Steuerfreie Einnahmen aus der Aufnahme von Pflegepersonen in den eigenen Haushalt
Leitsatz
1. Leistungen, die aus öffentlichen Mitteln der Jugendhilfe für die Aufnahme von Pflegepersonen in einen Haushalt über Tag und Nacht als Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII gewährt werden, sind auch dann eine steuerfreie Beihilfe zur Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 EStG, wenn die Betreuung über privatrechtliche Institutionen durch Verträge mit den Erziehungsstellen abgewickelt wird und im Rahmen dieser Vertragsbeziehungen die öffentlichen Mittel von den Institutionen an die Erzieher —wie im Streitfall für die Aufnahme von ein bis zwei Pflegekindern— ausgezahlt werden.
2. Die Auffassung, bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern sei die Pflege regelmäßig nicht als erwerbsmäßig anzusehen und diene deshalb unmittelbar der Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 EStG (, BStBl I 2007, 824 zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII), ist nicht zu beanstanden.
3. Privathaushalte der Erzieher sind keine Einrichtungen i.S. des § 34 SGB VIII, für die keine steuerfreien Beihilfen i.S. des § 3 Nr. 11 EStG in Betracht kommen.
4. Sonstige betreute Wohnformen i.S. des § 34 SGB VIII sind nur gegeben, wenn sie als Einrichtung einen institutionalisierten Rahmen für die Betreuung bieten; dazu gehören nicht lediglich angemietete Wohnungen oder die bloße Überlassung von Wohnraum wie z.B. eines Zimmers im Haushalt der betreuenden Person.
Gesetze: EStG § 3 Nr. 11; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 3; SGB VIII § 33; SGB VIII § 34;
Instanzenzug: (EFG 2012, 103),
Tatbestand
1 I. Die Beteiligten streiten über die Steuerpflicht von Entgelten, die die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) von einer Firma für die Vollzeitbetreuung eines fremden Kindes bezieht.
2 Die Klägerin schloss mit einer Firma im Jahr 2005 einen Vertrag zur Vollzeitbetreuung eines Kindes in ihrem Familienhaushalt ab. In diesem Zusammenhang wurde eine Honorar- und Sachkostenvereinbarung geschlossen, wonach die Klägerin ein Tageshonorar von 83,82 € zuzüglich von Sachkostenpauschalen in Höhe von 27,06 € (ohne Supervision) bzw. 32,09 € (mit Supervision) erhalten sollte. In den Jahren 2006 und 2008 schloss die Klägerin vergleichbare Verträge für zwei weitere Kinder ab.
3 Auf der Grundlage einer eingereichten Einkommensteuererklärung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) am einen Einkommensteuerbescheid für 2006. Mit Datum vom gleichen Tage erließ es darüber hinaus einen Vorauszahlungsbescheid zur Einkommensteuer für 2007 sowie einen Vorauszahlungsbescheid ab dem III. Quartal 2008 sowie für das Jahr 2009. Dabei behandelte das FA die Zahlungen für die Betreuung der Kinder unter Abzug der darauf bezogenen Ausgaben der Klägerin als steuerpflichtigen Gewinn.
4 Gegen die Einkommensteuerveranlagung für 2006 wandte sich die Klägerin mit der unter dem Aktenzeichen 10 K 1122/09 vor dem Finanzgericht (FG) geführten Klage vom und erweiterte diese am im Hinblick auf die festgesetzten Vorauszahlungen für 2007 und 2008. Das dazu ergangene Urteil des FG ist Gegenstand des vor dem Senat anhängigen Revisionsverfahrens VIII R 30/11.
5 Mit Klage vom wandte sich die Klägerin darüber hinaus gegen die Festsetzung der Einkommensteuervorauszahlung für die Jahre ab 2009 mit der Begründung, die Einnahmen aus ihrer Erziehertätigkeit seien nach § 3 Nr. 11 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei.
6 Das FG wies die Klage gegen die Festsetzung von Einkommensteuervorauszahlungen ab dem Jahr 2009 mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 103 veröffentlichten Urteil vom 10 K 1229/09 als unbegründet ab, weil die streitigen Entgelte nicht nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei seien.
7 Die Klägerin habe im Streitzeitraum keine Erziehungsleistungen i.S. des § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII), sondern solche i.S. des § 34 SGB VIII erbracht. Ihr Vortrag, als ausgebildete Erzieherin für das Angebot von Leistungen i.S. des § 34 SGB VIII schon fachlich nicht geeignet zu sein, sei unerheblich, weil die tatsächliche Durchführung der Betreuungsverhältnisse auf der Grundlage des § 34 SGB VIII sozialrechtliche Tatbestandswirkung habe.
8 Während des Revisionsverfahrens hat das FA die Einkommensteuer gegen die Klägerin mit Einkommensteuerbescheiden für 2009 und 2010 vom abweichend von ihrer Erklärung unter Ansatz steuerbarer Einkünfte aus ihrer erzieherischen Tätigkeit in Höhe von 33.447 € (2009) sowie in Höhe von 28.775 € (2010) festgesetzt.
9 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 3 Nr. 11 EStG sowie die Verletzung rechtlichen Gehörs.
10 Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Einkommensteuer für 2009 und 2010 unter Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2009 und 2010 vom ohne Ansatz der Einnahmen der Klägerin aus ihrer erzieherischen Tätigkeit festzusetzen.
11 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
12 Das FG-Urteil entspreche der bisherigen gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Der BFH habe zuletzt mit Urteil vom III R 92/06 (BFHE 224, 542, BStBl II 2010, 345) bestätigt, dass die ertragsteuerliche Würdigung unterschiedlicher Betreuungsformen gerechtfertigt sei.
13 Zu dem Beihilfecharakter der Leistungen an die Klägerin habe der BFH bereits mit Urteil vom XI R 11/98 (BFHE 187, 39, BStBI II 1999, 133) ausgeführt, dass er nur bei uneigennützig gewährten Unterstützungsleistungen zu bejahen sei. Nach dem (BFHE 141, 154, BStBI II 1984, 571) seien Leistungen zudem nur dann Pflegegelder, wenn sie nicht als Ersatz des zeitlichen und sachlichen Aufwands dienten und somit Zahlungen ähnelten, die auch leibliche Eltern für die Erziehung ihrer Kinder erhielten.
14 Für den Streitfall wesentlich sei, dass die hier vorgenommene Abrechnung nach Tagessätzen stets ein fiktives Gehalt enthalte und damit die Leistungen im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäftes erbracht würden.
Gründe
15 II. Die Revision ist begründet.
16 Das angefochtene Urteil ist aufzuheben; die zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Einkommensteuerbescheide des FA für 2009 und 2010 vom sind in der Weise zu ändern, dass die Einkommensteuer für 2009 und 2010 jeweils ohne Ansatz der Einnahmen der Klägerin aus ihrer erzieherischen Tätigkeit festgesetzt wird (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
17 1. Auf die Revision der Klägerin ist die Vorentscheidung schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil an die Stelle der mit der Klage angefochtenen Vorauszahlungsbescheide für die Jahre 2009 und 2010 nach Einlegung der Revision gegen das dazu ergangene Urteil die Einkommensteuerbescheide vom für diese beiden Streitjahre getreten sind.
18 Damit liegen dem FG-Urteil in ihrer Wirkung obsolet gewordene Bescheide zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand haben kann (s. dazu , BFHE 216, 199, BStBl II 2007, 568; vom VIII R 13/89, BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734; vom IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43, und vom IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).
19 Die Einkommensteuerbescheide für 2009 und 2010 vom wurden nach § 68 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens (, BFHE 190, 67, BStBl II 2000, 454, m.w.N.).
20 Da sich hinsichtlich des Streitpunkts durch den Erlass der Einkommensteuerbescheide keine Änderungen ergeben haben und die Klägerin auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind. Sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die nach den §§ 126 Abs. 2, 121, 100 FGO in der Sache selbst zu treffende Entscheidung des Senats (BFH-Urteile in BFHE 216, 199, BStBl II 2007, 568, und in BFHE 174, 328, BStBl II 1994, 734; in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43, und in BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).
21 2. Die angefochtenen Bescheide sind aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen.
22 Zu Unrecht haben FG und FA die Steuerfreiheit der Einnahmen verneint, die die Klägerin aus ihrer dem Grunde nach den Einkünften aus sonstiger selbständiger Arbeit zurechenbaren Erziehertätigkeit erzielt hat.
23 Nach § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind u.a. Bezüge aus öffentlichen Mitteln steuerfrei, die als Beihilfe zu dem Zweck bewilligt werden, die Erziehung unmittelbar zu fördern.
24 a) Öffentliche Mittel sind solche, die aus einem öffentlichen Haushalt stammen, d.h. haushaltsmäßig als Ausgaben festgelegt und verausgabt werden (, BFHE 106, 438, BStBl II 1972, 839; vom I R 251/72, BFHE 115, 374, BStBl II 1975, 577).
25 Diese Voraussetzung ist auch gewahrt, wenn die derart in einem Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel nicht unmittelbar aus einer öffentlichen Kasse, sondern mittelbar über Dritte gezahlt werden, sofern über die Mittel nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann und ihre Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt (vgl. , BFHE 139, 536, BStBl II 1984, 113; vom VI R 128/99, BFH/NV 2005, 22).
26 Die Pflege- und Erziehungsgelder werden im Rahmen der öffentlichen Jugendhilfe von den Jugendämtern gezahlt. Ihrer Zuordnung zu Zahlungen „aus öffentlichen Mitteln” steht nach der Rechtsprechung nicht entgegen, dass zur Begründung von Pflegeverhältnissen u.a. der Abschluss zivilrechtlicher Pflegeverträge —z.B. zwischen Jugendamt und Pflegeeltern— für erforderlich gehalten wird. Die mit dem Abschluss solcher Verträge verbundenen Zahlungen an Pflege- und Erziehungsgeldern stellen trotz der in zivilrechtliche Form gekleideten Übertragung des Erziehungsrechts eine haushaltsplanmäßige Verausgabung „öffentlicher Mittel” dar (BFH-Urteil in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571).
27 b) Eine unmittelbare Förderung der Erziehung im Sinne der Vorschrift liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn die Zuwendungen öffentlicher Mittel die Erziehung ohne ein Dazwischentreten weiterer Ereignisse beeinflussen.
28 aa) Dies ist insbesondere für Zahlungen zu bejahen, mit denen die Zahlungsempfänger der Notwendigkeit des Gelderwerbs zum Lebensunterhalt enthoben und dadurch zeitlich in die Lage versetzt werden, sich der Erziehung zu widmen (, BFHE 214, 69, BStBl II 2006, 755, unter Bezugnahme auf die , BFHE 105, 374, BStBl II 1972, 566, und in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571; vgl. von Beckerath, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 11 Rz B 11/49).
29 Die Erziehung im Sinne der Vorschrift als „planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen” erfasst alle Bestrebungen, Vorgänge und Tätigkeiten, die den Entwicklungsvorgang beeinflussen (vgl. , BFHE 183, 488, BStBl II 1997, 652; vom XI R 9/98, BFH/NV 1999, 600; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 3 Nr. 11 EStG Rz 7 „Erziehung”).
30 bb) Ihrer unmittelbaren Förderung dienen öffentliche Beihilfen selbst dann, wenn sie auch den Unterhalt des zu Erziehenden mit abdecken (HHR/Bergkemper, § 3 Nr. 11 EStG Rz 7 „Unmittelbare Förderung”, m.w.N.).
31 Für die Frage, ob die an die Pflegeeltern gezahlten Erziehungsgelder die „Erziehung fördern” oder ob sie auch noch anderen Zwecken dienen, kommt es nach der BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571) entscheidend auf Inhalt und Durchführung des Pflegeverhältnisses an.
32 Nach dieser Rechtsprechung kann regelmäßig kein Zweifel daran bestehen, dass an Pflegeeltern geleistete Erziehungsgelder dazu bestimmt sind, zu Gunsten der in den Haushalt der Pflegeeltern dauerhaft aufgenommenen und wie leibliche Kinder betreuten Kinder und Jugendlichen „die Erziehung zu fördern”.
33 Solche Zweifel hat der BFH lediglich für Leistungen zu Gunsten sog. Kostkinder gesehen, weil insoweit zu berücksichtigen ist, ob die Zuschüsse nicht vor allem die Unterbringung und Verköstigung abgelten sollen (vgl. zur steuerlichen Würdigung der Unterbringung, Verköstigung und der allgemeinen Betreuung von Kindern in Kinderheimen: , BFHE 114, 95, BStBl II 1975, 147).
34 c) Öffentlich-rechtliche Beihilfen i.S. des § 3 Nr. 11 EStG sind allerdings nur uneigennützig gewährte Unterstützungsleistungen (BFH-Urteil in BFHE 187, 39, BStBl II 1999, 133; vgl. von Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 3 Nr. 11 Rz B 11/53; HHR/Bergkemper, § 3 Nr. 11 EStG Rz 7). Leistungen, die im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erbracht werden, können danach nicht als Beihilfe qualifiziert werden (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 600).
35 aa) Demgemäß hat der BFH die von den Jugendämtern an Pflegeeltern geleisteten Erziehungsgelder als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei beurteilt; mit der Zahlung der Pflegegelder sei keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt (BFH-Urteil in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571). Zuwendungen an Pflegeeltern ähnelten in vielerlei Hinsicht Zahlungen, die die leiblichen Eltern für die Erziehung ihrer Kinder ebenfalls steuerfrei erhielten (vgl. , BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018).
36 bb) Diesen Leistungen gegenübergestellt hat der BFH als steuerpflichtige Einnahmen Zahlungen an Personen, die Kinder nur des Erwerbs wegen in ihren Haushalt aufgenommen haben (BFH-Urteil in BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018).
37 Danach sind öffentliche Zuwendungen für die Übernahme der Heimerziehung keine Beihilfen i.S. des § 3 Nr. 11 EStG, wenn die dafür gezahlten Beträge —pauschal— die tatsächlichen Kosten in angemessenem Umfang nach Maßgabe der zugrunde gelegten Pflegesätze hinsichtlich der Personal- und Sachkosten umfassen (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 600, m.w.N. mit dem Hinweis, dass die unterschiedliche Behandlung von Pflegegeldern und Pflegesatzzahlungen —vor allem im Hinblick auf ihre Unterschiede in der Organisation und Finanzierung— mit Art. 3 des Grundgesetzes vereinbar ist; ebenso BFH-Urteil in BFHE 187, 39, BStBl II 1999, 133).
38 Demensprechend hat der BFH auch die von den Jugendämtern an die Betreuer von sog. Tagesgroßpflegestellen gezahlten Erziehungsgelder nicht als nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei angesehen (BFH-Urteil in BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018); sie dienten nicht ausschließlich und nicht prägend der Erziehung, sondern auch der Unterbringung, Verpflegung und allgemeinen Betreuung.
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cc) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit für die Veranlagungszeiträume bis 2007 einschließlich maßgeblichem Schreiben vom IV B 1 -S 2121- 5/90 (BStBl I 1990, 109) bestimmt: | |
"Personen, die ein fremdes Kind versorgen und erziehen, erhalten in bestimmten Fällen wegen der Kosten, die dadurch typischerweise entstehen, finanzielle Leistungen aus öffentlichen Mitteln (Pflegegeld im weiteren Sinne). Diese Leistungen werden entweder in einem einheitlichen Betrag gezahlt oder sie setzen sich zusammen aus einem Betrag, der unmittelbar der Sicherung des Lebensbedarfs des Kindes dient (Pflegegeld im engeren Sinne), und aus einem Erziehungsbeitrag (Erziehungsgeld). | |
Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder in der Sitzung ESt I/90 - außerhalb der Tagesordnung - stellen sowohl das Pflegegeld im engeren Sinne als auch das Erziehungsgeld steuerfreie Einnahmen nach #sect; 3 Nr. 11 EStG dar. Dies gilt auch bei Tages- oder Kurzzeitpflege. Voraussetzung ist jedoch, daß es sich um eine auf Dauer angelegte Pflege handelt und die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird. Erwerbsmäßig wird die Pflege betrieben, wenn das Pflegekind die wesentliche Erwerbsgrundlage darstellt. Bei einer Betreuung von bis zu fünf Kindern kann ohne nähere Prüfung unterstellt werden, daß die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird." |
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Für Veranlagungszeiträume ab 2008 gilt nach dem bis zum geltenden (BStBl I 2007, 824) für die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII: | |
"Sowohl das Pflegegeld als auch die anlassbezogenen Beihilfen und Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln sind Beihilfen im Sinne des § 3 Nr. 11 EStG, die die Erziehung unmittelbar fördern, sofern eine Erwerbstätigkeit nicht vorliegt. Werden mehr als sechs Kinder im Haushalt aufgenommen, wird eine Erwerbstätigkeit vermutet. Bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern ist ohne weitere Prüfung davon auszugehen, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird." |
41 3. Nach diesen Grundsätzen ist abweichend von der Auffassung der Vorinstanz die Steuerfreiheit der im Streitfall bezogenen Einnahmen aus erzieherischer Tätigkeit gemäß § 3 Nr. 11 EStG gegeben.
42 a) Die Einnahmen der Klägerin sind öffentliche Mittel, weil sie unstreitig konkret bezogen auf die von der Klägerin betreuten Kinder jeweils von dem zuständigen Jugendamt auf der Grundlage der durch Haushaltsplan der Gebietskörperschaft bereitgestellten Haushaltsmittel bewilligt wurden.
43 Der Umstand, dass diese bewilligten Zahlungen über einen zwischengeschalteten Träger an die Klägerin als Erziehende auf der Grundlage eines Vertrages zwischen ihr und dem Träger geleistet wurden, steht der Annahme „öffentlicher Mittel” i.S. des § 3 Nr. 11 EStG nicht entgegen.
44 aa) Allerdings hat die Finanzverwaltung zur Vollzeitpflege im Wege der Abwicklung über einen zwischengeschalteten Träger durch IV C 3 –S 2342/07/0001: 126 (BStBl I 2011, 487) mit Wirkung von diesem Tag an die Steuerfreiheit geleisteter Zahlungen nach § 3 Nr. 11 EStG an die Voraussetzung geknüpft, dass
- der Pflegeperson das ihr zustehende Pflegegeld direkt vom örtlichen Jugendamt bewilligt worden ist, so dass das Geld bei dem zwischengeschalteten freien Träger nur einen so genannten durchlaufenden Posten darstellt;
- zur Annahme eines durchlaufenden Postens eindeutige und unmissverständliche vertragliche Regelungen zwischen Jugendamt, freiem Träger und der Pflegeperson/Erziehungsstelle i.S. des § 33 SGB VIII bestehen (vertragliche Vereinbarung zwischen allen Parteien, dass das vom Jugendamt zweckgebunden an den freien Träger ausgezahlte Pflegegeld unverändert an die Pflegeperson weitergeleitet wird und sich durch diese formale, organisatorische Abwicklung dem Grunde und der Höhe nach am Pflegegeldanspruch der Pflegeperson nichts ändert) und
- Vollmacht und Erklärung der Pflegeperson vorliegen, mit der Weiterleitung des Pflegegeldes des örtlichen Jugendamts über den freien Träger einverstanden zu sein.
45 bb) Diese Rechtsauffassung der Finanzverwaltung steht der Annahme „öffentlicher Mittel” im Sinne von in einem öffentlichen Haushalt als Ausgaben festgelegten und entsprechend verausgabten Beträgen (BFH-Urteil in BFHE 106, 438, BStBl II 1972, 839) nicht entgegen.
46 Diese Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung schon dann gewahrt, wenn die in einem Haushaltsplan ausgewiesenen Mittel nicht unmittelbar aus einer öffentlichen Kasse, sondern mittelbar über Dritte gezahlt werden, sofern über die Mittel nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann und ihre Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 139, 536, BStBl II 1984, 113; in BFH/NV 2005, 22).
47 Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
48 (1) Die Verwendung der Mittel durch Zahlung an den Träger —wie im Streitfall— unterliegt unstreitig der Rechnungskontrolle durch die Jugendhilfebehörde.
49 Deren Kontrolle umfasst auch die vom Träger abgeschlossenen —standardisierten— Verträge mit den jeweiligen Pflegepersonen zu jeder der von ihnen betreuten Personen, so dass es einer weiter gehenden Kontrolle bei den Pflegepersonen ersichtlich für eine hinreichende Mittelverwendungskontrolle nicht bedarf. Denn der Träger unterliegt öffentlicher Rechnungskontrolle hinsichtlich der Frage, ob er die für ein bestimmtes Kind bewilligten Jugendhilfemittel tatsächlich zu dessen Betreuung an die von ihm vertraglich zur Betreuung verpflichtete Person eingesetzt hat.
50 (2) Die danach im Rahmen der Rechnungskontrolle der öffentlichen Hand mögliche Feststellung, dass die zur Förderung der Erziehung einer bestimmten Person bereitgestellten Mittel an die nach den ggf. vorzulegenden Unterlagen verpflichtete Pflegeperson tatsächlich abgeflossen sind, genügt für die haushalterisch erforderliche Kontrolle der zweckgerichteten Mittelverausgabung. Der gewählte Zahlungsweg über einen freien Träger zieht danach den Charakter der gezahlten Beträge als „öffentliche Mittel” i.S. des § 3 Nr. 11 EStG nicht in Zweifel (vgl. BFH-Urteile in BFHE 139, 536, BStBl II 1984, 113; in BFH/NV 2005, 22).
51 (3) Der Annahme „öffentlicher Mittel” i.S. des § 3 Nr. 11 EStG steht auch nicht das BFH-Urteil in BFHE 183, 488, BStBl II 1997, 652 entgegen.
52 Soweit danach Empfänger einer steuerbefreiten Beihilfe nur die Personen sein können, denen sie im Hinblick auf den Zweck der Leistung bewilligt worden ist, will die Entscheidung die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG hinsichtlich einer Beihilfe lediglich auf diejenigen Personen beschränken, denen sie materiell-rechtlich nach dem Zweck der Beihilfe zukommen soll.
53 Da die im Streitfall vom Jugendamt bewilligten Zahlungen den Pflegepersonen —wie hier der Klägerin— zukommen sollten, entspricht die Anwendung des § 3 Nr. 11 EStG im Streitfall den Anforderungen dieser Entscheidung.
54 b) Die streitigen Zahlungen sind des Weiteren i.S. des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG Beihilfen zur unmittelbaren Förderung der Erziehung.
55 aa) Zu Recht gehen die Beteiligten wie auch das FG in Übereinstimmung mit der Auffassung der Finanzverwaltung in den BMF-Schreiben in BStBl I 1990, 109 —zu den Veranlagungszeiträumen bis 2007 einschließlich— sowie in BStBl I 2007, 824 —zu den Veranlagungszeiträumen von 2008 bis zum — für die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII, d.h. für die regelmäßig in den Familienhaushalten der Pflegeperson über Tag und Nacht vorgenommene Betreuung von Kindern und Jugendlichen, davon aus, dass diese der Erziehung dient und dafür geleistete Zahlungen der Jugendhilfeträger damit —dem Grunde nach— Beihilfen zur Förderung der Erziehung i.S. des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG sind.
56 Denn nach der BFH-Rechtsprechung wird mit der Zahlung der in diesem Zusammenhang bewilligten Pflegegelder keine vollständige Ersetzung des sachlichen und zeitlichen Aufwands der Pflegeeltern beabsichtigt (vgl. BFH-Urteile in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571; in BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018).
57 (1) Zu Unrecht haben aber FA und FG das Vorliegen einer Vollzeitpflege i.S. des § 33 SGB VIII mit der Begründung verneint, die von der Klägerin in ihrem Familienhaushalt erbrachte Erziehungsleistung gegenüber den Pflegekindern sei —weil sie nach den abgeschlossenen Verträgen „als Erziehungsstelle” tätig geworden sei— als „in einer (anderen) Einrichtung betreuten Wohnens” i.S. des § 34 SGB VIII erbracht anzusehen, für die die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG nicht gelte.
58 Sonstige betreute Wohnformen i.S. des § 34 SGB VIII sind nur gegeben, wenn sie als Einrichtung einen institutionalisierten Rahmen für die Betreuung bieten (Bayrischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 12 ZB 14.154, Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 2014, 341, m.w.N.). Eine nur angemietete Wohnung —und folglich die bloße Überlassung von Wohnraum wie z.B. ein Zimmer im Haushalt der betreuenden Person entsprechend den Verhältnissen im Streitfall— genügt nicht. Denn unter „Einrichtung” ist eine auf eine gewisse Dauer angelegte —hier fehlende— Verbindung von sächlichen und persönlichen Mitteln zu einem bestimmten Zweck unter der Verantwortung eines Trägers zu verstehen (Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 26 K 6023/09, juris).
59 Nach dieser Rechtsprechung bestimmt sich die Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Betreuung in einer Vollzeitpflegestelle nach § 33 SGB VIII oder in einem Heim oder in einer anderen Einrichtung betreuten Wohnens nach § 34 SGB VIII handelt, allein nach den tatsächlichen Verhältnissen der konkreten Unterbringung.
60 (2) Dies gilt gleichermaßen für den Anwendungsbereich des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG, weil die Auslegung des Merkmals „unmittelbare Förderung der Erziehung” nach der BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571; in BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018) wie auch nach der daran anknüpfenden Verwaltungspraxis (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 1990, 109 sowie in BStBl I 2007, 824: Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG nur bei Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII) im Wesentlichen an der tatsächlichen Ausgestaltung der Pflegesituation orientiert ist.
61 Diese Orientierung der Anwendung des § 3 Nr. 11 EStG an den tatsächlichen Verhältnissen unterscheidet sich von den Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch der Pflegekinder gemäß den §§ 32, 63 EStG, für den die sozialrechtliche Einordnung ihrer Wohnung als sonstige betreute Wohnform nach Maßgabe des § 34 SGB VIII nach der Rechtsprechung des BFH steuerrechtliche Tatbestandswirkung hat (vgl. , BFHE 224, 542, BStBl II 2010, 345).
62 (3) Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob Zahlungen für die Betreuung in Einrichtungen nach § 34 SGB VIII stets —mangels ausdrücklicher Ausrichtung auf die Erziehung— aus dem Anwendungsbereich des § 3 Nr. 11 EStG ausscheiden (vgl. BFH-Urteile in BFHE 161, 361, BStBl II 1990, 1018 zu sog. Tagesgroßpflegestellen; in BFHE 187, 39, BStBl II 1999, 133 zu einem Kinderhaus) oder bei bestimmten Mischformen eine solche Anwendung in Betracht zu ziehen sein könnte (vgl. zu den Mischformen und den nach der Rechtsprechung fließenden Grenzen zwischen den Anwendungsbereichen der §§ 33, 34 SGB VIII Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7 A 10444/08, Das Jugendamt 2009, 92).
63 bb) Die Förderung dient auch „unmittelbar” der Förderung der Erziehung.
64 (1) Unmittelbare Förderung der Erziehung im Sinne der Vorschrift liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn die Zuwendungen öffentlicher Mittel die Erziehung ohne ein Dazwischentreten weiterer Ereignisse beeinflussen (BFH-Urteil in BFHE 214, 69, BStBl II 2006, 755, unter Bezugnahme auf die BFH-Urteile in BFHE 105, 374, BStBl II 1972, 566, und in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571; vgl. von Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 3 Nr. 11 Rz B 11/49).
65 Dabei kann von einer „unmittelbaren” Förderung der Erziehung nach der Rechtsprechung allerdings dann nicht gesprochen werden, wenn die Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Pflegeperson —wie sog. Kostkinder— auf Seiten der Pflegepersonen als Erwerbstätigkeit anzusehen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 141, 154, BStBl II 1984, 571).
66 (2) Auf der Grundlage der Verwaltungsauffassung (s. BMF-Schreiben in BStBl I 2007, 824) kann indessen bei einer dauerhaften Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII —wie im Streitfall— mit einer Betreuung von bis zu sechs Kindern aufgrund eines Anscheinsbeweises ohne nähere Prüfung unterstellt werden, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird.
67 Zu Recht enthalten die BMF-Schreiben keine Einschränkungen dieser durch die erkennbare Absicht der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigten pauschalierenden Regelung. Denn das Gesetz bietet in § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine weitere Einschränkung. Es sieht nur in Satz 3 der Vorschrift Beschränkungen dann vor, wenn die Zahlung eine —im Streitfall nicht vorliegende— Gegenleistung für eine bestimmte wissenschaftliche oder künstlerische Leistung sowie für eine Arbeitnehmertätigkeit darstellt (zur Steuerfreiheit von Aufwandsersatz nach § 3 Nr. 50 EStG insoweit vgl. , BFHE 203, 459, BStBl II 2004, 129).
68 4. Die Übertragung der Steuerberechnung auf das FA beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO, die Kostenentscheidung auf § 135 Abs. 1 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2017 II Seite 432
BFH/NV 2015 S. 1024 Nr. 7
BFH/PR 2015 S. 261 Nr. 8
BStBl II 2017 S. 432 Nr. 11
DB 2015 S. 6 Nr. 22
DStR 2015 S. 1230 Nr. 23
DStR 2015 S. 6 Nr. 22
DStRE 2015 S. 759 Nr. 12
DStZ 2015 S. 541 Nr. 14
EStB 2015 S. 234 Nr. 7
GStB 2015 S. 29 Nr. 8
HFR 2015 S. 841 Nr. 9
KÖSDI 2015 S. 19345 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 23/2015 S. 1674
StB 2015 S. 213 Nr. 7
StBW 2015 S. 561 Nr. 15
StBW 2015 S. 568 Nr. 15
StuB-Bilanzreport Nr. 15/2015 S. 604
YAAAE-91061