Umsatzsteuerrechtliche Leistungsbeziehungen bei der Verwertung von Sicherungsgut im Insolvenzverfahren; , BStBl 2014 II S. 406
Mit (BStBl 2014 II S. 406), hat der BFH unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung u. a. entschieden, dass eine steuerbare Leistung auch bei der freihändigen Verwertung nach § 166 Abs. 1 InsO von Sicherungsgut durch den Insolvenzverwalter vorliegt.
Daneben enthalten die Urteilsgrundsätze auch generelle Ausführungen zu den umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen bei der Verwertung von Sicherungsgut im Insolvenzverfahren.
Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hierzu Folgendes:
I. Kalte Zwangsvollstreckung und kalte Zwangsverwaltung bei der Verwertung von Grundstücken
Bei der sog. kalten Zwangsvollstreckung bzw. -verwaltung handelt es sich um nicht feststehende Rechtsbegriffe, die im Wesentlichen die verschiedenen Verwertungshandlungen eines Insolvenzverwalters bei der Verwertung grundpfandrechtsbelasteter Grundstücke im Insolvenzverfahren außerhalb einer Zwangsvollstreckung zum Inhalt haben. Ziel der jeweiligen Handlung ist die freihändige Veräußerung des Grundstückes bzw. der Mieteinzug zugunsten der Gläubiger durch den Insolvenzverwalter.
Da die Vorschriften über die freihändige Verwertung sicherungsübereigneter beweglicher Gegenstände (§§ 166 in Verbindung mit 170, 171 InsO, vgl. nachfolgend unter Abschnitt II) bei der Verwertung von unbeweglichem Vermögen grundsätzlich keine Anwendung finden und somit auch keine gesetzlichen Kostenregelungen greifen, erfolgt die freihändige Verwertung bzw. Verwaltung eines grundpfandrechtsbelasteten Grundstücks auf Basis einer Vereinbarung, die regelmäßig auch eine Beteiligung der Masse am Erlös der Verwertung bzw. Verwaltung vorsieht.
Nach der Rechtsprechung des BFH liegt bei einer freihändigen Veräußerung eines grundpfandrechtsbelasteten Grundstücks durch den Insolvenzverwalter aufgrund einer mit dem Grundpfandgläubiger getroffenen Vereinbarung – neben der Lieferung des Grundstücks durch die Masse an den Erwerber – eine steuerpflichtige entgeltliche Geschäftsbesorgungsleistung der Masse an den Grundpfandgläubiger vor, wenn der Insolvenzverwalter vom Verwertungserlös einen bestimmten Betrag für die Masse einbehalten darf (vgl. , BStBl 2007 II S. 183, und , BStBl 2014 II S. 406). Der einbehaltene Betrag ist die Gegenleistung des Gläubigers für die Leistung der Masse.
Diese Beurteilung gilt entsprechend für die Verwaltung eines grundpfandrechtsbelasteten Grundstücks unter Einbehaltung eines Kostenbetrags von den erzielten Kaltmieten.
Über das Vermögen des Schuldners S wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Dem Gläubiger G stehen noch Forderungen in Höhe von 200.000 € zu. Als Insolvenzverwalter wurde I bestellt. In Absprache mit G und mit Zustimmung der Gläubigerversammlung verwertet I ein grundpfandrechtsbelastetes Grundstück und erzielt dabei einen Veräußerungserlös in Höhe von 100.000 €. Nach Abzug eines mit dem Gläubiger vereinbarten Massekostenbeitrags in Höhe von 5 % des Verwertungserlöses zzgl. Umsatzsteuer zahlt I den verbleibenden Betrag aus.
Daneben zieht I bis zum Zeitpunkt der Veräußerung Kaltmieten in Höhe von 1.000 € ein und leitet diese vereinbarungsgemäß unter Abzug eines Anteils von 10 % zzgl. Umsatzsteuer zugunsten der Masse an den Gläubiger weiter.
Es liegt eine Grundstückslieferung der durch I vertretenen Masse an den Erwerber im Wege der kalten Zwangsvollstreckung vor, welche mangels Option zur Steuerpflicht nach § 9 UStG steuerfrei ist (§ 4 Nr. 9 Buchstabe a UStG). Das Entgelt für die steuerfreie Lieferung beträgt 100.000 €. Daneben erbringt die Masse durch die Verwertungshandlungen ihres Vertreters I eine steuerbare und steuerpflichtige Geschäftsbesorgungsleistung an G. Das Entgelt ist in Höhe des vereinbarten Massekostenbeitrags anzusetzen, mithin 5.000 € (5 % von 100.000 €). Die bis zur Grundstücksveräußerung im Rahmen der kalten Zwangsverwaltung erzielten Mietumsätze sind der Masse zuzurechnen, weil diese den Mietern gegenüber – vertreten durch I – im eigenen Namen für eigene Rechnung auftritt. Daneben führt die Masse durch die Verwaltungstätigkeiten ihres Vertreters I eine weitere steuerbare und steuerpflichtige Geschäftsbesorgungsleistung aus. Das Entgelt für diese Leistung besteht im vereinbarten Anteil an den Mieteinnahmen in Höhe von 100 € (10 % von 1.000 €).
Die sich aus den Geschäftsbesorgungsleistungen ergebende Umsatzsteuer ist als Masseschuld zu berücksichtigen.
II. Verwertung von sicherungsübereigneten beweglichen Gegenständen durch den Insolvenzverwalter
Der Insolvenzverwalter darf nach § 166 Abs. 1 InsO eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten. Hierzu ist er jedoch nicht verpflichtet. Demnach steht es dem Insolvenzverwalter grundsätzlich frei, dem Gläubiger die Verwertung nach § 170 Abs. 2 InsO zu überlassen oder die Verwertung freihändig unter Ausübung des Verwertungsrechts nach § 166 Abs. 1 InsO vorzunehmen.
Die unter Abschnitt 1.2 UStAE dargestellten Grundsätze zum Doppel- bzw. Dreifachumsatz finden auch bei der Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände im Insolvenzverfahren Anwendung.
1. Keine Ausübung des Verwertungsrechts
Macht der Insolvenzverwalter nicht von seinem Verwertungsrecht nach § 166 Abs. 1 InsO Gebrauch, sondern veräußert er stattdessen das Sicherungsgut im Namen des Sicherungsnehmers/Gläubigers, liegt ein Doppelumsatz vor. Im Rahmen dieses Doppelumsatzes liefert der Insolvenzverwalter das Sicherungsgut als Vertreter der Masse im Zeitpunkt der Verwertung an den Sicherungsnehmer/Gläubiger, welcher seinerseits zeitgleich das Sicherungsgut an den Erwerber weiterliefert. Das Entgelt für die Lieferung der Masse an den Gläubiger entspricht dann dem Betrag in Höhe der Schuldbefreiung, die sich für die Masse aufgrund der Verwertung durch den Gläubiger ergibt. Die vorweg zu begleichenden Kosten der Feststellung nach § 170 Abs. 2 InsO (Feststellungskostenpauschale) gehören dabei nicht zum Entgelt (vgl. Rz. 28 des o. a. ).
2. Ausübung des Verwertungsrechts
Verwertet hingegen der Insolvenzverwalter die einem Absonderungsrecht unterliegende bewegliche Sache für die Masse selbst, ist zwar, ebenso wie unter Abschnitt I zur Verwertung eines grundpfandrechtsbelasteten Grundstücks dargestellt, von einer Geschäftsbesorgungsleistung der Masse an den Sicherungsnehmer/Gläubiger auszugehen. Bei der Verwertung beweglicher Gegenstände findet jedoch ein Dreifachumsatz statt, in welchem die Geschäftsbesorgungsleistung aufgeht.
Da der Insolvenzverwalter bei der eigentlichen Lieferung des Sicherungsgutes an den Erwerber im Namen der Masse auftritt, ist diese Lieferung der Masse zuzurechnen. Der Insolvenzverwalter erbringt diesen Umsatz jedoch wie ein Kommissionär für Rechnung des Sicherungsnehmers/Gläubigers, weil durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens Verwertungsreife eingetreten ist (, BStBl 2010 II S. 859). Der Lieferung an den Erwerber ist deshalb über § 3 Abs. 3 UStG eine fiktive Lieferung des Sicherungsnehmers/Gläubigers als Kommittent an die Masse vorgeschaltet, in welcher die an sich vorliegende Geschäftsbesorgungsleistung aufgeht (vgl. Rz. 29 des o. a. ). Im Rahmen dieses Kommissionsgeschäfts sind die Kosten der Feststellung und Verwertung nach § 170 Abs. 1 in Verbindung mit § 171 InsO umsatzsteuerlich genauso zu behandeln wie die Provisionen des Kommissionärs bei einem üblichen Verkaufskommissionsgeschäft.
Der Sicherungsnehmer/Gläubiger kann das Sicherungsgut jedoch nur dann an die Masse liefern, wenn er selbst hieran Verfügungsmacht erhalten hat. Dies bedingt, dass die Sicherungsübereignung im Zeitpunkt der Verwertung zu einer Lieferung der Masse an den Sicherungsnehmer/Gläubiger geführt hat. Das Entgelt für diese Lieferung besteht in dem Betrag, um den die Masse von ihren Schulden gegenüber dem Sicherungsnehmer/Gläubiger befreit wird.
Über das Vermögen des Schuldners S wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Dem Gläubiger G stehen noch Forderungen in Höhe von 100.000 € zu, für die ihm ein Gegenstand zur Sicherung übereignet wurde. Als Insolvenzverwalter wurde I bestellt. I macht von seinem Verwertungsrecht nach § 166 Abs. 1 InsO Gebrauch und veräußert das Sicherungsgut im Namen der Masse und für Rechnung des G für 23.800 € an den Erwerber E. Bei der Verwertung des Sicherungsguts sind Kosten i. H. v. 1.000 € entstanden, welche neben den Kosten der Feststellung nach § 171 Abs. 1 InsO vereinbarungsgemäß vom Erlös einzubehalten sind. Da die Verwertung des Gegenstands zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer führt, hat I den Auskehrungsbetrag an G nach § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO entsprechend zu kürzen. I rechnet mit G im Gutschriftwege wie folgt ab:
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Brutto-Veräußerungserlös | 23.800 € |
abzgl. USt
(§ 171 Abs. 2
Satz 3 InsO) | ./. 3.800 € |
abzgl. Kosten der
Feststellung (4 % vom Bruttobetrag) | ./. 952 € |
abzgl. Kosten der
Verwertung | ./. 1.000 € |
Betrag der Schuldtilgung
(Netto-Entgelt) | 18.048 € |
darauf USt | + 3.429,12 € |
ergibt
Brutto-Entgelt | 21.477,12 € |
abzgl. USt (entsprechend
§ 171 Abs. 2
Satz 3 InsO) | ./. 3.429,12 € |
tatsächlicher
Auskehrungsbetrag an G | 18.048 € |
Es liegen drei Lieferungen im Rahmen eines Dreifachumsatzes vor (Masse an G, G an Masse sowie Masse an E).
Das Entgelt für die Lieferung 1 besteht in der Schuldbefreiung, demnach 18.048 €. Die Umsatzsteuer in Höhe von 3.429,12 € stellt eine Masseschuld dar. § 13b Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 5 Satz 1 UStG findet keine Anwendung, da es sich um Verwertungshandlungen innerhalb des Insolvenzverfahrens handelt. G kann den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des I geltend machen, da dieser Eingangsleistung eine steuerpflichtige Ausgangleistung (Lieferung 2) gegenübersteht. Das Entgelt für diese fiktive Lieferung, bei der I (Kommissionär) nach § 3 Abs. 3 UStG als Abnehmer gilt, besteht gleichfalls in dem Betrag der Schuldbefreiung, mithin 18.048 €, da die einbehaltenen Kostenbeträge wie die Provisionszahlungen an einen Verkaufskommissionär zu behandeln sind. I steht ebenfalls der Vorsteuerabzug aus der Rechnung des G zu. I hat daneben die Umsatzsteuer in Höhe von 3.800 € aus der Lieferung 3 an E als Masseschuld zu berücksichtigen.
Per Saldo ergeben sich für die Beteiligten I und G aus den Lieferungen 1 und 2 keine wirtschaftlichen Belastungen, da den jeweiligen Umsatzsteuerbeträgen grundsätzlich die abzugsfähigen Vorsteuerbeträge gegenüberstehen.
III. Änderung des Anwendungserlasses
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird Abschnitt 1.2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom , BStBl 2010 I S. 846, der zuletzt durch das , BStBl 2014 I S. 814, geändert worden ist, wie folgt geändert:
Die Absätze 1b und 3 werden gestrichen.
Der bisherige Absatz 4 wird neuer Absatz 3.
Nach Absatz 3 (neu) werden folgende Zwischenüberschrift und folgender neuer Absatz 4 eingefügt:
„Verwertung von Sicherungsgut im Insolvenzverfahren
(4) 1Die Grundsätze zum Doppel- und Dreifachumsatz finden auch bei der Verwertung von sicherungsübereigneten Gegenständen im Insolvenzverfahren Anwendung. 2Veräußert hingegen ein Insolvenzverwalter ein mit einem Grundpfandrecht belastetes Grundstück freihändig auf Grund einer mit dem Grundpfandgläubiger getroffenen Vereinbarung, liegt neben der Lieferung des Grundstücks durch die Masse an den Erwerber auch eine steuerpflichtige entgeltliche Geschäftsbesorgungsleistung der Masse an den Grundpfandgläubiger vor, wenn der Insolvenzverwalter vom Veräußerungserlös einen bestimmten Betrag zugunsten der Masse einbehalten darf. 3Der für die Masse einbehaltene Betrag ist Entgelt für diese Leistung. 4Vergleichbares gilt für die freihändige Verwaltung grundpfandrechtsbelasteter Grundstücke durch den Insolvenzverwalter (, BStBl 2014 II S. 406). 5Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Verwertung von Sicherungsgut vgl. BStBl 2014 I S. 816.”
IV. Anwendungsregelung
Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Es wird jedoch nicht beanstandet, wenn für vor dem ausgeführte Umsätze die Beteiligten übereinstimmend
in den unter Abschnitt I dargestellten Sachverhalten bei der Verwaltung des grundpfandrechtsbelasteten Grundstücks (kalte Zwangsverwaltung) von einem nichtsteuerbaren Vorgang oder
in den unter Abschnitt II dargestellten Sachverhalten unter Berufung auf die nunmehr überholten Regelungen des Abschnitt 1.2 Abs. 1b UStAE a. F. nicht von einem Doppel- bzw. Dreifachumsatz bei der Verwertung eines sicherungsübereigneten Gegenstands
ausgegangen sind.
BMF v. - IV D 2 -
S 7100/07/10037
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2014 I Seite 816
StBW 2014 S. 571 Nr. 15
UStB 2014 S. 168 Nr. 6
Ubg 2014 S. 399 Nr. 6
WPg 2014 S. 589 Nr. 11
KAAAE-63504