Wiedereinsetzung: Aufgabe eines schriftwahrenden Schriftsatzes zur Post; Pflicht zur Vorabübersendung als Telefax
Gesetze: § 236 Abs 2 S 1 ZPO, § 233 ZPO
Instanzenzug: Az: 27 U 1083/12 Beschlussvorgehend LG Augsburg Az: 91 O 1812/11 Urteil
Gründe
I.
1Mit den Klägerinnen am zugestelltem Urteil hat das Landgericht deren Vollstreckungsgegenklage abgewiesen. Hiergegen legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen per Fax fristgerecht Berufung ein. Am ging per Fax die Berufungsbegründung ein. Mit Verfügung vom , die laut Empfangsbekenntnis am zugestellt worden war, hatte der Vorsitzende des Oberlandesgerichts der Anwältin unter Hinweis auf § 522 ZPO mitgeteilt, dass eine Berufungsbegründung nicht vorliege.
2Mit per Fax eingegangenem Schriftsatz vom haben die Klägerinnen Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt und hierzu ausgeführt, ihre Prozessbevollmächtigte habe unter dem eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum (richtig ) beantragt. Der Antrag sei von der Anwältin persönlich am 14. April zur Post gebracht und dort in den Briefkasten geworfen worden. Die Absendung des Schreibens sei in der Akte vermerkt worden. Die Richtigkeit dieser Angaben werde anwaltlich versichert. Da bis zum Ablauf der regulären Begründungsfrist am keine Ablehnung des Verlängerungsgesuchs eingegangen sei, habe die Prozessbevollmächtigte erwarten dürfen, dass dem Antrag entsprochen werde. Erst anlässlich eines am mit der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts geführten Telefonats habe die Prozessbevollmächtigte erfahren, dass der Verlängerungsantrag nicht bei Gericht eingegangen sei.
3Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Klägerinnen mit der Rechtsbeschwerde. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
4Das Berufungsgericht ist der Auffassung, es sei schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Prozessbevollmächtigte den Verlängerungsantrag an einem Samstag persönlich zur Post gebracht habe, weil sämtliche vorherigen Schriftsätze stets vorab per Fax versendet worden seien und durch Vorlage des Sendeberichts unschwer der Eingang hätte belegt werden können. Vor diesem Hintergrund genüge der bloße Vortrag des Postversands ohne nähere Erklärung, warum ausnahmsweise dieser Weg gewählt worden sei, "nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung des gesamten Vorbringens vorliegend nicht (vgl. Zöller-Greger, 29. Aufl., § 294 ZPO, Rdnr. 6)". Zudem sei weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Prozessbevollmächtigte durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle Vorkehrungen gegen Fristversäumungen getroffen habe. Nach dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten sei lediglich das Absenden des Schreibens in der Akte vermerkt worden und erst anlässlich eines am mit der Geschäftsstelle geführten Telefonats bekannt geworden, dass der Verlängerungsantrag nicht eingegangen sei. Es hätte aber durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden müssen, dass vor dem beantragten Fristablauf das wirkliche Ende der Frist ggf. durch Rückfrage bei Gericht hätte festgestellt werden können. Bei einer solchen Organisation hätte nachdem eine Reaktion des Berufungsgerichts bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ausgeblieben, bei üblichem Post- und Büroablauf jedoch zu erwarten gewesen sei - Veranlassung zu einer Rückfrage bestanden, die den fehlenden Eingang des Verlängerungsantrags ergeben und die Möglichkeit zu einer erneuten rechtzeitigen Antragstellung gegeben hätte.
III.
5Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere liegt die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 Abs. 2 ZPO vor, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat den Klägerinnen den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Zum einen stützt es seine Zweifel an der Richtigkeit der anwaltlichen Versicherung der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen auf das Fehlen zusätzlicher Angaben zu dem Versand per Telefax, obwohl dazu von Rechts wegen kein Vortrag erforderlich war (dazu näher unten IV.1.). Zum anderen nimmt es zu Unrecht an, der Wiedereinsetzung stehe ein nicht ausgeräumtes Organisationsverschulden entgegen (unten IV.2.). Beides verletzt den Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG, NJW 2013, 592 f. mwN) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (Senat, Beschlüsse vom - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368; vom - V ZB 72/11, NJW-RR 2012, 82 Rn. 8; vom V ZB 242/11, ZWE 2012, 334, 335; Beschluss vom V ZB 226/12, juris Rn. 5; jeweils mwN).
IV.
6Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
71. Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht an, der Postversand des Verlängerungsantrages sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht; es fehle eine nähere Erklärung dazu, warum nicht - wie stets zuvor - der Weg des Faxversandes gewählt worden sei.
8a) Allerdings legt es - wie die Verweisung auf die mit "Wahrscheinlichkeitsfeststellung" überschriebene Kommentierung (Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 295 Rn. 6) belegt - der Sache nach zutreffend zugrunde, dass eine Tatsache schon dann nach § 294 ZPO glaubhaft gemacht ist, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ihr Vorliegen besteht (vgl. nur Senat, Beschluss vom - V ZB 226/12, juris Rn. 12; , BGHZ 156, 139, 143), wenn also bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Gesamtumstände (, NJW-RR 2007, 776, 777 Rn. 12) mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (Senat, Beschluss vom - V ZB 210/09, NJW-RR 2011, 136 Rn. 7 mwN).
9b) Das Berufungsgericht überspannt indessen die Anforderungen, die nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO an die Darlegung und Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen zu stellen sind. Erforderlich ist eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht. Diesen Vorgaben genügt das Wiedereinsetzungsgesuch. Eine Versendung des Verlängerungsantrages per Post am war ausreichend, um den Eingang bei Gericht innerhalb der erst am ablaufenden Frist zu gewährleisten. Eine Partei darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Geht eine Sendung verloren oder wird sie verspätet ausgeliefert, darf dies der Partei nicht als Verschulden angerechnet werden (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 62/03, NJW-RR 2004, 1217, 1218; , NJW 2011, 458 Rn. 15; Beschluss vom - IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379 Rn. 8 mwN). Weitere Vorkehrungen müssen nicht ergriffen werden. Insbesondere ist eine Partei nicht gehalten, Schriftsätze vorab per Telefax zu übersenden (Senat, Beschluss vom - V ZB 226/12, juris Rn. 7 mwN). Vor diesem Hintergrund führt der Umstand, dass sich ein Rechtsanwalt entschließt, von der bisherigen Versandpraxis generell oder im Einzelfall abzusehen, nicht ohne weiteres zur Erläuterungsbedürftigkeit dieser Entschließung. Davon abgesehen ist die Wahl eines anderen gängigen und zur Fristwahrung tauglichen Versandweges - auch wenn dieser von der bisherigen Handhabung abweicht - nicht ohne Hinzutreten weiterer aussagekräftiger Umstände geeignet, den Beweiswert einer bei isolierter Betrachtung zur Glaubhaftmachung ausreichenden anwaltlichen Versicherung in Zweifel zu ziehen.
102. Ebenfalls zu beanstanden ist die Erwägung des Berufungsgerichts, die Wiedereinsetzung sei zudem mit Blick auf ein den Klägerinnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden ihrer Prozessbevollmächtigten zu versagen. Die Angaben zur erforderlichen Fristenkontrolle sind zwar außerordentlich dürftig, wenn es in dem Wiedereinsetzungsgesuch lediglich heißt, die Absendung des Verlängerungsantrages sei in der Akte vermerkt worden. Ob und ggf. welche organisatorischen Vorkehrungen zur Fristenkontrolle getroffen worden sind, geht daraus nicht hervor. Ein Organisationsverschulden wird dadurch nicht ausgeräumt. Das Berufungsgericht verkennt aber, dass dieses nicht ursächlich geworden ist für die Fristversäumung.
11a) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Beschluss vom - VI ZB 16/12, MDR 2012, 1056 Rn. 9 f. mwN), die im Lichte verfassungsgerichtlicher Vorgaben (dazu BVerfGE 42, 120, 126 f.; BVerfG, NJW 1992, 38, 39) zu sehen ist, kommt eine Verpflichtung des Prozessbevollmächtigten, sich vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist über eine Verlängerung dieser Frist durch Nachfrage bei Gericht zu vergewissern, nur noch ausnahmsweise in Betracht. Erforderlich hierfür ist ein konkreter Anlass, der nicht schon dann besteht, wenn der Anwalt in der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhält. Vielmehr wird eine Erkundigungspflicht erst durch eine solche Mitteilung des Gerichts ausgelöst, die unzweideutig ergibt, dass etwas fehlgelaufen ist (BGH, aaO, Rn. 10). Gemessen daran war die Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen nicht verpflichtet, sich innerhalb der bis zum laufenden Berufungsbegründungsfrist danach zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen war.
12b) Für die Zeit nach Ablauf der regulären Berufungsbegründungsfrist bestand eine Verpflichtung zur Rückfrage zumindest deshalb nicht, weil die Berufung bereits am begründet wurde und der Prozessbevollmächtigte einer Partei mit der beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist regelmäßig jedenfalls um einen Monat (vgl. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO) rechnen darf, sofern es sich um den ersten Verlängerungsantrag handelt und ein erheblicher Grund geltend gemacht wird (vgl. nur , NJW 2010, 1610, 1611 Rn. 7 mwN). Da diese Voraussetzungen hier vorliegen und keine besonderen Umstände ersichtlich sind, die Anlass zu Nachfragen hätten geben müssen, haben sich nicht ausgeräumte Defizite bei der Organisation der Fristenkontrolle nicht ausgewirkt (zu diesem Erfordernis etwa , NJW 2011, 859, 860 Rn. 15).
133. Danach kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist zur Endentscheidung reif, weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Da es dem Senat auf der Grundlage der obigen Erörterungen (IV.1.b) überwiegend wahrscheinlich erscheint, dass der Verlängerungsantrag am auf den Postweg gebracht worden ist, und auch die übrigen Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung vorliegen, ist dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben. Soweit das Berufungsgericht zudem die Berufung als unzulässig verworfen hat, wird der Beschluss mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos (Senat, Beschluss vom - V ZB 226/12, juris Rn. 15; , FamRZ 2005, 791, 792). Seine Aufhebung erfolgt nur klarstellend auch ohne ausdrücklichen Antrag.
Stresemann Roth Brückner
Weinland Kazele
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XAAAE-46507