VollstrA 60.

Fünfter Teil: Insolvenzverfahren [1]

60. Steuerforderungen im Insolvenzverfahren [2]

(1) 1Die persönlichen Ansprüche des Vollstreckungsgläubigers gegen den Vollstreckungsschuldner (Abschnitt 3 Absatz 1, 2) sind, soweit sie zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet sind – vorbehaltlich § 55 Absatz 2 und 4 der Insolvenzordnung –, in der Regel Insolvenzforderungen (§ 38 InsO). 2Dies gilt auch, wenn dem Vollstreckungsgläubiger neben dem persönlichen Anspruch ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zusteht (§§ 49 bis 51, 165 bis 173 InsO). 3Geldbußen, Ordnungsgelder, Zwangsgelder sowie ab Verfahrenseröffnung anfallende Zinsen und Säumniszuschläge sind nachrangige Insolvenzforderungen im Sinne von § 39 der Insolvenzordnung.

(2) 1Ist über das Vermögen eines Vollstreckungsschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet worden, können die Insolvenzgläubiger ihre Ansprüche während der Dauer des Verfahrens weder in das zum Zeitpunkt der Eröffnung vorhandene noch in das danach vom Schuldner erworbene Vermögen (sog. Neuerwerb) im Wege der Einzelzwangsvollstreckung verfolgen (§ 89 InsO). 2Für die Geltendmachung der Abgabenforderungen sind grundsätzlich die Vorschriften der Insolvenzordnung maßgeblich (§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO). 3Während des Insolvenzverfahrens dürfen hinsichtlich der Insolvenzforderungen Verwaltungsakte über die Festsetzung und Anforderung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nicht mehr ergehen. 4Bescheide, die einen Erstattungsanspruch zugunsten der Insolvenzmasse festsetzen, können bekannt gegeben werden. 5Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der Erlass von Steuermess- und Feststellungsbescheiden gehindert, soweit diese ausschließlich Besteuerungsgrundlagen feststellen, auf deren Grundlage Insolvenzforderungen anzumelden sind. 6In Gewerbesteuerfällen teilt die Festsetzungsstelle der steuerberechtigten Körperschaft den berechneten Messbetrag formlos für Zwecke der Anmeldung im Insolvenzverfahren mit.

(3) 1Sobald die Vollstreckungsstelle von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 30 InsO) Kenntnis erlangt, sind alle in Betracht kommenden Festsetzungsstellen, evtl. auch Stellen anderer Finanzbehörden (zum Beispiel der für die Festsetzung der Erbschaft- und Schenkungsteuer zuständigen Finanzbehörde), zu informieren. 2Diese haben zu ermitteln, ob außer den bereits angezeigten Ansprüchen noch weitere Abgabenforderungen gegen den Schuldner bestehen. 3Dazu gehören auch Forderungen, die noch nicht festgesetzt, aber im Zeitpunkt der Eröffnung bereits begründet sind.

(4) 1Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit (§ 55 Absatz 4 der Insolvenzordnung). 2Hat dagegen das Insolvenzgericht im Antragsverfahren zur Sicherung der Masse einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt (§ 21 Absatz 2 Nummer 1, 2 erste Alternative der Insolvenzordnung), ist Absatz 2 Satz 2 bis 5 entsprechend anzuwenden. 3Ab diesem Zeitpunkt begründete Abgabenansprüche gelten nach der Eröffnung des Verfahrens als sonstige Masseverbindlichkeiten (§ 55 Absatz 2 der Insolvenzordnung). 4Nur die bis zum Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Verwalters begründeten Abgabenforderungen sind Insolvenzforderungen. 5Wird das Verfahren nicht eröffnet, hat der vorläufige Insolvenzverwalter die von ihm begründeten Abgabenforderungen aus dem von ihm verwalteten Vermögen zu erfüllen (§ 25 Absatz 2 der Insolvenzordnung).

(5) Hat das Insolvenzgericht im Eröffnungsbeschluss angeordnet, dass dem Verwalter vorab mitzuteilen ist, ob Sicherungsrechte an Sachen und Rechten des Schuldners in Anspruch genommen werden, sind die erforderlichen Angaben zu Pfändungspfand- und sonstigen Sicherungsrechten unverzüglich dem Insolvenzverwalter bekannt zu geben (§ 28 Abs. 2 InsO).

(6) 1Die Abgabenforderungen sind innerhalb der gesetzten Frist schriftlich beim Insolvenzverwalter – im Fall der Eigenverwaltung beim Sachwalter – anzumelden (§§ 87, 27, 28 Absatz 1, § 174 Absatz 1, § 270c Satz 2 InsO), soweit nicht die Möglichkeit einer Aufrechnung (§§ 94 bis 96 InsO) besteht. 2Dies gilt auch, soweit außer dem Schuldner noch ein anderer die Leistung schuldet oder dafür haftet. 3Die Anmeldung soll die in Abschnitt 34 Absatz 2 Nrn. 1 bis 7 und 11 erster Halbsatz bezeichneten Angaben sowie eine Erklärung darüber enthalten, ob für die Abgabenforderung abgesonderte Befriedigung begehrt wird (§§ 49 bis 52, 174 InsO). 4Die Anmeldung soll ferner einen Hinweis darauf enthalten, welche Forderungen vor der Eröffnung festgesetzt oder vorangemeldet und welche unanfechtbar sind. 5Nachrangige Abgabenforderungen im Sinne des § 39 der Insolvenzordnung sind nur anzumelden, soweit das Insolvenzgericht hierzu ausdrücklich auffordert (§ 174 Absatz 3 InsO); das Vollstreckungsverbot (§ 89 InsO) bleibt unberührt. 6Abgabenansprüche können auch nach Ablauf der Frist jederzeit nachgemeldet werden (§ 177 InsO). 7Liegt der Forderung eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung zugrunde, sind neben dem Grund und dem Betrag der Forderung auch die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung der Finanzbehörde eine entsprechende Steuerstraftat ergibt, anzugeben.

(7) 1Ist eine zur Tabelle angemeldete Abgabenforderung vom Verwalter oder einem Insolvenzgläubiger im Prüfungstermin bestritten worden, erteilt das Insolvenzgericht einen beglaubigten Auszug aus der Tabelle. 2Die Vollstreckungsbehörde hat den Anspruch zeitnah durch Erlass eines Feststellungsbescheides gemäß § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung selbst zu verfolgen, soweit die Eigenschaft als Insolvenzforderung bestritten wird oder der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens weder einen Festsetzungsbescheid noch ein Leistungsgebot erhalten oder – wenn die Vollstreckbarkeit von einer Steueranmeldung (§§ 167, 168 AO) abhängt – keine Steueranmeldung abgegeben hat (nicht titulierte Forderungen, § 179 Abs. 1 InsO). 3Es bleibt jedoch der Vollstreckungsbehörde – insbesondere zur Erlangung des Stimmrechts (§ 77 InsO) – unbenommen, den Widerspruch auch dann zu verfolgen, wenn der Schuldner bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Festsetzungsbescheid bzw. ein Leistungsgebot erhalten oder eine Steueranmeldung abgegeben hat (titulierte Forderung, § 179 Abs. 2 InsO). 4Die Verfolgung der bestrittenen und im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits bestandskräftigen titulierten Forderungen kann durch Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung geschehen; festzustellen ist lediglich, dass die angemeldete Forderung bestandskräftig festgesetzt ist und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung (§ 110 AO) oder eine Korrektur (§§ 129 ff., 164, 165, 172 ff. AO) nicht vorliegen. 5Eine durch die Verfahrenseröffnung oder die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 InsO) unterbrochene Rechtsbehelfsfrist wird durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Bestreitenden in Lauf gesetzt. 6§ 240 Satz 1 und § 249 Abs. 1 ZPO sind entsprechend anzuwenden. 7War zu diesem Zeitpunkt bereits ein Einspruch anhängig, ist das Steuerstreitverfahren aufzunehmen (§ 180 Abs. 2 InsO). 8Die für eine Feststellung der bestrittenen Forderungen erforderlichen Maßnahmen werden auf Veranlassung der Vollstreckungsstelle von den Festsetzungsstellen oder den Rechtsbehelfsstellen betrieben. 9Das Bestreiten der Abgabenforderungen durch den Schuldner hindert deren Feststellung nicht (§ 178 Abs. 1 InsO). 10Verfolgt die Vollstreckungsbehörde den Anspruch gegenüber dem Schuldner, um nach Beendigung oder Aufhebung des Insolvenzverfahrens über einen vollstreckbaren Titel zu verfügen, sind während der Verfahrensdauer lediglich feststellende Verwaltungsakte zulässig.

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PAAAA-74001

1Anm. d. Red.: Überschrift i. d. F. der Verwaltungsvorschrift v. (BStBl 2001 I S. 605) mit Wirkung v. .

2Anm. d. Red.: Abschnitt 60 i. d. F. der Verwaltungsvorschrift v. (BStBl 2017 I S. 1374) mit Wirkung v. .