BGH Beschluss v. - IX ZB 70/16

Insolvenzeröffnungsverfahren: Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte

Leitsatz

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen einen unselbständig tätigen Schuldner regelmäßig begründet, dessen gewöhnlicher Aufenthalt sich zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland befindet.

Gesetze: Art 3 Abs 1 EGV 1346/2000

Instanzenzug: Az: 4 T 39/15vorgehend Az: 103 IN 4/15

Gründe

I.

1Der Antragsteller (weiterer Beteiligter zu 2) ist Verwalter in dem am über das Vermögen der J.                    GmbH & Co. KG (nachfolgend: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren. Gegen den Schuldner als Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Schuldnerin hat er unter Berufung auf - auch aus § 64 GmbHG hergeleitete - Forderungen von rund 2 Mio. € am die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Außerdem ist der Schuldner Alleingesellschafter und Geschäftsführer weiterer zu dem Modehandelskonzern J.  in M.        gehörender Gesellschaften, über deren Vermögen im Juli und August 2014 ebenfalls Insolvenzverfahren eröffnet wurden. Der Schuldner, der nunmehr als Arbeitnehmer in dem in Saarbrücken ansässigen Unternehmen seiner - getrennt lebenden - Ehefrau gegen eine unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegende Vergütung tätig ist, beanstandet die Zuständigkeit der inländischen Gerichte, weil er am seinen Wohnsitz von Saarbrücken nach Grosbliederstroff/Frankreich verlegt habe.

2Das Insolvenzgericht hat das Verfahren antragsgemäß eröffnet und den weiteren Beteiligten zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren, den Eröffnungsantrag abzulehnen, weiter.

II.

3Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 4, 6 Abs. 1, § 34 Abs. 2 InsO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

41. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

5Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei gemäß Art. 3 EuInsVO gegeben. Zur Feststellung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners sei auf die Kriterien der Arbeit, der Familie sowie der sozialen und der kulturellen Integration abzustellen. Danach komme es nicht allein auf die Begründung eines Wohnsitzes durch den Abschluss eines Mietvertrages sowie die Ummeldung eines Fahrzeugs nach Frankreich an. Vielmehr falle besonders ins Gewicht, dass der Schuldner nach wie vor in Saarbrücken als Angestellter im Unternehmen seiner Frau tätig sei. Neben dem Schwerpunkt seiner Beschäftigung deuteten auch die familiären Verhältnisse des Schuldners nach Saarbrücken, wo seine Ehefrau und der gemeinsame Sohn in einem Haus lebten, an welchem dem Schuldner ein dingliches Wohnrecht zustehe. Die noch bestehende Ehe und der in Deutschland gelegene Lebensmittelpunkt der Ehefrau bilde ein Kriterium für einen Lebensmittelpunkt des Schuldners in Deutschland, auch wenn der Insolvenzantrag in den zeitlichen Rahmen einer frühen Trennungsphase gefallen sei. Der Umstand, dass der Schuldner jeden Abend nach Grosbliederstroff fahre, um dort zu nächtigen, begründe keinen dortigen Lebensmittelpunkt.

6Im Übrigen sei eine tatsächliche Verlegung des Lebensmittelpunktes nach Frankreich unbeachtlich, weil sie rechtsmissbräuchlich erfolgt sei. Der Wohnsitz des Schuldners sei mit Rücksicht auf die gegen ihn geltend gemachten Forderungen in Millionenhöhe zur Erwirkung eines kurzen Restschuldbefreiungsverfahrens gewechselt worden.

72. Diese Ausführungen halten bereits in der Hauptbegründung den Angriffen der Beschwerde stand. Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) war im maßgeblichen Zeitpunkt des gegen ihn gestellten Insolvenzantrages (, WM 2006, 695) in Deutschland gelegen.

8a) Der in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO verwendete Rechtsbegriff des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen (Centre of main interests COMI) ist verordnungsautonom, das heißt in den Mitgliedsstaaten einheitlich und unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften auszulegen.

9aa) Seine Bedeutung erschließt sich aus der 13. Begründungserwägung der Verordnung, wo es heißt: "Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen sollte der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist". Aus dieser Definition geht hervor, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen ist. Diese Objektivität und die Möglichkeit der Feststellung durch Dritte sind erforderlich, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren. Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sind umso wichtiger, als die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO die des anwendbaren Rechts nach sich zieht (, WM 2007, 899 Rn. 14; vom - NotZ 6/10, ZIP 2011, 284 Rn. 11).

10bb) Handelt es sich bei dem Schuldner um eine abhängig beschäftigte Person, kann für den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach allgemeiner Rechtsansicht regelmäßig auf den gewöhnlichen Aufenthalt als tatsächlichen Lebensmittelpunkt abgestellt werden, wo der Schwerpunkt der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen liegt (OLG Hamm IPrax 2012, 351 Rn. 58; LG Göttingen ZInsO 2007, 1358; AG Köln NZI 2009, 133, 134; 2012, 379, 380; HK-InsO/Dornblüth, 8. Aufl., § 3 EuInsVO Rn. 7; MünchKomm-InsO/Thole, 3. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 50; Gruber/Schulz in A/G/R, InsO, 3. Aufl., Art. 3 EuInsVO aF Rn. 23; Schmidt/Brinkmann, InsO, 19. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 8; HmbKomm-InsO/Undritz, 6. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 20; Gottwald/Kolmann/Keller, Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 131 Rn. 28; FK-InsO/Wenner/Schuster, 8. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 9; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 14. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 10; Kemper in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, Art. 3 EuInsVO Rn. 8; Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Rn. 19 ff, 25; Mankowski, NZI 2005, 368, 369 f). Dabei ist die Intensität beruflicher und familiärer Bindungen von besonderer Bedeutung (, NJW 1993, 2047, 2048; AG Köln NZI 2012, 379, 380; MünchKomm-InsO/Thole, aaO; Gruber/Schulz in A/G/R, aaO; HmbKomm-InsO/Undritz, aaO; Gottwald/Kolmann/Keller, aaO). Ob besondere Umstände dazu führen können, den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen abweichend von dem gewöhnlichen Aufenthalt zu bestimmen, kann vorliegend dahinstehen. Daher kann eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union unterbleiben.

b) Der durch die Aufnahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses und familiäre Bindungen geprägte gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners verweist nach der rechtsfehlerfreien Würdigung des Landgerichts auf das Inland. Dies ergibt eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. , ZIP 2011, 2153 Rn. 52 "Interedil").

11aa) Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist einmal zu berücksichtigen, dass der Schuldner bei einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft eine Tätigkeit als Arbeitnehmer übernommen hat, die er nicht etwa überwiegend faktisch in Frankreich versieht. Wie ein zwischen dem Schuldner und einer Inkassogesellschaft geführtes Interview unterstreicht, ist dem Schuldner von seiner Arbeitgeberin auch der interne Geschäftsbereich des Forderungseinzugs überantwortet. Zum anderen nimmt der Schuldner den familiären Kontakt zu seinem Sohn in Saarbrücken wahr. Dabei handelt es sich nicht um die Situation eines Grenzgänger-Arbeitnehmers, der vom ausländischen Wohnsitz seiner Familie lediglich zu seinem inländischen Arbeitsplatz anreist. In einem solchen Fall liegt der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen eines Schuldners an dem Ort, wo er und seine Familie ansässig sind (MünchKomm-InsO/Thole, 3. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 48; Schmidt/Brinkmann, aaO Art. 3 EuInsVO Rn. 9). Vorliegend bestehen die familiären Beziehungen des Schuldners hingegen ausschließlich an seinem Arbeitsort in Saarbrücken.

12(2) Die danach festzustellenden hauptsächlichen erwerbswirtschaftlichen und familiären Bindungen des Schuldners nach Deutschland werden nicht dadurch in Frage gestellt, dass er in Frankreich eine Wohnung gemietet und dort seinen Wohnsitz angemeldet hat (vgl. , IPRspr 2006, Nr. 265, 616, 618; vom - IX ZB 164/06, WM 2007, 899 Rn. 14). In Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO genügt es, wenn die "hauptsächlichen", nicht notwendig alle Interessen des Schuldners auf das Inland verweisen (AG Köln, NZI 2011, 159, 160). Der Wohnort wurde von dem Schuldner ersichtlich in unmittelbarer Grenznähe gewählt, um tatsächlich im nahe gelegenen Saarbrücken seinen hauptsächlichen Interessen nachgehen zu können. Eine über den Kontakt zu Nachbarn hinausgehende soziale Integration des Schuldners an seinem Wohnort, wo er keinen engeren privaten Umgang pflegt, hat nicht stattgefunden. Zudem verfügt der Schuldner in Deutschland über ein dingliches Wohnrecht an einer Immobilie, das er nicht aufgegeben hat. Die dadurch eröffnete Rückkehroption spricht gegen eine dauerhaft gewollte Änderung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen (vgl. Schmidt/Brinkmann, InsO, 19. Aufl., Art. 3 EuInsVO, Rn. 19).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:020317BIXZB70.16.0

Fundstelle(n):
DB 2017 S. 724 Nr. 13
NJW 2017 S. 8 Nr. 15
NJW-RR 2017 S. 552 Nr. 9
RIW 2017 S. 307 Nr. 5
WM 2017 S. 628 Nr. 13
ZIP 2017 S. 25 Nr. 13
ZIP 2017 S. 688 Nr. 14
HAAAG-40780