BAG Urteil v. - 1 AZR 287/17

Streikbruchprämie als zulässiges Kampfmittel

Leitsatz

Ein bestreikter Arbeitgeber ist grundsätzlich berechtigt, mittels Zahlung einer Streikbruchprämie einem Streikdruck zu begegnen.

Gesetze: § 37 Abs 6 S 1 BetrVG, § 37 Abs 2 BetrVG, Art 9 Abs 3 GG

Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 6 Ca 529/15 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 7 Sa 815/16 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Zahlung einer Streikbruchprämie.

2Der Kläger ist bei der Beklagten - einem nicht tarifgebundenen Einzelhandelsunternehmen - in deren Betrieb in B als Verkäufer zu einer monatlichen Bruttovergütung iHv. 1.480,00 Euro vollzeitbeschäftigt. Er bekleidet das Amt des dort gewählten einköpfigen Betriebsrats und ist Ersatzmitglied im Personalausschuss des im Unternehmen gebildeten Gesamtbetriebsrats.

3Der Betrieb wurde am 15. und , , , , , vom 8. bis sowie am bestreikt. Hierzu hatte die ver.di - Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) mit dem Ziel aufgerufen, mit der Beklagten einen Tarifvertrag zur Anerkennung einschlägiger Einzelhandelstarifverträge zu schließen. Vor Beginn der von ver.di zunächst für den 15. und angekündigten Streikmaßnahmen gab die Beklagte mit einem betrieblichen Aushang Folgendes bekannt:

4Anfang November 2015 veröffentlichte die Beklagte folgenden Aushang:

5Am nahm der Kläger entsprechend seiner der Beklagten mit Schreiben vom mitgeteilten Ankündigung an einer Schulung des Personalausschusses des Gesamtbetriebsrats teil. Sein für diesen Tag fortgezahltes Entgelt umfasste keine Streikbruchprämie. An den anderen Streiktagen folgte er dem gewerkschaftlichen Streikaufruf und legte die Arbeit nieder.

6Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst für den Tag seiner Schulungsteilnahme und mit späterer Klageerweiterung auch für die Tage, an denen er sich am Streik beteiligt hatte, die den nichtstreikenden Arbeitnehmern versprochenen Prämien iHv. 200,00 Euro (), weiteren 200,00 Euro () und weiteren 800,00 Euro (, , , , 8. bis sowie ) verlangt. Er hat sich hierbei auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und das Maßregelungsverbot sowie - betreffend den  - auch auf das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungsverbot gestützt.

7Der Kläger hat zuletzt beantragt,

8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.

Gründe

10Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger kann die begehrten Prämienzahlungen nicht auf eine in den betrieblichen Aushängen zu sehende Gesamtzusage (dazu allg.  - Rn. 13 mwN) stützen. Er erfüllt nicht deren Voraussetzungen. Eine Rechtsgrundlage für die streitbefangenen Zahlungen ist auch nicht durch die Gesamtzusage iVm. dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder durch das Maßregelungsverbot des § 612a BGB oder - was nur die für den verfolgte Prämienzahlung betreffen könnte - durch das betriebsratsamtsbezogene Benachteiligungsverbot vermittelt.

11I. Der Kläger erfüllt nicht die Voraussetzungen, die sich nach den Bedingungen der in der ausgelobten Streikbruchprämie liegenden Gesamtzusage bestimmen.

121. Das folgt für den , den , den , den , den , die Zeit vom 8. bis sowie den schon daraus, dass er an diesen Tagen dem gewerkschaftlichen Streikaufruf gefolgt ist und seine „reguläre Tätigkeit“ nicht erbracht hat. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die in den betrieblichen Aushängen verlautbarte „erhebliche Gefährdung der Verkaufsfähigkeit des Marktes“ als ein weiteres - kumulativ zur Nichtteilnahme am Streik gefordertes - anspruchsbegründendes Merkmal zu verstehen ist.

132. Auch hinsichtlich des liegen die Voraussetzungen der Prämienzahlung nicht vor.

14a) Der Kläger hat an diesem Tag in Ausübung seines Mandats als Ersatzmitglied des beim Gesamtbetriebsrat gebildeten Personalausschusses an einer Schulung teilgenommen. Hierfür war er nach § 37 Abs. 6 Satz 1 iVm. Abs. 2 BetrVG von seiner beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts befreit und hat Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nach § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 37 Abs. 6 und Abs. 2 BetrVG (vgl. zB  - Rn. 12 mwN).

15aa) Dem steht nicht entgegen, dass der Betrieb an diesem Tag bestreikt worden ist. Ein Betriebsratsmitglied, das vor Beginn eines Arbeitskampfes für einen festliegenden Zeitraum von seiner beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts befreit war, verliert den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht allein deswegen, weil während dieser Zeit der Beschäftigungsbetrieb bestreikt wurde. Ein Arbeitskampf schließt nicht aus, dass während Zeiten einer Arbeitsniederlegung erforderliche Betriebsratstätigkeit zu leisten ist. Das Betriebsverfassungsgesetz ist während eines Arbeitskampfs prinzipiell anzuwenden. Seine Einschränkungen bedürfen einer arbeitskampfrechtlichen Rechtfertigung (vgl.  - Rn. 35 f. mwN). Verrichtet dementsprechend ein Betriebsratsmitglied erforderliche Betriebsratstätigkeit, ist es grundsätzlich unerheblich, ob es sich am Streik beteiligt hätte, wäre es für diese Zeit nicht von seiner Arbeitspflicht befreit gewesen. Das gilt jedenfalls solange es nicht seine Teilnahme am Streik trotz der Arbeitsbefreiung erklärt oder sich tatsächlich am Streikgeschehen beteiligt (vgl.  - zu II 5 der Gründe, BAGE 67, 50).

16bb) Soweit die Beklagte die Auffassung vertreten hat, die Schulungsteilnahme sei freiwillig und nicht erforderlich gewesen, schließt das die Annahme eines dem Grunde nach bestehenden Entgeltanspruchs gemäß § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 37 Abs. 6 und Abs. 2 BetrVG nicht aus. Nach dem unwidersprochenen schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz hat er als einköpfiger Betriebsrat seine Teilnahme an der Schulung beschlossen und dies vor deren Beginn der Beklagten angezeigt. Diese hat ihm das Entgelt für diesen Tag (fort-)gezahlt. Der Sache nach hat sie damit die vor Beginn des Streiks feststehende Befreiung des Klägers von seiner Arbeitspflicht am aufgrund einer erforderlichen amtsbezogenen Schulung und die Voraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht in Abrede gestellt.

17b) Diesen Anspruch hat die Beklagte vollständig erfüllt. Die dem Kläger für den fortzuzahlende Vergütung umfasst nicht die in dem ersten betrieblichen Aushang zugesagte Streikbruchprämie.

18aa) Arbeitsentgelt iSv. § 37 Abs. 2 BetrVG sind alle Vergütungsbestandteile, nicht dagegen Aufwendungsersatz. Eine dritte Kategorie von Zahlungen, also solche, die weder Aufwendungsersatz noch Arbeitsentgelt darstellt, ist der gesetzlichen Regelung des § 37 Abs. 2 BetrVG fremd (ausf.  - zu 1 b der Gründe, BAGE 77, 195). Entsprechend sind im Rahmen des Lohnausfallprinzips nach § 37 Abs. 2 BetrVG neben der Grundvergütung alle Zuschläge und Zulagen zu zahlen, die das Betriebsratsmitglied ohne Arbeitsbefreiung verdient hätte, insbesondere Zuschläge für Mehr-, Über-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, Erschwernis- und Sozialzulagen. Hierzu zählen, worauf die Revision richtig verweist, grundsätzlich auch Leistungen, die den tatsächlichen Arbeitsantritt voraussetzen (für eine tarifvertragliche sog. Antrittsgebühr  - aaO).

19bb) Der Kläger unterfällt hingegen nicht dem Kreis der Anspruchsberechtigten, an die sich die ausgelobte Streikbruchprämie richtete. Unter Heranziehung der für eine Gesamtzusage maßgebenden Auslegungsgrundsätze (dazu ausf. zB  - Rn. 33) war die Sonderzahlung nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn ausschließlich denjenigen Arbeitnehmern versprochen, deren Arbeitspflicht an einem Streiktag nicht aus einem anderen Grund als dem der Teilnahme am Streik suspendiert war.

20(1) Darauf deutet bereits die im jeweiligen betrieblichen Aushang formulierte Beschreibung des Adressatenkreises der „arbeitswilligen Mitarbeiter…, die bei einem Streik ihrer regulären Tätigkeit nachgehen und nicht streiken“ hin. Vor allem aber folgt dies aus dem Charakter der vor Beginn der Streikmaßnahmen zugesicherten Prämie. Sie richtete sich nur an Arbeitnehmer, die - dem erwarteten Streikaufruf nicht Folge leistend - tatsächlich während des Streiks ihre Arbeitsleistung erbringen. Die Beklagte hat sich, erkennbar für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, mit der Prämie keines Mittels allgemeiner Motivationssteigerung bedient, sondern wollte in der spezifischen Situation der Auseinandersetzung um einen Tarifvertragsschluss und eines vor diesem Hintergrund erwarteten Streiks dessen Folgen begrenzen. Eine Aufrechterhaltung des Betriebs trotz des Streiks vermochten nur diejenigen Arbeitnehmer zu gewährleisten, die ihrer Arbeitspflicht tatsächlich nachkommen konnten und hiervon nicht aus anderen Gründen - sei es Urlaub, Arbeitsunfähigkeit oder auch erforderliche Betriebsratstätigkeit - befreit waren.

21(2) Dieses Verständnis der Streikbruchprämie verbietet sich im Hinblick auf die Freistellung wegen erforderlicher Betriebsratstätigkeit nicht wegen der Schutzbestimmungen des § 78 BetrVG.

22(a) Nach dessen Satz 1 dürfen ua. die Mitglieder des Betriebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Weiterhin dürfen sie nach Satz 2 wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden. Eine Benachteiligung iSv. § 78 Satz 2 BetrVG ist - ohne dass es auf eine Benachteiligungsabsicht ankäme - jede Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht ( - Rn. 29, BAGE 148, 299).

23(b) Der Kläger wird als Betriebsratsmitglied, dessen Arbeitspflicht an dem Streiktag aus Gründen seiner Mandatstätigkeit suspendiert war, durch die „Vorenthaltung“ der Streikbruchprämie nicht wegen seiner Betriebsratstätigkeit gegenüber anderen Arbeitnehmern benachteiligt. Das Betriebsratsmitglied wird nicht anders behandelt als diejenigen Arbeitnehmer, die aus anderen Gründen von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt waren und deshalb ihre „reguläre Tätigkeit“ nicht erbracht haben.

24II. Ein Anspruch auf die Prämienzahlungen wird nicht durch den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vermittelt.

251. Allerdings folgt das nicht aus der Begründung des Landesarbeitsgerichts. Dieses ist davon ausgegangen, die Streikbruchprämie aufgrund des ersten betrieblichen Aushangs sei zwar rechtswidrig; der Kläger habe aber keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht, weshalb er die Prämie nicht verlangen könne. Diese Argumentation vernachlässigt, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zwar für sich gesehen keine Anspruchsgrundlage bildet (ausf.  - Rn. 18 ff., BAGE 148, 139). Wendet jedoch ein Arbeitgeber einer nach bestimmten Kriterien definierten Gruppe von Arbeitnehmern eine Leistung zu und nimmt damit andere Arbeitnehmer hiervon aus, kann dies dazu führen, dass er verpflichtet ist, dem (Kreis der) ausgeschlossenen Arbeitnehmer die der Gruppe versprochene Leistung zu gewähren, wenn er bei der Festlegung der zugrunde liegenden Anspruchsvoraussetzungen gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt (vgl.  - Rn. 18, aaO). Voraussetzung für die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Regelbildung des Arbeitgebers ist, dass dieser durch ein eigenes gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung geschaffen hat. Liegen einer Leistung bestimmte Voraussetzungen zugrunde, muss die vom Arbeitgeber damit selbst geschaffene Gruppenbildung gemessen am Zweck der Leistung sachlich gerechtfertigt sein (vgl. etwa  - Rn. 35 mwN). Das ist der Fall, wenn die Differenzierungsgründe unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Leistung auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhen und nicht gegen verfassungsrechtliche Wertentscheidungen oder gesetzliche Verbote verstoßen. Rechtsfolge einer Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist dann die Korrektur der arbeitgeberseitig bestimmten gleichbehandlungswidrigen Voraussetzung. Die sachlich nicht gerechtfertigte Gruppenbildung führt im Ergebnis zu einer Anpassung dieses Merkmals durch ein gleichbehandlungskonformes. Der Arbeitnehmer, der ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt wurde, kann die Leistung, von der er nach der Regelbildung des Arbeitgebers wegen Nichterfüllung des gleichbehandlungswidrigen Tatbestandsmerkmals ausgeschlossen war, von diesem verlangen, wenn es keine weiteren Voraussetzungen gibt oder etwaige weitere Voraussetzungen von ihm erfüllt werden ( - Rn. 22 f. mwN, aaO).

262. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Beklagte nicht zu den Prämienzahlungen verpflichtet.

27a) Für die Prämie ist der Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes eröffnet. Die Beklagte hat diese als freiwillige Leistung nach einem selbstbestimmten generalisierenden Prinzip zugesagt und in zweifacher Hinsicht eine Gruppenbildung vorgenommen. Sie hat zum einen unterschieden zwischen streikenden und nichtstreikenden Arbeitnehmern und zum anderen zwischen denjenigen Arbeitnehmern, deren Arbeitspflicht an einem Streiktag von vornherein aus anderen als streikbedingten Gründen suspendiert war, und denjenigen, bei denen das nicht der Fall war.

28b) Aus der Ausgestaltung der Prämie ergibt sich deren Zweck. Die Beklagte wollte die zur Arbeitsleistung verpflichteten Arbeitnehmer mittels einer finanziellen Leistung dazu anhalten, sich an einem von ihr aufgrund der Tarifauseinandersetzung mit ver.di konkret erwarteten Streik nicht zu beteiligen, also von der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Möglichkeit zur Teilnahme an dieser Arbeitskampfmaßnahme (zur Beteiligung aller vom Streikaufruf angesprochenen Arbeitnehmer  - zu II 3 a der Gründe mwN, BAGE 76, 196) keinen Gebrauch zu machen. Mit ihrem Versprechen einer Sonderleistung für diejenigen Arbeitnehmer, die einem gewerkschaftlichen Streikaufruf („Sollte es … tatsächlich zu einem Streik … kommen …“) nicht folgend weiter ihre Arbeitsleistung erbringen, sollte - als Streikabwehrmaßnahme - betrieblichen Ablaufstörungen entgegengewirkt und damit letztlich die Streikwirkung begrenzt werden.

29c) Gemessen an diesem Zweck sind die Gruppenbildungen aus arbeitskampfrechtlichen Gründen zulässig. Eine Prämie, mit der ein bestreikter Arbeitgeber die zum Arbeitskampf aufgerufenen Arbeitnehmer von der Beteiligung am Streik abzuhalten und seinen Betrieb aufrechtzuerhalten sucht, ist kein generell unzulässiges Kampfmittel. Es erweist sich auch in der hier von der Beklagten ausgelobten Gestaltung nicht als unzulässig.

30aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss der Arbeitgeber die Folgen einer gegen ihn gerichteten arbeitskampfbedingten Arbeitsniederlegung nicht hinnehmen. Er kann vielmehr versuchen, durch Gegenmaßnahmen die Folgen der streikbedingten Betriebsstörung zu begrenzen. Solche Maßnahmen sind durch die Arbeitsniederlegung bedingt und Teil des Systems von Druck und Gegendruck, das den Arbeitskampf kennzeichnet (vgl.  - Rn. 41 mwN). Das während einer Auseinandersetzung um den Abschluss eines Tarifvertrags erfolgte arbeitgeberseitige Versprechen einer finanziellen Zusatzleistung mit dem Ziel, die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer von der Beteiligung am Streik abzuhalten („echte“ Streikbruchprämie, vgl. von Hoyningen-Huene in Anm. zu AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 127), stellt eine Arbeitskampfmaßnahme dar. Der Arbeitgeber nimmt Einfluss auf das Arbeitskampfgeschehen, indem er streikbedingte betriebliche Ablaufstörungen zu minimieren und damit die Wirksamkeit des gewerkschaftlichen Arbeitskampfmittels zur Druckausübung abzuschwächen versucht.

31bb) Aus dem Umstand, dass eine Streikbruchprämie ein in einer kampfweisen Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag eingesetztes Mittel der Arbeitgeberseite zur Begrenzung von Folgen eines Streiks ist, folgt nicht zwangsläufig deren Zulässigkeit.

32(1) Das Arbeitskampfrecht ist weitgehend durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts richterrechtlich - auf der Grundlage des Art. 9 Abs. 3 GG und auf der Ebene einfachen Gesetzesrechts - geregelt (vgl.  - Rn. 16). Zentraler Maßstab für die Beurteilung der unterschiedlichen Erscheinungsformen des Arbeitskampfs ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinn. Das betrifft nicht nur auf die Erzwingung eines Tarifvertragsabschlusses gerichtete gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen (dazu ausf.  - Rn. 41 ff. mwN, BAGE 132, 140; - 1 AZR 396/06 - BAGE 123, 134), sondern ebenso hiergegen gerichtete Kampfmittel der anderen (möglichen) Tarifvertragspartei (dazu zB Greiner NJW 2010, 2977; kritisch Däubler/Rödl Arbeitskampfrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 43 ff.). Dabei ist nicht entscheidend, ob es sich um von einem Arbeitgeberverband getragene Abwehr- oder Verteidigungsaktionen gegen einen auf den Abschluss eines Verbandstarifvertrags gerichteten Streik handelt oder um gegen die Erzwingung eines Haustarifvertrags (auch bezeichnet als Firmen- oder Unternehmenstarifvertrag) gerichtete Maßnahmen eines nicht verbandsangehörigen Arbeitgebers. Letzterer kann selbst Tarifvertragspartei sein (§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG). Demzufolge gelten die Grundsätze des Arbeitskampfrechts auch für Arbeitskämpfe um den Abschluss eines Tarifvertrags mit einem Außenseiter-Arbeitgeber (vgl.  - zu C II 2 b der Gründe, BVerfGE 88, 103).

33(2) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert eine Würdigung, ob ein Kampfmittel zur Erreichung eines rechtmäßigen Kampfziels geeignet und erforderlich ist und bezogen auf das Kampfziel angemessen (proportional) eingesetzt wird ( - Rn. 25 mwN).

34(a) Geeignet ist ein Kampfmittel, wenn durch seinen Einsatz die Durchsetzung des Kampfziels, das auf Arbeitgeberseite typischerweise auf den Nichtabschluss des verlangten Tarifvertrags oder auf den Abschluss eines inhaltlich anderen Tarifvertrags gerichtet ist, gefördert werden kann. Dabei kommt den einen Arbeitskampf führenden Koalitionen - und im Fall eines Arbeitskampfes um einen Firmentarifvertrag dem nicht verbandsgebundenen Arbeitgeber - eine Einschätzungsprärogative zu. Diese durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Freiheit in der Wahl der Arbeitskampfmittel ( - Rn. 42, BAGE 132, 140) steht bei der die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichernden Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts auch dem einzelnen Arbeitgeber zu.

35(b) Erforderlich ist ein Kampfmittel, wenn mildere Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels nach der Beurteilung der den Arbeitskampf Führenden nicht zur Verfügung stehen. Auch insoweit umfasst Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich deren Einschätzung, ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels das gewählte Mittel für erforderlich oder andere Mittel für ausreichend erachten. Die Grenze bildet der Rechtsmissbrauch ( - Rn. 43, BAGE 132, 140).

36(c) Verhältnismäßig im engeren Sinn (proportional) ist ein Arbeitskampfmittel, das sich unter hinreichender Würdigung der grundrechtlich gewährleisteten Betätigungsfreiheit zur Erreichung des angestrebten Kampfziels unter Berücksichtigung der Rechtspositionen der von der Kampfmaßnahme unmittelbar oder mittelbar Betroffenen als angemessen darstellt. Insoweit steht einer Arbeitskampfpartei zwar keine Einschätzungsprärogative zu. Allerdings ist in die notwendige rechtliche Abwägung einzustellen, dass es gerade Wesen einer Arbeitskampfmaßnahme ist, Druck zur Erreichung eines legitimen Ziels auszuüben. Unverhältnismäßig ist ein Arbeitskampfmittel daher erst, wenn es sich auch unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs als unangemessene Beeinträchtigung gegenläufiger, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützter Rechtspositionen darstellt ( - Rn. 44, BAGE 132, 140). Bei dieser Beurteilung kann von Bedeutung sein, ob das Kampfmittel mit eigenen Opfern verbunden ist und ob dem Gegner effektive Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Ein Arbeitskampfmittel, das frei von eigenen Risiken eingesetzt werden kann und zugleich dem Gegner keine Verteidigungsmöglichkeiten lässt, gefährdet typischerweise die Verhandlungsparität. Nach der Rechtsordnung ist keiner Seite ein so starkes Kampfmittel zugebilligt, dass dem Gegenspieler keine wirksame Reaktionsmöglichkeit bleibt, sondern die Chancen auf die Herbeiführung eines angemessenen Verhandlungsergebnisses zerstört werden (vgl.  - Rn. 46, aaO).

37cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine Streikbruchprämie kein generell unzulässiges Kampfmittel.

38(1) Die Prämie ist nicht von vornherein ungeeignet, das von der Arbeitgeberseite verfolgte Ziel - die Abwehr oder Milderung der Folgen eines Streiks - zu erreichen. Der durch eine kollektive Arbeitsniederlegung ausgeübte Druck auf die Arbeitgeberseite als Tarifvertragspartei ist umso geringer, je weniger Arbeitnehmer einem Streikaufruf folgen. Die Wahl des Mittels, welches der Arbeitgeber für diesen Zweck für geeignet hält, unterliegt in der jeweiligen konkreten Arbeitskampfsituation seiner Einschätzungsprärogative.

39(2) Die Prämie ist kein offensichtlich nicht erforderliches Mittel, um dem Druck, der durch einen Streik ausgeübt werden könnte, entgegenzuwirken. Ein Arbeitgeber, demgegenüber von Seiten der Gewerkschaft Streikmaßnahmen konkret in Aussicht gestellt werden, muss mit der Auslobung der Streikbruchprämie auch nicht warten, bis ein Streik tatsächlich begonnen hat. Soll mit dem Zahlungsversprechen der Druckausübung durch einen Streik begegnet werden, ist es ohnehin kein milderes Mittel, hiermit bis zum Beginn der kollektiven Arbeitsniederlegung zuzuwarten. Zudem ist es den Tarifpartnern grundsätzlich unbenommen, schon vor der kampfweisen Auseinandersetzung ihre Kampfmittel offenzulegen (ErfK/Preis 18. Aufl. § 612a BGB Rn. 16).

40(3) Eine Streikbruchprämie ist nicht unverhältnismäßig im engeren Sinne.

41(a) Mit ihr ist keine unangemessene Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich geschützten Rechtsposition der streikführenden Gewerkschaft verbunden. Der Arbeitgeberstrategie, Streikdruck durch finanzielle Anreize an nichtstreikende Arbeitnehmer zu minimieren, ist die zum Streik aufrufende Gewerkschaft nicht in dem Sinn wehrlos ausgesetzt, dass der von ihr getragene Streik strukturell sinnentleert würde. Sie kann vielmehr - für ihre Forderungen werbend - auf zum Streik aufgerufene Arbeitnehmer einwirken und versuchen, sie trotz zugesagter Streikbruchprämie für eine Teilnahme am gewerkschaftlichen Streik zu gewinnen. Des Weiteren kann sie ihre Kampftaktik auf eine Streikbruchprämienauslobung einstellen und etwa eine gezielte Rotation der tatsächlich die Arbeit niederlegenden Arbeitnehmer organisieren, um die Selbstschädigung der Streikenden zu mildern und eine Abschöpfung der ausgelobten Prämie als Schädigung des Arbeitgebers zu bewirken. Es erscheint im Übrigen nicht ausgeschlossen, dass bei einer solchen in der Belegschaft kommunizierten, solidarischen „Prämienrotation“ der vom Streikaufruf erfassten Arbeitnehmer deren Streikbereitschaft prinzipiell gesteigert werden könnte. Hinzu kommt, dass sich der Arbeitgeber mit der Streikbruchprämie keines Arbeitskampfmittels bedient, welches für ihn ohne Folgewirkungen wäre. Die Prämie ist mit finanziellen Aufwendungen verbunden. Weiterhin besteht das Risiko, im Fall eines Tarifvertragsabschlusses aufgrund einer vereinbarten sog. Maßregelungsklausel die Prämienzahlungen auch streikenden Arbeitnehmern (nachträglich) gewähren zu müssen (vgl. zB  - BAGE 73, 320).

42(b) Die Höhe der Streikbruchprämie - und deren Verhältnis zum Verdienst der zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer - ist für sich gesehen bei der Angemessenheitsprüfung des Arbeitskampfmittels regelmäßig kein geeignetes Kriterium (im Ergebnis offenlassend -  - zu III 1 d und 2 der Gründe, BAGE 73, 320). Zum einen kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die gegen eine Streikbruchprämie mögliche Abwehrstrategie einer Gewerkschaft umso wirkungsvoller erscheinen dürfte, je höher die Prämie im Verhältnis zum Verdienst ausfällt und sie - wie vorliegend - für jeden einzelnen Streiktag zugesagt ist. Zum anderen unterliegt eine Streikbruchprämie, worauf bereits das Arbeitsgericht verwiesen hat, einem ökonomisch-selbstregulierenden Effekt. Ein Arbeitgeber wird das Streikbruchprämienversprechen typischerweise nicht so ausgestalten, dass ihn die streikbedingten Sonderzahlungen finanziell stärker belasten als ein Nachgeben gegenüber den Forderungen der streikführenden Gewerkschaft. Ungeachtet dessen bewirkt auch eine gegenüber dem Entgeltanspruch der zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer sehr hohe Streikbruchprämie nur einen Anreiz und keinen Zwang, nicht am gewerkschaftlichen Streik teilzunehmen. Insoweit ist die Gewerkschaft dem Arbeitskampfmittel nicht in dem Sinne ausgesetzt, dass ihre Chancen zur Herbeiführung eines angemessenen Verhandlungsergebnisses von vornherein als ausgeschlossen erscheinen.

43(4) Der Zulässigkeit einer Prämie mit dem Zweck, Arbeitnehmer in einer konkreten Arbeitskampfsituation von Arbeitsniederlegungen abzuhalten oder streikende Arbeitnehmer während des Arbeitskampfes zur Wiederaufnahme der Arbeit zu veranlassen, stehen weder Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG noch § 138 Abs. 1 BGB entgegen (aA Däubler/Rödl Arbeitskampfrecht 4. Aufl. § 21 Rn. 195 ff.).

44(a) In einem nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Verhalten - im Sinn der die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichernden einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts - liegt keine nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtige Abrede oder rechtswidrige Maßnahme (vgl. nur M. Kemper in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 7. Aufl. Art. 9 Rn. 185 ff. mwN). Arbeitskampfmaßnahmen ist es immanent, dass sie die durch die Tarifvertragsfreiheit geschützte Entscheidungsfreiheit der Gegenseite durch Zufügung von Schäden oder den Erfolg gegnerischer Kampfmaßnahmen abwehrenden Verhalten zu beeinflussen versuchen.

45(b) Deshalb folgt die Unzulässigkeit der als Kampfmaßnahme kollektivrechtlich zu beurteilenden Streikbruchprämie nicht aus dem Umstand, dass der individualrechtliche Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers auf Prämienzahlung dessen Nichtteilnahme am Streik voraussetzt. Es steht in der Beurteilung des zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmers, ob er sein Recht auf Beteiligung am Arbeitskampf in Anbetracht der zugesagten Streikprämie im Einzelfall nicht ausübt (vgl. Belling NZA 1990, 214, 219).

46ee) Danach hat sich die Beklagte mit der von ihr zugesagten Streikbruchprämie keines unzulässigen Kampmittels bedient. Die Prämie ist auch im konkreten Arbeitskampf und in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht unverhältnismäßig im engeren Sinn.

47(1) Das gilt zum einen im Hinblick auf die Höhe der Streikbruchprämie von (bei Vollzeitbeschäftigung) täglich 200,00 Euro und später 100,00 Euro. Selbst wenn man davon ausgeht, dass damit Streikbrucharbeit in starkem Maß gefördert gewesen sein dürfte, ist nicht ersichtlich, dass hiervon ein Zwang auf die zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer ausgeht, dem die streikführende Gewerkschaft wehrlos ausgesetzt gewesen wäre.

48(2) Es gilt zum anderen im Hinblick auf das von ver.di verfolgte Ziel der Durchsetzung eines Tarifvertragsschlusses mit der nicht verbandsangehörigen Beklagten. Zwar dürfte eine kampfführende Gewerkschaft bei einem Streik mit dem Ziel des Abschlusses eines Haustarifvertrags von einer seitens des einzelnen Arbeitgebers ausgelobten Streikbruchprämie typischerweise stärker betroffen sein als bei einem auf die Erzwingung eines Verbandstarifvertrags gerichteten Streik. Das gilt jedenfalls dann, wenn eine Streikbruchprämie als - verbandsgetragenes - Kampfmittel nicht von allen verbandsorganisierten Arbeitgebern gewährt wird. Auch in der kampfweisen Auseinandersetzung mit dem „Außenseiter-Arbeitgeber“ sind jedoch die Maßnahmen, mit denen dieser dem Streikdruck standhalten oder ihm begegnen will, nicht limitiert. Zudem ist die Prämie mit Aufwendungen des sie als Kampfmittel einsetzenden Außenseiter-Arbeitgebers verbunden und nicht völlig frei von den oben angeführten - dann auch nicht verbandsgetragenen - Risiken.

49(3) Die selbstschädigende Wirkung der konkret ausgelobten Streikbruchprämie ist schließlich nicht deshalb relativiert, weil sich das Prämienversprechen von vornherein nur an die Arbeitnehmer gewandt hat, deren Arbeitspflicht nicht aus anderen als streikbedingten Gründen suspendiert war. Auch unter Berücksichtigung dieses Umstandes hat sich die Beklagte keines Kampfmittels ohne jegliches Opfer und Risiko bedient.

50ff) Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung steht einer Streikbruchprämie der hier streitbefangenen Art als zulässiges Kampfmittel nicht Art. 11 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) entgegen.

51(1) Bei der Anwendung und Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes ist die EMRK als Auslegungshilfe heranzuziehen (vgl.  - Rn. 128, BVerfGE 137, 273). Auf der Ebene des einfachen Rechts trifft die Fachgerichte die Verpflichtung, deren Gewährleistungen und ihrer Zusatzprotokolle zu berücksichtigen und in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung mittels einer konventionsfreundlichen Auslegung einzupassen. In diesem Rahmen sind als Auslegungshilfe auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn sie nicht denselben Streitgegenstand betreffen. Dies beruht auf der Orientierungs- und Leitfunktion, die der Rechtsprechung des EGMR für die Auslegung der EMRK auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus zukommt (vgl.  - Rn. 27 f.;  - Rn. 74, BAGE 155, 347). Eine Heranziehung als Auslegungshilfe verlangt allerdings keine schematische Parallelisierung oder vollständige Harmonisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern ein Aufnehmen ihrer Wertungen (vgl.  - Rn. 126).

52(2) Vorliegend ist die durch Art. 11 EMRK geschützte Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und das damit verbundene Streikrecht (vgl. dazu zB EGMR - 68959/01 - [Enerji Yapi-Yol Sen]) zu berücksichtigen. Der EGMR hat mit den Entscheidungen zu Art. 11 EMRK verdeutlicht, dass an die Rechtfertigung einer Einschränkung der Vereinigungsfreiheit und des damit verbundenen Streikrechts nicht unerhebliche Anforderungen zu stellen sind (vgl.  - Rn. 130, BAGE 143, 354).

53(3) Durch die Zulässigkeit einer Streikbruchprämie als gegen einen Streik gerichtetes arbeitgeberseitiges Kampfmittel wird das Streikrecht nicht unverhältnismäßig beschränkt. Gegenteiliges lässt sich der vom Kläger angeführten Entscheidung des EGMR in der Sache „Wilson, National Union of Journalists u.a. / Großbritannien“ nicht entnehmen. In dieser Rechtssache hat der EGMR in der Rechtsprechung britischer Gerichte, die es gebilligt hat, dass ein Arbeitgeber den Beschäftigten beträchtliche Gehaltserhöhungen dafür anbieten darf, dass diese der Beendigung der Anwendung der bisher geltenden Tarifverträge auf ihr Arbeitsverhältnis sowie des Systems kollektiven Verhandelns und gewerkschaftlicher Vertretung zustimmen, eine Verletzung von Art. 11 EMRK gesehen (EGMR 2. Sektion - 30668/96, 30671/96, 30678/96 -). Mit einer solchen Sachlage des höheren Entgelts bei einem Gewerkschaftsaustritt oder einem Verzicht auf wesentliche Gewerkschaftsrechte ist die in einer konkreten kampfweisen Auseinandersetzung versprochene Streikbruchprämie nicht vergleichbar. Die Streikbruchprämie - in der hier vorliegenden Gestaltung - bezweckt nicht, den Arbeitnehmer davon abzuhalten, einer Gewerkschaft beizutreten oder eine solche zu gründen. Ebenso wenig zielt sie darauf, einen Streik zu verbieten oder den Einzelnen auf Dauer von der Teilnahme an einem Streik und damit der Ausübung seines Streikrechts abzuhalten. Im Übrigen sind die Tarifvertragsparteien vorliegend - anders als in der vom EGMR entschiedenen Rechtssache - im Zeitpunkt der Auslobung eines finanziellen Anreizes durch die Beklagte in einer Phase kollektiven Verhandelns gewesen. Der finanzielle Vorteil der Prämie für nichtstreikende Arbeitnehmer war von vornherein auf die Dauer des Streiks begrenzt. Dem Wortlaut des Art. 11 EMRK und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EGMR lässt sich kein Verbot bestimmter Kampfmittel entnehmen.

54III. Es kann dahinstehen, inwieweit der von dem Kläger - ergänzend - geltend gemachte Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB eine eigenständige Anspruchsgrundlage für die streitgegenständlichen Forderungen bilden würde. Die Prämiengestaltung der hier streitbefangenen Art mit ihrer zulässigen Differenzierung zwischen streikenden und nichtstreikenden Arbeitnehmern stellt von vornherein keine Maßregelung iSv. § 612a BGB dar (vgl. auch  - zu II 2 c cc der Gründe, BAGE 115, 68; - 1 AZR 676/92 - zu IV 1 der Gründe, BAGE 73, 320).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:140818.U.1AZR287.17.0

Fundstelle(n):
BB 2018 S. 2035 Nr. 35
BB 2019 S. 115 Nr. 3
DB 2019 S. 432 Nr. 8
DB 2019 S. 7 Nr. 1
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StuB-Bilanzreport Nr. 18/2018 S. 688
ZIP 2018 S. 65 Nr. 34
ZIP 2019 S. 286 Nr. 6
UAAAH-04090