BFH Beschluss v. - VII B 111/00

Gründe

I. Der Antragsteller, Beschwerdeführer und Kläger (Antragsteller) war vom bis alleiniger Geschäftsführer der zwischenzeitlich im Handelsregister gelöschten X-GmbH.

Die Umsatzsteuervoranmeldung für Juni 1994, die aufgrund gewährter Dauerfristverlängerung bis zum (§ 46 der Umsatzsteuer-DurchführungsverordnungUStDV—) abzugeben war, reichte die X-GmbH beim Beklagten (Finanzamt —FA—) am ein. Zahlungen auf die Steuerschuld von ... DM wurden nicht geleistet.

Nach vergeblichen Vollstreckungsversuchen bei der X-GmbH nahm das FA den Antragsteller wegen noch rückständiger Umsatzsteuern für den Voranmeldungszeitraum Juni 1994 in Höhe von ... DM gestützt auf §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Zur Begründung stellte das FA im Wesentlichen darauf ab, dass der Antragsteller durch die verspätete Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für Juni 1994 und die Nichtentrichtung der angemeldeten Steuern seine Pflichten als Geschäftsführer grob fahrlässig verletzt habe. Es könne dahinstehen, ob dem Antragsteller ausreichende Mittel zur Tilgung der Steuerschuld zur Verfügung gestanden hätten, jedenfalls sei ihm eine Kreditaufnahme möglich gewesen.

Mit der dagegen beim Finanzgericht (FG) erhobenen Klage…verfolgte der Antragsteller sein Aufhebungsbegehren weiter. Gleichzeitig beantragte er die Aussetzung der Vollziehung…und begehrte für die Durchführung beider Verfahren die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).

Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Umsatzsteuervoranmeldung Juni 1994 nicht pflichtwidrig verspätet abgegeben worden sei. Er habe sich der Hilfe eines Steuerberaters bedient, welcher auf seine Bitte, beim FA Fristverlängerung beantragt habe. Auf die diesbezüglichen Aussagen seines Beraters habe er vertraut. Die behauptete Verspätung sei auch nicht kausal dafür, dass die Steueransprüche nicht rechtzeitig festgesetzt und erfüllt worden seien. Die X-GmbH habe über keine Kreditmöglichkeiten verfügt. Insoweit werde Beweis durch den Steuerberater der X-GmbH angeboten. Zudem habe er aufgrund von Unterschlagungen des Handlungsbevollmächtigten L ab Juli 1994 keine Möglichkeiten mehr gehabt, aus den Geldern der Gesellschaft Zahlungen zu leisten. Die Steueransprüche hätten mithin auch zum Zeitpunkt der normalen Abgabefrist nicht bezahlt werden können. Bestehende Außenstände der X-GmbH hätten zu diesem Zeitpunkt nicht beigetrieben werden können. Diese Forderungen seien daher auch nicht geeignet gewesen, die Gesellschaft kreditfähig zu machen. Insoweit werde ebenfalls Beweis durch den Steuerberater angeboten. Schließlich scheide seine Inanspruchnahme bereits wegen unrichtiger Sachbehandlung aus. Das FA habe seine Ausführungen zur Realisierung der Steuerschuld unbeachtet gelassen.

Mit Beschluss vom…lehnte das FG den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unzulässig ab.

Den Antrag auf PKH lehnte das FG wegen fehlender Erfolgsaussichten des Klageverfahrens sowie des Aussetzungsverfahrens ab. Bei summarischer Prüfung sei der Antragsteller zu Recht in Haftung genommen worden. Der Antragsteller habe seine ihm als Geschäftsführer obliegenden Pflichten zur rechtzeitigen Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen sowie zur Zahlung der fälligen Steuern verletzt. Anhaltspunkte für eine über die bereits gewährte Dauerfristverlängerung hinausgehende weitere Fristverlängerung seien nicht ersichtlich.

Für die Beurteilung einer Haftungsbeschränkung, vor dem Hintergrund der vom Antragsteller behaupteten Zahlungsunfähigkeit der X-GmbH im Haftungszeitraum, fehle es an einem glaubhaft gemachten und substantiierten Vorbringen. Selbst wenn der Vortrag des Antragstellers, für den er Zeugenbeweis durch die Einvernahme des Steuerberaters angeboten habe, als wahr unterstellt werden würde, fehle es an einer schlüssigen Darlegung der eingeschränkten Zahlungsfähigkeit oder gar Zahlungsunfähigkeit.

Angesichts der für die Monate April bis Juli erklärten Umsätze von nahezu 1,8 Mio. DM sei nicht ersichtlich, wie durch die möglicherweise geschäftswidrige Entnahme von 161 000 DM durch den L —wie vom Antragsteller behauptet— die X-GmbH in Zahlungsschwierigkeiten habe gebracht werden können. Auch fehle es an einer Darlegung, welche Banken einen Geschäftskredit nicht eingeräumt hätten. Vor diesem Hintergrund verspreche auch die vom Antragsteller angebotene Zeugeneinvernahme keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Unklar bleibe weiter, mit welchen Mitteln die für die hohen Umsätze erforderlichen Investitionen vorfinanziert worden seien. Zudem habe der Antragsteller keine Angabe darüber gemacht, welchen Finanzmitteln der Gesellschaft eventuell welche —neben den Steuerschulden— weiteren Verbindlichkeiten im Haftungszeitraum gegenübergestanden haben. Der Antragsteller habe die steuerlichen Pflichten auch grob fahrlässig nicht erfüllt. Soweit er zur Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten einen Steuerberater eingeschaltet habe, sei ihm jedenfalls ein Überwachungsverschulden vorzuwerfen. Im Übrigen habe es sich vorliegend lediglich um steuerliche Grundpflichten gehandelt, die jedermann geläufig sein müssten. Der Antragsteller könne sich daher nicht damit verteidigen, seinem Steuerberater vertraut zu haben. Auch sei die gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 zu treffende Ermessenentscheidung des FA nicht zu beanstanden. Insbesondere sei ein bei der Ermessensausübung zu berücksichtigendes mitwirkendes Verschulden des FA nicht erkennbar.

Mit der Beschwerde hält der Antragsteller unter Bezugnahme auf die bisherigen Ausführungen an seinem Begehren fest.

II. Die Beschwerde ist zulässig (§ 128 Abs. 1 und 2 in der bis zum geltenden Fassung i.V.m. Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze, BGBl I 2000, 1757, 1760). Sie hat jedoch keinen Erfolg.

Nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist PKH zu bewilligen, wenn der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit einer Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—, Beschluss vom VII B 114/92, BFH/NV 1994, 822, m.w.N.).

Das FG hat zutreffend dargelegt, dass der Antragsteller die ihm als Geschäftsführer gemäß §§ 34, 69 AO 1977 obliegenden Pflichten zur rechtzeitigen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung Juni 1994 (§ 69 Satz 1 1. Alternative AO 1977) und Entrichtung der Steuer (§ 69 Satz 1 2. Alternative AO 1977) verletzt hat. Soweit der Antragsteller insoweit einwendet, der von ihm beauftragte Steuerberater habe eine weitere Fristverlängerung, über die bereits gewährte Dauerfristverlängerung hinaus, beantragt und diese sei vom FA auch gewährt worden, ist dies weder den vorliegenden Verwaltungsvorgängen des FA noch der vom Antragsteller eingereichten Bestätigung des Steuerberaters vom zu entnehmen. Letztere befasst sich vielmehr mit einem abgelehnten Stundungs- und Aussetzungs- sowie Teilzahlungsbegehren und bestätigt ein entsprechendes Fristverlängerungsgesuch nicht. Soweit der Antragsteller damit auch darlegen wollte, er habe im Vertrauen auf die beantragte Stundung bzw. Teilzahlungsvereinbarung die Steuerschulden nicht gezahlt, schließt dies eine Pflichtverletzung nicht aus. Die vorherige Verwirklichung des Haftungstatbestandes wird durch ein nachträgliches Stundungsbegehren nicht ungeschehen gemacht (, BFH/NV 1998, 1199). Etwas anderes kann nur gelten, wenn eine vorherige verbindliche Stundungszusage erteilt worden ist (, BFH/NV 1991, 578; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 69 Anm. 13). Für Letztere sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich.

Ebenso hat das FG zutreffend unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom VII R 101/92 (BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278) ausgeführt, dass die Pflichtverletzung des Antragstellers in der mangelhaften Überwachung des Steuerberaters, dessen er sich zur Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldung bedient hat, zu sehen ist. Der Senat hat in der obigen Entscheidung ausgeführt, dass der Geschäftsführer, so er sich zur Erledigung der ihm als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten einer sachkundigen Person bedient, diese laufend und sorgfältig zu überwachen hat. Insbesondere muss er sich so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw., dass ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen wird regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung (”Überwachungsverschulden”) einzustufen sein. Dabei hängt die Art der Überwachungsmaßnahmen weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab. Unter Heranziehung dieser Rechtsprechung hat das FG unter Würdigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalls fehlerfrei das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung bejaht. Insoweit bedurfte es auch keiner näheren Untersuchung, ob die verspätete Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung Juni 1994 tatsächlich auf einem Verschulden des Steuerberaters basierte, oder ob nicht vielmehr andere Ursachen, die in der Art und Weise der Geschäftsführung des Antragstellers zu suchen sind, für die verspätete Abgabe ursächlich waren.

Ebenso hat das FG bei der gebotenen summarischen Prüfung im Ergebnis zutreffend eine Haftungsbeschränkung des Antragstellers verneint. Es entspricht gefestigter Senatsrechtsprechung, dass bei unzureichenden Zahlungsmitteln, die nicht zur gleichzeitigen Bezahlung aller Schulden ausreichen, nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung die Verpflichtung besteht, die fälligen Steuern nur in etwa gleicher Weise zu bezahlen wie die Forderungen anderer Gläubiger bedient werden (, BFH/NV 1996, 97, m.w.N.). Dies gilt uneingeschränkt im Falle —der hier verwirklichten— Nichterfüllung der Steuerschuld. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt grundsätzlich auch dann, wenn, wie vorliegend, die Voranmeldung verspätet abgegeben worden ist (, BFH/NV 1994, 526; Klein/Rüsken, a.a.O., § 69 Anm. 39, m.w.N. zur Rechtsprechung). Die Anwendung dieses Grundsatzes findet bei der verspäteten Abgabe einer Steueranmeldung jedoch insoweit eine Einschränkung, als eine Berufung darauf ausscheidet, wenn bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steueranmeldung der Steuerausfall vermieden worden wäre. Dies kann dann angenommen werden, wenn bei Erfüllung der Anmeldepflicht die Steuern hätten tatsächlich bezahlt werden oder beigetrieben werden können (BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 97; Klein/Rüsken, a.a.O., § 69 Anm. 25). Das FG bejaht die Zahlungsfähigkeit der X-GmbH zu diesem Zeitpunkt mit den in den Monaten August und September getätigten erheblichen Umsätzen. Ob in diesen Monaten tatsächlich Umsätze in dieser Größenordnung vorgelegen haben, ist den Akten nicht zu entnehmen. Die Umsätze der Monate ab August 1994 beruhen nämlich auf Schätzungen des FA. Deren Höhe ist angesichts der für den Monat Juli 1994 angemeldeten Umsätze von ... DM zumindest zweifelhaft. Gleichwohl ist die Inanspruchnahme des Antragstellers für den gesamten Steuerausfall vom FG im Ergebnis zutreffend bejaht worden. Ausweislich des von dem Antragsteller selbst vorgelegten Aktenvermerks über die Besprechung zwischen dem Antragsteller und dem L hatte die X-GmbH noch zum Forderungen gegenüber Gläubigern sowie Bankguthaben, die die streitigen Umsatzsteuern für Juni 1994 bei weitem überstiegen. Bei fristgerechter Abgabe der Anmeldung hätte mithin für das FA die Möglichkeit bestanden, diese Forderungen zu pfänden bzw. sich abtreten zu lassen. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang ohne jede weitere Substantiierung nunmehr vorträgt, diese Forderungen seien nicht beitreibbar gewesen, vermag dies nicht zu überzeugen. Insoweit fehlt es an Ausführungen dazu, warum und aufgrund welcher konkreten Umstände dies der Fall gewesen sein soll, zumal derartige Einwände auch dem Aktenvermerk nicht zu entnehmen sind. Ob daneben, wie das FG anführt, aufgrund der in den Monaten April bis Juli 1994 erklärten Umsätze ebenfalls Rückschlüsse auf die Liquiditätslage der GmbH zu diesem Zeitpunkt gezogen werden können, kann deshalb dahinstehen. Im Ergebnis hat das FG auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die von dem Antragsteller angebotene Zeugeneinvernahme des Steuerberaters keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache verspreche. Abgesehen davon, dass es mangels hinreichender Nennung eines Beweisthemas an einem ordnungsgemäßen Beweisantritt fehlt, beziehen sich die Beweisangebote im Ergebnis auch lediglich auf die Frage der Kreditwürdigkeit. Darauf kommt es aber, wie oben angeführt, vorliegend nicht an.

Schließlich hält der Senat auch die Ausführungen des FG zu der vom FA getroffenen Ermessensentscheidung für zutreffend. Gleiches gilt für die Ausführungen zur Ablehnung der PKH bezüglich des Aussetzungsantrages.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

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Fundstelle(n):
FAAAA-67339