Leitsatz
Leistet ein Arbeitgeber seinem (früheren) Arbeitnehmer wegen Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine einmalige Abfindung und zur Überbrückung der Arbeitslosigkeit monatliche Ausgleichszahlungen, so sind diese Leistungen insgesamt auch dann im Jahr ihrer Zahlung tarifvergünstigt zu besteuern, wenn die Ausgleichszahlungen in einem späteren Veranlagungszeitraum fortgeführt werden.
Gesetze: EStG § 24 Nr. 1 Buchst. aEStG § 34
Instanzenzug: FG Baden-Württemberg (EFG 2000, 1127) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Der 1936 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) arbeitete seit bei der X-GmbH. Aufgrund eines anhaltenden Preisverfalls sah sich die X-GmbH zum Personalabbau gezwungen. Sie traf zu diesem Zweck mit dem zuständigen Betriebsrat eine Regelungsabrede. Danach sollte es —"bevor andere Maßnahmen ergriffen werden müssen"— ihren Beschäftigten erleichtert werden, freiwillig das Arbeitsverhältnis zu beenden. Die Regelungsabrede sah als Alternativen ein Ausscheiden gegen Einmalabfindung oder eine Frühpensionierung vor. Bei Ausscheiden gegen Abfindung sollte ein einmaliger Betrag bezahlt werden, der sich nach dem Lebensalter und den Dienstjahren des Arbeitnehmers bemaß. Außerdem sollten diese Mitarbeiter, soweit sie nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen arbeitslos würden und sich sofort arbeitslos meldeten, von der X-GmbH bis zu zwölf Monaten eine Ausgleichszahlung in Höhe der Differenz zwischen 85 % der bisherigen Nettobezüge und dem von der Arbeitsverwaltung gezahlten Arbeitslosengeld sowie möglichen Leistungen eines Unterstützungsvereins erhalten. Voraussetzung für die Zahlung des Ausgleichs war der Nachweis des Bezugs von Arbeitslosengeld und Unterstützungsleistungen.
Der Kläger machte von dem Angebot zur vorzeitigen Auflösung seines Arbeitsverhältnisses Gebrauch. Sein Arbeitsvertrag wurde mit Vertrag vom einvernehmlich zum aufgehoben. Die X-GmbH verpflichtete sich, zum Ausgleich für die Nachteile, die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden, eine Abfindung in Höhe von rd. 300 000 DM ”im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften steuerfrei” auszuzahlen. Ferner sollte der Kläger eine Jubiläumsgabe erhalten. Für den Fall der Arbeitslosigkeit nach Ausscheiden und bei rechtzeitiger Arbeitslosenmeldung sollte der Teil der Regelungsabrede in Kraft treten, der Ausgleichszahlungen bis zu zwölf Monaten vorsah.
Die X-GmbH zahlte dem Kläger im Streitjahr 1993 die Abfindung und die Jubiläumsgabe sowie Zuschüsse zum Arbeitslosengeld von insgesamt 32 708 DM. Bis einschließlich Juni 1994 erhielt er monatliche Ausgleichszahlungen von jeweils 5 451 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erfasste im Einkommensteuerbescheid 1993 sowohl die einmalig gezahlte Abfindung als auch die Zuzahlungen der X-GmbH zum Arbeitslosengeld nach Abzug eines Freibetrages von 36 000 DM gemäß § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Arbeitslohn und unterwarf sämtliche Zahlungen dem normalen Einkommensteuertarif. Die Jubiläumsabgabe wurde nicht gemäß § 34 Abs. 3 EStG tarifermäßigt besteuert, weil dabei eine höhere steuerliche Belastung entstanden wäre.
Die Klage, mit der der Kläger eine ermäßigte Besteuerung der Abfindung und der Jubiläumsgabe begehrte, hatte keinen Erfolg. Da die dem Kläger in Raten gezahlten Teile der Abfindung zur Hälfte im Streitjahr und zur Hälfte im folgenden Veranlagungszeitraum ausbezahlt worden seien, fehle es an dem in § 34 Abs. 1 und 2 EStG geforderten Tatbestandsmerkmal der außerordentlichen Einkünfte, die in einem Veranlagungszeitraum zusammengeballt zugeflossen seien.
Der Kläger rügt mit seiner Revision Verletzung des § 24 Nr. 1, § 34 EStG, Art. 2, 3, 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1993 unter Abänderung des Bescheides vom unter Berücksichtigung einer Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von ... DM sowie unter Berücksichtigung einer Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG für Jubiläumszuwendungen herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Vorentscheidung ist wegen Verletzung des § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG aufzuheben. Die Sache ist an das Finanzgericht (FG) zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 EStG). Als außerordentliche Einkünfte kommen nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Dem Sinn und Zweck der Steuerbegünstigung entsprechend (Ausgleich von Progressionsnachteilen) sind Entschädigungen aber nur dann außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 EStG, wenn sie zusammengeballt in einem Betrag gezahlt werden (zu § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG vgl. z.B. , BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787, m.w.N.; zu § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG vgl. , BFHE 170, 445, BStBl II 1993, 497; , BFHE 180, 433, BStBl II 1996, 516). Wird eine Entschädigung in zwei oder mehr Veranlagungszeiträumen ausgezahlt, scheidet grundsätzlich in sämtlichen Veranlagungszeiträumen, in denen Teile der Entschädigung ausgezahlt werden, d.h. auch im Veranlagungszeitraum der ersten Auszahlungsrate, eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG aus. Der Entscheidung des erkennenden Senats vom XI R 51/95 (BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416) kann Gegenteiliges nicht entnommen werden (a.A. Kanzler, Finanz-Rundschau —FR— 1996, 496), da dort die Einkommensteuerfestsetzung des Jahres, in dem der erste Teilbetrag ausbezahlt wurde, nicht Streitgegenstand war (vgl. auch Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 34 Rdnr. 17, m.w.N.).
2. Entschädigungen, die aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewährt werden, sind grundsätzlich einheitlich zu beurteilen. Sie müssen zum Zweck der Tarifvergünstigung grundsätzlich in einem Veranlagungszeitraum zufließen (vgl. BFH in BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416). Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos (vgl. BFH in BFHE 170, 445, BStBl II 1993, 497).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hält der Senat —wie er in seinem Urteil vom XI R 22/00 (BFH/NV 2002, 402) ausgeführt hat— in solchen Fällen für geboten, in denen neben einer Hauptentschädigungsleistung aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit in späteren Veranlagungszeiträumen Entschädigungszusatzleistungen gewährt werden. Das sind beispielsweise solche Leistungen, die der (frühere) Arbeitgeber dem Steuerpflichtigen zur Erleichterung des Arbeitsplatz- oder Berufswechsels oder als Anpassung an eine dauerhafte Berufsaufgabe und Arbeitslosigkeit erbringt.
Die Unbeachtlichkeit solcher ergänzenden Zusatzleistungen beruht auf einer zweckentsprechenden Auslegung des § 34 EStG unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— vom 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157; vom 1 BvL 35/86, BVerfGE 80, 103; , BFHE 189, 419, BStBl II 2000, 229; Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 20 Rdnr. 149 ff., m.w.N.). Dieser Grundsatz enthält neben den Elementen der Eignung und der Erforderlichkeit auch das Element der Angemessenheit (Proportionalität). Diesem Grundsatz widerspricht es, die anlässlich der Entlassung eines Arbeitnehmers aus Fürsorgegesichtspunkten für eine Übergangszeit erbrachten Zusatzleistungen als schädlich zu beurteilen. Die Unangemessenheit einer solchen Rechtsfolge verdeutlicht sich insbesondere in solchen Fällen, in denen die in späteren Veranlagungszeiträumen zugeflossenen Zusatzleistungen niedriger sind, als die tarifliche Steuerbegünstigung für die Hauptleistung.
3. Danach stehen die dem Kläger im Veranlagungszeitraum 1994 zugeflossenen monatlichen Ausgleichszahlungen der tarifbegünstigten Besteuerung der Abfindung einschließlich der im Streitjahr 1993 gezahlten Zuschüsse zum Arbeitslosengeld nicht entgegen. Sie sind sozial motiviert. Insbesondere Sozialpläne und Regelungsabreden haben (auch) eine auf Fürsorgeüberlegungen basierende Überleitungs- und Vorsorgefunktion (vgl. z.B. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. Aufl., § 244 Rdnr. 45). Dasselbe bezwecken vergleichbare Vereinbarungen des (früheren) Arbeitgebers mit den grundsätzlich nicht von Sozialplänen erfassten leitenden Angestellten (vgl. Schaub, a.a.O., § 244 Rdnr. 44, m.w.N.). So sollten auch die im Streitfall vom früheren Arbeitgeber für den Fall künftiger Arbeitslosigkeit vorübergehend gezahlten Zuschüsse den Übergang in eine möglicherweise andauernde Arbeitslosigkeit erleichtern.
4. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, weil die Sache nicht spruchreif ist.
Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zur Entschädigung für entgehende Einnahmen sämtliche Leistungen, zu denen sich der (frühere) Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag verpflichtet hat, soweit sie nicht Erfüllung des bisherigen Arbeitsvertrages sind. Demnach kann neben der ”Abfindung” und den Zuschüssen zum Arbeitslosengeld auch die Jubiläumsgabe Teil der tarifbegünstigten Entschädigung sein, wenn bzw. soweit der Kläger hierauf bei seinem Ausscheiden zum noch keinen Rechtsanspruch gehabt hat. Das FG muss hierzu noch die notwendigen Feststellungen treffen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 442
BB 2002 S. 868 Nr. 17
BFH/NV 2002 S. 717 Nr. 5
BFHE S. 522 Nr. 197
BStBl. II 2004 S. 442 Nr. 10
DB 2002 S. 877 Nr. 17
DStRE 2002 S. 551 Nr. 9
FR 2002 S. 831 Nr. 15
NWB-Eilnachricht Nr. 48/2005 S. 4056
MAAAA-69081