Allgemeine Versicherungsbedingungen der Rechtsschutzversicherung: Inhaltskontrolle für die sog. Effektenklausel
Gesetze: § 307 Abs 1 S 2 BGB, § 3 Abs 2 Buchst f DBuchst b ARB
Instanzenzug: Az: 2 U 118/11 Urteilvorgehend Az: 20 O 313/10
Tatbestand
1Der Kläger ist ein in der Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG geführter Verbraucherschutzverein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben unter anderem die - auch gerichtliche - Verfolgung von Verstößen gegen das AGB-Gesetz gehört. In den von der Beklagten, einem Versicherungsunternehmen, verwendeten Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung heißt es in § 3 Abs. 2 f) bb):
"Rechtsschutz besteht nicht für Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit der Anschaffung, der Inhaberschaft oder der Veräußerung von Effekten (z.B. Anleihen, Aktien, Investmentanteilen)."
2Der Kläger begehrt, der Beklagten die Verwendung dieser Bestimmung zu untersagen, weil sie seiner Ansicht nach intransparent ist. Ferner verlangt er für die vergebliche vorgerichtliche Abmahnung der Beklagten einen Kostenersatz in Höhe von 238 €.
3Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen.
4Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, der seinen Klageantrag weiterverfolgt.
Gründe
5Die Revision ist - bis auf eine geringe Zinsforderung - begründet. Mit dieser Einschränkung führt sie zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
6I. Das Berufungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, die angegriffene Klausel sei wirksam. Insbesondere verstoße sie nicht gegen das Transparenzgebot. Insoweit sei nicht erforderlich, dass aus einem speziellen Lebensbereich entnommene Ausdrücke jedermann sofort verständlich seien; in der Rechtsschutzversicherung sei es unabdingbar, auf Fach- und Rechtsbegriffe zurückzugreifen. Der Begriff "Effekten" sei ein solcher geschäftsüblicher Fachbegriff, der hinreichend klar und für den Kunden verständlich sei. Spätestens durch die exemplarische Aufzählung im Klammerzusatz habe der Verbraucher einen tragfähigen Anhalt für die Bedeutung des Begriffs, und Unschärfen könnten nur noch in untergeordneten Randbereichen auftreten.
7II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
81. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die hier verwendete so genannte "Effektenklausel" als wirksam angesehen. Sie verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Hiernach ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Eine Klausel muss nicht nur in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Vertragspartner verständlich sein, sondern darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (, VersR 2005, 976 unter II 1 c aa und vom - IV ZR 241/04, VersR 2008, 816 Rn. 15, jeweils m.w.N.). Bei einer den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklausel müssen dem Versicherungsnehmer die damit verbundenen Nachteile und Belastungen, soweit nach den Umständen möglich, so verdeutlicht werden, dass er den danach noch bestehenden Umfang der Versicherung erkennen kann (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 130/03, BGHZ 159, 360, 369 f.). Diesen Erfordernissen entspricht die "Effektenklausel" nicht. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann ihr nicht hinreichend klar entnehmen, welche Geschäfte von dem Ausschluss erfasst sein sollen.
9a) Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Insoweit gilt kein anderer Maßstab als derjenige, der auch bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen zu beachten ist (Senatsurteil vom - IV ZR 25/04, VersR 2005, 976 unter I 1 c bb m.w.N.). Diese sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (Senatsurteil vom - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85 und ständig). Allgemeine Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist dabei vom Wortlaut auszugehen. Der verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom - IV ZR 201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 21 m.w.N.; st. Rspr.).
10Nach diesem Maßstab kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer Gegenstand und Reichweite des Ausschlusses bei der hier in Rede stehenden Klausel nicht erkennen.
11aa) Rechtsfehlerhaft ist bereits die Anknüpfung des Berufungsgerichts an das Kriterium eines "geschäftsüblichen Fachbegriffs". Insoweit legt das Berufungsgericht seiner Beurteilung einen Prüfungsmaßstab zugrunde, der von der ständigen Rechtsprechung des Senats abweicht.
12Danach erfährt der Grundsatz, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom aaO), nur dann eine Ausnahme, wenn die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verbindet. Dann ist anzunehmen, dass darunter auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen nichts anderes verstehen wollen und der Versicherungsnehmer hinnimmt, was ihm über die Rechtssprache vorgegeben wird (st. Rspr.; Senatsbeschluss vom - IV ZR 17/10, VersR 2011, 1179 Rn. 14; , VersR 2009, 216 Rn. 13; vom - IV ZR 85/05, VersR 2007, 939 Rn. 12; vom - IV ZR 124/06, VersR 2007, 535 Rn. 14; vom - IV ZR 327/02, VersR 2003, 1122 unter 2 a; vom - IV ZR 40/99, VersR 2000, 311 unter II 4 b aa). Alle anderen Fachbegriffe scheiden als objektive Verständnisvorgabe aus, weil dies in Abweichung vom vorgenannten maßgeblichen Auslegungsgrundsatz zu einer gesetzesähnlichen Auslegung von Versicherungsbedingungen führen würde. Gibt es in der Rechtssprache keinen umfassenden, in seinen Konturen eindeutigen Begriff, ist für die Begriffsklärung auf die Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs der Klausel abzustellen ( aaO unter 2 b bb und vom aaO unter II 4 b bb). Ein solcher Versicherungsnehmer wird zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen, wobei für ihn der Sprachgebrauch des täglichen Lebens und nicht etwa eine Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist, maßgebend ist (Senatsbeschluss vom - IV ZR 17/10, VersR 2011, 1179 Rn. 14 m.w.N.).
13bb) Wie auch das Berufungsgericht zutreffend sieht, handelt es sich bei dem Begriff "Effekten" nicht um einen fest umrissenen Begriff der Rechtssprache. Eine Legaldefinition des Begriffs gibt es seit der Änderung von § 1 Abs. 1 Nr. 4 KWG durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften vom (BGBl. I S. 2518) mit Wirkung ab nicht mehr, abgesehen davon, dass der dort definierte Begriff des "Effektengeschäfts" die Anschaffung und Veräußerung von Wertpapieren jeder Art erfasste und damit weit über das heute übliche engere Verständnis (vgl. unten b)) hinausweist. Allein die wiederholte Verwendung des Begriffs in zahlreichen gerichtlichen Entscheidungen, auch des , WM 2002, 1502, 1503; vom - XI ZR 200/03, BGHZ 161, 189, 191, 193 f.; vom - XI ZR 49/04, NJW-RR 2005, 1135, 1136; vom - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 23; vom - XI ZR 178/10, NJW-RR 2012, 43 Rn. 53; vom - XI ZR 182/10, NJW 2012, 66 Rn. 50), genügt ebenfalls nicht, um den Ausdruck zu einem fest umrissenen Begriff der Rechtssprache zu machen, zumal in diesen Entscheidungen regelmäßig keine Definition oder Abgrenzung des Begriffs nach juristischen Kriterien vorgenommen, sondern er allenfalls im Sinne eines im Bankwesen geschäftsüblichen Fachbegriffs verwendet wird.
14b) Verbindet danach die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck "Effekten" keinen fest umrissenen Begriff und kommt es daher nach den oben genannten Prüfungsmaßstäben nur darauf an, wie dieser Begriff aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, ausgehend vom allgemeinen Sprachgebrauch des täglichen Lebens, zu verstehen ist, so erweist sich die Klausel als intransparent.
15Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff der Effekten nur noch selten im Sinne einer Bezeichnung für bewegliche Habe und Habseligkeiten verwendet. Dass diese veraltete Bedeutung in der Klausel nicht gemeint sein kann, ist - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - schon aufgrund der im Klammerzusatz aufgeführten Beispiele offensichtlich.
16Der heutige Ausdruck - vornehmlich nach seiner Verwendung im Geschäfts- und Wirtschaftsleben, nicht dagegen in der Alltagssprache - eröffnet dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ein weites Begriffsfeld (vgl. www.duden.de "Effekten" unter 1; Brockhaus Enzyklopädie 20. Aufl. "Effekten"; www.wikipedia.de "Effekten" Stand Mai 2013).
17Danach wird er zwar möglicherweise erkennen, dass es sich bei Effekten um einen Ausschnitt aus der Gruppe der Wertpapiere handelt; die schlagwortartige Bezeichnung "Effekten" reicht aber nicht dafür aus, dass sich ihm erschließt, welche weiteren Kriterien erfüllt sein müssen, damit Wertpapiere als Effekten einzustufen sind, und wann Geschäfte mit diesen Papieren vom Deckungsumfang der Versicherung erfasst sein sollen. Es kann nicht erwartet werden, dass er als juristischer Laie ein präziseres Begriffsverständnis, wie es der Verwendung des Begriffs in der Rechtsprechung (siehe oben unter a) bb)) oder in Finanz- und Bankenkreisen zugrunde liegen mag, kennt. Ohne nähere Erläuterung wird ihm auch bei aufmerksamer und sorgfältiger Lektüre des Vertrages nicht vermittelt, was mit "Effekten" gemeint ist (vgl. ähnlich zu "Kardinalpflichten" , BGHZ 164, 11 unter X. 2 b). So wird er beispielsweise nicht sicher erkennen, ob die Klausel auch bei Geschäften über nicht börsennotierte, aber potenziell an der Börse handelbare Wertpapiere, oder umgekehrt bei Geschäften mit nicht an der Börse handelbaren Wertpapieren eingreifen soll (zutreffend OLG München VersR 2012, 477, 478 f.).
182. Aufgrund der Unwirksamkeit der streitigen Klausel kann der Kläger von der Beklagten gemäß § 1 UKlaG die Unterlassung ihrer Verwendung beanspruchen. Die hierfür notwendige Wiederholungsgefahr ist gegeben, weil aus der vertraglichen Einbeziehung der Bedingungen in der Vergangenheit die tatsächliche Vermutung der zukünftigen Verwendung und Anwendung bei der Vertragsdurchführung folgt (Senatsurteil vom - IV ZR 201/10, VersR 1149 Rn. 72 m.w.N.).
19Diese Vermutung ist nicht widerlegt. Zwar hat die Beklagte vorgetragen, in ihren aktuellen Bedingungen, die für neu abgeschlossene Verträge gelten, nicht mehr den Begriff "Effekten", sondern - den Musterbedingungen des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) folgend - den Begriff "Wertpapiere" zu verwenden. Dies schließt die Wiederholungsgefahr jedoch nicht aus, weil sie die für eine Widerlegung regelmäßig erforderliche Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, gegebenenfalls unter Hervorhebung ihrer an sich gegenteiligen Rechtsauffassung (vgl. Senatsurteil aaO Rn. 80; , NJW-RR 2001, 485, 487), verweigert und die angebliche Rechtmäßigkeit ihrer Bedingungen durchgehend verteidigt hat (vgl. Senatsurteil aaO; aaO; vom - III ZR 199/01, NJW 2002, 2386 unter I 2).
203. Der Anspruch auf Erstattung der für die vorprozessuale Abmahnung erforderlichen Aufwendungen folgt aus § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG. Gegen die Höhe der geltend gemachten Kostenpauschale von 238 € bestehen keine Bedenken, § 287 ZPO. Rechtshängigkeitszinsen auf diesen Betrag kann der Kläger aufgrund der Klagezustellung am indessen erst ab dem verlangen, §§ 291 Satz 1 Halbsatz 1, 187 Abs. 1 BGB; nur insoweit war die Berufung der Beklagten begründet.
Mayen Wendt Felsch
Lehmann Dr. Brockmöller
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Fundstelle(n):
UAAAE-37864