Bindung des FA nach Treu und Glauben an seine im Einspr.-Verfahren vertretene Auffassung trotz Festsetzung der InvZ unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
Gesetze: AO §§ 164, 222, 223, § 100 Abs. 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) —im folgenden KG— beantragte für 1993 Investitionszulage. Statt des für dieses Jahr herausgegebenen amtlichen Vordrucks IZ (93) verwendete sie den Vordruck IZ (91) und änderte darin die Jahreszahl 1991 jeweils maschinenschriftlich in 1993.
Im Zuge einer zunächst angeordneten, später wieder aufgehobenen Investitionszulagen-Sonderprüfung teilte der Prüfer der KG telefonisch mit, die Investitionszulage sei auf dem falschen Vordruck und damit nicht wirksam beantragt worden. Daraufhin reichte die KG am auf dem Vordruck IZ (93) einen neuen Antrag ein. Die zugleich beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährte das zunächst zuständige Finanzamt (FA K) nicht, weil die KG die Gründe für die Verwendung des falschen Formulars nicht dargelegt habe.
Die auf dem Vordruck IZ (91) beantragte Investitionszulage für 1993 lehnte das FA K mangels wirksamer Antragstellung ab. Gegen den Ablehnungsbescheid vom erhob die KG am Einspruch, mit dem sie unter anderem vorbrachte, die Ablehnung widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben, da das FA K die Investitionszulage für 1992 gewährt habe, obwohl der Antrag ebenfalls auf dem Formular IZ (91) gestellt und nur die Jahreszahl in 1992 geändert worden sei. Die Form der Antragstellung sei auch im Bericht über die Prüfung der Investitionszulage für 1992 nicht beanstandet worden. Das FA K legte der KG unter Hinweis auf das (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1993, 684) nahe, den Einspruch zurücknehmen.
Während des Einspruchsverfahrens verlegte die KG ihren Sitz in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—). In einem Aktenvermerk vom vertrat das FA die Auffassung, der Antrag auf dem IZ (91) sei auf einem amtlichen Vordruck gestellt worden und enthalte alle Angaben, die auch nach dem Vordruck IZ (93) erforderlich gewesen seien. Über den Antrag sei daher sachlich zu entscheiden. In einem weiteren Aktenvermerk vom hielt das FA unter Auseinandersetzung mit dem Urteil des (EFG 1996, 338) an dieser Auffassung fest. Die Abweichungen in dem Formular IZ (93) gegenüber IZ (91) seien im Streitfall offensichtlich nicht von Bedeutung. Durch Bescheid vom setzte das FA die beantragte Investitionszulage unter dem Vorhalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung —AO 1977—) fest. Im Bescheid heißt es: ”Die Belege bleiben bis zum Abschluss einer Investitionszulagen-Sonderprüfung bei den Steuerakten. Hiermit erledigt sich Ihr Einspruch vom .”
Anlässlich der Vorbereitung einer Investitionszulagen-Sonderprüfung wurde dem FA das (BFHE 184, 142, BStBl II 1998, 31) bekannt, nach dem nur der amtliche Vordruck für das jeweilige Jahr verwendet werden darf. Das FA erließ daraufhin am einen Bescheid, in dem es den Bescheid über Investitionszulage für 1993 vom aufgrund von § 164 Abs. 2 AO 1977 aufhob und die Investitionszulage auf 0 DM festsetzte. Den Vorbehalt der Nachprüfung hob es auf.
Den dagegen erhobenen Einspruch wies das FA zurück. Es führte bezugnehmend auf das BFH-Urteil in BFHE 184, 142, BStBl II 1998, 31 aus, der auf dem Formular IZ (91) gestellte Antrag sei unwirksam, der auf dem richtigen Vordruck gestellte Antrag erst nach Ablauf der Antragsfrist eingegangen. Da die Verwendung des falschen Vordrucks auf einem Rechtsirrtum beruhe, komme eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht. Auf Treu und Glauben könne sich die KG nicht berufen. Auch wenn der Bescheid vom aufgrund eines Einspruchs ergangen sei, bestehe kein erhöhter Bestandsschutz, weil der Vorbehalt der Nachprüfung den für die Bindung nach Treu und Glauben notwendigen Vertrauensbestand verhindere.
Das FG hob den angefochtenen Bescheid auf. Es war der Auffassung, das FA habe den Investitionszulagenbescheid für 1993 wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben, nämlich des Verbots widersprüchlichen Tuns, nicht mehr ändern dürfen, soweit im Einspruchsverfahren des Jahres 1996 die Rechtsfrage der wirksamen Antragstellung bereits zugunsten der Klägerin entschieden worden sei. Unter Hinweis auf die (BFHE 82, 387, BStBl III 1965, 388) und vom IV 297/64 (BFHE 97, 101, BStBl II 1970, 2) führte es aus, habe das FA aufgrund eines Einspruchs den Steuerfall geprüft und eine für den Steuerpflichtigen günstige Einspruchsentscheidung erlassen, sei es bei einer späteren Bearbeitung des Steuerfalles grundsätzlich an die im Einspruchsverfahren vertretene Rechtsauffassung gebunden. Das finanzgerichtliche Urteil ist in EFG 2000, 1090 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, ein Ausnahmefall, der einer Korrektur eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheides entgegenstehe, sei nicht gegeben. Der Aufhebungsbescheid sei rechtmäßig, weil der auf dem falschen Vordruck gestellte Antrag auf Investitionszulage für 1993 wegen der erheblichen Unterschiede der Vordrucke IZ (91) und IZ (93) unwirksam sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Ermittlung der Höhe der Investitionszulage an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Im Ergebnis zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass das FA nach Treu und Glauben gehindert war, den Investitionszulagenbescheid für 1993 trotz des Vorbehalts der Nachprüfung aus formellen Gründen aufzuheben.
a) Das FG hat seine Auffassung, das FA sei nach einer für den Steuerpflichtigen günstigen Einspruchsentscheidung bei einer späteren Bearbeitung des Falles grundsätzlich an die im Einspruchsverfahren vertretene Rechtsauffassung gebunden, auf die BFH-Urteile in BFHE 82, 387, BStBl III 1965, 388, und in BFHE 97, 101, BStBl II 1970, 2 gestützt, die zu §§ 222, 223 der Reichsabgabenordnung (AO) —Änderung wegen neuer Tatsachen— ergangen sind. In dem nicht veröffentlichten Urteil vom IV R 109/76 hat es der BFH abgelehnt, die Grundsätze dieser Entscheidungen auf nach § 100 Abs. 2 AO in vollem Umfang vorläufige Bescheide zu übertragen. Für Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO 1977, der Nachfolgevorschrift des § 100 Abs. 2 AO, gelten diese Grundsätze ebenfalls nicht (vgl. auch , BFH/NV 2002, 1421).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangener Bescheid gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 AO 1977 bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist ohne sachliche Einschränkung jederzeit in vollem Umfang aus formellen oder materiellen Gründen geändert werden, auch wenn diese Gründe dem FA zum Zeitpunkt des Erlasses des Vorbehaltsbescheides schon bekannt waren (z.B. , BFH/NV 1993, 684, und vom III R 30/99, BFHE 198, 184, BStBl II 2002, 547, jeweils m.w.N.). Der Vorbehalt der Nachprüfung wirkt solange fort, bis er ausdrücklich aufgehoben wird (z.B. , BFHE 175, 391, BStBl II 1995, 2, unter 1. b, m.w.N.) oder wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist entfällt (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977).
Ein Bescheid, der einem Einspruch abhilft, ist ebenfalls in vollem Umfang änderbar, wenn ihn das FA unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen hat. Durch die Festsetzung unter Vorbehalt macht das FA deutlich, dass es die Sache noch nicht abschließend geprüft hat und der Steuerpflichtige mit einer abweichenden Beurteilung rechnen muss, und zwar auch insoweit als das FA abgeholfen hat.
Die Grundsätze von Treu und Glauben hindern das FA grundsätzlich nicht, einen auf den Einspruch des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten ergangenen Bescheid zu ändern, wenn der abhelfende Bescheid fehlerhaft ist und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, da ein wirksamer Vorbehalt der Nachprüfung regelmäßig das Entstehen eines für die Bindung an Treu und Glauben notwendigen Vertrauenstatbestands verhindert (z.B. , BFH/NV 1995, 938, und in BFHE 198, 184, BStBl II 2002, 547). Denn, wenn das FA nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 die Steuer ohne Begründung unter Vorbehalt der Nachprüfung festsetzen und die Festsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 jederzeit aufheben oder ändern kann, so bedeutet das für den Steuerpflichtigen, dass er regelmäßig mit der umfänglichen formellen und materiellen Überprüfung seines Anspruchs bis zum Ergehen des endgültigen Bescheides rechnen muss. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn das FA eine bindende Zusage erteilt oder durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (, BFHE 164, 408, BStBl II 1991, 769, unter 2. a.E.; BFH-Beschlüsse vom V B 88/00, BFH/NV 2002, 551, und vom , V B 71/02, BFH/NV 2003, 4).
b) Im Streitfall ist aufgrund der besonderen Umstände und des Verhaltens des FA ein Vertrauenstatbestand entstanden, der das FA trotz der Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung daran hindert, unter Änderung des Zulagenbescheides vom die Investitionszulage erneut aus formellen Gründen wegen der Verwendung des falschen Antragsformulars abzulehnen.
Das ursprünglich zuständige FA K hatte der KG zu Beginn des Einspruchsverfahrens gegen den ablehnenden Bescheid vom unter Hinweis auf das Urteil des FG Berlin in EFG 1993, 684 nahe gelegt, den Einspruch zurückzunehmen. Das während des Einspruchsverfahrens zuständig gewordene beklagte FA war —wie sich aus den beiden Aktenvermerken vom 6. und ergibt— anderer Auffassung. Es hielt den Antrag trotz Verwendung des Vordrucks IZ (91) für wirksam. Diese vom FA K abweichende Rechtsauffassung ist in dem Festsetzungsbescheid vom für die KG unmissverständlich zum Ausdruck gekommen. Denn die Festsetzung der Investitionszulage stand im Gegensatz zu dem Verhalten des FA K, das die Rücknahme des Einspruchs wegen Unwirksamkeit des Antrags empfohlen hatte. Der Hinweis auf dem Bescheid, ”hiermit erledigt sich Ihr Einspruch”, musste bei der KG den Eindruck erwecken, der Rechtsstreit um die Wirksamkeit des Antrags sei verbindlich geklärt, so dass im Rahmen der Investitionszulagen-Sonderprüfung nur noch die sachlichen Voraussetzungen für die Investitionszulage zu prüfen seien.
Hinzu kommt, dass das FA die Zulage ausdrücklich aufgrund ”des Antrags vom /” gewährt hat. Da das FA K für den nach Ablauf der Antragsfrist eingereichten Antrag auf dem Formular IZ (93) vom eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt hatte, konnte die KG die Bezugnahme auf diesen Antrag als Bestätigung werten, dass die Wirksamkeit des Antrags nicht mehr in Frage steht, zumal das FA K den —ebenfalls auf dem Formular IZ (91) gestellten— Antrag auf Investitionszulage 1992 nicht beanstandet und so den Irrtum der KG, die Verwendung des Vordrucks IZ (91) sei auch für andere Jahre zulässig, bestärkt hatte (zum Vertrauensschutz bei durch das FA verursachten Irrtümern vgl. auch , BFHE 189, 273, BStBl II 2000, 37, und vom III R 4/98, BFH/NV 2000, 987).
Die KG durfte daher darauf vertrauen, dass das FA nur noch die sachlichen Voraussetzungen der Investitionszulage prüft. Mit einer Rückforderung der Investitionszulage wegen Verwendung des falschen Vordrucks brauchte die KG nicht mehr zu rechnen.
2. Zu Unrecht hat das FG jedoch den Bescheid vom ersatzlos aufgehoben, ohne sich mit den materiellen Voraussetzungen für die beantragte Investitionszulage zu befassen. Das FG-Urteil ist daher aufzuheben und entsprechend dem Antrag des FA zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Höhe der Investitionszulage an das FG zurückzuverweisen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 1529
BFH/NV 2003 S. 1529 Nr. 12
EAAAA-70338