BAG Urteil v. - 1 AZR 427/15

Vergütung nach bestehenden betrieblichen Entlohnungsgrundsätzen - Revisionsbegründung

Gesetze: § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 611 Abs 1 BGB, § 72b Abs 1 S 2 ArbGG, § 73 Abs 1 S 2 ArbGG

Instanzenzug: ArbG Schwerin Az: 6 Ca 2312/13 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: 5 Sa 229/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Entgeltansprüche des Klägers.

2Die Beklagte betreibt einen Rettungsdienst. Sie ist Rechtsnachfolgerin des DRK Kreisverbands W e.V. (DRK W). Dort war der 1978 geborene und seit 2005 verheiratete Kläger ab April 2008 beschäftigt.

3Der DRK W war zunächst Mitglied der Tarifgemeinschaft des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Mecklenburg-Vorpommern, die ihrerseits der Bundestarifgemeinschaft des DRK angehörte. Er war daher an den Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - manteltarifliche Vorschriften - DRK-Tarifvertrag Ost (DRK-TV-O) gebunden. Nach dem DRK-TV-O bestimmte sich die Vergütung eines Mitarbeiters nach der jeweiligen Eingruppierung (§ 22 Abs. 1 DRK-TV-O), die auf Grundlage der in der Anlage 10 zum DRK-TV-O enthaltenen Tätigkeitsmerkmale erfolgt. Bestandteile der Vergütung sind - angelehnt an die Bestimmungen der §§ 26 bis 29 des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) - nach § 25 Abs. 1 DRK-TV-O die Grundvergütung, der Ortszuschlag und die allgemeine Zulage. Die Grundvergütung der jeweiligen Vergütungsgruppen richtet sich gem. § 26 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 DRK-TV-O nach Lebensaltersstufen. Die Höhe des Ortszuschlags (§ 29 DRK-TV-O) ist ua. vom Familienstand und der Berechtigung zum Bezug von Kindergeld abhängig. Schließlich enthält die Anlage 9 zum DRK-TV-O Sonderregelungen für die Zahlung einer jährlichen Zuwendung. Während der Dauer seiner Tarifgebundenheit vereinbarte der DRK W mit neu eingestellten Arbeitnehmern eine vertragliche Bezugnahme auf den DRK-TV-O. Dieser fand auf alle mit dem DRK W bestehenden Arbeitsverhältnisse Anwendung.

4Die Bundestarifgemeinschaft des DRK kündigte den DRK-TV-O zum . Ob die Tarifgemeinschaft des DRK in Mecklenburg-Vorpommern ihre Mitgliedschaft in der Bundestarifgemeinschaft bereits zum kündigte oder ob der DRK W längstens bis zum tarifgebunden war, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Jedenfalls wendete der DRK W, bei dem schon vor dem Jahr 1999 ein Betriebsrat gebildet war, auf diejenigen Arbeitsverhältnisse, für die der DRK-TV-O maßgebend war, die tariflichen Entgeltregelungen mit dem Stand vom an. Nach dem Ende seiner mitgliedschaftlich begründeten Tarifgebundenheit vereinbarte der DRK W mit neu eingestellten Arbeitnehmern feste Monatsentgelte.

5In dem mit dem Kläger am geschlossenen Arbeitsvertrag wurde eine monatliche Bruttovergütung von 1.550,00 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden festgelegt. Der Kläger wurde zunächst als Rettungssanitäter beschäftigt, ab dem Monat April 2012 als Rettungsassistent mit einem Bruttomonatsentgelt von 1.850,00 Euro und ab dem von dann 2.050,00 Euro. Seit März 2011 ist er Vater eines Kindes.

6Bereits zum wurde der DRK W durch Verschmelzung im Wege der Aufnahme auf die Beklagte übertragen. Nach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte erhielt der Kläger ab eine monatliche Wachleiterzulage für die Dauer dieser Tätigkeit von 120,00 Euro, die sich ab auf 150,00 Euro erhöhte. Der Kläger arbeitet in einem Schichtsystem. Für Arbeitsleistungen in der Zeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr erhielt er zunächst einen Nachtzuschlag iHv. 1,11 Euro/Stunde und ab dem von 1,13 Euro/Stunde.

7Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangt der Kläger die Zahlung einer monatlichen Differenzvergütung für die Zeit ab dem bis zum , einen weiteren Nachtarbeitszuschlag für diesen Zeitraum sowie höhere Sonderzahlungen für die Jahre 2010 bis 2012 auf Basis der zum bestehenden Tarifregelungen des DRK-TV-O. Die Beklagte sei verpflichtet, die tariflichen Entlohnungsgrundsätze des DRK-TV-Ost, die bei dem DRK W gegolten hätten, weiter anzuwenden. Eine mit dem Betriebsrat des DRK W vereinbarte Änderung der Entlohnungsgrundsätze bestehe nicht. Als Rettungssanitäter sei er - insoweit unstreitig - nach der VergGr. VII (Fallgruppe 15) der Anlage 10 zum DRK-TV-O (VergGr. VII DRK-TV-O) und als Rettungsassistent nach der VergGr. VI b (Fallgruppe 11d) DRK-TV-O zu vergüten. Maßgebend seien die mit dem 10. Änderungs-TV zum DRK-TV-O (vom ) vereinbarten Entgeltbestimmungen und bei der Grundvergütung jeweils die höchste Lebensaltersstufe. Für die Zeit vom bis einschließlich des Monats Februar 2011 ergebe sich eine monatliche Differenz von 343,93 Euro (Antrag zu 1), nach Geburt seines Kindes erhöhe sich die Differenz für die Zeit vom bis zum auf monatlich 421,96 Euro (Antrag zu 2). Für die Beschäftigungszeiten als Rettungsassistent ab dem könne er auf Grundlage der VergGr. VI b DRK-TV-O monatlich weitere 289,82 Euro bis einschließlich Dezember 2012 beanspruchen (Antrag zu 3) und ab dem monatlich 89,82 Euro (Antrag zu 4). Für die Jahre 2010 bis 2012 stehe ihm eine Sonderzahlung nach den §§ 2, 3 der Anlage 9 zum DRK-TV-O zu, auf die eine ihm bereits geleistete Sonderzahlung von jeweils 1.200,00 Euro anzurechnen sei (Antrag zu 6). Schließlich sei der geleistete Nachtarbeitszuschlag unangemessen. Er könne für geleistete Nachtarbeit in der Zeit vom bis zum monatlich weitere 92,03 Euro entsprechend einer im „aktuellen DRK Reformtarifvertrag“ festgelegten Schichtzulage verlangen.

8Der Kläger hat zuletzt beantragt,

9Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es fehle bereits an einer Anspruchsgrundlage; diese könne nicht aus einer etwaigen Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats abgeleitet werden. Der Kläger könne jedenfalls weder eine Vergütung auf Basis des 10. Änderungs-TV noch eine Grundvergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe beanspruchen. Es fehle an einem gültigen Bezugssystem, weil die altersdiskriminierende Vergütungsordnung nicht herangezogen werden könne. Nach der Verschmelzung des DRK W seien die vom Kläger herangezogenen Entlohnungsgrundsätze ohnehin nicht mehr anwendbar. Eine Jahressonderzahlung sei arbeitsvertraglich nicht vereinbart. Schließlich gelte die Ausschlussfrist des § 21 Abs. 5 AGG.

10Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers den Anträgen zu 1. bis 4. insgesamt sowie dem Antrag zu 6. iHv. 563,26 Euro stattgegeben und den Antrag zu 5. abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils; der Kläger wendet sich mit seiner Anschlussrevision gegen die Abweisung des Antrags zu 5.

Gründe

11Die Revision des Beklagten ist teilweise begründet, die Anschlussrevision des Klägers ist unbegründet.

12I. Die Revision des Beklagten ist nur zum Teil erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht hat den Anträgen zu 3. und 4. rechtsfehlerhaft in vollem Umfang stattgegeben. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

131. Die Revision ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht bereits deshalb begründet, weil das angefochtene Urteil später als fünf Monate nach seiner Verkündung vollständig abgefasst und mit den Unterschriften sämtlicher Mitglieder der Kammer versehen der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Auf eine Verletzung der Fünf-Monats-Frist des § 72b Abs. 1 Satz 2 ArbGG kann eine Revision nach der ausdrücklichen Regelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht gestützt werden ( - Rn. 14).

142. Der Kläger kann für die Zeit vom bis zum ein monatliches Entgelt nach den maßgebenden Vergütungsgruppen des DRK-TV-O und dabei eine Grundvergütung in Höhe der höchsten Lebensaltersstufe beanspruchen (Anträge zu 1. bis 4.). Für die Zeit ab dem ist allerdings neben den von ihm zu berücksichtigenden Zahlungen des Beklagten auch die erhaltene Wachleiterzulage anzurechnen.

15a) Der Anspruch des Klägers für die Anwendung der Vergütungsstrukturen des DRK-TV-O ergibt sich aus § 611 BGB iVm. den im Betrieb des DRK W mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätzen. Das sind die Eingruppierungsvorschriften, die Regelungen über die Grundvergütung und die hierzu bestehenden Vergütungstabellen des DRK-TV-O.

16aa) Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Arbeitnehmer in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten (etwa  - Rn. 13; - 1 AZR 853/08 - Rn. 43 mwN, BAGE 135, 13).

17bb) Danach kann der Kläger eine monatliche Vergütung nach Maßgabe der Entlohnungsgrundsätze des DRK-TV-O verlangen.

18(1) Die im Betrieb des DRK W bestehenden Entlohnungsgrundsätze entsprechen der maßgebenden Vergütungsstruktur des DRK-TV-O iVm. den jeweiligen Tarifbestimmungen, mit denen die Höhe der einzelnen Bestandteile der Vergütung iSd. § 25 DRK-TV-O festgelegt wird. Bestandteile der Vergütung sind nach § 25 Abs. 1 DRK-ZV-O die Grundvergütung, der Ortszuschlag und die allgemeine Zulage. Dabei richtet sich die Grundvergütung nach der jeweiligen Lebensaltersstufe (§ 26 Abs. 1 Satz 1 DRK-TV-O), die § 26 Abs. 2 und 3 DRK-TV-O näher ausgestaltet.

19(2) Der DRK W wandte den DRK-TV-O nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts während seiner Tarifgebundenheit auf alle Arbeitsverhältnisse an. Diese Vergütungsstruktur stellte auch nach dem Ende der Tarifgebundenheit des DRK W die im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze dar ( - Rn. 28, BAGE 126, 237; - 1 AZR 271/03 - zu IV 1 c aa der Gründe, BAGE 109, 369). Das gilt unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis vor oder nach dem Wegfall der Tarifbindung begründet wird (Koch SR 2016, 131, 142). Dem auf Grundlage des Arbeitsvertrags iVm. den zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätzen bestehenden Anspruch des Klägers steht deshalb nicht entgegen, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem DRK W erst im Jahr 2008 begonnen hat.

20(3) Die vom DRK W nach dem Ende der unmittelbaren und zwingenden Geltung des DRK-TV-O, die infolge der durch die Bundestarifgemeinschaft des DRK zum erfolgten Kündigung jedenfalls mit Beginn des Jahres 2002 eingetreten war, erfolgte Änderung der betrieblichen Entlohnungsgrundsätze mittels Umstellung auf eine Pauschalvergütung hätte nur unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfolgen können. Dies ist nicht geschehen.

21(a) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG umfasst bei einem nicht (mehr) tarifgebundenen Arbeitgeber, bei dem der Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Einleitungshalbs. BetrVG wegen des Wegfalls der Tarifgebundenheit nicht mehr greift, die betriebliche Lohngestaltung, insbesondere die Änderung der bisherigen Entlohnungsgrundsätze (ausf.  - Rn. 15 ff.). Dabei schließt eine Aufspaltung einer Gesamtvergütung in mehrere Vergütungsbestandteile das Mitbestimmungsrecht nicht aus. Vielmehr bildet ihre Gesamtheit die Vergütungsordnung, bei deren Veränderung der Betriebsrat mitzubestimmen hat ( - Rn. 21 mwN, BAGE 127, 297).

22(b) Durch den nach Beendigung der Tarifgebundenheit erfolgten Abschluss von Arbeitsverträgen mit festen Monatsentgelten hat der DRK W die bei ihm bestehenden Entlohnungsgrundsätze im Betrieb ohne Beteiligung des Betriebsrats geändert. Die im DRK-TV-O enthaltenen Entlohnungsgrundsätze zeichneten sich ua. durch eine von der jeweils auszuübenden Tätigkeit und dem Lebensalter abhängigen Grundvergütung sowie eine vor allem vom Familienstand und dem Anspruch auf Kindergeld sowie eine allgemeine Zulage aus. Diese Vergütungsstruktur hat der DRK W nicht mehr beibehalten.

23b) Dem Kläger steht auch ein Entgelt in Höhe derjenigen Entgelttabellen zu, die sich auf Grundlage des 10. Änderungstarifvertrags zum DRK-TV-O (vom ) bis zum ergeben haben. In Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung kann ein Arbeitnehmer lediglich eine Anwendung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze verlangen. Daher kann der tarifgebundene Arbeitgeber für die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer die Höhe des Entgelts unter Beachtung der in der tariflichen Vergütungsordnung enthaltenen Verteilungsgrundsätze festlegen ( - Rn. 29, BAGE 139, 332). Der DRK W hat - ebenso wie der Beklagte - zu keinem Zeitpunkt eine abweichende Entgelthöhe nach Maßgabe der durch den DRK-TV-O iVm. den jeweiligen Entgeltregelungen sich ergebenden Verteilungsrelationen festgelegt. Vielmehr hat er entsprechend der Tarifentwicklung im Bereich des DRK-TV-O nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bis zum die jeweilige monatliche Vergütung iSd. § 25 DRK-TV-O auch an diejenigen Arbeitnehmer geleistet, für die der Tarifvertrag lediglich kraft vertraglicher Bezugnahme galt. Damit hat der DRK W - insoweit mitbestimmungsfrei - die Höhe des Entgelts nach Maßgabe der in der tariflichen Vergütungsordnung vorgesehenen Entgeltregelungen festgelegt (ebenso  - Rn. 31). Deren weitere Anwendung kann der Kläger unabhängig von den vertraglichen Vereinbarungen beanspruchen ( - Rn. 38, BAGE 126, 237).

24c) Entgegen der Auffassung des Beklagten kann sich der Kläger auch für den Zeitraum nach der Verschmelzung des DRK W zum mit dem Beklagten als aufnehmendem Rechtsträger auf diese Entlohnungsgrundsätze stützen.

25aa) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil unter Wahrung seiner Identität über, ist der neue Betriebsinhaber zur Fortführung der im Betrieb oder Betriebsteil bestehenden Vergütungsordnung verpflichtet (ausf.  - Rn. 22 bis Rn. 25, BAGE 132, 314).

26bb) Entgegen der Auffassung der Revision konnte das Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler von einer weiteren Geltung der genannten Entlohnungsgrundsätze auch nach der Verschmelzung zum ausgehen.

27Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bestanden vor der Verschmelzung sowohl bei dem DRK W als auch dem Beklagten jeweils ein Betrieb. Aus dem erstinstanzlichen Vorbringen des Beklagten, es sei nicht nur der „Betrieb des Rettungsdienstes“ des DRK W auf ihn übertragen worden, sondern dieser sei Teil eines einheitlichen Betriebs des DRK W gewesen, folgt nichts anderes. Auch wenn dieser insgesamt infolge der - auf der Ebene der Unternehmen stattgefundenen - Verschmelzung auf den Beklagten durch Aufnahme übertragen wurde, folgt daraus noch nicht, dass sich die bestehende Betriebsstruktur infolge des mit der Verschmelzung einhergehenden Betriebsübergangs geändert hat. Die in diesem Zusammenhang angebrachte Verfahrensrüge des Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe seine Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt, ist schon deshalb unzulässig, weil die Revision nicht im Einzelnen darlegt, welchen Tatsachen sie daraufhin vorgetragen hätte.

28d) Zudem kann der Kläger eine Grundvergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe beanspruchen. Die Bestimmung des § 26 Abs. 2 DRK-TV-O ist mit dem Recht der Europäischen Union unvereinbar. Dies führt dazu, dass das Vergütungssystem jedenfalls insoweit nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist. Die aufgrund der bei dem Beklagten bestehenden Entlohnungsgrundsätzen erfolgte Ungleichbehandlung des Klägers kann für die Vergangenheit nur so beseitigt werden, dass auch ihm eine Grundvergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe geleistet wird.

29aa) Die in § 26 Abs. 1 iVm. Abs. 2 DRK-TV-O geregelte Bemessung der Grundvergütung iSd. § 25 Abs. 1 Buchst. a DRK-TV-O nach Lebensaltersstufen in den einzelnen Vergütungsgruppen verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom verankert und durch die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78) konkretisiert worden ist. Die nach Lebensaltersstufen gestaffelten Vergütungsgruppen stellen eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 RL 2000/78 dar, die nicht nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78 gerechtfertigt ist. Diese durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Entscheidung vom für § 27 Abschnitt A BAT erfolgte Klärung ( und C-298/10 - [Hennigs und Mai], Slg. 2011, I-7965, S. 12; zu §§ 27, 28 BbesG aF - C-501/12 ua. - [Specht ua.] Rn. 42 ff.; sh. auch  - Rn. 16), trifft für die insoweit inhaltsgleiche Regelung des § 26 Abs. 2 DRK-TV-O gleichermaßen zu. Als Rechtsfolge ist die Vergütungsordnung jedenfalls insoweit nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam (zum inhaltsgleichen § 26 Abschnitt A BAT vgl.  - Rn. 19 mwN).

30bb) Die Beseitigung der Ungleichbehandlung führt zu einer Anpassung „nach oben“. Dem steht die von dem Beklagten angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht entgegen.

31(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann die Einhaltung des Diskriminierungsverbots wegen Alters nur dadurch gewährleistet werden, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie die, in deren Genuss die Angehörigen der privilegierten Gruppe kommen. Das gilt jedenfalls solange, wie keine Maßnahmen zur Herstellung der Gleichbehandlung erlassen werden. Die für die Angehörigen der bevorzugten Gruppe geltende Regelung bleibt, solange das Unionsrecht nicht richtig durchgeführt ist, das einzig gültige Bezugssystem. Diese Lösung kommt jedoch nur dann zur Anwendung, wenn ein solches gültiges Bezugssystem besteht. Ist es im Rahmen der nationalen Rechtsvorschriften nicht möglich, eine Kategorie bevorzugter Begünstigter zu benennen, fehlt es an einem solchen System (so zu §§ 27, 28 BBesG aF ua. - [Specht ua.] Rn. 95 f. mwN; - C-417/13 - [Starjakob] Rn. 47).

32(2) Auch wenn es aufgrund der Regelung in § 26 Abs. 2 DRK-TV-O zur Ermittlung der zutreffenden Lebensaltersstufe - die ähnlich ausgestaltet ist wie die §§ 27, 28 BBesG aF und § 27 BAT - potentiell zu einer Altersdiskriminierung eines jeden neu eingestellten Beschäftigten kommt und es deshalb an einem gültigen Bezugssystem fehlt (vgl. ua. - [Specht ua.] Rn. 96), ist damit lediglich eine „Anpassung nach oben“ nicht aus Gründen des Unionsrechts geboten (dazu  - [Landtová] Rn. 51 mwN, Slg. 2011, I-5573). Sie ist den nationalen Gerichten aber nicht verwehrt. Der Gerichtshof der Europäischen Union überlässt es in gefestigter Rechtsprechung den nationalen Gerichten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten den rechtlichen Schutz, der sich für den Einzelnen aus dem Unionsrecht ergibt, zu gewährleisten und die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren ( ua. - [Specht ua.] Rn. 94; - C-144/04 - [Mangold] Rn. 77, Slg. 2005, I-9981). Das nationale Gericht ist in diesem Fall nicht verpflichtet, zuvor den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung zu ersuchen ( - [Kücükdeveci] Rn. 53, Slg. 2010, I-365;  - Rn. 28, BAGE 145, 113).

33(3) Die Ungleichbehandlung des Klägers in der Vergangenheit kann vorliegend nicht durch die Nichtanwendung des § 26 Abs. 2 DRK-TV-O, sondern nur dadurch beseitigt werden, dass ihm für den in der Vergangenheit liegenden Zeitraum eine Grundvergütung nach der höchsten Lebensaltersstufe zu zahlen ist. Dies ist gerechtfertigt, weil der Anspruch auf eine höhere Grundvergütung dem Teil der zunächst beim DRK W beschäftigten Arbeitnehmer, für die der DRK-TV-O nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten nach wie vor Anwendung findet, die geleistete höhere Grundvergütung nicht mehr rückwirkend entzogen werden kann. Der Beklagte ist aufgrund der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 65 Abs. 2 DRK-TV-O gehindert, für den streitbefangenen Zeitraum an ältere Arbeitnehmer geleistete Zahlungen zurück zu fordern. Zudem ist das berechtigte Vertrauen dieses Arbeitnehmerkreises auf die Wirksamkeit der Vergütungsordnung zu schützen, welches weder von dem DRK W noch von dem Beklagten nach Inkrafttreten des AGG am oder nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Sachen Hennigs und Mai ( - 2 C-297/10 und 2 C-298/10 - Slg. 2011, I-7965) mitbestimmungsgemäß geändert wurde. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Beklagte ungeachtet der zu beachtenden Grundsätze des Vertrauensschutzes rückwirkend eine dem Verbot der Altersdiskriminierung entsprechend betriebliche Regelung treffen will (vgl. auch  - Rn. 24 ff. mwN).

34e) Auf seinen Entgeltanspruch muss sich der Kläger neben dem ihm geleisteten Bruttomonatsentgelt, welches er bereits in Abzug gebracht hat, für die Zeit ab dem auch die erhaltene monatliche Wachleiterzulage anrechnen lassen.

35aa) Bei der Anrechnung von Leistungen des Arbeitgebers auf eine aus anderen Gründen auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Vergütungsregelung muss sich der Arbeitnehmer diejenigen Leistungen anrechnen lassen, die nach ihrem Zweck die Arbeitsleistung vergüten sollen, die mit der nach dem anderen Vergütungsschema begründeten Zahlung zu vergüten ist. Danach ist dem erkennbaren Zweck der Entgeltleistungen, die der Kläger nach dem DRK-TV-O begehrt, der zu ermittelnde Zweck der jeweiligen Leistung des Arbeitgebers, die dieser aufgrund anderer Regelungen erbracht hat - hier der geschlossene Arbeitsvertrag -, gegenüberzustellen. Besteht danach eine funktionale Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Leistungen, ist die erbrachte Leistung auf den zu erfüllenden Anspruch anzurechnen (vgl.  - Rn. 28, BAGE 141, 163).

36bb) Danach ist die monatliche „Wachleiterzulage“ iHv. zunächst 120,00 Euro brutto und die spätere iHv. 150,00 Euro brutto auf den monatlichen Entgeltanspruch nach § 25 DRK-TV-O anzurechnen. Dem steht nicht entgegen, dass nach der VergGr. VI b, Fallgruppe 11d der Anlage 10 zum DRK-TV-O auch ein als Rettungsassistent eingesetzter Arbeitnehmer die gleiche tarifliche Vergütung beanspruchen kann. Denn nach der VergGr. VI b, Fallgruppe 11 DRK-TV-O erhält auch ein Rettungsassistent, der als Leiter einer Rettungswache mit mindestens zwei dienstplanmäßig eingesetzten Einsatzfahrzeugen tätig ist, lediglich ein Entgelt nach dieser Vergütungsgruppe. Dass die Tätigkeit des Klägers als Wachleiter die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals einer höheren Vergütungsgruppe erfüllt, die einer Anrechnung entgegenstehen könnte, hat der Kläger weder vorgetragen noch ist dies ersichtlich.

37cc) Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in diesem Zusammenhang geltend gemacht hat, nach den bei dem Beklagten geltenden Entlohnungsgrundsätzen könne er aufgrund seiner Wachleitertätigkeit auch eine Funktionszulage beanspruchen, weshalb eine Anrechnung der Wachleiterzulage nicht in vollem Umfang erfolgen dürfe, handelt es sich um einen in der Revisionsinstanz unbeachtlichen, weil neuen Tatsachenvortrag.

383. Der Kläger kann nach den genannten Grundsätzen weiterhin die Differenz zwischen der jährlichen Sonderzahlung für die Jahre 2010 bis 2012 nach den §§ 2, 3 der Anlage 9 zum DRK-TV-O und der ihm geleisteten Sonderzahlung jedenfalls in dem ihm zugesprochenen Umfang iHv. 63 vH der ihm für den jeweiligen Monat September zustehenden Urlaubsvergütung nach § 45 Abs. 3 Buchst. b DRK-TV-O (§ 3 der Anlage 9 zum DRK-TV-O) verlangen.

39a) Entgegen dem erstmals in der Revisionsinstanz erhobenen Einwand des Beklagten hat der Kläger seinen Anspruch bereits in der Klageschrift für die einzelnen Jahre anhand der ihm nach dem DRK-TV-O zustehenden Urlaubsvergütung nach § 45 Abs. 3 Buchst. b iVm. § 25 Abs. 1 DRK-TV-O unter Heranziehung der einzelnen Entgeltbestandteile näher dargelegt. Hiergegen hat sich der Beklagte in den Tatsacheninstanzen nicht gewandt. Der Kläger war deshalb nicht gehalten, seine unbestrittene „Berechnung … näher zu erläutern“, wie es der Beklagte nunmehr meint.

40b) Die im Betrieb des DRK W bestehenden Entlohnungsgrundsätze umfassten - entsprechend der Anlage 9 zu DRK-TV-O - auch die Leistung einer Sonderzahlung, die sich nach einem vH-Satz der Urlaubsvergütung berechnet, die einem Mitarbeiter für den Monat September des jeweiligen Jahres zusteht oder zugestanden hätte. Diese bei ihm bestehenden Entlohnungsgrundsätze, die auch die Sonderzuwendung nach der Anlage 9 zum DRK-TV-O umfassten, hat der DRK W schon dadurch mitbestimmungswidrig geändert, als er eine Sonderzahlung nur noch in Höhe eines festen Betrags erbringt. Allein dies führt bereits zu einer Umgestaltung des Entgeltgefüges ( - Rn. 18, BAGE 117, 130). Ob dem Kläger auf die geleistete Zahlung ein vertraglicher Anspruch zusteht oder der Beklagte diese - wie er meint - „nach freiem Ermessen“ leisten konnte, ist für den Anspruch des Klägers ohne Bedeutung ( - Rn. 38, BAGE 126, 237).

41c) Eine Anrechnung desjenigen Teils der geleisteten Wachleiterzulage im Jahr 2013 auf den geltend gemachten Sonderzahlungsanspruch, der - im Umfang von monatlich 60,18 Euro - nicht bereits auf das monatliche Entgelt für diesen Zeitraum angerechnet wurde, scheidet mangels funktionaler Gleichwertigkeit der Leistungen (oben I 2 d aa) aus. Der Jahressonderzahlung kommt nach den Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 der Anlage 9 zum DRK-TV-O kein reiner Entgeltcharakter zu. Bei der tariflichen Leistung handelt es sich um eine Sonderzahlung, die in zulässiger Weise ( - Rn. 11 mwN) jedenfalls auch einen Anreiz zu künftiger Betriebstreue bilden soll. Sie verlangt einen Mindestbestand des Arbeitsverhältnisses und nennt einen Stichtag, zu dem es in ungekündigtem Zustand bestehen muss (vgl.  - Rn. 21, BAGE 146, 284).

424. Die Zahlungsansprüche des Klägers sind - anders als die Revision es meint - auch nicht verfallen. Soweit der Beklagte sich auf § 21 Abs. 5 AGG stützt, ist diese Bestimmung Bestandteil des vorliegend nicht einschlägigen Dritten Abschnitts des AGG, der sich auf Verletzungen des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots in § 19 AGG bezieht. Auch die Ausschlussfrist nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG ist vorliegend nicht anwendbar. Der Beklagte übersieht, dass der Kläger weder einen Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG noch eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, sondern die Erfüllung einer Hauptleistungspflicht durch Zahlung einer höheren und diskriminierungsfreien Vergütung verlangt (vgl.  - Rn. 57, BAGE 154, 118).

43II. Die Anschlussrevision des Klägers, die sich allein gegen die Abweisung der mit dem Antrag zu 6. verfolgten Zahlung eines weiteren Zuschlags für geleistete Nachtarbeitsstunden wendet, ist unbegründet.

441. Der Antrag konnte entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht mit der Begründung abgewiesen werden, der Kläger habe aufgrund einer für den Beklagten nach § 6 Abs. 5 ArbZG bestehenden Wahlschuld eine Alternativklage erheben müssen.

45a) Nach § 6 Abs. 5 ArbZG ist der Arbeitgeber - soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht - verpflichtet, dem Nachtarbeitnehmer (§ 2 Abs. 5 ArbZG) für die während der Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Anzahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Der Arbeitgeber kann wählen, ob er den Ausgleichsanspruch durch Zahlung von Geld, durch bezahlte Freistellung oder durch eine Kombination von beidem erfüllt. Die gesetzlich begründete Wahlschuld (§ 262 BGB) konkretisiert sich auf eine der geschuldeten Leistungen dann, wenn der Schuldner das ihm zustehende Wahlrecht nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ausübt ( - Rn. 15 mwN).

46b) Der Kläger war danach nicht gehalten, eine Alternativklage zu erheben. Der Beklagte hat vorliegend die ihm gegenüber bestehende Wahlschuld durch die Leistung von Nachtarbeitszuschlägen für den streitbefangenen Zeitraum bereits dahingehend konkretisiert, den Ausgleichsanspruch durch Zahlung von Geld erfüllen zu wollen. Diese Konkretisierung gilt auch für einen vom Kläger darüber hinaus geltend gemachten Anspruch.

472. Die Klage ist insoweit gleichwohl unbegründet, weil der Kläger eine monatliche Pauschalzahlung iHv. 92,03 Euro brutto als Nachtarbeitszuschlag geltend macht, der sich nicht aus dem DRK-TV-O, sondern lediglich als Schichtzulage aus dem nicht anwendbaren DRK-Reformtarifvertrag (vom ) ergibt. Dieser ist weder Bestandteil der betrieblichen Vergütungsordnung noch aus anderen Gründen für das Arbeitsverhältnis maßgebend. Soweit die Revision anführt, wenn es den Arbeitsvertragsparteien gestattet sei, eine pauschale Abgeltung von Nachtarbeitszuschlägen zu vereinbaren, könne es dem einzelnen Arbeitnehmer nicht verweigert werden, einen solchen pauschalen Ausgleich zu fordern, fehlt es für solch einen Schluss ersichtlich an einer rechtlichen Grundlage. Darüber hinaus bleibt nach seiner Klagebegründung völlig offen, wie viele Arbeitsstunden während der Nachtzeit überhaupt geleistet wurden. Der Kläger hat lediglich vorgetragen, im stehe die genannte Schichtzulage für 48 Monate zu.

48III. Der Kläger kann die beanspruchten Zinsen nach § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB verlangen. Der Tenor des landesarbeitsgerichtlichen Urteils war aufgrund einer offenbaren Unrichtigkeit hinsichtlich des Zinsausspruchs unter I. 2. und 3. zu korrigieren (zur Befugnis des Revisionsgerichts sh.  - Rn. 76).

49IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 97 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:250417.U.1AZR427.15.0

Fundstelle(n):
BB 2017 S. 2100 Nr. 36
AAAAG-55624