Tariflicher Schwerbehindertenzusatzurlaub für Gleichgestellte
Gesetze: § 1 TVG, § 2 Abs 2 SGB 9, § 2 Abs 3 SGB 9
Instanzenzug: ArbG Kaiserslautern Az: 2 Ca 1288/15 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 3 Sa 137/16 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger der tarifliche Zusatzurlaub für Schwerbehinderte zusteht.
2Der Kläger ist seit dem bei den US-Stationierungsstreitkräften als Feuerwehrmann im 24-Stunden-Schichtdienst beschäftigt. Er ist seit dem Jahr 2009 mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV AL II) Anwendung.
3Dort heißt es, soweit maßgeblich:
4Der Kläger war ab dem in K beschäftigt. Zuvor war er in H eingesetzt. In den Jahren 2011 bis 2013 gewährten ihm die US-Stationierungsstreitkräfte drei 24-Stunden-Schichten als Zusatzurlaub. Ab dem war die damalige Lebensgefährtin und heutige Ehefrau des Klägers die für ihn zuständige Zeitlistenführerin. Sie hatte für den Kläger den Zusatzurlaub vermerkt. Mit Schreiben vom teilten die US-Stationierungsstreitkräfte dem Kläger mit, tariflich bestehe nur ein Anspruch auf Schwerbehindertenzusatzurlaub, wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vorliege. Deshalb sei ihm bereits im Jahr 2014 kein Zusatzurlaub mehr gewährt worden.
5Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auch als einem Schwerbehinderten Gleichgestellter habe er einen Anspruch auf den tariflichen Zusatzurlaub. Der Tarifvertrag nehme keine Differenzierung zwischen einem Schwerbehinderten und einem diesem Gleichgestellten vor. Zumindest ergebe sich sein Anspruch aus betrieblicher Übung, da die US-Stationierungsstreitkräfte ihm in den Jahren 2011, 2012 und 2013 den Zusatzurlaub gewährt hätten. Bei seinem Wechsel nach K habe ihm Herr G auf seine Nachfrage, ob der Zusatzurlaub in K weiter gewährt werde, geantwortet, dass er ihn selbstverständlich auch „hier“ bekomme, wenn er ihn die ganze Zeit bekommen habe.
6Der Kläger hat beantragt
7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, nach § 34 TV AL II werde der Zusatzurlaub nur Schwerbehinderten im Sinne der „jeweils geltenden Fassung des Schwerbehindertengesetzes“ gewährt. Dies setze einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 voraus. Soweit Zusatzurlaub gewährt worden sei, beruhe dies auf der fehlerhaften Eintragung in die Zeitlisten durch die Ehefrau des Klägers.
8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag hinsichtlich des Zusatzurlaubs weiter.
Gründe
9A. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zusatzurlaub.
10I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Parteien streiten über den Umfang des jährlichen Urlaubsanspruchs.
11II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger über den tariflichen Urlaubsanspruch hinaus kein Zusatzurlaubsanspruch zusteht. Ein solcher Anspruch folgt weder aus § 34 Ziff. 1 TV AL II noch aus betrieblicher Übung oder einzelvertraglicher Zusage.
121. Nach § 34 Ziff. 1 TV AL II erhalten Schwerbehinderte im Sinne der „jeweils geltenden Fassung des Schwerbehindertengesetzes“ einen bezahlten Zusatzurlaub von sechs Arbeitstagen im Kalenderjahr. Der Kläger ist entgegen seiner Auffassung nicht Schwerbehinderter im Sinne dieser tariflichen Regelung.
13a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von § 34 Ziff. 1 TV AL II. Danach besteht der Anspruch nur für „Schwerbehinderte im Sinne der jeweils geltenden Fassung des Schwerbehindertengesetzes“. Schwerbehinderte im Sinne des zum streitgegenständlichen Zeitpunkt geltenden Schwerbehindertenrechts sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, bei denen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt, nicht aber Gleichgestellte im Sinne von § 2 Abs. 3 SGB IX. Die tarifliche Regelung verzichtet durch den Verweis auf die gesetzlichen Regelungen auf eine eigene Definition des Begriffs „Schwerbehinderte“. Bedienen sich die Tarifvertragsparteien eines Rechtsbegriffs, der im juristischen Sprachgebrauch eine bestimmte Bedeutung hat, ist dieser Begriff in seiner allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen, sofern sich nicht aus dem Tarifvertrag etwas anderes ergibt ( - Rn. 15).
14b) Auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang folgt keine andere Auslegung. Der Kläger verweist insoweit ohne Erfolg auf § 46 Ziff. 2 Buchst. a Abs. 2 TV AL II. Danach endet das Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitnehmer, der im Sinne des SGB IX schwerbehindert ist, erst mit Ablauf des Tages, an dem bei gesetzlich notwendiger Zustimmung der Zustimmungsbescheid des Integrationsamts zugestellt wurde. Der Kläger meint, da das Zustimmungserfordernis gemäß § 85 SGB IX nach § 68 Abs. 1 SGB IX auch für schwerbehinderten Menschen Gleichgestellte gelte, hätten die Tarifvertragsparteien mit dem Begriff „schwerbehindert“ auch diesen Gleichgestellte erfassen wollen. Das müsse dann auch für den Schwerbehindertenbegriff des § 34 Ziff. 1 TV AL II gelten. Dabei verkennt er schon, dass § 46 Ziff. 2 Buchst. a Abs. 2 TV AL II die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung regelt. Damit ist nicht § 85 SGB IX, sondern § 92 SGB IX angesprochen. Sein Schluss ist aber auch nicht zwingend. Die Tarifvertragsparteien haben lediglich deklaratorisch auf das Zustimmungserfordernis bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 92 SGB IX hingewiesen, ohne eine eigenständige, vom SGB IX abweichende Definition des Begriffs „schwerbehindert“ vornehmen zu wollen. Dies folgt bereits aus dem Tarifwortlaut, der den „Arbeitnehmer, der schwerbehindert im Sinne des SGB IX ist“, benennt. Der Tarifvertrag überlässt die Definition des schwerbehinderten Menschen deshalb dem Gesetz. Ob diese Tarifregelung überhaupt für Gleichgestellte gilt, kann hier dahinstehen.
152. Dass Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Anspruch des Klägers nicht aus einer Zusage der US-Stationierungsstreitkräfte folgt.
16a) Bei der vom Kläger behaupteten Zusage handelt es sich um eine nichttypische Erklärung. Deren Auslegung durch das Tatsachengericht ist vom Revisionsgericht nur eingeschränkt darauf überprüfbar, ob die Auslegung gegen gesetzliche Regelungen, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt ( - Rn. 25 mwN).
17b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, schon vom Wortsinn her sei die vom Kläger behauptete und von der Beklagten bestrittene Erklärung nur so zu verstehen, dass er den Zusatzurlaub weiterhin bekommen solle, wenn er ihn die ganze Zeit zu Recht bekommen habe. Raum für die Annahme eines rechtsgeschäftlichen Willens dahin, dem Kläger einen Anspruch einzuräumen, der bisher nicht bestanden habe, verbleibe nicht.
18c) Diese Auslegung durch das Landesarbeitsgericht hält dem eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab stand. Das Landesarbeitsgericht hat weder gegen Auslegungsgrundsätze und -regeln verstoßen noch wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen. Die Aussage, der Kläger werde den Zusatzurlaub selbstverständlich auch in K bekommen, wenn er ihn die ganze Zeit bekommen habe, zwingt nicht zu dem Schluss, der Erklärende wolle einen bisher nicht bestehenden Anspruch rechtsgeschäftlich begründen. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger dies nur so verstehen konnte, er solle durch den Wechsel nach K keinen Nachteil erleiden. Eine Zusage, mit der ein Anspruch auf Zusatzurlaub rechtsgeschäftlich begründet wird, stellt aber nicht die Vermeidung eines Nachteils, sondern die Begründung eines Vorteils dar.
193. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht auch einen Anspruch aus betrieblicher Übung verneint.
20a) Der Kläger meint zu Unrecht, er habe einen Anspruch aus betrieblicher Übung, weil ihm in den Jahren 2011, 2012 und 2013 der Zusatzurlaub gewährt worden sei.
21b) Betriebliche Übung ist ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern, das geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung oder sonstige Vergünstigung zu begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen dürfen, ihnen werde die Leistung oder Vergünstigung auch künftig gewährt (vgl. - Rn. 68 ff.). Dem Verhalten des Arbeitgebers wird eine konkludente Willenserklärung entnommen, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB angenommen werden kann ( - Rn. 68 mwN).
22c) Der Kläger macht ein solches Verhalten der US-Stationierungsstreitkräfte gegenüber ihren Arbeitnehmern nicht geltend. Er behauptet lediglich ein ihn allein begünstigendes Verhalten. Es entsteht aber keine betriebliche Übung, wenn der Arbeitgeber nur an einen Arbeitnehmer Leistungen erbracht hat. Damit fehlt das für eine betriebliche Übung notwendige kollektive Element (vgl. - Rn. 11).
23B. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:180717.U.9AZR850.16.0
Fundstelle(n):
IAAAG-56615