Recht zur Wahl der Lohnsteuerklasse verbleibt beim Insolvenzschuldner; Einkommensteuernachzahlung für Lohneinkünfte nach Insolvenzeröffnung keine Masseverbindlichkeit
Leitsatz
Beruhen Einkommensteuernachzahlungen auf Lohneinkünften, begründet die Steuerschuld auch dann keine Masseverbindlichkeit, wenn der pfändbare Teil des Erwerbseinkommens zur Masse gelangt ist.
Der Insolvenzverwalter wird nicht dadurch verwaltend im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO tätig, dass er es unterlässt, die Lohnsteuerklassen der Insolvenzschuldner selbst zu bestimmen. Ihm obliegt keine Pflicht, das Steuerklassenwahlrecht für die Insolvenzschuldner auszuüben. Dieses Recht geht nicht auf den Insolvenzverwalter über.
Gesetze: InsO § 55, InsO § 292, InsO § 295
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerschuld für Einkünfte der Insolvenzschuldner aus nichtselbständiger Arbeit in einem Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 der Insolvenzordnung (InsO) ist.
2 Über das Vermögen der beiden Insolvenzschuldner (Ehegatten) ist jeweils mit Beschluss vom das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde in beiden Verfahren zum Treuhänder bestellt.
3 Die Insolvenzschuldner waren beide im Streitjahr 2006 ausschließlich nichtselbständig tätig. Die Arbeitgeberin des Insolvenzschuldners behielt Lohnsteuer aufgrund der Lohnsteuerklasse 3 ein und kehrte den pfändbaren Teil des Arbeitslohnes an die Insolvenzmasse aus. Bei der Insolvenzschuldnerin wurde dem Lohnsteuerabzug entsprechend die Lohnsteuerklasse 5 zu Grunde gelegt. Es ergaben sich im Streitjahr keine pfändbaren Lohnanteile.
4 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erließ am einen Einkommensteuerbescheid für die Insolvenzschuldner an den Kläger. Der Bescheid entsprach inhaltlich der von den Insolvenzschuldnern abgegebenen Steuererklärung und führte zu einer Nachzahlung. Der vom Kläger eingelegte Einspruch, mit welchem er sich gegen die Einordnung der Steuerschuld als Masseverbindlichkeit wehrte, war erfolglos.
5 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 994 veröffentlichten Gründen überwiegend statt.
6 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO i.V.m. § 35 InsO i.V.m. § 34 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO).
7 Das FA beantragt,
das insoweit aufzuheben, als das FG der Klage stattgegeben hat.
8 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die Einkommensteuerschuld der Insolvenzschuldner ist keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 InsO.
10 1. Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Vorliegend ist die Einkommensteuerverbindlichkeit der Insolvenzschuldner nicht in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, als einzig in Betracht kommende Tatbestandsalternative, begründet worden.
11 Die Entstehung der Schuld muss auf eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein (, BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520). Ein Unterlassen des Insolvenzverwalters genügt als „verwalten” nur, wenn eine Amtspflicht zum Tätigwerden verletzt wurde (, BFH/NV 2010, 2114). Vorliegend führte die Verwaltung der Masse durch den Kläger nicht zu der streitigen Einkommensteuernachzahlung.
12 a) Keine Verwaltungsmaßnahme des Klägers ist die Arbeitstätigkeit der Insolvenzschuldnerin als solche. Ein Bezug zur Masse ist schon deswegen ausgeschlossen, weil die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört (, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht —ZInsO— 2009, 299). Der Kläger hatte auch keine Pflicht zum Tätigwerden, da er als Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder keine Möglichkeit hat, die Tätigkeit zu unterbinden oder zu beeinflussen (BFH-Urteil in BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520). Allein die Kenntnis von der Tätigkeit genügt entgegen der Auffassung des FA für eine Verwaltungstätigkeit nicht. Denn der Kläger konnte die Obliegenheit der Insolvenzschuldner, einer Tätigkeit nachzugehen (§ 295 InsO), selbst nicht durchsetzen (MünchKommInsO/ Ehricke, 2. Aufl., § 292 Rz 50). Ihm kann lediglich die Überwachung von Obliegenheiten des Schuldners durch die Gläubigerversammlung übertragen werden (§ 292 Abs. 2 InsO). Im Fall der Verletzung einer Obliegenheit durch den Schuldner haben dann die Gläubiger —und eben nicht der Treuhänder— das Recht zur Versagung der Restschuldbefreiung.
13 b) Entgegen der Auffassungen des FA und des FG liegt eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters auch nicht allein deshalb vor, weil das Arbeitseinkommen der Insolvenzschuldnerin als Neuerwerb (teilweise) zur Masse gelangt ist und diese damit vermehrt wurde. Der Senat hat bereits entschieden, dass im Falle von Einkommensteuernachzahlungen, die auf Lohneinkünften beruhen, die Steuerschuld keine Masseverbindlichkeit begründet, auch wenn der pfändbare Teil des Erwerbseinkommens zur Masse gelangt ist. Zur Begründung verweist der Senat auf seine Entscheidung in BFHE 232, 318, BStBl II 2011, 520.
14 c) Insbesondere ist der Kläger nicht dadurch verwaltend i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO „tätig” geworden, dass er es unterlassen hat, die Lohnsteuerklassen der Insolvenzschuldner selbst zu bestimmen. Denn dem Kläger oblag keine Pflicht, das Steuerklassenwahlrecht für die Insolvenzschuldner auszuüben. Dieses Recht der Steuerklassenwahl geht nach Auffassung des Senats nicht auf den Insolvenzverwalter über. Es verbleibt auch während eines Insolvenzverfahrens bei den Insolvenzschuldnern (vgl. , ZInsO 2008, 976; a.A. Roth, Insolvenz Steuerrecht, Kapitel 4, A. Einkommensteuer, X. Rz 4.100). Da es bereits an einem Wahlrecht des Klägers betreffend die Steuerklassen der Insolvenzschuldner mangelt, kann offenbleiben, in welcher Weise er dieses im Fall der Inhaberstellung hätte ausüben müssen.
15 2. In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend die Steuerschuld der Insolvenzschuldner insgesamt keine Masseverbindlichkeit. Dennoch bleibt es bei dem vom FG festgestellten Betrag als Masseverbindlichkeit. Denn der Senat kann wegen des auch im Revisionsverfahren geltenden Verböserungsverbots die Rechtsposition des FA als Revisionskläger nicht verschlechtern (, BFHE 190, 150, BStBl II 2000, 179). Der Kläger hat keine Revision eingelegt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 2111 Nr. 12
BFH/PR 2011 S. 469 Nr. 12
HFR 2012 S. 69 Nr. 1
KÖSDI 2011 S. 17691 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2011 S. 845
ZIP 2011 S. 2118 Nr. 44
VAAAD-93758