BAG Urteil v. - 10 AZR 856/15

MRTV für Sicherheitsdienstleistungen in der BRD vom - Mehrarbeitszuschlag - Regelarbeitszeit - Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 GG, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Kaiserslautern Az: 2 Ca 1234/14 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 2 Sa 96/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch über die Bezahlung von Mehrarbeitszuschlägen für die Monate Mai bis August 2014.

2Die Beklagte bietet bundesweit Sicherheitsdienstleistungen an. Der bei ihr beschäftigte Kläger war im Streitzeitraum als Sicherheitsmitarbeiter im Schichtdienst eingesetzt. Seine Tätigkeit bestand in der Bewachung von Objekten der US-Streitkräfte in Rheinland-Pfalz.

3Nach Ziff. 1. des Arbeitsvertrags vom sind „die zwischen dem … und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di abgeschlossenen Tarifverträge für das Bundesland Rheinland-Pfalz ohne Einschränkung anwendbar.“ Die Landesgruppe Rheinland-Pfalz/Saarland des Bundesverbands, der seit Mitte 2011 „Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW)“ heißt, schloss mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Landesbezirk Rheinland-Pfalz und Saarland, den Tarifvertrag vom für Sicherheitsdienstleistungen in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Saarland (im Folgenden TV-SD) ab. Dieser trat mit Wirkung zum in Kraft und enthält ua. folgende Regelung:

4Im Mantelrahmentarifvertrag vom für Sicherheitsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden MRTV) heißt es auszugsweise:

5Die von beiden Tarifvertragsparteien unterschriebene Protokollnotiz 2 zum MRTV lautet auszugsweise:

6In einem an alle Mitarbeiter der Bewachungsobjekte in Rheinland-Pfalz gerichteten schriftlichen „Memorandum“ vom versprach die Geschäftsleitung der Beklagten, für die Monate Juli 2014 und August 2014 ab der 191. Arbeitsstunde einen 25 %igen Zuschlag zum Stundengrundentgelt zu zahlen. Der Kläger leistete im Mai 2014 176,03 Stunden, im Juni 2014 189,01 Stunden, im Juli 2014 192,85 Stunden und im August 2014 194 Stunden.

7Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen für die ab der 174. Stunde je Monat geleisteten Arbeitsstunden in der Zeit von Mai bis August 2014 verlangt. Er hat gemeint, seine „monatliche Regelarbeitszeit“ betrage nach § 6 Ziff. 1.1. Satz 1 MRTV 173 Stunden. Überdies müsse schon aus Gleichbehandlungsgründen die nach § 6 Ziff. 1.6. MRTV für Angestellte vorgesehene monatliche Regelarbeitszeit von 173 Stunden auch für ihn als Arbeiter gelten.

8Der Kläger hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zuletzt beantragt,

9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und gemeint, nach § 6 Ziff. 1.1. MRTV gelte für den Kläger - ausgehend von sechs Arbeitstagen pro Woche und einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden - eine monatliche Regelarbeitszeit von 208 Stunden. Die kürzere monatliche Regelarbeitszeit der Angestellten beruhe darauf, dass diese im Gegensatz zu den Sicherheitsmitarbeitern regelmäßig nicht „rund um die Uhr“ und an Wochenenden zur Verfügung stehen müssten.

10Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte aufgrund der Zusage in dem „Memorandum“ zur Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen für die 190 übersteigenden Arbeitsstunden im Juli 2014 und August 2014 verurteilt. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine darüber hinaus gehenden Forderungen weiter.

Gründe

11Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger in den Monaten Mai bis August 2014 kein weiterer Anspruch auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen nach § 5 Ziff. 4. TV-SD zusteht, da seine monatliche Arbeitszeit die im MRTV angegebene monatliche Regelarbeitszeit nicht überstiegen hat. Die in § 6 Ziff. 1.6. MRTV für Angestellte vorgesehene monatliche Regelarbeitszeit von 173 Stunden gilt nicht für das Arbeitsverhältnis des Klägers.

12I. Der TV-SD findet aufgrund der Verweisung in Ziff. 1. des Arbeitsvertrags vom auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis Anwendung. Der räumliche, fachliche und persönliche Geltungsbereich ist nach § 1 Ziff. 1. bis 3. TV-SD eröffnet.

13II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen 25 %igen Zuschlag zum Stundenentgelt nach § 5 Ziff. 4. TV-SD. Seine Arbeitszeit hat im Streitzeitraum die monatliche Regelarbeitszeit des Klägers von 208 Stunden nicht überstiegen.

141. Die „im Mantelrahmentarifvertrag … jeweils angegebene monatliche Regelarbeitszeit“ iSv. § 5 Ziff. 4. TV-SD ergibt sich aus Wortlaut und Systematik der Regelungen zur „Arbeitszeit“ in § 6 Ziff. 1.1. bis 1.8. MRTV.

15a) Der MRTV bestimmt in § 6 Ziff. 1.1. Satz 1 MRTV zunächst, dass die „regelmäßige tägliche Arbeitszeit“ acht Stunden nicht überschreiten soll. Im Weiteren finden sich in § 6 Ziff. 1.1. MRTV Regelungen zur Verlängerung der täglichen Arbeitszeit. Ergänzend dazu enthalten § 6 Ziff. 1.2. und Ziff. 1.3. MRTV Bestimmungen zur Dauer der täglichen Ruhezeit und zum Vergütungsanspruch bei Kurzeinsätzen. § 6 Ziff. 1.4. MRTV legt sodann fest, dass die „monatliche Regelarbeitszeit“ bis zu den dort genannten Höchstgrenzen ausgedehnt werden kann. § 6 Ziff. 1.5. bis 1.8. MRTV enthalten differenzierte, jeweils für spezielle Gruppen von Mitarbeitern geltende Vorgaben zur monatlichen Regelarbeitszeit. Der persönliche Geltungsbereich dieser Regelungen korrespondiert dabei teilweise mit den „Begriffsbestimmungen“ in § 3 Ziff. 3. (Sicherheitsmitarbeiter im Werkfeuerwehrdienst), Ziff. 5. (Sicherheitsmitarbeiter in militärischen Anlagen) und Ziff. 6. MRTV (Sicherheitsmitarbeiter in besonderen Bereichen). § 6 Ziff. 2. MRTV schließt in Satz 1 hieran an und sieht vor, dass länderspezifisch „zu den Ziffern 1.1. bis 1.8. abweichende monatliche Regelarbeitszeiten“ vereinbart werden können, wobei gemäß Satz 2 die „in Ziffern 1.1. bis 1.8. festgelegten monatlichen Regelarbeitszeiten“ nicht überschritten werden sollen. Nach § 6 Ziff. 2. Satz 3 MRTV können länderspezifische Vereinbarungen von Mehrarbeitszuschlägen „unabhängig von den vorstehenden Regelarbeitszeiten“ getroffen werden. Die Protokollnotiz 2 zum MRTV greift im ersten Spiegelstrich die „in § 6 Ziff. 1.1. bis 1.8. MRTV festgelegte monatliche Regelarbeitszeit“ auf.

16b) Der aufgezeigte Regelungszusammenhang in § 6 MRTV macht deutlich, dass in § 6 Ziff. 1.1. bis 1.4. MRTV die monatliche Regelarbeitszeit für alle Arbeitnehmer normiert ist, für die weder die besonderen Bestimmungen des § 6 Ziff. 1.5. bis 1.8. MRTV gelten noch länderspezifisch abweichende Vereinbarungen der Regelarbeitszeit getroffen wurden (§ 6 Ziff. 2. MRTV). Nach der § 6 Ziff. 1.1. bis 1.8. MRTV innewohnenden Tarifsystematik muss mithin, falls keine länderspezifischen Regelungen iSv. § 6 Ziff. 2. MRTV vorliegen, für die Beurteilung, was als zuschlagspflichtige Mehrarbeit iSv. § 5 Ziff. 4. TV-SD iVm. § 6 MRTV anzusehen ist, zunächst die „jeweils“ für die konkret betroffene Arbeitnehmergruppe angegebene monatliche Regelarbeitszeit ermittelt werden (vgl.  - Rn. 20 zu § 6 MRTV 2006 iVm. § 8 Ziff. 1. MTV für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Niedersachsen vom ).

17c) Die monatliche Regelarbeitszeit des Klägers richtete sich im Streitzeitraum nach § 6 Ziff. 1.1. bis 1.4. MRTV, da für ihn keine davon abweichenden Tarifnormen gelten. Für das Bundesland Rheinland-Pfalz bestanden in der Zeit von Mai bis August 2014 keine von § 6 Ziff. 1.1. bis 1.8. MRTV abweichenden Tarifvorschriften zur monatlichen Regelarbeitszeit iSv. § 6 Ziff. 2. MRTV. Die in § 6 Ziff. 1.5. bis 1.8. MRTV geregelten „monatlichen Regelarbeitszeiten“ galten für den Kläger mangels entsprechender Gruppenzugehörigkeit nicht. „Länderspezifische Regelungen“, auf die § 6 Ziff. 1.5. MRTV für kerntechnische Anlagen verweist, waren für den Kläger, der Einrichtungen der US-Armee bewacht hat, ebenso wenig einschlägig wie die für Angestellte geltende Vorgabe in § 6 Ziff. 1.6. MRTV und die Sonderregelungen in § 6 Ziff. 1.7. und Ziff. 1.8. MRTV.

182. Nach § 6 Ziff. 1.1. Satz 1 MRTV belief sich für den Kläger die monatliche Regelarbeitszeit im Streitzeitraum auf 208 Stunden. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

19a) Nach dem - für die Auslegung von Tarifverträgen in erster Linie maßgeblichen - Wortlaut der Tarifregelung (st. Rspr., vgl.  - Rn. 14) und dem allgemeinen Wortverständnis des Adjektivs „täglich“ läge die Soll-Grenze der monatlichen Regelarbeitszeit bei 56 Stunden pro Woche. Bei wörtlichem Verständnis von § 6 Ziff. 1. Satz 1 MRTV wären daher acht Stunden pro Tag und sieben Tage pro Woche (einschließlich Sonntag) zugrunde zu legen. Daraus ergäben sich als nicht zu überschreitende monatliche Regelarbeitszeit 242 Stunden (8 Stunden x 7 Tage x 13 Wochen ./. 3 Monate).

20b) Indes bedingt die Tarifsystematik zwingend die Auslegung, dass sich die regelmäßige tägliche Arbeitszeit iSv. § 6 Ziff. 1.1. Satz 1 MRTV nicht auf sieben, sondern nur auf sechs Wochentage - unter Einschluss des Sonntags - verteilt. Dies folgt aus § 7 Ziff. 1. Satz 1 MRTV, wonach grundsätzlich eine Freischicht pro Woche gewährt werden muss. Daraus resultiert eine monatliche Regelarbeitszeit von 208 Stunden (6 Tage x 8 Stunden x 13 Wochen ./. 3 Monate).

21c) Sinn und Zweck der Arbeitszeitregelung bestätigen dieses der Tarifsystematik folgende Auslegungsergebnis. Objekte müssen zumeist an jedem Tag rund um die Uhr bewacht werden, so dass Sonntagsarbeit unerlässlich ist. Diesen den Bedürfnissen der Kunden entsprechenden besonderen Gegebenheiten im Sicherheitsgewerbe haben die Tarifvertragsparteien durch die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf alle Tage einschließlich des Sonntags Rechnung getragen (vgl. auch  - Rn. 15 zu § 2 Ziff. 2. MTV für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom ). Dem entspricht es, dass § 7 Ziff. 1. Satz 1 MRTV für die Freischicht keinen bestimmten Wochentag vorgibt.

22d) Dass die regelmäßige Arbeitszeit im Betrieb der Beklagten im Streitzeitraum abweichend von der Regelung in § 6 Ziff. 1.1. MRTV auf weniger als sechs Tage verteilt gewesen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Der Kläger hat insoweit im Kammertermin vor dem Landesarbeitsgericht lediglich behauptet, er werde - abhängig vom Schichtplan und der Anzahl der verfügbaren Mitarbeiter - sowohl im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche als auch im Rahmen einer Sechs-Tage-Woche, manchmal aber auch nur an zwei oder drei Tagen in der Woche eingesetzt. Daraus ergibt sich indes kein Anhaltspunkt für eine generell von § 6 Ziff. 1.1. MRTV abweichende Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf weniger als sechs Wochentage.

233. Aus § 6 Ziff. 3. MRTV, wonach Vollzeitbeschäftigte „Anspruch auf eine monatliche Arbeitszeit von mindestens 173 Stunden … im Durchschnitt eines Quartals“ haben, folgt entgegen der Auffassung des Klägers keine monatliche Regelarbeitszeit von 173 Stunden.

24a) Dagegen spricht bereits der Wortlaut der Tarifvorschrift, die einen „Anspruch auf eine monatliche Arbeitszeit“ sowie deren Mindestumfang und damit der Sache nach einen Beschäftigungsanspruch beschreibt (vgl.  - Rn. 54 ff. zu der entsprechenden Regelung in § 2 Ziff. 1. MTV für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom ). Soweit der Kläger seine gegenteilige Auffassung auf die Entscheidung des Dritten Senats vom (- 3 AZR 664/01 -) stützt, übersieht er, dass dem dort zu beurteilenden Sachverhalt eine andere tarifliche Regelung zugrunde lag.

25b) Auch die Tarifsystematik steht dem Verständnis des Klägers entgegen. Wie die differenzierten Regelungen in § 6 Ziff. 1.1. bis 1.8. MRTV zeigen, gibt es gerade keine einheitliche monatliche Regelarbeitszeit für alle Vollzeitbeschäftigten. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien gruppenspezifische Regelungen getroffen und allein für Angestellte in § 6 Ziff. 1.6. MRTV eine monatliche Regelarbeitszeit von 173 Stunden festgeschrieben, die „im Durchschnitt des Kalenderjahres“ zu erreichen ist. Diese Regelung wäre entbehrlich gewesen, wenn sich bereits aus § 6 Ziff. 3. MRTV eine monatliche Regelarbeitszeit von 173 Stunden ergäbe.

26c) Sinn und Zweck des § 6 Ziff. 3. MRTV bestätigen das hier gefundene Auslegungsergebnis. Angesichts des erheblichen Spielraums, der dem Arbeitgeber in § 6 Ziff. 1.1. bis 1.8. MRTV für den Einsatz der Sicherheitsmitarbeiter eingeräumt wird, trägt § 6 Ziff. 3. MRTV dem Bedürfnis nach einem verstetigten Einkommen dieser Arbeitnehmergruppe Rechnung, indem er mindestens 173 - bzw. bei Regeldienst in 24-Stunden-Schichten mindestens 208 - bezahlte Stunden im Monat garantiert, auch wenn der tatsächliche Arbeitseinsatz geringer war. Ausdrücklich klargestellt wird dies im zweiten Spiegelstrich der Protokollnotiz 2, wonach Vollzeitbeschäftigte Anspruch auf Vergütung von mindestens 173 Stunden, bei Regeldienst in 24-Stunden-Schichten von mindestens 208 Stunden für jeden Monat haben.

27III. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, in Bezug auf die monatliche Regelarbeitszeit so behandelt zu werden wie der Tarifvertrag es in § 6 Ziff. 1.6. MRTV für Angestellte vorsieht. Die tarifvertragliche Differenzierung bei der Regelarbeitszeit verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

281. Ob die Tarifvertragsparteien als Normgeber bei der tariflichen Normsetzung unmittelbar grundrechtsgebunden sind, ist umstritten (ausf. dazu Däubler TVG Ulber 4. Aufl. Einl. Rn. 207 ff.). Der Senat hat diese Frage in der Vergangenheit offengelassen (zuletzt  - Rn. 14, BAGE 147, 33 - 40). Er schließt sich nunmehr der Auffassung an, wonach die Tarifvertragsparteien beim Abschluss von Tarifverträgen keiner unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen (Dieterich FS Schaub 1998 S. 117, 120 ff.; ders. FS Wiedemann 2002 S. 229, 235 ff. Bayreuther Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie S. 236 ff.; ErfK/Schmidt 17. Aufl. Einl. GG Rn. 46 ff.; HWK/Henssler 7. Aufl. Einl. TVG Rn. 15; aus der neueren Rechtsprechung:  - Rn. 22; - 4 AZR 456/14 - Rn. 48; - 9 AZR 564/14 - Rn. 24; - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 31, BAGE 131, 113). Durch den Abschluss von Tarifverträgen üben die Tarifvertragsparteien weder Staatsgewalt iSv. Art. 1 Abs. 3 GG aus noch werden mit Tarifverträgen staatliche Regelungskonzepte verfolgt. Der Abschluss von Tarifverträgen und die damit bewirkte Normsetzung ist vielmehr kollektiv ausgeübte Privatautonomie. Die Tarifvertragsparteien regeln auf dieser Grundlage, mit welchen tarifpolitischen Forderungen sie für ihre Mitglieder tarifvertragliche Regelungen mit welchem Tarifvertragspartner setzen wollen und letztlich vereinbaren (vgl.  - Rn. 51, BAGE 151, 235; JKOS/Krause Tarifvertragsrecht 2. Aufl. § 1 Rn. 57 mwN). Als selbständigen Grundrechtsträgern kommt den Tarifvertragsparteien aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt ( - Rn. 22; vgl. auch  - Rn. 32 mwN, aaO).

292. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer umfassenden Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und damit zu einer „Tarifzensur“ durch die Arbeitsgerichte (ErfK/Schmidt 17. Aufl. Einl. GG Rn. 47). Da die Grundrechtsgewährung jedoch nicht auf die bloße Abwehr staatlicher Eingriffe beschränkt ist, sondern darüber hinaus den Staat dazu verpflichtet, die Rechtsordnung in einer Weise zu gestalten, dass die einzelnen grundrechtlichen Gewährleistungen wirksam werden können, trifft den Staat die Schutzpflicht, einer Grundrechtsverletzung durch andere Grundrechtsträger entgegenzuwirken (HWK/Henssler 7. Aufl. Einl. TVG Rn. 16 mwN). Dementsprechend verpflichtet die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte die Rechtsprechung dazu, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen oder eine unangemessene Beschränkung eines grundrechtlichen Freiheitsrechts zur Folge haben (vgl.  - zu B II 2 c der Gründe, BAGE 111, 8; - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 31, BAGE 131, 113).

303. Gemessen an diesen Grundsätzen führt die Regelung in § 6 Ziff. 1.1. MRTV nicht zu einer mit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren Schlechterstellung der Sicherheitsmitarbeiter im Vergleich zu den Angestellten.

31a) Eine Verletzung des Art. 3 GG liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten anders behandelt wird als eine andere, obwohl zwischen den Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl.  - Rn. 76). In Bezug auf die gesetzliche Regelung der Kündigungsfristen in § 622 Abs. 2 BGB aF hat das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung des Art. 3 GG bejaht, weil es weder in Bezug auf die Grundfristen noch auf die Fristen bei längerer Beschäftigungsdauer einen die unterschiedliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten rechtfertigenden Grund gab (vgl.  - zu C I 4 und 5 der Gründe, BVerfGE 82, 126).

32b) Die Regelungen in § 6 Ziff. 1.1. und Ziff. 1.6. MRTV unterscheiden zwischen Sicherheitsmitarbeitern und Angestellten. Für Angestellte beträgt die monatliche Regelarbeitszeit nach § 6 Ziff. 1.6. MRTV 173 Stunden, während sie sich nach § 6 Ziff. 1.1. MRTV für Sicherheitsmitarbeiter auf 208 Stunden beläuft. Entgegen der Auffassung des Klägers haben die Tarifvertragsparteien bei dieser Differenzierung jedoch nicht pauschal an den „Status“ als solchen, also an die Zugehörigkeit zu der Gruppe der Arbeiter und der Angestellten angeknüpft. Sie haben vielmehr in Bezug auf die Dauer der monatlichen Regelarbeitszeit erkennbar die mit den unterschiedlichen Arbeitsaufgaben typischerweise einhergehenden unterschiedlichen Lebenssachverhalte in den Blick genommen. Diese sind geeignet, eine unterschiedliche Behandlung der Sicherheitsmitarbeiter und der Angestellten in Bezug auf die Dauer der monatlichen Regelarbeitszeit zu rechtfertigen.

33aa) Die Tätigkeit des Sicherheitsmitarbeiters iSv. § 3 Ziff. 1. und Ziff. 2. MRTV ist charakterisiert durch Passivphasen, in denen lediglich seine Präsenz an dem ihm vorgegebenen Ort erforderlich ist, ohne dass er in nennenswertem Umfang operative Tätigkeiten ausüben muss. Diese Einschätzung der tatsächlichen Gegebenheiten durch die Tarifvertragsparteien findet ihren Ausdruck in § 6 Ziff. 1.1. Satz 3 MRTV, der - unter Beachtung der in § 6 Ziff. 1.4. MRTV genannten Grenzen - die Verlängerung der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit auch ohne Ausgleich über zehn Stunden täglich gestattet, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt. Des Weiteren zeigen die Regelungen zur Durchführung der 24-stündigen Schichtzeit in § 6 Ziff. 1.7. MRTV, dass die Tarifvertragsparteien sich bei der Regelung der monatlichen Arbeitszeit des hohen Anteils von „passiven“ Arbeitszeiten bewusst waren, der typisch für das Berufsbild des Sicherheitsmitarbeiters ist. Zugleich haben die Tarifvertragsparteien vollzeitbeschäftigten Sicherheitsmitarbeitern, die Regeldienst in 24-Stunden-Schichten leisten, in § 6 Ziff. 3. MRTV einen Anspruch auf eine monatliche Arbeitszeit von mindestens 208 Stunden eingeräumt. Im Gegensatz dazu wird von Angestellten, die ihre Arbeitsleistung in der Regel in einem Büro erbringen, gewöhnlich erwartet, dass sie während der Arbeitszeit durchgehend aktiv sind. Daraus resultiert eine im Vergleich zu den Sicherheitsmitarbeitern höhere körperliche und geistige Belastung der Angestellten während ihrer Arbeitszeit.

34bb) Wenn die Tarifvertragsparteien, anknüpfend an diesen Befund, für Sicherheitsmitarbeiter längere Regelarbeitszeiten als für Angestellte vorgesehen haben (zur Berücksichtigung der Belastungsintensität durch die Tarifvertragsparteien vgl.  - Rn. 22), so ist dies nicht aus Gleichbehandlungsgründen zu beanstanden. Die Tarifvertragsparteien haben bei den Regelungen zur Arbeitszeit vielmehr ersichtlich den berufstypischen tatsächlichen Besonderheiten im Wach- und Sicherheitsgewerbe Rechnung getragen. Unter Berücksichtigung dieser faktischen Gegebenheiten, der betroffenen Interessen und des vorgenommenen Ausgleichs haben sie dabei die Grenzen der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie nicht überschritten.

35IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:260417.U.10AZR856.15.0

Fundstelle(n):
OAAAG-51662