BFH Urteil v. - IX R 75/98

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben als Gesellschafter der GbR-D (im Folgenden: GbR) ein Grundstück, das den alleinigen Vermögensgegenstand der GbR darstellte. Durch notariellen Kaufvertrag vom veräußerten die Kläger ihre Gesellschaftsanteile an die Firmen A-KG und M-KG und traten die Anteile an die Erwerber ab.

Im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr (1990) erklärte die GbR einen Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ... DM sowie einen als ”Veräußerungsgewinn” bezeichneten Erlös aus dem Verkauf der Gesellschaftsanteile in Höhe von ... DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erließ unter dem einen Feststellungsbescheid für das Streitjahr, mit dem ein Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung in der erklärten Höhe festgestellt wurde. Im Feststellungsteil des Bescheides ist der Zeitpunkt der Veräußerung der Gesellschaftsanteile mit dem vermerkt; im Verfügungsteil hat der zuständige Sachbearbeiter des FA ferner vermerkt, dass im Zuge der Veranlagung nicht von der Steuererklärung abgewichen werde.

In der dem Feststellungsbescheid vom beigefügten Anlage ESt 1, 2, 3 B, auf die im Bescheid verwiesen wird, verteilte das FA den festgestellten Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung und in der Spalte ”Anteile an Veräußerungsgewinnen (einschließlich steuerfreier Veräußerungsgewinne)” den erklärten Veräußerungserlös jeweils zu gleichen Teilen auf die Kläger zu 1 bis 4. Hinweise zur rechtlichen Bewertung des nur in der Anlage ESt 1, 2, 3 B aufgeführten Veräußerungsgewinns enthielt weder der am dem Empfangsbevollmächtigten der Kläger zugegangene Feststellungsbescheid noch die diesem Bescheid beigefügte Anlage ESt 1, 2, 3 B. Dagegen ist auf einem in den Akten des FA befindlichen Exemplar der Anlage ESt 1, 2, 3 B der auf die Kläger verteilte Veräußerungsgewinn handschriftlich als ”Spekulationsgewinn gemäß § 23 EStG” bezeichnet. Ein derartiger Vermerk findet sich auch auf dem Ermittlungsbogen.

Nachdem der steuerliche Berater der Kläger mitgeteilt hatte, dass die vom FA im Zuge der Bearbeitung der Feststellungserklärung an die Wohnsitz-FÄ der Kläger versandten ESt-4-Mitteilungen nicht mit dem Inhalt des den Klägern bekannt gegebenen Feststellungsbescheides übereinstimmten, erließ das FA unter dem einen nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Feststellungsbescheid, in dem nunmehr neben dem erklärten Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung auch sonstige Einkünfte i.S. der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung (§§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG a.F.) in Höhe von ... DM festgestellt wurden.

Der gegen den geänderten Feststellungsbescheid vom eingelegte Einspruch der Kläger wurde vom FA als unbegründet zurückgewiesen. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, das FA habe zu Recht den Gewinn aus der Veräußerung der Gesellschaftsanteile an der GbR als Spekulationsgewinn i.S. der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG a.F. gewertet. Zwar hätten die Kläger nach dem Wortlaut des notariellen Kaufvertrages vom Gesellschaftsanteile an der GbR veräußert, tatsächlich habe dieser Vertrag jedoch die Veräußerung des Grundstücks, welches das alleinige Vermögen der Gesellschaft darstellte, zum Gegenstand gehabt. Das FA sei auch berechtigt gewesen, den streitgegenständlichen Feststellungsbescheid gemäß § 129 AO 1977 zu ändern, da der Ausweis eines Spekulationsgewinns i.S. der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG a.F. im Feststellungsbescheid nur versehentlich unterblieben sei, obwohl er in der Anlage ESt 1, 2, 3 B als solcher vermerkt gewesen sei.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der Einspruchsentscheidung den geänderten Feststellungsbescheid für 1990 vom dahin gehend zu ändern, dass der Ansatz eines Spekulationsgewinnes unterbleibt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass die vom FA unterlassene Feststellung sonstiger Einkünfte im Feststellungsbescheid vom eine nach § 129 Satz 1 AO 1977 zu berichtigende ähnliche offenbare Unrichtigkeit darstellt. Nach § 129 AO 1977 können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden. Offenbare Unrichtigkeiten in diesem Sinne sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit aus. § 129 AO 1977 ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (, BFH/NV 1999, 899; vom VI R 63/84, BFH/NV 1987, 480).

Nach diesen Maßstäben ist der Feststellungsbescheid vom nicht offenbar unrichtig i.S. des § 129 AO 1977. Trotz der in den Akten befindlichen Hinweise, die den Schluss rechtfertigen, das FA habe erwogen, den erklärten Veräußerungserlös als Spekulationsgewinn zu erfassen, hat der zuständige Sachbearbeiter des FA im Feststellungsteil des Bescheides den Zeitpunkt der Veräußerung der Gesellschaftsanteile vermerkt und damit erkennbar den Veräußerungsvorgang einer abweichenden rechtlichen Würdigung unterzogen. Zudem hat er durch den Vermerk im Verfügungsteil des Bescheides, wonach im Zuge der Veranlagung nicht von der Steuererklärung abgewichen werde, zum Ausdruck gebracht, dass das FA sich die rechtliche Bewertung des von den Klägern als nicht steuerbaren ”Veräußerungsgewinn” erklärten Erlöses zu eigen mache. Diese Umstände lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Sachbearbeiter aufgrund der ihm vorliegenden Feststellungserklärung rechtliche Schlüsse gezogen oder mögliche rechtliche Schlüsse unterlassen hat. Damit handelte es sich nicht mehr um ein mechanisches Versehen, das nach § 129 AO 1977 berichtigt werden könnte.

2. Die Sache ist spruchreif. Da der formell bestandskräftige Feststellungsbescheid vom nicht offenbar unrichtig i.S. des § 129 AO 1977 ist und andere Korrekturvorschriften nicht ersichtlich sind, ist der angefochtene Änderungsbescheid vom ohne gesetzliche Grundlage ergangen; er ist aufzuheben.

Besteht schon keine Rechtsgrundlage für die Änderung, so kann der Senat unerörtert lassen, ob die Kläger —wie das FA meint— mit notariellem Kaufvertrag vom ein Grundstück oder grundstücksgleiches Recht i.S. des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG a.F. veräußert haben (vgl. hierzu aber , BFH/NV 1997, 183; vom X R 148/88, BFHE 162, 304, BStBl II 1992, 211; , BFH/NV 1996, 213).

Nicht entschieden zu werden braucht ferner, ob die von den Klägern erhobenen Verfahrensrügen durchgreifen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 467 Nr. 4
YAAAA-69064