Instanzenzug:
Gründe
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person und sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat der Generalbundesanwalt beantragt, die Maßregelanordnung gemäß § 349 Abs. 4 StPO entfallen zu lassen und die Revision im Übrigen zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO). Das nunmehr auf die Überprüfung des Maßregelausspruchs beschränkte Rechtsmittel ist erfolgreich, führt indes nur zur Aufhebung des Maßregelausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen und zur Zurückverweisung an das Landgericht.
I.
2 Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3 1. Zu einem nicht mehr exakt bestimmbaren Zeitpunkt zwischen August 2002 und Dezember 2003 missbrauchte der Angeklagte die am geborene T. sexuell, indem er dem schlafenden Mädchen mehrere Cocktailtomaten in die Scheide einführte. Erst am nächsten Morgen bemerkte die Geschädigte auf einen entsprechenden Hinweis des Angeklagten die in ihrer Scheide befindlichen Tomaten (Tat 1). Die - jahrelang unentdeckt gebliebene - Tat beging der Angeklagte während des Laufs der Reststrafenbewährung aus dem Urteil gemäß unten Ziffer 2, wobei er der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin unterstellt war.
4 Im Zeitraum von August 2010 bis zum nahm der Angeklagte sexuelle Handlungen an seiner am geborenen Stieftochter Ha. vor, der gegenüber er im Einverständnis mit seiner Ehefrau alle Erziehungsrechte und -pflichten wahrnahm. Er zog sich jeweils in den Abendstunden mit seiner Stieftochter in das Eheschlafzimmer zurück, um dort bei abgeschlossener Tür "Sport zu treiben". In mindestens zwölf Fällen kam es zum ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Bei einigen der zwölf Handlungen führte der Angeklagte zusätzlich Gegenstände in die Vagina des Mädchens ein (Salatgurke, Apfel, Kartoffel, Vibrator). Neben den Fällen des vaginalen Geschlechtsverkehrs kam es in mindestens drei weiteren Fällen zum Oralverkehr, bei dem Ha . das unbedeckte erigierte Glied des Angeklagten in den Mund nehmen musste (Taten 2 bis 16).
5 2. Bereits mit Urteil vom war der Angeklagte vom Landgericht Dresden wegen 14 Fällen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Die dort zugrunde liegenden Taten hatte er zwischen Sommer 1994 und März 1998 zum Nachteil seiner am geborenen Stieftochter Hau. aus seiner früheren Ehe begangen. Auch bei einem Teil dieser Taten kam es zur Einführung von Gegenständen in die Scheide des Kindes, zur Durchführung von Oral- und Analverkehr an dem damals 11-jährigen Kind sowie im Zeitraum zwischen Januar und März 1998 in insgesamt fünf Fällen zum Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss an der 13-Jährigen.
6 3. Das Urteil beruht im Strafausspruch auf einer Verständigung, aufgrund derer der Angeklagte in der Hauptverhandlung die festgestellten Taten im Wege einer Erklärung seiner Verteidigerin eingeräumt hat. Von der Richtigkeit dieses Geständnisses hat sich die Strafkammer durch Einvernahme von Zeugen und einer gerichtsmedizinischen Sachverständigen überzeugt.
7 Die sachverständig beratene Strafkammer bejaht das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 66 StGB, aufgrund dessen der Angeklagte für die Allgemeinheit gefährlich ist. Auch angesichts des fortgeschrittenen Lebensalters des Angeklagten bei seiner voraussichtlichen Haftentlassung sei es durchaus möglich, "dass der manipulative Angeklagte noch sehr gut in der Lage sein wird, eine einfach strukturierte und hilfsbedürftige Frau etwa aus einem sozial randständigen Milieu für sich zu gewinnen"; bei dieser könne es sich mit Blick auf die Häufigkeit derartiger familiärer Konstellationen auch um eine "alleinstehende, mit allem überforderte Mutter" handeln (UA S. 25). Die Strafkammer sieht keine Handhabe, den Angeklagten etwa mit den Mitteln der Führungsaufsicht daran zu hindern, einen von ihm dominierten Sozialraum zu schaffen. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sieht sie gewahrt, da es sich "bei den hier zur Debatte stehenden Anlasstaten nach §§ 174 und 179 StGB um schwere Sexualstraftaten" handele (UA S. 24).
II.
8 1. Diese Begründung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9 a) Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht, den es wegen der nicht eindeutigen Feststellbarkeit der einzelnen Tatzeitpunkte gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB in der für den Angeklagten günstigeren Fassung vom anwendet. Insbesondere hat das Landgericht einen Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten und seine darauf beruhende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen in nachvollziehbarer Weise begründet. Den Urteilsgründen ist insbesondere die auf das Sachverständigengutachten gestützte Erwartung der Strafkammer zu entnehmen, der Angeklagte werde sich nach einer künftigen Haftentlassung wiederum aktiv bemühen, einen geschützten und von ihm kontrollierten sozialen Bereich und so die Voraussetzungen für Rückfalltaten zu schaffen.
10 b) Die Urteilsbegründung genügt indes nicht den Anforderungen an eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung, die im Hinblick auf die durch das (BVerfGE 128, 326) festgestellte Verfassungswidrigkeit des Rechts der Sicherungsverwahrung geboten ist. In der Regel muss eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten sein (BVerfG aaO S. 406). Der Bundesgerichtshof hat dieser geforderten "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" in seiner Rechtsprechung weitere normative Konturen gegeben. Danach ist sowohl hinsichtlich der Erheblichkeit weiterer Straftaten als auch hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 1, und vom - 5 StR 535/11).
11 c) Zur Frage der Erheblichkeit weiterer Straftaten nach diesen strengen Maßstäben verhält sich das Urteil nicht konkret.
12 aa) Das Landgericht hat insoweit nur darauf abgestellt, dass es sich bei den Anlasstaten nach §§ 174 und 179 StGB um schwere Sexualstraftaten handele, und dies unter Hinweis auf die gesetzlichen Strafdrohungen begründet. Indes kommt es prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestandes an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht letztentscheidend auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang. Ausschlaggebend sind hier vielmehr die Bedeutung des vor Rückfalltaten zu schützenden Rechtsgutes und die mögliche Verletzungsintensität (vgl. , NJW 2013, 707, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt, mwN). Die Strafdrohung bietet - ebenso wie die gesetzgeberisch vorgenommene Abstufung der Anlassdelikte nach §§ 66 ff. StGB (vgl. Mosbacher, HRRS 2011, 229, 231) und hier die Aufnahme von Straftaten nach §§ 174 und 179 Abs. 1 bis 4 StGB in den Katalog des § 66 Abs. 3 StGB in der Fassung vom (BGBl. I S. 2300) - eine erste, allerdings im vorliegenden Fall nicht die allein maßgebliche Orientierung bei der besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung.
13 bb) Zwar sind bestimmte Deliktsgruppen im Hinblick auf das besondere Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter grundsätzlich als schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten zu werten (vgl. - und Urteil vom - 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692, 693). Hinsichtlich der Sexualstraftaten wird dies angesichts ihrer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen unabhängig von körperlicher Gewaltanwendung - unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls - grundsätzlich für den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern bejaht (, NStZ-RR 2012, 9; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 208/11 - und vom - 3 StR 221/11), den das Landgericht indes im Rahmen seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erörtert hat.
14 Soweit die Straftat nach § 179 Abs. 1 StGB in Rede steht, belegt das Urteil bereits keinen Hang des Angeklagten zur Begehung sexueller Übergriffe zum Nachteil widerstandsunfähiger Personen.
15 Taten nach § 174 Abs. 1 StGB bedürfen demgegenüber einer einzelfallbezogenen Bewertung im Lichte der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts. Denn es sind durchaus Fallgestaltungen denkbar, die deren Voraussetzungen nicht erfüllen. Auch wenn das Urteil Umstände darstellt, die hier eine gewichtige Rolle spielen können, nimmt es eine solche Betrachtung und Bewertung nicht vor.
16 2. Allerdings teilt der Senat nicht die Auffassung des Generalbundesanwalts, dass die "in der Zukunft erwartbaren Vergehen bei normativwertender Betrachtung ob des Fehlens nötigender Tatelemente nicht das Gewicht schwerer Sexualstraftaten" im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs erreichten.
17 Eine so weitgehende Ausgrenzung von Straftaten nach § 174 StGB stünde in Widerspruch zu der Wertung, die der Gesetzgeber mit der Aufnahme dieses Delikts in den Katalog des § 66 Abs. 3 StGB getroffen hat. § 174 StGB schützt die sexuelle Selbstbestimmung und ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen innerhalb bestimmter Abhängigkeitsverhältnisse, die in typischer Weise die Gefahr der Ausnutzung aus sexuellen Motiven durch Autoritätspersonen begründen (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 174 Rn. 2). Schon im Hinblick auf das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses erübrigt sich häufig die Anwendung nötigender Mittel, ohne dass damit gerade bei dem jahrelangen sexuellen Missbrauch innerhalb von Familienverhältnissen eine nennenswert geringere Gefährdung der durch § 174 StGB geschützten Rechtsgüter oder eine geringere Intensität der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der ungestörten sexuellen Entwicklung indiziert wäre.
18 3. Das neue Tatgericht ist verpflichtet, über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung (BGBl. I 2012, 2425) am weiterhin auf der Grundlage des bisherigen Maßstabs strikter Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 128, 326) zu entscheiden. Dies ergibt sich aus Grundsätzen des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzes (vgl. 5 StR 610 und 617/13), hier zudem aus dem Gedanken des Verschlechterungsverbots.
Fundstelle(n):
HAAAE-37851