, dass die Forderung gemäß § 302 Nr. 1, § 201 Abs. 3 InsO von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen ist. Das Insolvenzgericht hat den Schuldner auf die Möglichkeit des Widerspruchs und die Rechtsfolgen des § 302 InsO hinzuweisen, § 175 Abs. 2 InsO.

15Nach der gesetzlichen Regelung stellt sich die Eintragung in die Insolvenztabelle mithin als Titel zugunsten des Insolvenzgläubigers dar, aus dem sich auch der Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ergibt, wenn die Forderung als solche festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist. Dieses Verständnis steht in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien, in denen ausdrücklich ausgeführt wird, dass in einem solchen Fall der Rechtsgrund von der Rechtskraftwirkung der Tabelleneintragung erfasst wird (BT-Drucks. 14/6468, S. 18).

16(2) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts stellt sich die Eintragung in die Insolvenztabelle nicht nur in Bezug auf die Erteilung der Restschuldbefreiung als Titel über eine Forderung dar, aus dem sich auch der Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ergibt. Auch wenn der Gesetzgeber die betreffenden gesetzlichen Regelungen mit Blick auf die gemäß § 302 Nr. 1, § 201 Abs. 3 InsO vorgesehene Restschuldbefreiung erlassen hat, kommt ein unterschiedliches Verständnis der Eintragung in die Insolvenztabelle, je nachdem welche Rechtsfolgen damit verbunden sind, nicht in Betracht. Der Schutz des Schuldners gebietet keine andere Beurteilung.

17Da nach dem Willen des Gesetzgebers allein die Feststellung einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung und der fehlende Widerspruch des Schuldners dazu führen, dass auch der Rechtsgrund des Vorsatzdelikts von der Rechtskraftwirkung der Tabelleneintragung erfasst wird, scheitert die Eignung des vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle als Nachweis für das Vollstreckungsprivileg gemäß § 850f Abs. 2 ZPO nicht an der fehlenden Schlüssigkeitsprüfung und Einordnung der Forderung durch das Insolvenzgericht.

18Dem Schutz des Schuldners wird nach der Wertung des Gesetzgebers ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung nach Maßgabe des § 174 Abs. 2 InsO anzumelden ist und das Insolvenzgericht den Schuldner gemäß § 175 Abs. 2 InsO auf die Möglichkeit des Widerspruchs und die Rechtsfolgen des § 302 InsO hinzuweisen hat (im Ergebnis ebenso LG Essen, JurBüro 2017, 551; LG Düsseldorf, JurBüro 2008, 661; Sengl, NZI 2009, 31, 32 f.). Aufgrund der an eine wirksame Anmeldung gemäß § 174 Abs. 2 InsO zu stellenden Anforderungen ist dem Schuldner die Prüfung möglich, ob die Forderung oder der angegebene Rechtsgrund des Vorsatzdelikts bestritten werden sollen. Der Schuldner kann allein durch einen - gegebenenfalls auf die rechtliche Einordnung der Forderung beschränkten - Widerspruch und ohne Kostenrisiko verhindern, dass ein Titel über eine Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung entsteht. Das Fehlen eines Hinweises auf die Rechtsfolgen des § 850f Abs. 2 ZPO steht dem nicht entgegen. Dem Schuldner werden durch den Hinweis gemäß § 175 Abs. 2 InsO die Möglichkeit des Widerspruchs sowie die Rechtsfolgen des § 302 InsO aufgezeigt. Demgegenüber ist es von Rechts wegen nicht geboten, ihn über sämtliche rechtlichen Konsequenzen, die mit der Einordnung der Forderung als einer solchen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung verbunden sein können, zu belehren.

193. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Die Sache ist daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen, das über den Antrag auf Änderung des unpfändbaren Betrages gemäß § 850f Abs. 2 ZPO neu zu befinden haben wird, § 577 Abs. 4 Satz 1, § 572 Abs. 3 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:040919BVIIZB91.17.0

Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 3237 Nr. 44
WM 2019 S. 1923 Nr. 41
ZIP 2019 S. 2070 Nr. 43
JAAAH-31755