Voraussetzung eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 2 SGB X; Anspruch des Jugendhilfeträgers auf Erstattung des Kindergeldes
Gesetze: EStG § 74 Abs. 2, SGB 10 § 104, SGB VIII § 91
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die Mutter der im August 1992 geborenen T. T ist seit dem in einer vollstationären Jugendhilfeeinrichtung auf Kosten des Beigeladenen untergebracht. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hat zugunsten der Klägerin Kindergeld für T festgesetzt.
2 Mit Schreiben vom begehrte der Beigeladene wegen der im Rahmen der Eingliederungshilfe erbrachten Aufwendungen die Auszahlung des Kindergeldes an sich. Dem Schreiben war ein Bescheid vom beigefügt, wonach die Klägerin ab dem einen Kostenbeitrag in Höhe des Kindergeldes zu leisten habe. Mit Bescheid vom entschied die Familienkasse, dass das Kindergeld für den Zeitraum März bis Juli 2011 an den Beigeladenen ausgezahlt wird.
3 Mit weiterem Bescheid vom erklärte die Familienkasse gegenüber der Klägerin, dass deren Kindergeldanspruch im Hinblick auf den durch den Beigeladenen geltend gemachten Erstattungsanspruch (§ 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes —EStG— i.V.m. §§ 104, 107 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch —SGB X—) für den Zeitraum von März bis Juli 2011 als erfüllt anzusehen sei, jedoch von einer Rückforderung des für den Monat März 2011 bereits ausbezahlten Kindergeldes abgesehen werde. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom ).
4 Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass der Beigeladene gegenüber der Klägerin bestandskräftig einen Kostenbeitrag in Höhe des vollen monatlichen Kindergeldbetrages (184 €) geltend gemacht habe und ihm nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen die Familienkasse zustehe, da die Klägerin den Kostenbeitrag nicht geleistet habe.
5 Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und wegen des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
6 II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).
7 1. Die Klägerin hat den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt.
8 a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, u.a. , BFH/NV 2010, 1469, m.w.N.). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder wenn sie bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH erforderlich machen (vgl. u.a. , BFH/NV 2004, 783).
9 Um den Darlegungsanforderungen für diesen Zulassungsgrund zu genügen, muss sich die Beschwerdebegründung mit den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen. Insbesondere sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 185/07, BFH/NV 2008, 603, und vom V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501). Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, ist darzulegen, weshalb eine erneute oder weitere Entscheidung für erforderlich gehalten wird (z.B. Senatsbeschluss vom III B 59/03, BFH/NV 2004, 166). Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (z.B. Senatsbeschluss vom III B 121/03, BFH/NV 2005, 46, m.w.N.). Dagegen reicht es zur ordnungsgemäßen Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes nicht aus, im Stil einer Revisionsbegründung Einwände gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung und die von dem FG vorgenommene Einzelfallwürdigung geltend zu machen (vgl. u.a. , BFH/NV 2006, 234).
10 b) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht.
11 Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit ergebe sich daraus, dass geklärt werden müsse, ob bei der durch einen Jugendhilfeträger erfolgenden Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 SGB X und § 94 Abs. 3 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung berücksichtigt werden müsse, welche eigenen Aufwendungen (z.B. für Fahrten, Telefonate, Geschenke, Bereitstellung von Wohnraum für Besuche und für Zusatzversicherungen) dem Kindergeldberechtigten im Zusammenhang mit der Unterstützung des Kindes entstanden sind.
12 Mit diesem Vortrag macht die Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Die Klägerin hat sich insbesondere nicht mit der einschlägigen Rechtsprechung des BFH auseinandergesetzt. Danach ist Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 SGB X nur, dass ein in § 104 Abs. 1 Satz 4 SGB X genannter Sozialleistungsträger —mithin insbesondere ein Träger der Sozial- oder Jugendhilfe— gegenüber dem Kindergeldberechtigten bestandskräftig Aufwendungsersatz geltend gemacht oder einen Kostenbeitrag erhoben hat und der Kindergeldberechtigte diesen nicht oder nicht in vollem Umfang geleistet bzw. erbracht hat (vgl. , BFHE 237, 145, BStBl II 2013, 19, m.w.N.). In diesem Zusammenhang hat der BFH bereits geklärt, dass der Familienkasse bei der Entscheidung über den Erstattungsanspruch kein Ermessen eingeräumt wird. Vielmehr hat die Familienkasse, da der Erstattungsanspruch kraft Gesetzes entsteht, das Kindergeld entsprechend dem Umfang des jeweils nicht geleisteten Aufwendungsersatzes bzw. nicht erbrachten Kostenbeitrags an den Sozialleistungsträger zu erstatten.
13 Damit ergibt sich aber auch ohne Weiteres aus dem Gesetz, dass etwaige eigene Aufwendungen des Kindergeldberechtigten für das Sozialleistungen beziehende Kind in dem Verfahren geltend gemacht werden müssen, in dem der Sozialleistungsträger gegenüber dem Kindergeldberechtigten einen Aufwendungsersatzanspruch geltend macht oder einen Kostenbeitrag erhebt. Insoweit ist etwa für den Fall, dass Träger der Jugendhilfe für stationäre und teilstationäre Leistungen sowie vorläufige Maßnahmen gegenüber den Eltern der geförderten Kinder Kostenbeiträge erheben, in den §§ 91 bis 94 SGB VIII im Einzelnen geregelt, inwieweit eine Heranziehung erfolgen darf. Dabei sieht etwa § 94 Abs. 4 SGB VIII bei vom Jugendhilfeträger über Tag und Nacht erbrachten Leistungen nur in ganz bestimmten Fällen eine Anrechnung von tatsächlichen Betreuungsleistungen des Kostenbeitragspflichtigen auf den Kostenbeitrag vor. Soweit der Kindergeldberechtigte seine diesbezüglichen Einwendungen im Verfahren über die Erhebung des Kostenbeitrags nicht geltend gemacht hat oder mit diesen nicht durchgedrungen ist, kann er sie nicht (erneut) im Verfahren über die Erstattung des Kindergeldanspruches geltend machen.
14 2. Die Revision ist auch nicht wegen des Vorliegens eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann, zuzulassen. Denn der Vortrag der Klägerin, das Urteil des FG beruhe auf einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht, genügt nicht den hierbei zu beachtenden Darlegungserfordernissen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
15 a) Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) geltend gemacht, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Beweiserhebung dem FG auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Ferner muss dargelegt werden, weshalb in der mündlichen Verhandlung keine entsprechenden Beweisanträge gestellt wurden (BFH-Beschlüsse vom VI B 161/00, BFH/NV 2003, 793; vom I B 102/10, BFH/NV 2011, 808).
16 b) Das Vorbringen der Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht. Sie macht lediglich geltend, das FG habe nicht ermittelt, wie sich die finanzielle Lage der Klägerin dargestellt habe, aus welchen —nicht familieninternen— Gründen Maßnahmen der Jugendhilfe notwendig geworden seien, welche eigenen Aufwendungen die Familie im Zusammenhang mit der Tochter T getragen habe und in welchem Umfang auch unvorhersehbare Kosten entstehen könnten.
17 Aus diesem Vortrag wird indessen nicht deutlich, weshalb sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen, obgleich es diesen Gesichtspunkten nach dessen materiell-rechtlichem Standpunkt keine Entscheidungserheblichkeit beimaß.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 921 Nr. 6
DAAAE-34144