Tarifvertragliche Verdienstsicherung bei Wegfall von Belastungszulagen - Berechnung der Grundvergütung sowie der Zuschläge
Gesetze: § 1 TVG
Instanzenzug: ArbG Freiburg (Breisgau) Az: 12 Ca 63/17 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 9 Sa 45/17 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob der Verdienstausgleich bei Wegfall von Belastungszulagen gemäß § 4 der Anlage 2 des Entgeltrahmen-Tarifvertrags der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg vom (iF ERA-TV) bei der Berechnung der Grundvergütung für Mehrarbeitsstunden und der Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit hinzuzurechnen ist.
2Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg für das Tarifgebiet Südwürttemberg-Hohenzollern Anwendung. Neben dem ERA-TV, der am bei der Beklagten eingeführt wurde, ist dies ua. der Manteltarifvertrag zum ERA-TV für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Südwürttemberg-Hohenzollern vom (iF MTV ERA), der ua. Folgendes bestimmt:
3§ 13 ERA-TV, der einen Verdienstausgleich bei Verminderung des Grundentgeltanspruchs regelt, bestimmt ua.:
4In Anlage 2 zum ERA-TV (iF Anlage 2 ERA-TV) wird ua. bestimmt:
5Der Einführungstarifvertrag zum ERA-TV vom (iF ETV ERA) regelt ua.:
6Seit der Einführung des ERA-TV erhielt der Kläger eine Belastungszulage nach Anlage 2 ERA-TV iHv. 296,30 Euro brutto monatlich. Aufgrund von Maßnahmen zur Lärmverminderung kam es ab September 2015 zu einer Reduzierung der Belastungszulage auf 148,15 Euro brutto. Entsprechend der Höhe der Minderung zahlte die Beklagte dem Kläger ab einen Verdienstausgleich nach § 4.1 Anlage 2 ERA-TV (iF Verdienstausgleich Belastungszulage). Bei der Berechnung des Stundenfaktors für die Mehrarbeitsvergütung und für die Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit berücksichtigte die Beklagte den Verdienstausgleich Belastungszulage nicht.
7Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung entsprechender Differenzen für die Zeit von Januar bis Dezember 2016 sowie von Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB. Der Kläger hat gemeint, bei der Berechnung des Stundenfaktors für Mehrarbeitsvergütung und der Zuschläge sei der Verdienstausgleich Belastungszulage einzubeziehen. Dieser sei ein fester Bestandteil des Monatsentgelts.
8Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
10Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die im Berufungsverfahren gestellten Anträge weiter.
Gründe
11Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Differenzvergütung. Der Verdienstausgleich Belastungszulage ist bei der Berechnung der Mehrarbeitsvergütung und der im Feststellungsantrag genannten Zuschläge nicht zu berücksichtigen.
12I. Die Klage auf Zahlung von Differenzvergütung unter Berücksichtigung des Verdienstausgleichs Belastungszulage ist unbegründet. Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf Zinsen.
131. Der Zahlungsantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er ist als abschließende Gesamtklage (vgl. - Rn. 13) auf konkret bezifferte Vergütungsdifferenzen für die Zeit von Januar bis Dezember 2016 gerichtet.
142. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat weder Anspruch auf weitergehende Mehrarbeitsvergütung aus § 11.4.3 MTV ERA noch auf höhere Zuschläge aus §§ 10, 11.5 MTV ERA.
15a) Die Berechnung der Mehrarbeits- und Zuschlagsvergütung folgt im Arbeitsverhältnis der Parteien aus den Regelungen der §§ 10, 11 MTV ERA.
16Keine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der ebenfalls am von denselben Verbänden abgeschlossene Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metallindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern (iF MTV). Nach dem in Wortlaut und tariflichem Gesamtzusammenhang zum Ausdruck kommenden Willen der Tarifvertragsparteien soll in den Betrieben, die den ERA-TV eingeführt haben, ausschließlich der MTV ERA als speziellerer Tarifvertrag gelten (vgl. - Rn. 37, BAGE 138, 287). § 21.1 Abs. 2 Satz 2 MTV ERA bestimmt die Geltung des MTV ERA im Anschluss an die Einführungsphase verbindlich für alle Betriebe und schließt damit eine Tarifkonkurrenz zwischen dem MTV idF vom und dem MTV ERA aus. Dem MTV ERA ist mit ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass jedenfalls nach verbindlicher Einführung des ERA-TV, auch wenn dies erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem geschieht, die Regelungen des MTV abgelöst werden sollen. § 21.2 MTV ERA zeigt, dass die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit einer Tarifkonkurrenz gesehen und zum Zeitpunkt der Einführung des ERA-TV in einem Betrieb ausschließlich die Geltung des MTV ERA vorgesehen haben.
17b) Der Verdienstausgleich Belastungszulage ist nicht Bestandteil der Grundvergütung für Mehrarbeitsstunden. Diese berechnet sich nach § 11.4.3 MTV ERA aus den festen Bestandteilen des Monatsentgelts und den leistungsabhängigen variablen Bestandteilen.
18aa) Der Verdienstausgleich Belastungszulage ist kein leistungsabhängiger variabler Bestandteil des Monatsentgelts. Mit Ausnahme anzurechnender Vergütungserhöhungen verändert er sich in der Höhe grundsätzlich nicht und wird nicht für eine bestimmte Arbeitsleistung gezahlt. Er stellt auch weder einen in die Berechnung der Grundvergütung für eine Mehrarbeitsstunde einfließenden Verdienstausgleich nach § 13 ERA-TV noch einen Montagezuschlag nach § 3.3.1 BMTV dar.
19bb) Der Verdienstausgleich Belastungszulage ist kein fester Bestandteil des Monatsentgelts iSd. § 11.4.3 MTV ERA. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Die Auslegung des Tarifvertrags durch das Landesarbeitsgericht lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
20(1) Der Wortlaut des Tarifvertrags gibt kein zwingendes Auslegungsergebnis vor. § 11.3.1 MTV ERA bestimmt die festen Bestandteile des Monatsentgelts. Dazu gehören das Grundentgelt und alle Zulagen und Zuschläge, die regelmäßig in gleicher Höhe anfallen, sowie Belastungszulagen nach Anlage 2 ERA-TV. Die Begriffe „Zulage“ und „Zuschlag“ sind im MTV ERA nicht näher definiert. Ob der streitgegenständliche Verdienstausgleich für die entfallene Belastungszulage unter diese Begrifflichkeiten fällt, ist dem Tarifwortlaut nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen.
21(2) Die Tarifsystematik und der hieraus erkennbar werdende Sinn und Zweck des Verdienstausgleichs für die entfallene Belastungszulage sprechen jedoch hinreichend deutlich dagegen, diesen zu den festen Bestandteilen des Monatsentgelts iSd. § 11.3.1 MTV ERA zu zählen.
22(a) § 11.3.1 MTV ERA benennt die Belastungszulage nach Anlage 2 ERA-TV ausdrücklich als festen Bestandteil des Monatsentgelts. Die gesonderte Erwähnung der Belastungszulage zeigt, dass die Tarifvertragsparteien den Verdienstausfall Belastungszulage nicht den Zulagen gleichgesetzt haben. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die gesonderte Erwähnung des Verdienstausgleichs nach § 13 ERA-TV ebenfalls gegen eine Einbeziehung des Verdienstausgleichs Belastungszulage in die Berechnung spricht. Die ausdrückliche Benennung eines bestimmten Verdienstausgleichs lässt den Schluss zu, dass nicht jeder Verdienstausgleich Bestandteil der Grundvergütung für eine Mehrarbeitsstunde iSd. § 11.4.3 MTV ERA und auch kein fester Bestandteil des Monatsentgelts iSv. § 11.3.1 MTV ERA sein soll. Weiter spricht § 4.1 Abs. 2 ETV ERA gegen die Bewertung des Verdienstausgleichs Belastungszulage als fester Bestandteil des Monatsentgelts. Der ERA-Ausgleichsbetrag nach § 4.1 Abs. 1 ETV ERA wird dort ausdrücklich als fester Bestandteil des Monatsentgelts definiert. An einer solchen Regelung mangelt es für den Verdienstausgleich Belastungszulage. Dies haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.
23(b) Sinn und Zweck von § 4.1 Anlage 2 ERA-TV ist es, die Minderung der festen Bestandteile des Monatsentgelts iSv. § 11.3.1 MTV ERA abzumildern. Zu diesen festen Bestandteilen gehört die Belastungszulage iSd. Anlage 2 ERA-TV schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 11.3.1 MTV ERA. Dem liegt die Vorstellung der Tarifvertragsparteien zugrunde, dass die Arbeitnehmer sich auf den Bezug der festen Bestandteile des Monatsentgelts mit ihrer Lebensführung, darunter auch der Eingehung von Verbindlichkeiten, eingerichtet haben. Umgekehrt bedeutet dies aber nicht, dass der Verdienstausgleich die weggefallene Belastungszulage einschränkungslos ersetzen soll. Dieser Annahme stehen bereits die Anrechnungsregelungen nach § 4.2 Anlage 2 ERA-TV entgegen. Durch die danach ua. anzurechnenden Tariferhöhungen kommt es im Laufe der Zeit zu einer Abschmelzung des Verdienstausgleichs Belastungszulage, uU sogar auf null. Die besondere Überbrückungs- und Ausgleichsfunktion des Verdienstausgleichs Belastungszulage verdeutlicht zudem § 4.5 Anlage 2 ERA-TV, wonach er bei Eintritt der Alterssicherung nach § 6 MTV nicht in den Alterssicherungsbetrag eingeht.
24Aus dem Zweck der Belastungszulage folgt, dass der Verdienstausgleich Belastungszulage die eigentliche Belastungszulage nicht ersetzen soll. Diese soll besondere Erschwernisse, etwa durch Lärm, Schmutz usw. im Zusammenhang mit der Ausführung der übertragenen Tätigkeit zusätzlich vergüten, daher die Arbeit unter den in Anlage 2 ERA-TV genannten Belastungen verteuern und somit mittelbar den Arbeitgeber zur Vermeidung solcher Belastungen anhalten. Dieser Zweck wäre nicht erfüllt, wenn der Verdienstausgleich an die Stelle der Belastungszulage träte und vergütungstechnisch der Belastungszulage gleichgesetzt würde. Dann hätte der Arbeitgeber kein gesteigertes finanzielles Interesse daran, durch Arbeitsschutzvorkehrungen Belastungen von den Arbeitnehmern abzuwenden.
25(3) Dieses Auslegungsergebnis steht nicht im Widerspruch zur Entscheidung des - 10 AZR 42/15 -). Diese betrifft die Zuordnung des Alterssicherungsbetrags nach § 6 MTV zu den „festen Bestandteilen“ des Monatsentgelts iSd. § 11.3.1 MTV, der mangels Bezugnahme auf den ERA-TV keine Regelungen zum Verdienstausgleich nach § 13 ERA-TV sowie dem streitgegenständlichen Verdienstausgleich Belastungszulage enthält. Die Bewertung des Alterssicherungsbetrags nach § 6 MTV als festen Bestandteil des Monatsentgelts iSd. MTV folgt zudem aus Sinn und Zweck der Alterssicherung, der darin besteht, die Beschäftigten vor einem durch das altersbedingte Nachlassen ihrer körperlichen Kräfte verursachten Einkommensverlust zu bewahren (vgl. - Rn. 19, 21). Der Alterssicherungsbetrag wird ab dem 1. des Monats, in dem der Beschäftigte das 54. Lebensjahr vollendet, zeitlich unbegrenzt gewährt, und nimmt nach § 6.10 MTV auch an tarifbedingten Erhöhungen der Vergütung teil. Demgegenüber soll der Verdienstausgleich Belastungszulage den Einkommensverlust bei Wegfall der Belastungszulage nicht dauerhaft ausgleichen.
26(4) Anhaltspunkte für die Einbeziehung des Verdienstausgleichs Belastungszulage in die Berechnung der Grundvergütung für eine Mehrarbeitsstunde im Wege ergänzender Tarifauslegung bestehen nicht, weil bereits keine unbewusste Regelungslücke vorliegt und die Tarifregelung auch nicht nachträglich lückenhaft geworden ist (vgl. hierzu - Rn. 24).
27c) Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Zuschläge für Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Die Berechnungsgrundlage dieser in § 10 MTV ERA geregelten Zuschläge entspricht nach § 11.5 MTV ERA der Berechnungsgrundlage des Entgelts für eine Arbeitsstunde gemäß § 11.4.3 MTV ERA. In diese Berechnung ist der Verdienstausgleich Belastungszulage nicht einzubeziehen.
28II. Der Feststellungsantrag ist unbegründet.
29Eine Feststellungsklage kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus dem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen beschränken, sog. Elementenfeststellungsklage (vgl. - Rn. 13). Ob darüber hinaus das erforderliche Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO gegeben ist, kann dahinstehen, weil der Antrag jedenfalls unbegründet ist (näher dazu - Rn. 18, BAGE 154, 337). Der Verdienstausgleich Belastungszulage ist nicht Teil der Berechnungsgrundlage für die im Antrag genannten Entgeltbestandteile.
30III. Der Antrag auf Zahlung von Pauschalen nach § 288 Abs. 5 BGB ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Es handelt sich nach der gebotenen Auslegung um einen unechten Hilfsantrag, der erkennbar nur für den Fall gestellt ist, dass dem Zahlungsantrag auf Differenzvergütung stattgegeben wird. Unschädlich ist, dass der Kläger das Eventualverhältnis nicht ausdrücklich in der Fassung seines Antrags zum Ausdruck gebracht hat (vgl. - Rn. 25, BAGE 162, 354).
31IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2019:270319.U.5AZR94.18.0
Fundstelle(n):
PAAAH-21430