Insolvenzrecht: Beschränkte Wirkung des Forderungseintrags in die Tabelle
Leitsatz
Der Eintrag in die Tabelle bewirkt lediglich die positive Feststellung des Anspruchs in angemeldeter Höhe; eine negative Feststellung jenseits der Anmeldung folgt daraus nicht.
Gesetze: § 178 Abs 3 InsO
Instanzenzug: Az: 8 S 11/08vorgehend Az: 17 C 142/08
Tatbestand
1O. (fortan: Schuldnerin) führte bei der beklagten Bank ein Girokonto. Mit Schreiben vom räumte diese ihr einen Überziehungskredit von 5.000 € ein. Ab März 2005 ließ die Beklagte keine Verfügung mehr über das Girokonto zu; ausgenommen waren Belastungen mit eigenen Forderungen. Das Konto stand zum mit 3.281,78 € im Soll. Am wurden dem Konto 239,99 € und am weitere 1.500 € gutgeschrieben. Zwischen diesen beiden Gutschriften belastete die Beklagte das Konto mit einer Tilgungsrate in Höhe von 3.195,53 € eines an die Schuldnerin ausgereichten Darlehens sowie mit Zinsen und Kontoführungskosten in Höhe von 106,93 €. Am betrug der negative Tagessaldo auf dem Girokonto 4.844,28 €. Der Überziehungskredit war nicht gekündigt.
2Am beantragte die Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Mit Beschluss vom eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und bestellte die Klägerin zur Insolvenzverwalterin. Die Beklagte meldete am ihre Forderung aus dem Girokonto in Höhe von 4.844,28 € nebst Kosten und Zinsen zur Tabelle an; diese wurde antragsgemäß in Höhe des Ausfalls zur Tabelle festgestellt.
3Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Auszahlung der beiden Gutschriftbeträge nebst Zinsen und vorgerichtlicher Kosten in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, das Landgericht hat ihre Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Die Beklagte will mit der Revision die Abweisung der Klage erreichen.
Gründe
4Die Revision bleibt ohne Erfolg. Die Vordergerichte haben richtig entschieden.
I.
5Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Auskehr der beiden gutgeschriebenen Beträge aus § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 InsO. Die Verrechnung der beiden Gutschriften im letzten Monat vor Stellung des Insolvenzantrags sei eine unzulässige Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Die Befriedigung der eigenen Forderung hätte die Beklagte zu dieser Zeit nicht in dieser Art beanspruchen dürfen, weil sie einen fälligen Anspruch auf Rückführung des Überziehungskredits nicht gehabt und Verfügungen der Schuldnerin mit Ausnahme von Belastungen zu ihren Gunsten nicht mehr zugelassen habe. § 178 Abs. 3 InsO stehe der Geltendmachung dieser Forderungen nicht entgegen. Rechtskräftig sei mit dem Tabelleneintrag nur festgestellt, dass die Beklagte gegen die Schuldnerin eine Forderung aus dem Girovertrag in Höhe des festgestellten Betrages habe. Eine Rechtskrafterstreckung darauf, dass eine festgestellte Forderung nicht höher als angemeldet sei, lasse sich § 178 Abs. 3 InsO auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht entnehmen.
II.
6Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung stand.
71. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auskehr der dem Girokonto der Schuldnerin gutgeschriebenen Beträge in Höhe von 1.739,99 € gemäß § 667 BGB aufgrund des zwischen der Schuldnerin und der beklagten Bank zustande gekommenen Girovertrages.
8a) Die Verrechnung der Gutschriften mit den Gegenforderungen durch die Beklagte war gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO von Gesetzes wegen unwirksam. Auch wenn diese Regelung nur von „Aufrechnung“ spricht, findet sie auch auf Verrechnungen im Bankkontokorrent Anwendung. Der maßgebende Zeitpunkt nach § 140 Abs. 1 InsO bestimmt sich nach dem Entstehen des Gegenseitigkeitsverhältnisses (, NZI 2008, 547 Rn. 8 ff). Die Verrechnungslagen sind hier im letzten Monat vor Antragstellung entstanden. In dieser Zeit gingen die Zahlungen auf dem Kontokorrentkonto der Schuldnerin ein und begründeten ihre Ansprüche auf Gutschrift. Demgegenüber war der Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredits nicht fällig, weil der Überziehungskredit nicht gekündigt war und der in Anspruch genommene Betrag den eingeräumten Kredit nicht überstiegen hat. Die Beklagte hat deswegen durch die Verrechnung eine inkongruente Deckung unter Benachteiligung der Gesamtheit der Gläubiger (§ 129 Abs. 1 InsO) erhalten, deren Anfechtbarkeit sich aus § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ergibt (vgl. , NZI 2009, 436 Rn. 8 f, 12; vom - IX ZR 100/10, NZI 2011, 675 Rn. 6).
9Die Anfechtbarkeit der Verrechnungen, welche die Beklagte im Rahmen des der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredits vorgenommen hat, ist nicht gemäß § 142 InsO eingeschränkt. Dies wäre nur der Fall, wenn die Entgegennahme der Gutschriften durch die Duldung von Verfügungen ausgeglichen wird, die der Bankkunde zur Tilgung der Forderung von Fremdgläubigern trifft. Belastungsbuchungen, die eigene Forderungen der Bank betreffen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht (, NZI 2008, 175 Rn. 6; vom , aaO Rn. 12).
10b) Die Beklagte hat nicht deswegen, weil sie ihre tatsächlich bestehende Darlehensforderung nur teilweise, nämlich gekürzt um die Gutschriften in Höhe von insgesamt 1.739,99 €, angemeldet hat und es insoweit gemäß § 178 Abs. 1 InsO zur Feststellung der unvollständig angemeldeten Forderung gekommen ist, ihre nicht angemeldete Restforderung verloren. Gemäß § 177 Abs. 1 Satz 3 InsO können Anmeldungen nachträglich geändert werden (vgl. Uhlenbruck/Sinz, InsO, 13. Aufl., § 177 Rn. 12 ff). Dabei gibt es weder für die Änderungsmeldung noch für die Forderungsanmeldung eine Ausschlussfrist. Sie sind bis zum Schlusstermin möglich (HK-InsO/Depré, 6. Aufl., § 177 Rn. 1). In das Schlussverteilungsverzeichnis ist eine nachträglich angemeldete und festgestellte Forderung aufzunehmen, § 188 InsO (Uhlenbruck, aaO, § 188 Rn. 6). Insoweit nimmt sie an der Schlussverteilung teil.
11Im Anwendungsbereich des § 96 InsO folgt dies schon daraus, dass die Herstellung der Aufrechnungs- oder Verrechnungslage auch ohne eine Erklärung des Insolvenzverwalters für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes unwirksam ist. Außerhalb des § 96 InsO lebt eine Forderung gemäß § 144 Abs. 1 InsO nach wirksamer Anfechtung der Erfüllung und Vollzug der Rückgewähr rückwirkend als Insolvenzforderung wieder auf, und zwar in der Gestalt, die sie vor der Erfüllung hatte (HK-InsO/Kreft, aaO, § 144 Rn. 3). Diese Forderung kann zur Tabelle angemeldet werden.
12c) Aus § 178 Abs. 3 InsO ergibt sich nichts anderes.
13aa) Allerdings bewirkt die Eintragung in die Insolvenztabelle nach den zu § 322 ZPO entwickelten Grundsätzen in gleichem Umfang Rechtskraft zwischen den Parteien, wie es bei einem rechtskräftigen Urteil der Fall ist. Doch würde ein solches nur einen Teil der Forderung feststellendes Urteil weder die Gläubigerin hindern, ihre noch nicht angemeldete Teilforderung nachträglich anzumelden, noch wäre rechtskräftig über die Wirksamkeit der Verrechnungen entschieden. Das Feststellungsurteil wäre gemäß § 322 Abs. 1 ZPO nur insoweit der Rechtskraft fähig, als über den durch die Klage erhobenen Anspruch erkannt ist. Dies wäre nur bezüglich des als Insolvenzforderung festgestellten Saldos der Fall, nicht aber auch bezüglich der einzelnen in die Saldoabrechnung eingegangenen Gutschriften und Belastungen (vgl. RGZ 27, 91, 92 f; , WM 2004, 466, 467). Über den weitergehenden Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des Kontokorrentkredits, der bisher nicht angemeldet war, ist ohnehin wie bei einer Teilklage weder zusprechend noch aberkennend entschieden. Mit ihrer Klage machte die Klägerin deswegen auch nicht das kontradiktorische Gegenteil dessen geltend, was in dem gedachten Feststellungsurteil rechtskräftig festgestellt wäre. Aus § 322 Abs. 2 ZPO kann schon deswegen nichts im Sinne der Beklagten hergeleitet werden, weil die Vorschrift auf Gegenforderungen, die lediglich als Rechnungsposten im Rahmen einer Abrechnung in Betracht kommen, weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar ist (BGH, aaO, 467 f).
14bb) Die Vorschrift des § 178 Abs. 3 InsO hat keine weiterreichenden Wirkungen. Für diese gibt es keinen Anhalt. Aus § 144 Abs. 1 InsO und der vom Gesetz eröffneten Möglichkeit der nachträglichen Forderungsanmeldung folgt, dass es für eine erweiternde Auslegung des § 178 Abs. 3 InsO auch kein Bedürfnis gibt.
152. Die Nebenforderungen (Zinsen, vorgerichtliche Kosten) beruhen auf § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (, BGHZ 171, 38 Rn. 11 ff), §§ 286, 288 BGB.
Kayser Raebel Gehrlein
Grupp Möhring
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
HFR 2012 S. 669 Nr. 6
WM 2012 S. 516 Nr. 11
ZIP 2012 S. 5 Nr. 10
ZIP 2012 S. 537 Nr. 11
XAAAE-03998