Urlaubsentgelt nach dem TV-Ärzte/VKA
Gesetze: Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003, § 1 BUrlG, § 3 Abs 1 BUrlG, § 11 Abs 1 BUrlG, § 13 Abs 1 BUrlG, § 22 TV-Ärzte/VKA, § 27 Abs 1 TV-Ärzte/VKA
Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 8 Ca 403/14 Ö Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 4 Sa 74/15 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Höhe des dem Kläger nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom (TV-Ärzte/VKA) zustehenden Urlaubsentgelts.
2Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten als Oberarzt beschäftigt. Gemäß § 3 des Dienstvertrags vom richtet sich das Vertragsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrags vom (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung.
3Der TV-Ärzte/VKA enthält ua. folgende Regelungen:
4Der Kläger war zuletzt in die Entgeltgruppe III Stufe 3 TV-Ärzte/VKA eingruppiert. Seine regelmäßige Arbeitszeit erbrachte er montags bis donnerstags von 08:00 Uhr bis 16:45 Uhr und freitags von 08:00 Uhr bis 15:30 Uhr. Darüber hinaus leistete er regelmäßig Rufbereitschaft. Hierzu wurde er über einen Dienstplan eingeteilt, der jeweils einen Zeitraum von sechs Wochen abdeckte. Im ersten Quartal 2014 wurde der Kläger aus der Rufbereitschaft zu mehreren Einsätzen im Krankenhaus gerufen. Die Beklagte vergütete diese Einsatzzeiten einschließlich der Wegezeiten wie Überstunden.
5Vom 5. bis zum hatte der Kläger 13 Tage Urlaub. Bei der Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigte die Beklagte das für die tatsächliche Inanspruchnahme während der im Berechnungszeitraum geleisteten Rufbereitschaft gezahlte Entgelt nicht.
6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte auf der Grundlage von § 22 iVm. § 27 TV-Ärzte/VKA für die gewährten 13 Tage Urlaub ein zusätzliches Urlaubsentgelt iHv. 136,73 Euro brutto je Urlaubstag hätte gewähren müssen. Die für die Inanspruchnahmen während der Rufbereitschaft geleistete Vergütung sei kein iSv. § 22 Satz 3 TV-Ärzte/VKA „zusätzlich für Überstunden gezahltes Entgelt“. Er dürfe während des Urlaubs finanziell nicht schlechtergestellt werden, als wenn er regulär gearbeitet hätte.
7Der Kläger hat beantragt,
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, das Entgelt für Inanspruchnahmen während der Rufbereitschaft sei gemäß § 22 Satz 3 TV-Ärzte/VKA nicht in das Referenzentgelt für die Entgeltfortzahlung einzubeziehen. Es handele sich um Überstunden iSd. § 9 Abs. 5 TV-Ärzte/VKA. Rufbereitschaft und die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft zählten nicht zur regelmäßigen Arbeitszeit des Klägers. Dies folge aus § 10 Abs. 8 TV-Ärzte/VKA. Dieses Verständnis sei von § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG gedeckt, dem zufolge bei der Bemessung des Urlaubsentgelts ebenfalls ein zusätzlich für Überstunden gezahlter Arbeitsverdienst außer Betracht bleibe.
9Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.
Gründe
10Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.
11A. Der Kläger hat für den Zeitraum vom 5. bis zum gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 22 TV-Ärzte/VKA einen Anspruch auf weiteres Urlaubsentgelt (Entgeltfortzahlung für Urlaubszeiten) iHv. 1.777,49 Euro brutto.
12I. Der TV-Ärzte/VKA findet auf das Arbeitsverhältnis aufgrund der Bezugnahmeklausel in § 3 des Dienstvertrags vom Anwendung. Gemäß § 2 des Tarifvertrags zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern in den TV-Ärzte/VKA und zur Regelung des Übergangsrechts vom hat der TV-Ärzte/VKA den BAT vom und die ihn ergänzenden Tarifverträge der VKA mit Wirkung vom ersetzt.
13II. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 TV-Ärzte/VKA haben Ärztinnen und Ärzte in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 22 TV-Ärzte/VKA). Nicht in Monatsbeträgen festgelegte Entgeltbestandteile werden als Durchschnitt auf Basis der letzten drei vollen Kalendermonate, die dem maßgebenden Ereignis vorhergehen, gezahlt (§ 22 Satz 2 TV-Ärzte/VKA). Hiervon nimmt § 22 Satz 3 TV-Ärzte/VKA das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt aus, soweit es sich nicht um im Dienstplan vorgesehene Überstunden handelt.
14III. Hiernach ist das für Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft zustehende Entgelt bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung für Urlaubszeiten in das Referenzentgelt gemäß § 22 TV-Ärzte/VKA einzubeziehen. Dies folgt aus dem Gebot der gesetzeskonformen Auslegung von Tarifnormen.
151. Entgegen der Auffassung der Revision kann dahinstehen, ob das für Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft zustehende Entgelt entsprechend der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bereits nach den allgemeinen Grundsätzen für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags (vgl. hierzu - Rn. 15 mwN) in das Referenzentgelt gemäß § 22 TV-Ärzte/VKA einzubeziehen ist (dagegen - Rn. 15, BAGE 145, 1 [zu § 21 TV-L, nach dessen Wortlaut aus dem Referenzentgelt das zusätzlich gezahlte Entgelt für Überstunden und Mehrarbeit, mit Ausnahme der im Dienstplan vorgesehenen Mehrarbeits- oder Überstunden sowie etwaiger Überstundenpauschalen, ausgenommen ist]).
162. Das Gebot der gesetzeskonformen Auslegung von Tarifnormen verbietet ein Verständnis des § 22 Satz 3 TV-Ärzte/VKA dahin, dass die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft jedenfalls bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung für Urlaubszeiten unberücksichtigt bleiben. Ein solches Verständnis wäre mit dem Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nach § 1 BUrlG in einer unionsrechtskonformen Auslegung nicht vereinbar. Der Kläger erhielte während seines Jahresurlaubs nicht sein gewöhnliches Entgelt, wenn an ihn für jeden Urlaubstag ein gegenüber den Zeiten geleisteter Arbeit um 136,73 Euro brutto vermindertes Urlaubsentgelt gezahlt würde.
17a) Tarifnormen sind grundsätzlich so auszulegen, dass sie nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht geraten. Tarifvertragsparteien wollen im Zweifel Regelungen treffen, die mit zwingendem höherrangigen Recht in Einklang stehen und damit auch Bestand haben. Lässt eine Tarifnorm eine Auslegung zu, die zu einem mit höherrangigem Recht zu vereinbarenden Ergebnis führt, ist sie in diesem Sinne anzuwenden ( - Rn. 19 mwN, BAGE 144, 263).
18b) Eine Nichtberücksichtigung der Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft bei der Berechnung des Urlaubsentgelts verstieße gegen § 1 BUrlG.
19aa) Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses Anspruchs genügt es daher nicht, dass der Arbeitnehmer in der Zeit des Urlaubs nicht arbeiten muss. Das Gesetz verlangt, dass die Zeit der Freistellung von der Arbeit „bezahlt“ sein muss. § 1 BUrlG entspricht insoweit der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie) und ist damit einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich ( - Rn. 21 mwN, BAGE 150, 355). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bedeutet der in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie enthaltene Begriff des „bezahlten“ Jahresurlaubs, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne der Richtlinie weiterzugewähren ist. Der Arbeitnehmer muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten ( - [Lock] Rn. 16; - C-155/10 - [Williams ua.] Rn. 19, Slg. 2011, I-8409; - C-131/04 - [Robinson-Steele ua.] Rn. 50, Slg. 2006, I-2531). Die Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs. Durch das Erfordernis der Zahlung des Urlaubsentgelts soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist ( - [Lock] Rn. 17 mwN). Dabei muss jede Unannehmlichkeit, die untrennbar mit der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben verbunden ist und durch einen in die Berechnung des Gesamtentgelts des Arbeitnehmers eingehenden Geldbetrag abgegolten wird, zwingend Teil des Betrags sein, auf den der Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs Anspruch hat ( - [Lock] Rn. 29). Demgegenüber können Entgeltbestandteile, die ausschließlich gelegentlich anfallende Kosten oder Nebenkosten decken sollen, die bei der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben entstehen, unberücksichtigt bleiben ( - [Lock] Rn. 31).
20bb) Danach sind Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft in die Berechnung des Urlaubsentgelts einzubeziehen. Die aus der Rufbereitschaft heraus zu leistenden Arbeitseinsätze zählen zu den dem Kläger nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben. Dieser ist nach § 10 Abs. 8 Satz 1 TV-Ärzte/VKA zur Leistung von Rufbereitschaft und somit bei Abruf zur Aufnahme der Arbeit verpflichtet. Die hierfür gezahlte Vergütung gehört zum gewöhnlichen Arbeitsentgelt des Klägers und ist damit Bestandteil des Urlaubsentgelts.
21c) Ein Normverständnis, dem zufolge die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft bei der Berechnung des Urlaubsentgelts unberücksichtigt blieben, wird vorliegend nicht durch die allgemeine Öffnungsklausel für Tarifverträge in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG getragen.
22aa) Nach § 13 Abs. 1 BUrlG können die Tarifvertragsparteien von den Bestimmungen des BUrlG auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer abweichen. Ausgenommen sind aber die §§ 1, 2 und § 3 Abs. 1 BUrlG. Tarifverträge dürfen die aus § 1 BUrlG folgende Entgeltfortzahlungspflicht nicht durch eine von § 11 Abs. 1 BUrlG abweichende Berechnung der weiterzuzahlenden Vergütung mindern. Die Tarifvertragsparteien können jedoch jede Berechnungsmethode wählen, die geeignet ist, ein Urlaubsentgelt sicherzustellen, wie es der Arbeitnehmer bei Weiterarbeit ohne Freistellung voraussichtlich hätte erwarten können ( - Rn. 20; - 9 AZR 510/09 - Rn. 19, BAGE 135, 301). Bei der Prüfung der Frage, ob die Tarifvertragsparteien Regelungen getroffen haben, die sich im Rahmen des § 13 Abs. 1 BUrlG halten, ist abstrakt darauf abzustellen, ob die Gesamtheit der tariflichen Regelungen, die die Höhe des Urlaubsentgelts bestimmen (Zeit- und Geldfaktor), die aufgezeigten Grenzen überschreitet oder nicht. Nicht einzubeziehen in diesen abstrakten Günstigkeitsvergleich sind über das BUrlG hinaus gewährte zusätzliche Leistungen, wie zB ein zusätzliches Urlaubsgeld oder eine die Mindestdauer überschießende Anzahl von Urlaubstagen ( - aaO; - 9 AZR 887/08 - Rn. 16).
23bb) Die Nichtberücksichtigung der Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft wiche von der Regelung in § 1 BUrlG ab. Die Vorschrift erhält für die Dauer des gesetzlichen Mindesturlaubs den Anspruch auf Vergütung der infolge des Urlaubs ausfallenden Arbeitszeit aufrecht ( - Rn. 17 mwN). Werden die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft bei der Berechnung des Urlaubs nicht berücksichtigt, wird dem Arbeitnehmer das hierfür zustehende Urlaubsentgelt vorenthalten. Der durch den Urlaub ausfallende Teil der Arbeitszeit (sog. Zeitfaktor) gehört zu dem unabdingbaren Teil der Bezahlung iSd. §§ 1, 3 BUrlG. Die in § 1 BUrlG begründete Verpflichtung des Arbeitgebers, grundsätzlich alle infolge der Arbeitsbefreiung ausfallenden Arbeitsstunden zu vergüten, hat weder in § 11 Abs. 1 BUrlG noch an anderer Stelle im BUrlG eine einschränkende Regelung erfahren. Deshalb kann der Zeitfaktor, der zugleich auch den Multiplikator für das Urlaubsentgelt iSd. § 11 BUrlG darstellt, selbst von den Tarifvertragsparteien nicht zulasten des Arbeitnehmers verändert werden. Die Berücksichtigung der tatsächlich ausfallenden Arbeitsstunden ist dem Arbeitnehmer nach §§ 1, 3, 13 BUrlG garantiert ( - aaO mwN).
24d) Gegen die Höhe des für jeden Urlaubstag zu zahlenden Urlaubsentgelts richtet sich die Revision nicht. Es beläuft sich auf rechnerisch unstreitige 136,73 Euro brutto.
25IV. Der Anspruch auf weiteres Urlaubsentgelt für 13 Urlaubstage in der Zeit vom 5. bis zum beträgt 1.777,49 Euro brutto.
26B. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 25 Abs. 1 Satz 3 TV-Ärzte/VKA.
27C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:200916.U.9AZR429.15.0
Fundstelle(n):
BB 2016 S. 3060 Nr. 50
ZAAAF-87797