Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gemäß § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG für bereits festsetzungsverjährte Jahre
Leitsatz
1. Für bereits festsetzungsverjährte Jahre ist ein verbleibender Verlustvortrag gemäß § 10d Abs. 4 Satz 6 2. Halbsatz EStG, § 181 Abs. 5 AO nur dann festzustellen, wenn das Finanzamt keinen Verlustfeststellungsbescheid erlassen hat, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, etwa weil ihm die Verluste aus einer Steuererklärung bekannt waren.
2. Die Regelung des § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2007, wonach § 181 Abs. 5 AO für alle bei Inkrafttreten des JStG 2007 am noch nicht abgelaufenen Feststellungsfristen anwendbar ist, ist verfassungsgemäß. Sie enthält keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung.
Gesetze: EStG § 10d Abs. 4 Satz 6, EStG § 52 Abs. 25 Satz 5, AO § 181 Abs. 5, GG Art. 20 Abs. 3
Instanzenzug: , ,
Tatbestand
1 I. Im Streit ist die Durchführung der gesonderten Feststellung des vortragsfähigen Verlusts zur Einkommensteuer auf den .
2 Dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) entstanden im Streitjahr 1999 Aufwendungen für ein Studium. Nach Abschluss des Studiums war der Kläger berufstätig und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Mit Schreiben vom beantragte der Kläger die Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf den . In der gleichzeitig für 1999 eingereichten Einkommensteuererklärung machte der Kläger Kosten für das Studium in Höhe von 9.960 DM als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Den Antrag auf Verlustfeststellung lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) am ab.
3 Der Kläger legte dagegen Einspruch ein und bezifferte die geltend gemachten Aufwendungen mit insgesamt 11.584 DM. Am erließ das FA einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum . Der verbleibende Verlustabzug zum in Höhe von 16.639 DM wurde auf den fortgeführt.
4 Mit Einspruchsentscheidung vom wies das FA den Einspruch gegen die Ablehnung der Durchführung einer Verlustfeststellung vom in Gestalt des Änderungsbescheids vom als unbegründet zurück. Die Feststellungsfrist habe mit Ablauf des geendet; sie sei daher im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bereits abgelaufen gewesen. Die Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007) vom (BGBl I 2006, 2878) gelte gemäß § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2007 für den Feststellungszeitraum 1999. Da die Nichtdurchführung der Verlustfeststellung nicht auf einem pflichtwidrigen Unterlassen des FA beruht habe, finde § 181 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) im Streitfall keine Anwendung.
5 Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) bestätigte die Auffassung des FA, auf den sei bereits Feststellungsverjährung eingetreten und damit ein Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids ausgeschlossen. Der Antrag des Klägers sei erst nach Eintritt der Feststellungsverjährung gestellt worden. Gemäß § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 sei die gesonderte Feststellung auch nicht nach § 181 Abs. 5 AO zulässig, da das FA die Feststellung des Verlustvortrags nicht pflichtwidrig unterlassen habe. Der Verlust sei erst am und damit nach Ablauf der Feststellungsfrist geltend gemacht worden. § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG i.d.F. des JStG 2007 gelte für alle bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht abgelaufenen Feststellungsfristen (§ 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2007). Da die Feststellungsfrist mit Ablauf des geendet habe, sei sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens des JStG 2007 am noch nicht abgelaufen gewesen. § 10d Abs. 4 Satz 6 und § 52 Abs. 25 Satz 5 EStG, jeweils i.d.F. des JStG 2007, verstießen auch nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) abgeleitete Rückwirkungsverbot.
6 Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Er trägt im Wesentlichen vor, es sei verfassungsrechtlich nicht zulässig, die seit 40 Jahren geltende Regelung des § 181 Abs. 5 AO, die vom Gesetzgeber, den Gerichten, der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen akzeptiert und gelebt worden sei, im Dezember 2006 mit Rückwirkung auf den Feststellungszeitraum 1999 zu ändern. Weder durch das (BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681) noch durch das (BFHE 214, 492, BStBl II 2007, 921) sei die Rechtslage geändert worden. Vielmehr sei lediglich der Gesetzeswortlaut des § 181 Abs. 5 AO und damit die bestehende Rechtslage bestätigt worden. Zudem habe er seinen Antrag auf Verlustfeststellung bereits zwölf Monate nach Inkrafttreten der Neuregelung gestellt.
7 Der Kläger beantragt,
das aufzuheben und unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom und Änderung des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum vom und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom das FA zu verpflichten, den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer zum auf 28.223 DM (14.430 €) festzustellen.
8 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
9 II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
10 Zutreffend hat es das FG abgelehnt, einen höheren verbleibenden Verlustabzug auf den festzustellen. Denn im Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Erlass des Verlustfeststellungsbescheids auf den gestellt wurde, war bereits Feststellungsverjährung eingetreten (1.). Eine Ablaufhemmung nach § 181 Abs. 5 AO kommt mit Blick auf § 10d Abs. 4 Satz 6 2. Halbsatz EStG i.d.F. des JStG 2007 nicht in Betracht (2.). Die durch § 10d Abs. 4 Satz 6 2. Halbsatz EStG i.d.F. des JStG 2007 angeordnete Nichtanwendung des § 181 Abs. 5 AO ist auch von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (3.).
11 1. Da der Kläger für das Streitjahr 1999 zunächst keine Feststellungserklärung abgegeben hatte, endete die Feststellungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 AO für den Feststellungszeitraum 1999 mit Ablauf des . Darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Der Antrag des Klägers vom ist damit erst nach Eintritt der Feststellungsverjährung gestellt worden.
12 2. Eine Ablaufhemmung nach § 181 Abs. 5 AO kommt nicht in Betracht. Diese Norm ist im Streitfall wegen § 10d Abs. 4 Satz 6 2. Halbsatz EStG i.d.F. des JStG 2007 nicht anwendbar.
13 a) Nach § 181 Abs. 5 Satz 1 AO ist ein zum Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibender Verlustabzug auch nach Ablauf der für seine gesonderte Feststellung geltenden Feststellungsfrist gesondert festzustellen, wenn dies für einen späteren Einkommensteuer- oder Feststellungsbescheid nach § 10d EStG von Bedeutung ist, für den die Festsetzungs- oder Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist. § 181 Abs. 5 AO ist nach § 10d Abs. 4 Satz 6 2. Halbsatz EStG i.d.F. des JStG 2007 jedoch nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat. Da § 10d Abs. 4 Satz 6 2. Halbsatz EStG gemäß § 52 Abs. 25 Satz 5 jeweils i.d.F. des JStG 2007 für alle bei Inkrafttreten des JStG 2007 am (vgl. Art. 20 Abs. 1 JStG 2007) noch nicht abgelaufenen Feststellungsfristen anwendbar ist, gilt die Vorschrift auch im Streitfall. § 181 Abs. 5 AO bleibt aber anwendbar, wenn das FA keinen Verlustfeststellungsbescheid erlassen hat, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, etwa weil ihm die Verluste aus einer Steuererklärung bekannt waren (vgl. u.a. , BFH/NV 2014, 1206, m.w.N.).
14 b) Im Streitfall hat das FA zwar die vom Kläger auf der Grundlage der aufgewandten Studienkosten begehrte erhöhte Feststellung des Verlustvortrags auf den unterlassen. Dies geschah aber nicht pflichtwidrig. Denn vor Ablauf der Feststellungsfrist lag dem FA keine Feststellungserklärung vor, und der Kläger hatte vor Ablauf der Frist auch keine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr abgegeben, auf deren Mantelbogen die Durchführung einer Verlustfeststellung beantragt worden war. Das FA hat daher zu Recht im Bescheid vom über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den nur den festgestellten Verlustvortrag zum unverändert fortgeführt. Denn der Verlustfeststellungsbescheid des Vorjahres ist Grundlagenbescheid (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 171 Abs. 10 AO) für den Verlustfeststellungsbescheid auf den nachfolgenden Feststellungszeitpunkt, so dass nach § 171 Abs. 10 Satz 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO der Erlass des Bescheids vom als Folgebescheid mit dem dort enthaltenen Verlustbetrag möglich war (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 33. Aufl., § 10d Rz 41; zur Möglichkeit der Verlustfeststellung für den Feststellungszeitpunkt vgl. , BFHE 222, 32, BStBl II 2009, 816, unter II.2.c bb, und vom IX R 89/07, BFH/NV 2009, 762).
15 3. Die Regelung des § 52 Abs. 25 Satz 5 i.d.F. des JStG 2007, wonach § 181 Abs. 5 AO für alle bei Inkrafttreten des JStG 2007 am (vgl. Art. 20 Abs. 1 JStG 2007) noch nicht abgelaufenen Feststellungsfristen anwendbar ist, ist auch verfassungsgemäß. Entgegen der Ansicht des Klägers enthält die Regelung des § 52 Abs. 25 Satz 5 i.d.F. des JStG 2007 keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung.
16 a) Selbst wenn man eine Rückwirkung durch das Inkraftsetzen von § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG durch § 52 Abs. 25 Satz 5 i.d.F. des JStG 2007 annehmen würde, weil der zur Verlustfeststellung führende Verlust mehr als sechs Jahre vor der Gesetzesänderung entstanden ist und dem Kläger für den streitigen Feststellungszeitraum 1999 bis zum Inkrafttreten der Neuregelung im Dezember 2006 die Möglichkeit der Verlustfeststellung offen gestanden hat (vgl. insoweit für verfassungswidrige Rückwirkung , Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung 2008, 129; Kube, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2011, 1829, 1832), ist die Rückwirkung im Rahmen der Abwägung zwischen den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen (vgl. dazu BTDrucks 16/2712, S. 44 f.) und dem Vertrauen des Klägers von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
17 Die Möglichkeit einer nachträglichen Verlustfeststellung für Jahre, bei denen die siebenjährige Feststellungsverjährung bereits eingetreten ist, ist dem Kläger erst durch die BFH-Urteile in BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681, vom XI R 33/04, BFHE 212, 497, BStBl II 2007, 919 und in BFHE 214, 492, BStBl II 2007, 921 und die damit verbundene Anwendung des § 181 Abs. 5 AO eingeräumt worden. Mit der Einfügung des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG hat der Gesetzgeber die vor Ergehen dieser BFH-Entscheidungen und damit auch im Streitjahr geltende und nicht weiter umstrittene, unklare oder verworrene Rechtslage wiederhergestellt. Vor Ergehen der o.g. BFH-Urteile wurde übereinstimmend eine Anwendung des § 181 Abs. 5 AO und damit die erstmalige Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs abgelehnt, wenn für das Jahr der Verlustentstehung Festsetzungs- und Feststellungsverjährung eingetreten waren (vgl. H 115 „Feststellungsbescheid“ des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs —EStH— 2001; Kurzinformation Einkommensteuer Nr. 011/2005, DStR 2005, 786 sowie Gatzka/Wilhelm, DStR 2005, 1794 und BTDrucks 16/2712, S. 43 f.). Dem Gesetzgeber ist es im Rahmen der Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und dem Vertrauen des Einzelnen in den Fortbestand der Rechtslage in diesem Fall nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (vgl. Beschlüsse des , 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76, unter C.II.1.c, und vom 2 BvL 5/10, BVerfGE 131, 20, unter B.I.2.b bb(2); für Verfassungsmäßigkeit der Regelung auch Heuermann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d Rz A 90, A 289, D 112). Ungeachtet der verfahrensrechtlichen Rechtslage konnte der Kläger nach der im streitigen Feststellungszeitraum geltenden herrschenden materiell-rechtlichen Rechtsauffassung die Aufwendungen zudem ohnehin nicht steuerlich geltend machen. Denn Aufwendungen für eine berufliche Erstausbildung wurden nach der 1999 geltenden herrschenden Rechtsauffassung nur als begrenzt abziehbare Sonderausgaben eingestuft und waren einer Verlustfeststellung nicht zugänglich (vgl. u.a. , BFHE 169, 436, BStBl II 1993, 108, unter II.1.; R 34 der Lohnsteuer-Richtlinien 1999; H 103 (Studium) EStH 1999).
18 b) Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass ihm im Hinblick auf die mit Ablauf des eintretende Feststellungsverjährung für den Feststellungszeitraum 1999 nach Inkrafttreten des JStG 2007 am nur noch wenige Tage geblieben waren, um einen Antrag auf Verlustfeststellung zu stellen. Denn der Kläger hatte nach Veröffentlichung der BFH-Entscheidungen in BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681 und in BFHE 212, 497, BStBl II 2007, 919 ausreichend Zeit, um auf der Grundlage dieser Entscheidungen die ihm entstandenen Verluste verfahrensrechtlich geltend zu machen. Gleichwohl hat der Kläger die Anträge auf Verlustfeststellung erst am —mithin mehr als ein Jahr nach Inkrafttreten der Neuregelung und mehr als elf Monate nach Eintritt der Feststellungsverjährung— gestellt.
19 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 1089 Nr. 8
StBW 2015 S. 687 Nr. 18
VAAAE-93755