BFH Beschluss v. - X B 262/12

Bekanntgabe von Verwaltungsakten

Gesetze: AO § 122 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden im Streitjahr 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

2 Mangels Abgabe ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) im Bescheid vom die Besteuerungsgrundlagen. Dieser Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN). Mit Bescheid vom hob das FA den VdN auf. Die Kläger reichten am ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ein. Eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung lehnte das FA mit Bescheid vom ab. Der Einspruch der Kläger, mit dem sie geltend machten, sie hätten den Bescheid vom nicht erhalten, hatte keinen Erfolg.

3 Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen eingelegte Klage durch Urteil vom als unbegründet ab. Nach seiner Überzeugung wurde der Bescheid über die Aufhebung des VdN den Klägern in einem Briefumschlag zusammen mit dem Einkommensteuerbescheid für 2008 und einem Bescheid über Einkommensteuervorauszahlungen für 2010, deren Zugang nicht bestritten wird, wirksam bekannt gegeben. Dies ergebe sich aus dem vom FA vorgelegten Auszug aus der Überwachungsdatenbank des Rechenzentrums der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, dem sog. Troubleticket vom sowie den Erläuterungen eines Mitarbeiters des Rechenzentrums, den das FG als Zeuge vernommen hat. Danach seien am um 8:20 Uhr zwei Sendungen an die Kläger zur Absendung am erstellt worden und ohne Störung durchgelaufen. Eine dieser Sendungen habe drei Einkommensteuerbescheide enthalten. Der streitige Bescheid habe obenauf gelegen. Da —auch nach Angaben der Kläger— die beiden ihnen zugegangenen Bescheide kein Codefeld neben dem Adressfeld enthalten hätten, der Lesestatus „ok” im Auszug aus der Überwachungsdatenbank aber eine entsprechende Codierung voraussetze, könne er sich nur auf den Bescheid über die Aufhebung des VdN beziehen. Dieser müsse folglich die notwendige Codierung neben dem Adressfeld des Bescheids enthalten haben und als Teil der fraglichen Sendung den Klägern auch zugegangen sein.

4 Mit der eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Es sei zu klären, ob der Lesestatus „ok” ausschließen könne, dass anschließend Fehler bei der Kuvertierung geschehen sind. Das FA tritt der Nichtzulassungsbeschwerde entgegen.

5 II. Die Beschwerde ist —bei sehr deutlichen Zweifeln an ihrer Zulässigkeit— zumindest unbegründet. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—), auf den die Kläger ihre Beschwerde stützen, ist nicht gegeben (vgl. unter 1.). Soweit sie darüber hinaus im Nachgang auf die Erwiderung des FA darauf abstellen, das FG habe die Senatsentscheidung vom X B 11/08 (BFH/NV 2008, 743) übersehen, erfolgt dieser Vortrag zu spät, um berücksichtigt werden zu können (vgl. unter 2.).

6 1. a) Macht der Beschwerdeführer geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), so muss er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen. Dafür ist es erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Des Weiteren muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2011, 1165).

7 b) Nach diesen Grundsätzen fehlt es bereits am Herausstellen einer abstrakten Rechtsfrage, da es den Klägern allein darauf ankommt, klären zu lassen, ob dem FA der Nachweis gelungen sei, dass der streitgegenständliche Bescheid vom ihnen tatsächlich zugegangen sei. Auf diesen konkreten, sie allein betreffenden Einzelfall stellen sie auch dann ab, wenn sie im Rahmen ihrer Beschwerde die Einholung eines Sachverständigengutachtens verlangen.

8 Fragen, deren Beantwortung —wie im vorliegenden Fall— wesentlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig sind, sind jedoch nicht klärungsbedürftig i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 Alternative 1 FGO (BFH-Beschlüsse vom IX B 125/11, BFH/NV 2012, 2001, und vom I B 26/12, BFH/NV 2013, 1061).

9 Im Übrigen obliegt es im finanzgerichtlichen Verfahren dem FG, den der Besteuerung zu Grunde zu legenden Sachverhalt zu ermitteln (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Es muss zu diesem Zweck den Vortrag der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt verwerten sowie erforderlichenfalls Beweis erheben (§ 81 FGO). Die Würdigung der ihm vorliegenden Unterlagen und Beweisergebnisse ist grundsätzlich allein dem FG vorbehalten, das hierbei nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheiden muss (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die auf diese Weise zustande gekommene Entscheidung kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob das FG entweder von einem unzureichend aufgeklärten Sachverhalt ausgegangen ist oder mit seiner Sachverhaltswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 24, m.w.N.).

10 Ein solcher Verstoß ist für den Senat nicht erkennbar. Vielmehr erscheint die Schlussfolgerung des FG nahezu zwingend. Enthält nämlich keiner der dem Steuerpflichtigen nach seinen Angaben vorliegenden Bescheide einer Sendung die für den Lesestatus „ok” unabdingbare Codierung neben dem Adressfeld des Bescheids, so kann sich diese nur auf dem weiteren, angeblich nicht zugegangenen Bescheid, befinden. Mit ihrem Einwand, es könne ein Kuvertierungsfehler vorliegen, übersehen die Kläger, dass nach den Feststellungen des FG der Lesestatus erst nach der Kuvertierung erfolgt (vgl. S. 5 unten des Urteils).

11 Soweit die Kläger der Ansicht sind, dass in einem Revisionsverfahren auch geklärt werden könne, welche Voraussetzungen bzw. Anforderungen an die Finanzbehörden im Allgemeinen zu richten seien, wenn diese sich bei Versendung von Steuerbescheiden technischer Hilfsmittel bedienten, ist dieser Vortrag zu allgemein gehalten, um erkennen zu lassen, welche konkrete Rechtsfrage der Klärung bedürfe.

12 2. Das Vorbringen der Kläger, das FG habe die Senatsentscheidung in BFH/NV 2008, 743 übersehen, wonach die Behörde den vollen Beweis zu erbringen habe, dass ein Steuerbescheid tatsächlich zugegangen sei, kann im Streitfall ebenfalls nicht zur Revisionszulassung führen.

13 Denn dieser Vortrag ist dem Beschwerdegericht erstmals in einem am eingegangenen Schriftsatz unterbreitet worden. Die Frist zur Begründung der Beschwerde gegen das am zugestellte Urteil des FG war aber bereits am abgelaufen. Nach Ablauf der Begründungsfrist können neue Zulassungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden (Senatsbeschluss vom X B 14/12, BFH/NV 2013, 735, unter II.2.c, m.w.N.). Weitere Schriftsätze sind nur noch als Ergänzung oder Erläuterung zu den innerhalb der Frist ordnungsgemäß dargelegten Zulassungsgründen zu berücksichtigen (, BFH/NV 2003, 1214, unter 3.).

14 Das Vorbringen der Kläger in Bezug auf das Übersehen dieser Senatsentscheidung kann nicht als bloße Ergänzung oder Erläuterung der ursprünglichen Beschwerdebegründung angesehen werden. Denn zunächst hatten die Kläger die Revisionszulassung allein unter dem Aspekt der grundsätzlichen Bedeutung beantragt. Das spätere Vorbringen, das FG habe die fragliche Entscheidung des BFH übersehen, bedeutet demgegenüber keine Ergänzung, sondern ein aliud. Die Kläger erheben damit —zusätzlich— eine Divergenzrüge nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO.

15 Im Übrigen liegt eine solche Divergenz der Entscheidung des FG zum von den Klägern angeführten Senatsbeschluss in BFH/NV 2008, 743 nicht vor. Vielmehr geht das FG wie schon der Senat in diesem Beschluss davon aus, dass der Beweis des Zugangs eines schriftlichen Verwaltungsakts auf Indizien gestützt und im Wege der freien Beweiswürdigung geführt werden kann. Auf dieser Grundlage hat es den Vollbeweis als erbracht angesehen.

16 3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 485 Nr. 4
JAAAE-54587