BFH Beschluss v. - XI B 58/02

Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht; Pflicht des FG zur Beweiserhebung

Gesetze: FGO § 76, § 115 Abs. 2 Nr. 3

Gründe

Die Beschwerde ist begründet. Das Finanzgericht (FG) hat seine Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt. Es hätte dem vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) in der mündlichen Verhandlung nochmals gestellten Antrag auf Einvernahme der benannten Zeugen entsprechen müssen.

1. Die Verfahrensrüge des Klägers ist in zulässiger Form erhoben worden. In der Beschwerdebegründung wurden die Voraussetzungen für einen Verfahrensmangel, nämlich die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 76 Abs. 1 FGO, in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Form, dargelegt.

Wird mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) geltend gemacht, das FG habe zu Unrecht Beweisanträge übergangen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) Angaben zu den ermittlungsbedürftigen Tatsachen, den angebotenen Beweismitteln und zum Ergebnis der Beweisaufnahme erforderlich. Hat das FG —wie im Streitfall— selbst im Urteil begründet, weshalb es von der Erhebung beantragter Beweise abgesehen hat, genügt bereits die schlichte Rüge der Nichtbefolgung des Beweisantritts den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO (vgl. z.B. , BFH/NV 2001, 147, m.w.N.; vgl. auch , BFH/NV 2000, 597). Da es sich bei der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes um einen verzichtbaren Mangel handelt, muss grundsätzlich —auch im Fall der o.g. Begründungserleichterung (vgl. z.B. BFH in BFH/NV 2000, 597)— vorgetragen werden, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt worden oder weshalb die Rüge nicht möglich gewesen sei (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 120 Rdnr. 69). Dies gilt grundsätzlich. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn sich dies aus dem Urteil oder Sitzungsprotokoll ergibt (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rdnr. 67, m.w.N.). Im Streitfall wird im Urteil selbst darauf hingewiesen, dass in der (letzten) mündlichen Verhandlung Beweisanträge ausdrücklich wiederholt worden sind. Damit erübrigt sich der Vortrag des Klägers, er habe sich nicht rügelos auf die mündliche Verhandlung eingelassen.

2. Die Rüge ist auch begründet.

Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das FG grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrenmangel vermeiden will. Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn es auf das Beweismittel für die Entscheidung nicht ankommt oder das Gericht die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsache zugunsten der betreffenden Partei unterstellt oder das Beweismittel nicht erreichbar ist. Auch ist das FG nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (vgl. z.B. , BFH/NV 1996, 757; vom XI R 26/99, BFH/NV 2002, 625, m.w.N.). Die Voraussetzungen, unter denen von der Erhebung eines angebotenen Beweises abgesehen werden kann, lagen im Streitfall nicht vor.

a) Die Einvernahme der vom Kläger benannten Zeugen durfte das FG nicht mit der Begründung zurückweisen, dieser habe die Beweiserhebung lediglich ”angeregt”. Der Steuerprozess ist vom Amtsermittlungsprinzip beherrscht und kennt keine subjektive Beweislast und keine Beweisregeln, sondern nur eine objektive Feststellungslast. Das FG ist daher gehalten, den Sachverhalt unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel so vollständig wie möglich aufzuklären. Das bedeutet, dass die Tatsacheninstanz grundsätzlich auch ohne Beweisanträge die erforderlichen Beweiserhebungen durchführen muss, bis der Sachverhalt so vollständig wie möglich aufgeklärt ist (vgl. z.B. , BFHE 122, 396, BStBl II 1977, 694; Gräber/von Groll, a.a.O., § 76 Rdnr. 1, 10 ff.). Der Stellung eines förmlichen ”Antrags” bedarf es daher nicht (vgl. z.B. zur Gleichstellung von Antrag und Anregung , BFH/NV 1997, 103).

b) Das FG durfte die Beweisanregung des Klägers auch nicht mit der Begründung ablehnen, dieser habe schriftsätzlich kein konkretes Beweisthema benannt.

Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung hat der Kläger —nach Diskussion über die beantragte Zeugeneinvernahme— angeregt, die in seinem Schreiben vom genannten Personen als Zeugen zu hören. Diese seien durch ihre Ausbildung als Diplom-Ingenieure in der Lage, darüber etwas auszusagen, ob seine für die betreffenden Firmen geleisteten Arbeiten die Breite und Tiefe einer Ingenieurausbildung zur Bedingung hätten bzw. sich am Arbeitsergebnis diese Breite und Tiefe des Wissens des Klägers darstellen lasse. Aus dem vom Kläger in seiner Beweisanregung ausdrücklich in Bezug genommenen Schriftsatz vom ergeben sich klare, die Feststellung von Tatsachen betreffende Beweisthemen: Die Zeugen sollten insbesondere aussagen über Art und Umfang der in den Streitjahren vom Kläger ausgeführten Projektarbeiten, zur Urheberschaft des Klägers für die dem FG vorgelegten Arbeitsunterlagen, über die der Sachverständige nur Vermutungen anstellen konnte und zur Ausführung der vom Kläger in einer Liste zusammengestellten Arbeiten, die der Gutachter nicht habe beurteilen können, weil der Kläger aufgrund Geheimhaltungsverpflichtung die Arbeitsunterlagen den damaligen Auftraggebern, deren Geschäftsführer die Zeugen waren, habe zurückgeben müssen.

c) Aus denselben Gründen konnte das FG die Beweisanregung auch nicht mit der Begründung ablehnen, der Kläger begehre mit der Zeugeneinvernahme nur eine weitere gutachterliche Stellungnahme. Zudem wäre es Aufgabe des Vorsitzenden gewesen, bei einem möglicherweise missverständlichen Antrag darauf hinzuwirken, dass der Kläger seinen Antrag erläutert oder klarstellt (§ 76 Abs. 2 FGO, vgl. z.B. auch , BFH/NV 1999, 51; Urteil vom VII R 59/98, BFH/NV 2000, 49).

d) Unter Berücksichtigung der materiellen Rechtsauffassung des FG war die Zeugeneinvernahme entscheidungserheblich, weil der Kläger den Erwerb ingenieurähnlicher Kenntnisse nur durch seine praktischen Arbeiten nachweisen kann (vgl. hierzu auch , BFHE 169, 402, BStBl II 1993, 100; vom IV R 51/99, BFHE 192, 439, BStBl II 2000, 616, unter 3.) und bis zuletzt bei einer Vielzahl der eingereichten Unterlagen ungeklärt geblieben ist, ob ihr Urheber der Kläger und/oder einer seiner Angestellten oder seine Auftraggeber waren.

Der Sachverständige hat sich in seinem Gutachten hinsichtlich der Urheberschaft der vorgelegten Arbeitsunterlagen überwiegend nur auf Vermutungen (z.B. Gutachten S. 4: ”vermutlich”, ”offenbar”) stützen können. Dementsprechend hat er ergänzend bestätigt, dass die vorgelegten Unterlagen für ihn nicht immer klar erkennen ließen, welche geistige Leistung bei der Erstellung der jeweiligen Unterlagen wem zuzuordnen sei, insbesondere ob die Unterlagen dem Kläger von seinen Auftraggebern zur Verfügung gestellt worden seien. Eine Beurteilung dahin gehend, auch die nicht zuzuordnenden Arbeitsunterlagen könnten eine ingenieurmäßige Leistung nicht belegen, enthält das Gutachten nicht.

Der Kläger hat zudem —belegt und unwidersprochen— vorgetragen, dass er seine Arbeitsunterlagen, die Auskunft über Art und Weise seiner Tätigkeit in den Streitjahren geben könnten, aus Geheimhaltungsgründen den früheren Auftraggebern habe zurückgeben müssen. Die beiden von ihm nachträglich ausfindig gemachten Auftraggeber seien nicht mehr in der Lage oder nicht bereit gewesen, die seinerzeit vom Kläger erstellten Pläne u.Ä. vorzulegen. Insbesondere auch unter Berücksichtigung dieses für den Kläger bestehenden Beweisnotstandes hätte das FG der Anregung auf Einvernahme der Geschäftsführer seiner damaligen Auftraggeber entsprechen müssen.

3. Da in der Sache keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen, wird das Urteil des FG aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 787
BFH/NV 2003 S. 787 Nr. 6
ZAAAA-69778