Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wird vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) auf Haftung in Anspruch genommen. Gegen den am zur Post gegebenen Haftungsbescheid hat er durch seinen Bevollmächtigten unter dem Einspruch erheben lassen. Die Einspruchsschrift ist jedoch erst am bei dem FA eingegangen. Der Kläger hat deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sein Prozessbevollmächtigter hat dazu in der Antragsschrift vom vorgetragen und anwaltlich versichert, er habe selbst das Einspruchsschreiben am zur Post aufgegeben, da es sich um einen der letzten Arbeitstage im Jahr gehandelt habe. Auf Anforderung des FA hat er ferner eine Kopie aus seinem Postausgangsbuch vorgelegt, in dem sich in der letzten Zeile für den 23. Dezember ein entsprechender Eintrag findet.
Das FA hat den Einspruch als unzulässig verworfen. In der Begründung seiner deswegen erhobenen Klage vom hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich erneut auf den rechtzeitigen Einwurf des Einspruchsschreibens am berufen und ergänzend vorgetragen, er habe den betreffenden Brief in den Postkasten in der X-Straße in A eingeworfen, was er eidesstattlich versichere. Später hat er sein Vorbringen weiter ergänzt und vorgetragen, er habe an dem betreffenden Tag, dem Tag vor Heilig Abend, an dem etwas früher Büroschluss gewesen sei, die Eintragung im Ausgangsbuch selbst vorgenommen und das Schreiben in A in einen der umliegenden Briefkästen, wahrscheinlich den Briefkasten auf der Y-Straße, eingeworfen, was er anwaltlich versichere.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Einspruch sei verspätet und Wiedereinsetzung nicht zu gewähren gewesen. Die Absendung der Einspruchsschrift am sei nicht glaubhaft gemacht. Die Erklärungen des Prozessbevollmächtigten seien nämlich widersprüchlich. Als Ort des Einwurfs der Einspruchsschrift habe er zunächst den Briefkasten in der X-Straße, später jedoch den zwei Querstraßen weiter befindlichen Briefkasten in der Y-Straße benannt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, zu deren Begründung vorgetragen wird, es sei für die Beurteilung nicht erheblich, in welchen Briefkasten die Einspruchsschrift eingeworfen worden sei. Je nachdem, ob er zu Fuß nach Hause gehe oder mit dem PKW fahre, komme er an dem einen oder an dem anderen Briefkasten vorbei. In der Regel handle es sich um den Briefkasten in der X-Straße, so dass er zunächst den Einwurf dort versichert habe. Er könne jedoch nicht ausschließen, dass es auch der Briefkasten in der Y-Straße gewesen sein könne. Deshalb habe er in seinem Schriftsatz vom diesen Briefkasten mit dem Zusatz, dass er es wahrscheinlich gewesen sei, bezeichnet. Mit dem Zusatz ”wahrscheinlich” solle deutlich gemacht werden, dass es auch der zunächst benannte Briefkasten gewesen sein könne, er jedoch aufgrund seiner Erinnerung davon ausgehe, dass es wohl der Briefkasten in der Y-Straße war. In dieser differenzierten Aussage hinsichtlich des Briefkastens sei allenfalls sein Wille zu erkennen, in jedem Falle keine unwahre Versicherung abzugeben.
II. Die Beschwerde ist anders als das FA meint zulässig. Denn sie legt sinngemäß dar, dass der Kläger einen —nach dem tatsächlichen Vorbringen der Beschwerde zumindest möglichen— Verfahrensmangel rügen will, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Verfahrensmängel, auf denen das Urteil des FG beruhen kann, sind zwar grundsätzlich nur solche, die das Verfahren des FG betreffen, die also diesem selbst unterlaufen sind. Verstöße der Finanzbehörde bei Erlass des angefochtenen Verwaltungsakts oder im Rechtsbehelfsverfahren gehören im Allgemeinen nicht dazu; denn auf ihnen kann das Urteil des FG im Allgemeinen nicht beruhen, weil sie —wie insbesondere z.B. Verstöße gegen die Pflicht zur amtswegigen Aufklärung des Sachverhalts— im Verfahren des FG geheilt werden können und auch zu heilen sind (vgl. statt aller schon Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, S. 62 mit Nachweisen).
Anders soll es sich allerdings nach verbreiteter Auffassung mit einem Mangel des Verwaltungsverfahrens verhalten, der zu einer in das gerichtliche Verfahren hineinwirkenden Verkürzung des Rechtsschutzes führt und dem das Gericht nicht abhilft (vgl. 3 B 12.94, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 316, § 26 VwVfG Nr. 1, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport 1995, 113). Mängel, die in einer Verkürzung der verfahrensrechtlichen Stellung des Beteiligten im Gerichtsverfahren fortbestehen, können vielmehr nach der ständigen Rechtsprechung des BVerwG (vgl. auch Beschluss vom 5 B 30.95, Buchholz, a.a.O., 310, § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 7, m.w.N.) und der einhelligen Auffassung im Schrifttum (Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO, Rdnr. 144; Seer in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 115 FGO Rdnr. 89; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 77; Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl., § 132 Rdnr. 21a) mit einer auf § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gestützten Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision mit Erfolg gerügt werden. Denn obwohl der Wortlaut des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO Mängel dieser Art nicht zu erfassen scheint, bleibt auch in einem solchen Fall der Anspruch des Betroffenen auf Rechtsschutzgewährung unbefriedigt, den nötigenfalls mit Hilfe des Revisionsgerichts durchzusetzen Aufgabe der Verfahrensrevision ist.
Der beschließende Senat braucht zu dieser Auffassung von der Bedeutung von (unheilbaren) Mängeln des Verwaltungsverfahrens für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO indes nicht weiter Stellung zu nehmen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH— (Beschlüsse vom X B 39/99, BFH/NV 2000, 578; vom V B 198/93, BFH/NV 1995, 602; vom III B 126/89, BFH/NV 1990, 790, und vom VI B 286/97, nicht veröffentlicht) führt es nicht zu einem solchen Mangel, wenn die Verwaltungsbehörde zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist versagt und das FG eine deswegen erhobene Anfechtungsklage ohne Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes als unbegründet (, BFHE 124, 1, BStBl II 1978, 154, und vom VII R 122/80, BFHE 141, 470, BStBl II 1984, 791, 793) abweist (anders 6 B 69.86, Buchholz, a.a.O., § 60 VwGO Nr. 152; Beermann, a.a.O.; Seer, a.a.O.). Die Revision kann also nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nur zugelassen werden, wenn das FG die Versäumnis einer in seinem eigenen Verfahren einzuhaltenden Frist bzw. die Voraussetzungen für eine wegen einer solchen Fristversäumnis zu gewährende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlerhaft beurteilt hat —was nach der neueren Rechtsprechung des BFH ungeachtet des Vorliegens eines sog. error in iudicando zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO führt (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 127/97, BFH/NV 1998, 64)—, nicht auch wenn es einem diesbezüglichen Rechtsirrtum im Hinblick auf eine bereits im Verwaltungsverfahren zu beachtende Frist unterlegen ist.
Dem folgt der beschließende Senat. Die Beschwerde erweist sich folglich als unbegründet; die vom FG gebilligte Versagung von Wiedereinsetzung gegen die versäumte Einspruchsfrist stellt keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar. Es kann deshalb unerörtert bleiben, ob die Beweiswürdigung des FG überzeugend ist, welches dem Kläger im Ergebnis eine Konkretisierung seines Wiedereinsetzungsantrages auf der Grundlage einer nachträglichen Anspannung seines Erinnerungsvermögens als ”widersprüchliches Vorbringen” zum Nachteil hat gereichen lassen und welches die —nach Auffassung des (BFH/NV 1991, 140) allerdings offenbar auf die Obliegenheiten einer Verwaltungsbehörde nicht übertragbare— Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. Beschluss vom 2 BvR 842/96, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 1770) anscheinend nicht für einschlägig gehalten hat, wonach das Versagen organisatorischer Vorkehrungen wie der zweckmäßigen Aufbewahrung des Briefumschlags, bei deren Beachtung sich die Wiedereinsetzungsvoraussetzungen unschwer hätten feststellen lassen, im Rahmen der Wiedereinsetzung nicht dem Rechtsbehelfsführer zur Last gelegt werden darf (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom VII B 132/99, der bei einem im Einspruchsverfahren bevollmächtigten Rechtsanwalt trotz der vorgenannten Rechtsprechung Wiedereinsetzung versagt hat).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1473 Nr. 11
EAAAA-68693