Beiladung einer Organgesellschaft im finanzgerichtlichen Verfahren
Gesetze: UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2, AO § 174 Abs. 5, AO § 174 Abs. 4, AO § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, AO § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, FGO § 60, AO § 360
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss vom 3 K 657/11
Gründe
1 I. Der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), nunmehr in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG, wurden durch die gegen sie ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 2004 bis 2007 (Streitjahre) als Organträgerin die Umsätze und Leistungsbezüge der Beigeladenen (GmbH) als Organgesellschaft zugerechnet. Sie beantragte beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre dahingehend, dass bei ihrer Besteuerung die Umsätze und Leistungsbezüge der GmbH außer Ansatz bleiben, da die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht erfüllt seien. Der Antrag und der Einspruch der Klägerin blieben erfolglos.
2 Im Klageverfahren beantragte das FA am die Beiladung der GmbH, „um im Falle des Erfolgs der Klage die Umsatzbesteuerung hinsichtlich der Besteuerungsgrundlagen dieser Organgesellschaft über § 174 Abs. 4 Abgabenordnung [AO] sicherstellen zu können”.
3 Mit Beschluss vom hat das Finanzgericht (FG) die GmbH zum Verfahren beigeladen. Gegen diesen Beiladungsbeschluss hat die Klägerin Beschwerde eingelegt.
4 Sie beantragt sinngemäß, den Beiladungsbeschluss des aufzuheben.
5 Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
6 II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat die Voraussetzungen einer Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zu Recht angenommen.
7 1. § 174 Abs. 5 Satz 2 AO enthält einen selbständigen Beiladungsgrund; danach ist eine Beiladung unabhängig davon zulässig, ob auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 FGO erfüllt sind (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom IX B 176/09, BFH/NV 2010, 832; vom III B 149/09, BFH/NV 2011, 404, m.w.N.).
8 2. Für eine Beiladung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO ist lediglich erforderlich, dass ein Steuerbescheid wegen irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts möglicherweise aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei einem Dritten zu ziehen sind (BFH-Beschlüsse vom IV B 84/93, BFH/NV 1995, 87; vom XI B 16/00, BFH/NV 2002, 308; vom I B 137/04, BFH/NV 2005, 835). Denn die Möglichkeit zur Korrektur von Steuerbescheiden wegen irriger Beurteilung von bestimmten Sachverhalten besteht nicht nur gegenüber dem Steuerpflichtigen, aufgrund dessen Antrag der ursprünglich ergangene Steuerbescheid aufgehoben oder geändert wird, sondern gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO auch gegenüber Dritten. Um diese Korrekturmöglichkeit zu gewährleisten, kann das FA die Beiladung des Dritten in dem gegen den ursprünglich ergangenen Bescheid angestrengten Klageverfahren beantragen. Für diese Beiladung genügt es, dass die Möglichkeit einer Folgeänderung besteht (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2005, 835; vom II B 48/10, BFH/NV 2011, 408). Voraussetzung einer solchen Beiladung ist insbesondere nicht, dass der Beizuladende bereits zum Einspruchsverfahren gemäß § 360 AO hinzugezogen war (vgl. , BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817, unter 3.a; von Groll in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 174 AO Rz 310).
9 a) Im Streitfall besteht die Möglichkeit, dass die Klägerin mit ihrer Klage durchdringt, dass die Voraussetzungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht erfüllt und damit ihr die Umsätze und Leistungsbezüge der GmbH nicht zuzurechnen seien. Entsprechende Folgerungen wären dann ggf. bei der Besteuerung der GmbH zu ziehen.
10 b) Eine Beiladung des Dritten i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 174 Abs. 4 AO kann nur dann unterbleiben, wenn dessen Interessen durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2010, 832; in BFH/NV 2011, 404). Mit Blick auf den erhobenen Verjährungseinwand käme eine Beiladung mithin nur dann nicht in Betracht, wenn dem Erlass auf § 174 Abs. 5 Satz 1 AO gestützter neuerlicher Umsatzsteuerbescheide für 2004 bis 2006 sowie eines erstmaligen Umsatzsteuerbescheides für 2007 gegenüber der GmbH zweifelsfrei der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegenstünde. Dies ist hier im Hinblick auf die Vorschriften von § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und § 174 Abs. 4 Satz 3 AO (vgl. hierzu BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 87) nicht der Fall. Zudem darf die Beiladung die Entscheidung über eine etwaige Verjährung des Steueranspruchs nicht vorwegnehmen; diese Frage ist nicht im Beiladungsverfahren, sondern ggf. in einem Folgeänderungsverfahren zu entscheiden (BFH-Beschlüsse vom V B 153/88, BFHE 156, 389, BStBl II 1989, 539; in BFH/NV 2010, 832; in BFH/NV 2011, 404).
11 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Von einer Kostenentscheidung ist lediglich dann abzusehen, wenn über einen Beiladungsbeschluss im Beschwerdeverfahren im Sinne des Rechtsmittelantrags entschieden wird. Für ein erfolgloses Beschwerdeverfahren ist indes eine Kostenentscheidung zu treffen (z.B. , BFH/NV 2012, 1929).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 1012 Nr. 7
GAAAE-66012