Strafzumessung bei gefährlicher Körperverletzung: Prüfungsreihenfolge bei minder schwerem Fall und vertyptem Strafmilderungsgrund
Gesetze: § 21 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 223 Abs 1 StGB, § 224 Abs 1 Nr 5 StGB
Instanzenzug: LG Essen Az: 25 KLs 9/12
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte mit der später Geschädigten M. K. in einer konfliktbelasteten Beziehung. Am suchte er sie in ihrer Wohnung auf und führte mit ihr im Wohnzimmer ein längeres Gespräch. Dabei sprach er sie auch auf den von ihm gehegten Verdacht an, dass sie eine Beziehung mit einem anderen Mann habe. M. K. stritt dies zunächst ab. Als auf ihrem Mobiltelefon eine Kurznachricht eintraf, nahm es der Angeklagte an sich. M. K. wehrte sich hiergegen heftig und versuchte, dem Angeklagten das Mobiltelefon zu entreißen. Nachdem es dem Angeklagten gelungen war, sie mit der rechten Hand abzuwehren, las er die angekommene Nachricht. Diese hatte den Wortlaut: „Ich liebe dich“. M. K. räumte daraufhin ein, mit einem anderen Mann geschlafen zu haben. Hierüber empört, „rastete der Angeklagte aus“ und begann, mit den Händen auf den Kopf, den Oberkörper und die Beine von M. K. einzuschlagen. Der erheblich alkoholisierten und dem Angeklagten körperlich unterlegenen Geschädigten war eine Abwehr der Schläge nicht möglich. Als sie in ihr Schlafzimmer flüchtete, folgte ihr der Angeklagte nach und prügelte weiter auf sie ein. Dabei schlug er sie so heftig, dass sie mit dem Gesicht gegen die Heizung fiel und hierdurch Nasenbluten bekam. Der Aufprall war so wuchtig, dass ein eine Etage tiefer wohnender Nachbar zuerst dachte, sein eigener Heizkörper sei heruntergefallen. Der Angeklagte setzte seine Schläge fort und trieb die vor ihm flüchtende Geschädigte bis ins Badezimmer, wo er weiter auf sie einschlug. Durch die heftigen Schläge fiel M. K. gegen das Waschbecken und fing erneut an zu bluten. Während der Schläge rief sie laut um Hilfe und bat den Angeklagten aufzuhören. Kurz vor dem Eintreffen der von einem Nachbarn alarmierten Polizei beendete der Angeklagte seine Tätlichkeiten und sagte zu M. K. , dass ihre Beziehung nun beendet sei. Dem Angeklagten war bewusst, dass seine Übergriffe unter den gegebenen Umständen „abstrakt geeignet waren, eine Lebensgefahr zu begründen“.
3M. K. erlitt durch die massiven Schläge des Angeklagten einen verschobenen Bruch des Nasenbeins, eine Oberkiefer-/Maxillafraktur, einen linksseitigen Jochbeinbruch, ein leichtes bis mittleres Schädelhirntrauma sowie ein stumpfes Thoraxtrauma mit Frakturen der fünften und sechsten Rippe und Anspießung des Rippenfelles, des Lungenfelles und der Lunge. Ferner erlitt sie einen Riss der Oberlippe, der bis in die Nasennebenhöhle reichte, ein Brillenhämatom sowie erhebliche Hämatome im Bauchbereich, an den Armen und an den Beinen. Infolge der Rippenfrakturen kam es bei ihr zu einem akut lebensgefährlichen Pneumothorax, der eine Notoperation erforderlich machte. Einige Tage später wurde eine kosmetisch-chirurgische Operation durchgeführt, um die Brüche im Gesicht zu richten.
4Nach der Tat suchte der Angeklagte die Geschädigte im Krankenhaus auf und war geschockt, als er ihre Verletzungen sah. Er entschuldigte sich für seine Tat. M. K. nahm die Entschuldigung an.
5Das Landgericht hat das festgestellte Geschehen als gefährliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet. Bei der Strafzumessung hat es die Annahme eines minder schweren Falls (§ 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB) mit Rücksicht auf die Vielzahl und die Schwere der zugefügten Verletzungen verneint. In diesem Zusammenhang hat es zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich um eine Tat „im Spannungsfeld zwischen einem Beziehungsdrama und einer Gewalteskalation“ gehandelt habe. Auch sei der Angeklagte alkoholbedingt enthemmt und aufgrund seiner problematischen Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt gewesen (UA 21). Den Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB hat das Landgericht nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemindert, weil die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge einer „Affektstörung“ erheblich herabgesetzt gewesen sei. Diese Störung sei durch das tiefgreifende Enttäuschungserlebnis, in Zukunft keine gefestigte, harmonische Beziehung mit M. K. mehr führen zu können, ausgelöst worden (UA 10). Bei der konkreten Strafzumessung hat es dem Angeklagten sein Geständnis und die von der Geschädigten angenommene Entschuldigung positiv angerechnet (UA 22).
II.
6Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
71. Soweit sich der Angeklagte gegen den Schuldspruch wendet, ist sein Rechtsmittel aus den von dem Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom angeführten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Annahme einer lebensgefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfordert nicht den Einsatz gefährlicher Werkzeuge. Die vom Landgericht festgestellten Misshandlungen und die dadurch hervorgerufenen schweren Verletzungen insbesondere am Kopf der Geschädigten belegen hinreichend deutlich, dass der Angeklagte sowohl den objektiven, als auch den subjektiven Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfüllt hat.
82. Die Bemessung der Strafe ist frei von den Angeklagten belastenden Rechtsfehlern.
9a) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falls gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
10Sieht das Gesetz einen minder schweren Fall vor und ist - wie hier nach den §§ 21, 49 StGB - auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl zunächst vorrangig geprüft werden, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zuerst auf die allgemeinen Milderungsgründe abzustellen. Vermögen sie die Annahme eines minder schweren Falls allein zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere) Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB zur Verfügung. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind auch die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die Bewertung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (, NStZ-RR 2013, 7, 8; Beschluss vom - 2 StR 218/11, NStZ 2012, 271, 272; Beschluss vom - 2 StR 449/07, NStZ-RR 2008, 105; Urteil vom - 3 StR 327/99, NStZ 1999, 610).
11Diese Prüfungsreihenfolge hat das Landgericht beachtet. Mit Rücksicht auf das Tatbild und die erheblichen Vorstrafen des Angeklagten bedurfte es keiner näheren Erörterung, dass allein die allgemeinen Milderungsgründe nicht zur Annahme eines minder schweren Falls führen können (vgl. , NStZ-RR 2010, 57, 58). Soweit das Landgericht einen minder schweren Fall trotz der Einordnung der Tat „im Spannungsfeld zwischen einem Beziehungsdrama und einer Gewalteskalation“ ausdrücklich ausgeschlossen hat, kann dem hinreichend deutlich entnommen werden, dass in diese Bewertung auch die für die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB maßgebenden Umstände („Affektstörung“ infolge enttäuschter Beziehungserwartung) eingeflossen sind.
12b) Die Tatsache, dass das Landgericht eine Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB nicht ausdrücklich geprüft hat, begründet keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
13Die Vorschrift des § 46a Nr. 1 StGB ist in den Urteilsgründen nur dann zu erörtern, wenn der Täter einen Ausgleich mit dem Verletzten zumindest ernsthaft erstrebt hat und eine Strafmilderung nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann (vgl. , StV 2001, 346, 347; MüKoStGB/Maier, 2. Aufl., § 46a Rn. 52 mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung).
14Angesichts der Schwere der begangenen Tat und der gravierenden Verletzungsfolgen bei der Geschädigten war eine bloße Entschuldigung des Angeklagten ersichtlich nicht ausreichend, um eine Strafrahmenverschiebung nach § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu rechtfertigen (vgl. , NStZ 1999, 610). Das Landgericht war daher auch nicht gehalten, diese Möglichkeit in den Urteilsgründen näher abzuhandeln.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Quentin Reiter
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
VAAAE-32800