Keine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung bei nicht glaubhaft gemachter Erkrankung des Prozessbevollmächtigten
Gesetze: AO § 122 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, FGO § 155, GG Art. 103 Abs. 1, ZPO § 227
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wendet sich gegen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2006 und 2007 sowie des verrechenbaren Verlustes nach § 15a des Einkommensteuergesetzes auf den und , die auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhen. Die Bescheide hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) am mit einfachem Brief zur Post gegeben. Dagegen legte die Klägerin mit einem auf den datierten und am beim FA eingegangenen Schreiben Einspruch ein. Sie machte geltend, die Bescheide seien ihr erst am zugegangen.
2 Das FA verwarf die Einsprüche als unzulässig. Die Klägerin machte mit der Klage geltend, die angefochtenen Bescheide seien ausweislich der Posteingangsstempel sowie der Eintragung im Rechtsbehelfsbuch erst am ihrem Bevollmächtigten zugegangen.
3 Das Finanzgericht (FG) —der Einzelrichter, dem das Verfahren zur Entscheidung übertragen worden war— lud die Klägerin zur mündlichen Verhandlung am . Die Ladung wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am zugestellt. Am Morgen des teilte das Büro der Bevollmächtigten fernmündlich mit, dass der Sachbearbeiter plötzlich an Grippe erkrankt sei und bat um Mitteilung, wie weiter verfahren werden könne. Der Richter wies darauf hin, dass Gründe für eine kurzfristige Terminsänderung glaubhaft zu machen seien. Zur mündlichen Verhandlung erschien für die Klägerin niemand.
4 Das FG wies die Klage ab. Soweit der Anruf am Morgen des Terminstages als Antrag auf Verlegung des Termins zu qualifizieren sein sollte, sei ihm nicht zu entsprechen, weil die geltend gemachten Gründe nicht glaubhaft gemacht worden seien.
5 Die Klage habe auch in der Sache keinen Erfolg. Das FA habe die Einsprüche zutreffend als unzulässig verworfen. Die am zur Post gegebenen Bescheide würden nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) mit Ablauf des als bekannt gegeben gelten. Die Klägerin habe keine Umstände dargetan, die diese Zugangsvermutung erschüttern könnten. Die vorgelegten, mit dem Posteingangsstempel „19. MAR 2009” versehenen Ablichtungen der Bescheide sowie die Ablichtung aus dem Rechtsbehelfsbuch seien dafür ohne eine nähere Erläuterung und Glaubhaftmachung des Geschäftsablaufs ungeeignet. Hinzu komme, dass die in Ablichtung vorgelegte Liste augenscheinliche Fehler enthalte.
6 Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Klägerin die Versagung des rechtlichen Gehörs rügt (§ 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG habe den begründeten Antrag, den Termin zur mündlichen Verhandlung am aufzuheben, trotz geltend gemachter Verhandlungsunfähigkeit des für diesen Verhandlungstag betrauten Prozessbevollmächtigten abgelehnt. Dieser sei in der Nacht vom 13. auf den an einer fiebrigen Grippe erkrankt, so dass er diesen ganzen Tag an das Bett gefesselt geblieben sei. Angesichts des Fiebers und der winterlichen Verhältnisse habe es sich verboten, noch am einen Arzt aufzusuchen. Dies habe der Prozessbevollmächtigte nachgeholt, sobald er das Haus habe verlassen können. Im beigefügten Attest vom habe der Arzt die fehlende Verhandlungsfähigkeit für den bestätigt. In einer für denselben Verhandlungstag anberaumten Verhandlung der Komplementärin der Klägerin betreffend den Körperschaftsteuerbescheid für 2007 habe der zuständige (andere) Senat des FG dem Vertagungsantrag entsprochen. In der späteren mündlichen Verhandlung in jener Sache habe das Gericht von der rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs überzeugt werden können. Bei einer Vertagung wären die angefochtenen Bescheide mit großer Wahrscheinlichkeit zu Gunsten der Klägerin geändert worden, weil die Jahressteuererklärungen 2006 und 2007 dem FA seit dem vorgelegen hätten.
7 Die Klägerin beantragt sinngemäß, das nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
8 Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
9 II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem gerügten Verfahrensmangel, weil das FG das rechtliche Gehör der Klägerin nicht verletzt hat (§§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
10 1. Führt das FG die mündliche Verhandlung in Abwesenheit eines ordnungsgemäß geladenen Beteiligten durch, kann darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO liegen, wenn vor dem Termin eine Terminsverlegung beantragt und dem Antrag nicht stattgegeben wurde. Denn das FG ist grundsätzlich verpflichtet, einen Verhandlungstermin zu verlegen, wenn hierfür erhebliche Gründe i.S. des § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegen (, BFH/NV 2006, 1490). Zu diesen erheblichen Gründen gehört auch die Erkrankung eines Prozessbevollmächtigten (vgl. , BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240, m.w.N.).
11 2. Zwar sind die erheblichen Gründe i.S. des § 227 Abs. 1 ZPO nur „auf Verlangen” des Vorsitzenden glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO). Eine Terminsverlegung kann daher nicht allein wegen eines fehlenden ärztlichen Attestes verweigert werden, wenn das Gericht einige Tage Zeit zur Prüfung eines dahin gehenden Antrags hatte und seinerseits die Glaubhaftmachung der Erkrankung nicht verlangt hat (, BFH/NV 1995, 46). Aufgrund des Schweigens des Gerichts können die Beteiligten dann darauf vertrauen, dass ihre tatsächlichen Angaben nicht bezweifelt werden. Das gilt aber nicht, wenn der Antrag auf Terminsverlegung „in letzter Minute” gestellt wird und dem Gericht keine Zeit für weitere Maßnahmen verbleibt (, BFH/NV 2005, 1578). Dann müssen die Beteiligten mit einer Prüfung ihres Antrags unter jedem in Frage kommenden Gesichtspunkt rechnen und von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag ggf. auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1578). Notwendig ist in derartigen eiligen Fällen daher entweder die Vorlage eines ärztlichen Attestes, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder zumindest eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann (BFH-Beschlüsse vom X B 58/99, BFH/NV 2000, 441; vom IV B 90/97, BFH/NV 1999, 799).
12 3. Kann der Prozessbevollmächtigte wegen Krankheit einen Termin nicht wahrnehmen, so muss das Gericht den Termin gleichwohl nicht verlegen, wenn die Prozessvollmacht auf eine Sozietät ausgestellt ist und der Termin durch ein anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden kann (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2005, 1578; vom I B 3/98, BFH/NV 1999, 626; vom X B 23/96, BFH/NV 1998, 726). Hinderungsgründe für die Wahrnehmung des Termins durch ein anderes Mitglied der Sozietät müssen im Einzelnen vorgetragen werden, sofern sie nicht offenkundig sind (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1998, 726; in BFH/NV 1999, 626). Ohne einen solchen Vortrag darf das Gericht von dem Fehlen „erheblicher Gründe” für eine Terminsverlegung ausgehen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2005, 1578; vom I B 111/03, BFH/NV 2004, 1282).
13 4. Im Streitfall hat danach die Durchführung der mündlichen Verhandlung trotz der telefonischen Mitteilung des Büros der Bevollmächtigten, dass der Sachbearbeiter plötzlich an Grippe erkrankt sei, den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Denn das FG war nicht verpflichtet, den Verhandlungstermin zu verlegen. Die Erkrankung des für diesen Verhandlungstag mit der Vertretung vor dem FG betrauten Sachbearbeiters der Prozessbevollmächtigten war kurzfristig am Morgen des Verhandlungstages mitgeteilt und trotz entsprechenden Hinweises des FG nicht (rechtzeitig) glaubhaft gemacht worden; das ärztliche Attest wurde erst zwei Tage nach der mündlichen Verhandlung erstellt. Hinzu kommt, dass zur Frage der Terminswahrnehmung durch ein anderes Mitglied der bevollmächtigten Sozietät nichts vorgetragen wurde. Hinderungsgründe sind insoweit auch nicht offenkundig. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass ein anderes Mitglied der Sozietät nicht in der Lage gewesen wäre, zu dem (behaupteten) Zugang der angefochtenen Bescheide nach Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO und zur zwischenzeitlichen Vorlage der Steuererklärungen vorzutragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1469 Nr. 9
LAAAE-13294