Adhäsionsverfahren: Feststellungsausspruch zur Schadensersatzpflicht bei Mitverschulden des Adhäsionsklägers
Gesetze: § 406 StPO, § 256 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/22 Ks 3390 Js 236957/12 (1/13)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, schwerer Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den Vorwegvollzug von einem Jahr der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung angeordnet und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von vier Jahren verhängt. Des Weiteren hat es den Angeklagten dem Grunde nach verurteilt, an den Nebenkläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem zu zahlen, und festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Nebenkläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Vorfall vom noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
2Hiergegen wendet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung und zu einer Teilaufhebung der Adhäsionsentscheidung; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
31. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat keinen Bestand, weil die Urteilsfeststellungen einen symptomatischen Zusammenhang zwischen der Tat und dem Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum nicht ergeben.
4a) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt nach § 64 Satz 1 StGB - neben dem Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen - voraus, dass die Anlasstat im Rausch begangen wurde oder zumindest mitursächlich auf den Hang zurückgeht, wobei die erste auf die Intoxikationswirkung des Rauschmittels abstellende Alternative einen Unterfall der zweiten Alternative darstellt. Erforderlich ist, dass die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet, sie also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln hat, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (vgl. , BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; vom - 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Da es sich bei der Unterbringung nach § 64 StGB um eine den Angeklagten beschwerende Maßregel handelt (vgl. , BGHSt 38, 4, 7), muss der symptomatische Zusammenhang ebenso wie die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 64 StGB bei einer Anordnung sicher feststehen (vgl. , StraFo 2003, 431; Beschlüsse vom - 4 StR 36/01, NStZ-RR 2001, 295; vom - 4 StR 145/13).
5b) Einen Rausch des Angeklagten im Sinne eines für das Rauschmittel Alkohol typischen, die geistig-psychischen Fähigkeiten beeinträchtigenden Intoxikationszustands (vgl. , NStZ-RR 2012, 72, 73) bei Begehung der Tat hat die Schwurgerichtskammer nicht festgestellt. Der Angeklagte, der in den siebeneinhalb Stunden vor der Tat den Inhalt von sechs Flaschen Bier ä 0,5 Liter zu sich genommen hatte, wies zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,0 bis maximal 1,0 %o auf. Sein Leistungsverhalten war nicht beeinträchtigt. Alkoholbedingte Ausfallserscheinungen beim Angeklagten sind weder von den zum Tatgeschehen gehörten Zeugen geschildert worden, noch haben die Filmaufnahmen der Überwachungskameras hierfür Anhaltspunkte ergeben. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei gleichwohl alkoholbedingt in gewissem Umfange in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen, entbehrt daher einer tatsächlichen Grundlage.
6Anhaltspunkte dafür, dass die Tat, obwohl nicht im Rausch begangen, doch auf den Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum zurückging, bestehen nicht. Bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielen, bedarf die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Hang und Anlasstat besonderer hierfür sprechender Umstände (vgl. , aaO; Beschluss vom - 4 StR 277/13, aaO). Insbesondere bei Konflikttaten oder bei Taten, denen eine Provokation des Täters durch das Opfer vorausging, liegt ein solcher Zusammenhang wenig nahe (vgl. , NStZ-RR 2012, 72, 74). Für eine Hangtat sprechende Anhaltspunkte sind hier nicht gegeben. Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil beging der Angeklagte die Tat, weil er das zudringliche und penetrante Verhalten des Nebenklägers, der unbedingt eine Mitnahme im Fahrzeug des Angeklagten erzwingen wollte, als nervend und ärgerlich empfand und er den ihm extrem lästig gewordenen Nebenkläger loswerden wollte. Dass die Alkoholabhängigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung eine Rolle spielte, ist nicht erkennbar. Schließlich vermag der Umstand, dass der Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum für dessen frühere Delinquenz mitursächlich war, den Symptomcharakter der Anlasstat nicht zu begründen.
7c) Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Verhandlung noch Feststellungen zu einem Rausch bei der Tat oder einem anderweitigen symptomatischen Zusammenhang zwischen Tat und Hang des Angeklagten zum übermäßigen Alkoholkonsum getroffen werden können, und lässt daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Unterbringungsanordnung entfallen.
82. Hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung hält der Feststellungsausspruch einer sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand. Demgegenüber begegnet das zum Schmerzensgeldanspruch des Nebenklägers ergangene Grundurteil keinen Bedenken.
9a) Die Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte beanstandet, ihm sei zum Entschädigungsantrag des Nebenklägers keine hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden, ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegten Gründen nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
10b) Der Feststellungsausspruch hinsichtlich der Verpflichtung des Angeklagten zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden aus dem Tatereignis kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass den Nebenkläger ein erhebliches Mitverschulden am Eintritt des Schadensereignisses trifft, weil dieser die Mitnahme im Fahrzeug des Angeklagten erzwingen wollte und er keinen nachvollziehbaren Grund und keinerlei Berechtigung hatte, die Fahrt des Angeklagten aufzuhalten. Deshalb steht im Raum, dass der Nebenkläger einen Teil des ihm entstandenen Schadens selbst zu tragen hat, weshalb bei dem Feststellungsausspruch gemäß § 256 Abs. 1 ZPO wegen der diesem Ausspruch zukommenden Rechtskraftwirkung eine entsprechende Quote hätte festgestellt und ausgesprochen werden müssen, in welchem Bruchteil die Schadensersatzpflicht besteht (vgl. , BGHR StPO § 406 Grundurteil 6; Urteil vom - VI ZR 145/96, BGHR ZPO § 304 Feststellungsantrag 6).
11c) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht davon abgesehen hat, das in den Urteilsgründen festgestellte Mitverschulden des Geschädigten in seinem Grundurteil zum Schmerzensgeldanspruch durch die Festlegung einer Mitverschuldensquote zum Ausdruck zu bringen (vgl. , VersR 2001, 1115; vom - VI ZR 50/05, NJW 2006, 2110, 2111). Das Mitverschulden des Verletzten stellt bei der Festsetzung eines Schmerzensgelds lediglich einen Bemessungsfaktor neben anderen dar (vgl. , NZV 1991, 305; vom - VI ZR 356/00, NZV 2002, 27, 28), der mithin nicht den Grund des Anspruchs, sondern dessen Höhe betrifft. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird es aus verfahrensökonomischen Gründen zwar für zulässig gehalten, das erst im Betragsverfahren bei der Bemessung des Schmerzensgeldes in die endgültige Bewertung einzustellende Mitverschulden des Verletzten bereits im Grundurteil durch die Angabe einer zu berücksichtigenden Mitverschuldensquote festzulegen (vgl. , aaO; Beschluss vom - 5 StR 291/02, BGHSt 47, 378, 382; Urteil vom - VI ZR 13/69, VersR 1970, 624; OLG Düsseldorf, VersR 1975, 1052; OLG Köln, VersR 1975, 543; Vollkommer in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 304 Rn. 14 mwN; Oetker in MüKoBGB, 6. Aufl., § 253 Rn. 70; Rensen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 304 Rn. 30; aA Musielak, ZPO, 10. Aufl., § 304 Rn. 8). Zwingend erforderlich ist dies indes nicht.
12d) Der Senat ist nicht gehindert, wegen der Zubilligung der Entschädigung abweichend vom Antrag des Generalbundesanwalts durch Beschluss zu entscheiden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 239/09, NStZ-RR 2009, 382; vom - 3 StR 602/98, BGHR StPO § 406a Abs. 2 Beschluss 1).
133. Der nur geringfügige Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch das Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO). Die das Adhäsionsverfahren betreffende Kosten- und Auslagenentscheidung ergibt sich aus § 472a Abs. 1 und 2 StPO.
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin
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Fundstelle(n):
ZAAAE-61730