Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen; Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG unter Berücksichtigung des Unionsrechts
Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1, UStG § 4 Nr. 14, EStG § 18, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, FGO § 96 Abs. 2, RL 77/388/EWG Art. 13 Teil A Abs. 1 c
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Beschwerde ist unbegründet.
2 Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Beschwerde u.a. zuzulassen, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
3 1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz des Urteils des Finanzgerichts (FG) zu dem (BFHE 202, 160, BStBl II 2003, 480) und dem (BFHE 203, 429, BStBl II 2004, 954) zuzulassen. Eine Divergenz ist weder hinreichend dargelegt worden noch liegt die gerügte Abweichung tatsächlich vor:
4 a) Zur Darlegung einer Divergenz muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (BFH-Beschlüsse vom V B 159/05, BFH/NV 2006, 1892, und vom V B 136/05, BFH/NV 2007, 1719). Dabei ist insbesondere auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (BFH-Beschlüsse vom VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799; vom VIII B 2/06, BFH/NV 2007, 40). Die bloße Behauptung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die Entscheidung des FG sei mit den Entscheidungen des BFH in BFHE 202, 160, BStBl II 2003, 480 und in BFHE 203, 429, BStBl II 2004, 954 nicht vereinbar, genügt diesen Anforderungen nicht. Mit ihrem Vortrag, das FG habe eine Gesamtbetrachtung hinsichtlich einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit unterlassen und auch nicht gewürdigt, dass die Klägerin über eine umfangreiche Ausbildung als Therapeutin sowie eine Zulassung des Verbandes X verfüge, macht die Klägerin lediglich das Vorliegen von Rechtsfehlern des FG geltend. Ein Rechtsanwendungsfehler kann jedoch allenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen, wenn er von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung ist (vgl. , BFH/NV 2010, 2084, m.w.N.). Das Vorliegen eines derartigen Fehlers wird im Streitfall nicht substantiiert dargetan.
5 b) Abgesehen davon liegt eine zur Zulassung führende Divergenz auch nicht vor. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung setzt voraus, dass dieselbe Rechtsfrage in dem Urteil des FG und in der Divergenzentscheidung unterschiedlich beantwortet wurde. Eine Divergenz kann zwar auch dann vorliegen, wenn ein in verschiedenen Gesetzen verwendeter gleicher Rechtsbegriff unterschiedlich ausgelegt wird. Zu prüfen sind dann jedoch der jeweilige Normzweck und der Bedeutungszusammenhang, in dem die Vorschriften stehen (BFH-Beschlüsse vom VII B 244/02, BFH/NV 2003, 833; vom IV B 72/98, BFH/NV 1999, 1086; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 58).
6 Nach diesen Grundsätzen weicht das angefochtene Urteil des FG nicht von dem BFH-Beschluss in BFHE 202, 160, BStBl II 2003, 480 und dem BFH-Urteil in BFHE 203, 429, BStBl II 2004, 954 ab. Denn die behaupteten Divergenzentscheidungen sind zur Ähnlichkeit eines Heilhilfsberufs mit dem Katalogberuf des Krankengymnasten nach § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergangen. Auf die ertragsteuerliche Auslegung des § 18 EStG durch den IV. Senat des BFH kommt es jedoch für die Frage der Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes 1999/2005 (UStG) nicht an, da diese Norm unter Berücksichtigung der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (vgl. , BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.1.) und damit nicht nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen auszulegen ist.
7 2. Eine Zulassung der Revision kommt auch nicht zur Rechtsfortbildung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO „im Verhältnis von Ertragsteuer- zum Umsatzsteuerrecht” in Betracht.
8 a) Für diesen Zulassungsgrund ist —ebenso wie für den Zulassungsgrund wegen grundsätzlicher Bedeutung— erforderlich, dass die als ungeklärt oder nicht abschließend geklärte Rechtsfrage im konkreten Streitfall klärungsbedürftig und im Fall einer Revisionszulassung klärungsfähig ist (BFH-Beschlüsse vom V B 116/10, nicht veröffentlicht, und vom V B 83/09, BFH/NV 2011, 963).
9 b) Es ist durch die bisherige Rechtsprechung des Senats bereits geklärt, dass für die Umsatzsteuerbefreiung nicht die Grundsätze des Einkommensteuerrechts maßgeblich sind, da § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerrechtlich unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts, nicht aber nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen ausgelegt wird (, BFH/NV 2011, 326; BFH-Urteil in BFHE 225, 248, BStBl II 2009, 679, unter II.1.).
10 3. Die Revision ist auch nicht wegen Verfahrensfehlern nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
11 a) Die Rüge der Klägerin, das FG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, weil es erstmals in der mündlichen Verhandlung den europarechtlichen Bezug des Umsatzsteuerrechts hervorgehoben habe, ist schon nicht hinreichend dargelegt.
12 Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen ist und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschlüsse vom VIII B 72/09, BFH/NV 2010, 1474; vom IX B 1/10, BFH/NV 2010, 2032; vom I B 90/05, BFH/NV 2006, 601). Da die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag in der mündlichen Verhandlung auf den —einem kundigen Prozessbeteiligten nicht fernliegenden— europarechtlichen Bezug des Umsatzsteuerrechts hingewiesen worden ist, war die unionskonforme Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG im angefochtenen Urteil nicht geeignet, die Klägerin zu überraschen. Dass ihr insoweit keine Gelegenheit zur Äußerung gewährt und ihre Ausführungen und Anträge nicht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wurden (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 601; vom IX B 139/05, BFH/NV 2007, 1084; vom IX B 86/09, BFH/NV 2010, 222), hat sie nicht behauptet.
13 b) Soweit die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) rügt, hat sie den damit behaupteten Verfahrensmangel nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise dargelegt. Sie hat insbesondere nicht vorgetragen, welche Tatsachen aufgeklärt oder welche Beweise hätten erhoben werden müssen, aus welchen Gründen sich die Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei weiterer Aufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sich daraus auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG eine andere Entscheidung hätte ergeben können (BFH-Beschlüsse vom IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437, und in BFH/NV 2006, 1892).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1339 Nr. 8
JAAAE-12288