BAG Urteil v. - 2 AZR 867/15

Kündigung - Beteiligung der Betriebsvertretung - Fristberechnung

Leitsatz

Arbeitstage iSv. mod. § 72 Abs. 2 Satz 1 BPersVG sind nur die Tage Montag bis Freitag mit Ausnahme der gesetzlichen Feiertage.

Gesetze: § 72 Abs 2 S 1 BPersVG, § 622 Abs 2 BGB, § 79 Abs 1 BPersVG, Art 56 Abs 8 S 2 NATOTrStatZAbk, Art 56 Abs 9 NATOTrStatZAbk, § 1 Abs 2 KSchG, Art 1 Abs 2 EGRL 59/98, § 1 TVG, § 1 Abs 3 KSchG

Instanzenzug: ArbG Mannheim Az: 14 Ca 158/14 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 19 Sa 24/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier ordentlicher Kündigungen.

2Der Kläger war seit 1997 bei den US-amerikanischen Stationierungsstreitkräften (Streitkräfte) beschäftigt. Zuletzt wurde er als Betriebsmechaniker in der Dienststelle H eingesetzt. Er war Mitglied der dort gebildeten Betriebsvertretung. Auf sein Arbeitsverhältnis fand kraft Bezugnahme der Tarifvertrag vom über Rationalisierungs-, Kündigungs- und Einkommensschutz (SchutzTV) Anwendung.

3In der Dienststelle H wurden Versorgungseinrichtungen für die Mitglieder der Truppe und des zivilen Gefolges sowie deren Angehörige betrieben. In den Einrichtungen wurde von Montag bis Samstag gearbeitet. Die Streitkräfte fassten im Jahr 2011 den Entschluss, die Dienststelle bis spätestens zum aufzulösen. Im August 2012 wurde der Zeitpunkt für die Schließung der Versorgungseinrichtungen auf spätestens den vorverlegt. Zu diesem Termin war die Truppe bereits abgezogen. Im November 2013 wurde auf dem Gelände lediglich noch ein Gefängnis betrieben.

4Mit Wirkung zum wurde Frau D zur Leiterin der Dienststelle bestellt. Sie informierte die Betriebsvertretung mit Schreiben vom über die Absicht der Streitkräfte, das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund der bevorstehenden Auflösung der Dienststelle ordentlich zu kündigen. Das Unterrichtungsschreiben ging der Betriebsvertretung am (Mittwoch) zu. Diese „lehnte“ die geplante Kündigung mit Schreiben vom „ab“. Zwischen den Parteien ist streitig gewesen, wann dieses Schreiben im zuständigen Personalbüro der Streitkräfte in S eingegangen ist.

5Mit Schreiben vom und kündigten die Streitkräfte nach Erstattung einer Massenentlassungsanzeige das Arbeitsverhältnis des Klägers jeweils ordentlich zum . Beide Kündigungsschreiben sind von der Personalleiterin V unterzeichnet. Der Kläger rügte deren Vertretungsmacht und wies die Kündigungen mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurück.

6Mit der vorliegenden Klage hat er sich fristgerecht gegen beide Kündigungen gewandt. Diese seien gemäß §§ 180, 174 BGB unwirksam. Es fehle ihnen an einer sozialen Rechtfertigung. Ihm hätten Arbeitsplätze in anderen Dienststellen angeboten werden müssen. § 4 Nr. 4 Buchst. d SchutzTV erweitere das Einzugsgebiet iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b KSchG auf 60 km. Mit der Betriebsvertretung habe eine Konsultation nach § 17 Abs. 2 KSchG stattfinden müssen. Das Mitwirkungsverfahren gemäß mod. §§ 79, 72 BPersVG sei nicht korrekt durchgeführt worden. Die Streitkräfte hätten zu Unrecht die Betriebsvertretung beteiligt. Bei Einleitung des Verfahrens sei die Dienststelle bereits aufgelöst und Frau D nicht mehr deren Leiterin gewesen. Das Schreiben der Betriebsvertretung vom sei am und damit rechtzeitig im Personalbüro eingegangen. Arbeitstage iSv. mod. § 72 Abs. 2 Satz 1 BPersVG seien (nur) die Tage Montag bis Freitag mit Ausnahme der gesetzlichen Feiertage.

7Der Kläger hat beantragt,

8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, das Schreiben der Betriebsvertretung vom sei erst am im Personalbüro eingegangen. Die Äußerungsfrist habe bereits am Montag, den geendet. Als Arbeitstage iSv. mod. § 72 Abs. 2 Satz 1 BPersVG seien alle Tage anzusehen, an denen in der betreffenden Dienststelle planmäßig gearbeitet werde.

9Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Gründe

10Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Berufungsgericht die nach Maßgabe von Art. 56 Abs. 8 Satz 2 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen (ZA-NTS) zu Recht gegen die Bundesrepublik Deutschland in Prozessstandschaft für den Entsendestaat - die Vereinigten Staaten von Amerika - gerichtete Klage ( - Rn. 12) nicht abweisen.

11A. Die vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Abweisung des Klageantrags zu 1. nicht. Die ordentliche Kündigung der Streitkräfte vom erweist sich zwar nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Kündigungsschutzgesetzes als wirksam. Die Streitkräfte haben auch das Mitwirkungsverfahren nach mod. §§ 79, 72 BPersVG ordnungsgemäß eingeleitet. Das Landesarbeitsgericht durfte aber nicht ohne Beweisaufnahme davon ausgehen, das Mitwirkungsverfahren sei vor Ausspruch der Kündigung abgeschlossen gewesen. Dies führt zur Aufhebung seiner Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz auch in Bezug auf die Klageanträge zu 2. und 3.

12I. Die Kündigung vom ist nicht gemäß § 180 Satz 1 BGB unwirksam. Die Personalleiterin V hat nach der von den Streitkräften erlassenen AE Reg 690-84-G vom mit Vertretungsmacht gehandelt.

13II. Die Unwirksamkeit der Kündigung vom folgt nicht aus § 174 Satz 1 BGB. Das Zurückweisungsrecht war nach Satz 2 der Vorschrift ausgeschlossen. Der Kläger bestreitet nicht, von den Streitkräften vor Zugang der Kündigung darüber in Kenntnis gesetzt worden zu sein, dass Frau V die Stellung der Personalleiterin innehatte ( - Rn. 20). Für seine Mutmaßung, sie sei allein für das zivile Gefolge, nicht aber für die zivilen Bediensteten („Ortskräfte“) zuständig gewesen, bestehen keine objektiven Anhaltspunkte. Die von ihm herangezogene E-Mail vom weist in die Gegenrichtung. Darin wird Frau V umfassend als „HRM“ (für „human resources manager“) bezeichnet. Der einschränkende Zusatz „LN“ (für „local nationals“) findet sich lediglich in Bezug auf ihre sachbearbeitende Mitarbeiterin B.

14III. Die zum erklärte Kündigung vom war nach § 15 Abs. 4 KSchG, § 8 Nr. 2 Buchst. a SchutzTV zulässig. Die Streitkräfte hatten vor Zugang der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst, die Beschäftigungsdienststelle des Klägers spätestens zum aufzulösen. Diese Entscheidung hatte im Kündigungszeitpunkt bereits greifbare Formen angenommen und ist in der Folge auch umgesetzt worden.

15IV. Die Kündigung vom ist sozial gerechtfertigt. Sie ist gemäß § 1 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers bei den Streitkräften entgegenstehen.

161. Der Bedarf an einer Beschäftigung des Klägers in der Einsatzdienststelle ist vor Ablauf der Kündigungsfrist am entfallen, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Die Streitkräfte hatten alle Versorgungseinrichtungen bereits zum geschlossen.

172. Die Kündigung vom ist nicht deshalb sozial ungerechtfertigt, weil die Streitkräfte den Kläger in einer anderen Dienststelle hätten weiterbeschäftigen müssen.

18a) Die Weiterbeschäftigungsobliegenheit ist nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b KSchG räumlich auf denselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets beschränkt. Für den Begriff des Einzugsgebiets gelten nach § 75 Abs. 1 Nr. 3 BPersVG die im Umzugskostenrecht maßgeblichen Grundsätze. Einzugsgebiet ist danach das Gebiet, das auf einer üblicherweise befahrenen Strecke nicht mehr als 30 km vom Dienstort entfernt ist, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BUKG ( - zu B III 2 a der Gründe). In diesem Gebiet bestand keine Möglichkeit, den Kläger auf einem freien Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen. Alle von ihm angeführten Stellen waren auf üblicherweise befahrenen Strecken mehr als 30 km vom bisherigen Dienstort entfernt.

19b) Es kann dahinstehen, ob außerhalb dieses Einzugsgebiets Arbeitsplätze frei waren, für die der Kläger geeignet gewesen wäre. Die Nichtberücksichtigung eines freien Arbeitsplatzes in dem durch § 4 Nr. 4 Buchst. d SchutzTV bestimmten Einzugsbereich von 60 km führte nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die gesetzliche Weiterbeschäftigungsobliegenheit wird durch § 4 SchutzTV nicht räumlich ausgedehnt (zweifelnd schon  - zu B III 3 der Gründe). Der tarifliche Unterbringungsanspruch betrifft die Rechtsfolgen- nicht die Tatbestandsseite einer Kündigung. Das ergibt die Auslegung des SchutzTV.

20aa) Nach seiner Bezeichnung bestimmt dieser einen Rationalisierungs-, Kündigungs- und Einkommensschutz. Die Regelungen zum Kündigungsschutz finden sich in § 8 SchutzTV. Sie erschöpfen sich darin, älteren, langjährig beschäftigten Arbeitnehmern einen Sonderkündigungsschutz einzuräumen. Darüber hinaus wird nicht angeordnet, dass eine Beendigungskündigung nur und erst dann erklärt werden darf, wenn dem betreffenden Arbeitnehmer ein Arbeitsplatz nach § 4 SchutzTV nicht angeboten werden kann oder dieser ein entsprechendes Angebot nicht annimmt. Es hätte nahegelegen, eine solche Anordnung in die einzige für den Kündigungsschutz maßgebliche Tarifnorm aufzunehmen, sofern die Tarifvertragsparteien eine über die Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes hinausgehende und die Wirksamkeit einer Kündigung berührende oder doch deren Ausspruch hinauszögernde Unterbringungsobliegenheit der Streitkräfte hätten festlegen wollen. So finden sich entsprechende Regelungen für den Bereich des öffentlichen Dienstes in § 5 Abs. 2 der Tarifverträge über Rationalisierungsschutz für Angestellte (RatSchTV Ang) und für Arbeiter (RatSchTV Arb).

21bb) Dass § 4 SchutzTV nicht die Tatbestands-, sondern die Rechtsfolgenseite einer Kündigung betrifft, wird durch §§ 2, 4 Nr. 1 Satz 2 und § 4 Nr. 4 Buchst. d Satz 5 SchutzTV bestätigt. Gemäß § 2 SchutzTV rechnet der Unterbringungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 4 SchutzTV zu den „Leistungen“, die ein vom SchutzTV erfasster Arbeitnehmer beanspruchen kann, wenn er infolge der dort bestimmten organisatorischen Maßnahmen auf Veranlassung der Streitkräfte seinen bisherigen Arbeitsplatz verliert. Dies ist nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien, wie sie im SchutzTV ihren Niederschlag gefunden hat, erst mit dem Zugang einer (wirksamen) Kündigung der Fall. Gemäß § 4 Nr. 1 Satz 2 SchutzTV wird der Unterbringungsanspruch stets durch „Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages“ erfüllt. Nach § 4 Nr. 4 Buchst. d Satz 5 SchutzTV kann der Arbeitnehmer in den dort angeführten Fällen den maßgeblichen Einzugsbereich innerhalb einer Woche „nach Erhalt der Kündigung“ bestimmen. In dieser Lesart ist der Unterbringungsanspruch keineswegs wertlos. Er geht deutlich über den allgemeinen Wiedereinstellungsanspruch ( - Rn. 71 f., BAGE 120, 115) hinaus und bietet auch so einen Rationalisierungsschutz.

22c) Die Streitkräfte haben sich durch die vorherige Ermittlung der Einsatzwünsche nicht dahin „selbst gebunden“, von einer Kündigung abzusehen, wenn dem Arbeitnehmer andernfalls ein Unterbringungsanspruch nach § 4 SchutzTV zustehen sollte. Den im Erhebungsbogen enthaltenen Fragen zur Unterbringung in einer anderen Dienststelle kommt ein entsprechender Erklärungswert nicht zu. Die Systematik des SchutzTV schließt auch den von Amts wegen zu berücksichtigenden, aus § 242 BGB abzuleitenden sog. Dolo-Agit-Einwand aus ( - Rn. 74). Der Unterbringungsanspruch ist nicht auf die „Wiederherstellung“ des alten, wirksam gekündigten Arbeitsvertrags, sondern allenfalls auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auf der Grundlage eines neuen Arbeitsvertrags gerichtet, zu dessen Abschluss die Streitkräfte dem Arbeitnehmer ggf. „nur“ Angebote zu unterbreiten haben.

233. Eine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG war wegen der vollständigen Schließung der Dienststelle zum entbehrlich.

24V. Die Kündigung vom ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil die Streitkräfte kein Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt haben oder die von ihnen erstattete Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 und Abs. 3 KSchG - wie im Übrigen nicht ersichtlich - nicht ordnungsgemäß war. Die Vorschriften des Dritten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes (§§ 17 bis 22 KSchG) fanden nach dessen § 23 Abs. 2 Satz 1 keine Anwendung.

251. Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 KSchG gelten die Vorschriften des Dritten Abschnitts des Gesetzes für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen. Zur öffentlichen Verwaltung zählen auch die Stationierungsstreitkräfte ( - [Nolan] Rn. 34;  - zu I 3 c der Gründe, BAGE 22, 336). Wirtschaftliche Zwecke werden verfolgt, wenn die Dienststelle sich wie ein privatwirtschaftlich geführter Betrieb am - privaten - Wirtschaftsleben beteiligt ( - zu B V 2 der Gründe; APS/Moll 4. Aufl. § 23 KSchG Rn. 43; ErfK/Kiel 16. Aufl. § 17 KSchG Rn. 5). Unter diesen Umständen soll die öffentliche Verwaltung nicht anders behandelt werden als Unternehmen der Privatwirtschaft (Löwisch/Spinner/Wertheimer/Löwisch 10. Aufl. § 23 Rn. 43). Öffentliche Betriebe, die keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgen, unterfallen hingegen nicht den §§ 17 bis 22 KSchG ( - Rn. 63).

262. In der Beschäftigungsdienststelle des Klägers wurden keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgt. Die dort betriebenen Einrichtungen dienten ausschließlich der Versorgung von Mitgliedern der Streitkräfte und ihren Angehörigen. Gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 3 ZA-NTS werden Lieferungen und Leistungen der Truppe an ihre Mitglieder, an die Mitglieder des zivilen Gefolges sowie an deren Angehörige ausdrücklich nicht als Beteiligung am deutschen Wirtschaftsverkehr angesehen.

273. Das Unionsrecht gibt kein anderes Ergebnis vor. Das kann der Senat ohne Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV entscheiden.

28a) Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (- MERL - ABl. L 225 vom S. 16) nimmt Arbeitnehmer öffentlicher Verwaltungen oder von Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach seinem Wortlaut ohne Einschränkung vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus. Die MERL beansprucht deshalb nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs schlechterdings keine Geltung für die Streitkräfte von Drittstaaten und deren zivile Mitarbeiter ( - [Nolan] Rn. 32 ff.).

29b) Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung wird unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (- Betriebsübergangs-Richtlinie - ABl. L 82 vom S. 16) angenommen, dass in die MERL eine den Anwendungsbereich eröffnende Rückausnahme für solche Betriebe der öffentlichen Hand hineinzulesen sei, die wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben (EUArbR/Spelge RL 98/59/EG Art. 1 Rn. 3).

30c) Es kann dahinstehen, ob dem für Betriebe der öffentlichen Verwaltung im Allgemeinen und für solche von Stationierungsstreitkräften im Besonderen zu folgen ist. Die in der Betriebsübergangs-Richtlinie enthaltene Rückausnahme wäre jedenfalls nur eröffnet, wenn in dem betreffenden Betrieb oder der Dienststelle keine Tätigkeiten aufgrund hoheitlicher Befugnisse ausgeübt werden, bei denen in hinreichend qualifizierter Weise von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien oder Zwangsbefugnissen Gebrauch gemacht wird, sondern solche Tätigkeiten, die im Wettbewerb mit den Dienstleistungen von Wirtschaftsteilnehmern stehen, die ihrerseits einen Erwerbszweck verfolgen (st. Rspr.  - [Scattolon] Rn. 44, Slg. 2011, I-7491). Danach wäre die Beschäftigungsdienststelle des Klägers nicht in den Geltungsbereich der MERL gefallen, weil die Streitkräfte die dortigen Versorgungseinrichtungen gemäß Art. 67 ZA-NTS unter Inanspruchnahme erheblicher Sonderrechte und Privilegien hinsichtlich von Zöllen und Einfuhrabgaben und bezüglich der Umsatzsteuer betrieben haben.

31VI. Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen nicht davon ausgehen, die Kündigung vom sei erst nach Abschluss des Mitwirkungsverfahrens gemäß mod. § 72 Abs. 2 BPersVG erklärt worden.

321. Die Streitkräfte haben das Mitwirkungsverfahren nach mod. §§ 79, 72 BPersVG allerdings gegenüber der zuständigen (örtlichen) Betriebsvertretung ordnungsgemäß eingeleitet.

33a) Bei Einleitung des Mitwirkungsverfahrens im November 2013 war die Dienststelle (zum Dienststellenbegriff nach dem ZA-NTS  - Rn. 51) noch nicht mit der Folge vollständig aufgelöst, dass die örtliche Betriebsvertretung nicht mehr existiert oder doch über kein „Vollmandat“ mehr verfügt hätte. Die Schließung der in der Dienststelle betriebenen Versorgungseinrichtungen und die Freistellung der dort beschäftigten Arbeitnehmer mit Ablauf des führte nicht zur Auflösung der Dienststelle. Es fehlte an der Auflösung der ihrem Zweck dienenden Organisation. Die Streitkräfte hatten noch nicht alle aus ihrer Sicht erforderlichen rechtlichen Maßnahmen ergriffen, um die von ihnen organisierte Zusammenarbeit der Arbeitnehmer in der Dienststelle zu beenden ( - zu II 1 c aa der Gründe). Die Arbeitsverhältnisse waren im November 2013 noch nicht einmal gekündigt.

34b) Entgegen der Ansicht des Klägers ließ die einseitige Freistellung aller Mitglieder der Betriebsvertretung von der Arbeitspflicht deren vertragliche Arbeitszeit nicht iSv. mod. § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 14 Abs. 2 Satz 1 BPersVG mit der Folge auf unter 18 Wochenstunden absinken, dass sie ihre Mitgliedschaft im Gremium aufgrund des Verlusts der Wählbarkeit verloren hätten und dieses damit untergegangen wäre.

352. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Mitwirkungsverfahren gemäß mod. § 7 Satz 1 BPersVG durch den Dienststellenleiter eingeleitet worden ist. Die Betriebsvertretung hat die Einleitung durch einen personalvertretungsrechtlich nicht zuständigen Vertreter des Dienststellenleiters nicht beanstandet und abschließend zur Kündigungsabsicht Stellung genommen. Das geht zulasten des Klägers ( - zu II 2 b der Gründe, BAGE 88, 125).

363. Die Betriebsvertretung ist von Frau D über die Kündigungsabsicht vollständig und zutreffend unterrichtet worden.

374. Das Landesarbeitsgericht durfte aber nicht davon ausgehen, das Beteiligungsverfahren sei vor Ausspruch der Kündigung abgeschlossen gewesen.

38a) Nach mod. § 72 Abs. 2 Satz 1 BPersVG gilt eine beabsichtigte ordentliche Kündigung als gebilligt, wenn die - ordnungsgemäß unterrichtete - Betriebsvertretung sich zu der geplanten Maßnahme nicht innerhalb von zehn Arbeitstagen äußert. Die Kündigung darf dann ohne weiteres ausgesprochen werden ( - Rn. 30). Erhebt die Betriebsvertretung hingegen fristgerecht Einwendungen, ist die beabsichtigte Maßnahme vor ihrer Durchführung mit dem Ziel einer Verständigung rechtzeitig und eingehend zu erörtern (§ 72 Abs. 1 BPersVG). Unterbleibt die Erörterung, obwohl die Betriebsvertretung Einwendungen erhoben hat, führt das zur Unwirksamkeit der gleichwohl erklärten Kündigung im Verhältnis zu dem betroffenen Arbeitnehmer ( - Rn. 46 ff., BAGE 119, 181; - 2 AZR 909/94 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 81, 111).

39b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Betriebsvertretung habe sich zu der beabsichtigten Kündigung verspätet geäußert, wird von seinen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen. Die Frist von zehn Arbeitstagen ist im Geltungsbereich des für die Stationierungsstreitkräfte geltenden (modifizierten) BPersVG unter Berücksichtigung einer Fünf-Tage-Woche (Montag bis Freitag) zu berechnen.

40aa) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, über das streitige Vorbringen der Parteien zum Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens der Betriebsvertretung vom im S Personalbüro keinen Beweis erheben zu müssen, weil Arbeitstage iSv. mod. § 72 Abs. 2 Satz 1 BPersVG alle - sechs - Tage seien, an denen in der Beschäftigungsdienststelle des Klägers regelmäßig gearbeitet worden war (ebenso Fischer/Goeres in Fürst GKÖD Stand September 2016 § 69 Rn. 11; Ilbertz/Widmaier/Sommer BPersVG 13. Aufl. § 69 Rn. 11a; Lorenzen/Gerhold BPersVG Stand Oktober 2016 § 69 Rn. 47). Dementsprechend ist es rechtsfehlerhaft vom Ablauf der Äußerungsfrist bereits am ausgegangen.

41bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelten im Bereich des BPersVG als Arbeitstage stets (nur) die Wochentage Montag bis Freitag mit Ausnahme der gesetzlichen Feiertage, weil im öffentlichen Dienst die Fünf-Tage-Woche üblich ist (zu § 25 BPersVG  6 P 10.03 - zu II 3 der Gründe, BVerwGE 119, 138; zu § 16 Abs. 6 BGleiG - 6 A 1.06 - Rn. 23; ebenso Dörner in Richardi/Dörner/Weber BPersVG 4. Aufl. § 25 Rn. 36; Berg in Altvater/Baden/Berg/Kröll/Noll/Seulen BPersVG 9. Aufl. § 69 Rn. 21). Dem schließt sich der Senat im Ergebnis für die Fristberechnung im Bereich der Stationierungsstreitkräfte nach mod. § 72 Abs. 2 Satz 1 BPersVG an. Die Annahme, dass an Tagen, an denen in einer Dienststelle planmäßig gearbeitet wird, typischerweise auch Mitglieder des Personalrats und personalvertretungsrechtlich zuständige Vertreter der Dienststelle anwesend sind und sich mit der beabsichtigten Maßnahme befassen können, könnte allenfalls für solche Tage gelten, an denen die ganz überwiegende Mehrzahl der Belegschaft der Dienststelle regelmäßig arbeitet (so zu §§ 3, 6 WO BetrVG 1952  - zu II 3 der Gründe). Das machte aber bei unterschiedlichen Dienstzeiten eine wertende und damit nicht eindeutige Betrachtung erforderlich, die dem Fristenrecht fremd ist.

42c) Unter Berücksichtigung der Fünf-Tage-Woche für das Verständnis des Begriffs „Arbeitstag“ iSv. mod. § 72 Abs. 2 Satz 1 BPersVG wäre das Mitwirkungsverfahren vor Ausspruch der Kündigung vom nicht abgeschlossen gewesen, wenn das Schreiben der Betriebsvertretung spätestens am Mittwoch, den im Personalbüro in S eingegangen sein sollte. Auf die Qualität und den Inhalt der von der Betriebsvertretung gegen die beabsichtigte Kündigung erhobenen Einwendungen kommt es nicht an, insbesondere war diese nicht auf die in mod. § 79 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 5 BPersVG genannten Gründe beschränkt ( - zu B II 2 der Gründe). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat weder eine Erörterung der Einwendungen zwischen der Dienststellenleitung und der Betriebsvertretung stattgefunden noch eine Absprache zwischen der Dienststelle und der Betriebsvertretung bestanden, nach der eine Erörterung nur auf ausdrücklichen Wunsch der Betriebsvertretung erfolgt ( - Rn. 45, BAGE 119, 181; - 2 AZR 909/94 - zu II 2 c der Gründe, BAGE 81, 111).

43B. Für das weitere Verfahren beschränkt der Senat sich auf folgende Hinweise:

44I. Im Rahmen des Klageantrags zu 1. wird das Landesarbeitsgericht die von den Parteien zum Zeitpunkt des Eingangs des Schreibens der Betriebsvertretung vom im Personalbüro benannten Zeugen K, C, L und B vernehmen müssen. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte die Beweislast dafür trägt, dass das Mitwirkungsverfahren ohne das Erfordernis einer Erörterung abgeschlossen war, weil das Schreiben nicht vor dem in S eingegangen ist. Allerdings müsste ein früherer Eingang nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit absoluter Sicherheit, sondern nur mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit ausgeschlossen sein (§ 286 Abs. 1 ZPO;  - Rn. 8).

45II. Sollte der Klageantrag zu 1. abzuweisen sein, stellte sich der Klageantrag zu 2. entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht als unzulässig, sondern als unbegründet dar. Würde dem Klageantrag zu 1. stattgegeben werden, dürfte auch der Klageantrag zu 2. begründet sein. Die Beklagte hat sich ausdrücklich jeden Vortrags zur Wirksamkeit der Kündigung vom enthalten.

46III. Der allein noch auf den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch gestützte Klageantrag zu 3. fiele zur Entscheidung an, wenn beiden Kündigungsschutzanträgen stattgegeben werden sollte. Der Kläger wird klarstellen müssen, was er - im Rahmen eines Weiterbeschäftigungsantrags - mit „den bisherigen Bedingungen“ meint und ob der Antrag tatsächlich auf einen Einsatz als Betriebsmechaniker zielen soll. Nach gegenwärtigem Stand dürfte sich der Antrag wegen der Auflösung der Dienststelle H als unbegründet erweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:151216.U.2AZR867.15.0

Fundstelle(n):
UAAAG-38911