Gründe
I. Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Ehemannes, der einen Automatenaufstellbetrieb unterhielt. Im Rahmen dieses Unternehmens wurden u.a. Geldspielautomaten in Gaststätten und Spielhallen aufgestellt. Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) besteuerte die dadurch erzielten Umsätze in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 1997 und 1998. Das FA trat darin der Ansicht der Klägerin entgegen, dass es sich insoweit um steuerfreie Umsätze gemäß § 4 Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) handele. Es legte dar, dass diese Umsätze nicht der Rennwett- und Lotteriesteuer unterlägen, und wies den Einspruch der Klägerin mit der gleichen Begründung ab. Das Finanzgericht (FG) hat über die dagegen erhobene Klage noch nicht entschieden.
Nachdem das FA auch den Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 1997 und 1998 abgelehnt hatte, verfolgte sie ihr Aussetzungsbegehren beim FG (§ 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Sie berief sich zur Begründung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), der sie entnahm, dass ein Mitgliedstaat Geldspielautomatenumsätze in Gaststätten oder Spielhallen nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen dürfe, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine öffentliche Spielbank steuerfrei wäre.
Das FG lehnte den Aussetzungsantrag ab, weil die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung der bezeichneten Umständen nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG nicht gegeben seien und weil die Erhebung der Umsatzsteuer nicht gegen Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) verstoße. Es sei dem nationalen Gesetzgeber nicht verwehrt, so führte des FG weiter aus, Umsätze aus erlaubtem Glücksspiel der Umsatzsteuerpflicht zu unterwerfen.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde legt die Klägerin dar, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide für 1997 und 1998 sei ernstlich zweifelhaft, soweit darin Geldspielautomatenumsätze besteuert worden seien. Es sei mit dem umsatzsteuerrechtlichen Neutralitätsgebot unvereinbar, Geldspielautomatenumsätze in Gaststätten und Spielhallen zu besteuern und diese Umsätze in zugelassenen öffentlichen Spielbanken von der Umsatzsteuer zu befreien.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den aufzuheben und die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids für 1997 in Höhe von 24 567 DM und des Umsatzsteuerbescheids für 1998 in Höhe von 32 362 DM auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsmäßigen Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide für 1997 und 1998.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 1 FGO soll das FG die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes u.a. dann ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (, BFHE 175, 101, BStBl II 1996, 65; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 69 FGO Rdnr. 307 ff.) oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Umstände, die Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtslage bewirken, sind im Streitfall vorhanden.
2. Die in den angefochtenen Steuerbescheiden besteuerten Geldspielautomatenumsätze sind nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerfrei, weil sie weder unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen (§ 4 Nr. 9 Buchst. b erste Alternative UStG) noch Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken sind (§ 4 Nr. 9 Buchst. b zweite Alternative UStG).
3. Ernstlich zweifelhaft ist aber, ob sich die Klägerin für die Steuerbefreiung der Umsätze nicht auf Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Danach befreien die Mitgliedstaaten unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
(Buchst. f) Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden. Der EuGH hat diese Vorschrift dahin ausgelegt (Urteil vom Rs. C-283/95 -Fischer, Slg. 1998, I-3369, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 1998, 384), dass ein Mitgliedstaat die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist. Zur Begründung hat der EuGH u.a. ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen und Grenzen der Befreiung für die in Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG erwähnten sonstigen Glücksspiele mit Geldeinsatz unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität festlegen müssten (Rn. 27 des Urteils Rs. C-283/95).
Danach ist es ernstlich zweifelhaft, ob es mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität vereinbar ist, für die Umsatzbesteuerung von Geldspielautomatenumsätzen danach zu unterscheiden, ob sie in und von öffentlich zugelassenen Spielbanken ausgeführt werden oder nicht. Zweifelhaft ist auch, ob das vom EuGH aus Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG abgeleitete Verbot an die Mitgliedstaaten, die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels nicht der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist, nicht erst Recht auch für erlaubte Veranstaltungen eines Glücksspiels gelten muss. Andererseits bestehen auch Zweifel, ob der EuGH von der zutreffenden Rechtslage in Deutschland ausgegangen ist (vgl. dazu Klenk in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, 8. Aufl., Lfg. 103 September 2000, § 4 Nr. 9 Rz. 173).
4. Das Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung ist aber nicht geeignet, diese Rechtsfrage endgültig zu klären. Die Entscheidung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (vgl. dazu , BFHE 191, 304, BStBl II 2000, 298).
5. Danach war die Vorentscheidung aufzuheben und dem Aussetzungsantrag der Klägerin stattzugeben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 657 Nr. 5
EAAAA-67121