Zuordnung von Wertpapieren zum gewillkürten Betriebsvermögen einer freiberuflichen Praxis
Leitsatz
Wertpapiere können dem gewillkürten Betriebsvermögen eines Freiberuflers dann nicht zugerechnet werden, wenn der Steuerpflichtige die Wertpapiere zunächst nicht in seiner Gewinnermittlung berücksichtigt, sondern erst mehr als zwei Jahre nach Ablauf des Veranlagungszeitraums im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den angefochtenen Einkommensteuerbescheid geltend macht, er habe die Wertpapiere dem gewillkürten Betriebsvermögen zugerechnet, und damit nicht mehr zeitnah die erforderliche Dokumentation des Widmungsaktes schafft.
Gesetze: EStG § 4 Abs. 3EStG § 4 Abs. 4EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Beteiligten streiten über die gewinnmindernde Berücksichtigung von Verlusten aus Wertpapiergeschäften im Rahmen einer selbständig ausgeübten Tätigkeit als Ärztin.
2 Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind von Beruf Ärzte. Im Streitjahr 2001 betrieb die Klägerin eine im Herbst 1998 gegründete orthopädische Facharztpraxis als Einzelunternehmen, aus der sie Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt.
3 Zur Finanzierung der Praxis nahm sie im September 1998 ein Darlehen bei einer Bank auf (Darlehen 1 in Höhe von 170.000 DM). Darüber hinaus räumte ihr die Bank eine Kreditlinie von 150.000 DM ein. Die Tilgung des Darlehens sollte vereinbarungsgemäß durch Tilgungsersatzleistungen in ein Wertpapierdepot (Depot 1) bei der Bank durch vierteljährliche Raten in Höhe von 3.000 DM und einer Anfangsrate von 50.000 DM erfolgen. Ferner war die Klägerin verpflichtet, zu vereinbarten Stichtagen Mittel in das Depot nachzuschießen, wenn der Kurswert der Wertpapiere des Depots unter den vereinbarten Werten liegen sollte. Als Sicherheiten für das Darlehen verpfändete sie das Depot und trat ihre Ansprüche aus zwei Lebensversicherungen ab. Weiterhin verbürgte sich der Kläger selbstschuldnerisch. Mit Schreiben vom teilte die Bank mit, das Depot 1 sei aus der Verpfändung entlassen worden.
4 Im Januar 2000 nahm die Klägerin ein weiteres betriebliches Darlehen in Höhe von 66.700 DM zur Finanzierung eines PKW (Darlehen 2) bei der Bank auf und erhöhte die bisher bestehende Betriebs-Kreditlinie um 70.000 DM. Als Sicherheit für die Erhöhung der Kreditlinie und das Darlehen 1 vom September 1998 verpfändete die Klägerin ihr zweites Wertpapierdepot (Depot 2) an die Bank. Im Januar 2004 tilgte sie aus diesem Depot das Darlehen 1 über 170.000 DM.
5 Die Verluste aus den Wertpapiergeschäften beider Depots erklärte die Klägerin in der Einkommensteuererklärung für 1999 als private Veräußerungsgeschäfte, die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) entsprechend berücksichtigt wurden. Den mit der Einkommensteuererklärung eingereichten Wertpapierabrechnungen der Bank war für das Depot 2 folgender Zusatz zu entnehmen: „Tilgungsersatz PBD” (PBD = „Praxis- und Betriebsmitteldarlehen”).
6 Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2000 erkannte das FA die Verluste aus den Wertpapiergeschäften im Zusammenhang mit dem Depot 2 antragsgemäß als Betriebsausgaben im Rahmen der Facharztpraxis der Klägerin an.
7 Für das Streitjahr (2001) gaben die Kläger zunächst keine Einkommensteuererklärung ab, so dass das FA die Einkünfte aus selbständiger Arbeit für die Klägerin unter Vorbehalt der Nachprüfung schätzte sowie den verbleibenden Verlustabzug auf den ebenfalls unter Vorbehalt der Nachprüfung feststellte.
8 Während des dagegen geführten Einspruchsverfahrens reichten die Kläger die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ein.
9 Bei den für die Klägerin erklärten Einkünften aus selbständiger Arbeit waren auch ihre Verluste aus Wertpapiergeschäften in Höhe von 174.014 DM aus dem Depot 2 erfasst. Diese Verluste resultierten im Wesentlichen aus dem An- und Verkauf von Aktien verschiedener Unternehmen. Abgesehen von nur einem mehr als ein Jahr lang gehaltenen Papier betrug die durchschnittliche Haltedauer der für die Klägerin erworbenen und von ihr als Umlaufvermögen behandelten Wertpapiere in etwa 74 % der Fälle weniger als zwei Monate. Insgesamt wurden im Streitjahr 183 Transaktionen (An- und Verkäufe) für die Klägerin abgewickelt.
10 Die Verluste der Klägerin aus privaten Veräußerungsgeschäften beruhten auf Wertpapiergeschäften im Rahmen des Depots 1.
11 Mit den Einspruchsentscheidungen ließ das FA die Einkommensteuererklärung unberücksichtigt und wies die Einsprüche der Kläger zurück.
12 Dagegen erhoben die Kläger Klage.
13 Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage mit seinem Urteil vom 15 K 1235/04 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 94) teilweise statt. Hinsichtlich der Berücksichtigung der Verluste aus Wertpapiergeschäften aus dem Depot 2 als betriebliche Verluste wies es die Klage als unbegründet ab, weil die Wertpapiere des Depots 2 weder notwendiges noch gewillkürtes Betriebsvermögen der Klägerin gewesen und deshalb nicht bei ihren Einkünften aus selbständiger Arbeit zu erfassen seien.
14 Mit Bescheiden vom hat das FA die angefochtenen Bescheide erneut geändert.
15 Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung des § 4 Abs. 3 und 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
16 Zu Unrecht sei das FG davon ausgegangen, dass Wertpapiere dann nicht dem gewillkürten Betriebsvermögen eines Freiberuflers zugerechnet werden könnten, wenn das Wertpapierdepot häufig umgeschichtet werde und deshalb Gegenstand einer eigenen Einkommensquelle (Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften) sei.
17 Auch Devisen- und Warentermingeschäfte eines Freiberuflers könnten zum gewillkürten Betriebsvermögen gehören, wenn die dafür verwendeten Geldmittel Liquiditätsreserve für Bürorenovierung oder Ersatzbeschaffung von Bürogeräten seien, zumal damit meist höhere Erträge als durch Anlage als Bankguthaben zu erzielen seien. Der Umstand, dass solche Geschäfte risikobehaftet seien, stehe dem nicht entgegen.
18 Entgegen der Auffassung des FG habe sich die Klägerin mit den vorgenommenen Umschichtungen nicht eine neue Erwerbsquelle erschlossen, sondern lediglich auf die im streitigen Veranlagungszeitraum schwierige Börsensituation reagiert.
19 Entgegen der Auffassung des FA seien die Wertpapiere auch durch unmissverständlichen Widmungsakt dem Betriebsvermögen gewidmet worden. Dies ergebe sich schon aus der Verwendung der PC-Buchhaltungssoftware, die eine nachträgliche Hinzufügung von Buchungssätzen mit „altem Datum” nicht zulasse. Vor diesem Hintergrund könne die erforderliche zeitnahe Erfassung als Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens nicht unter Hinweis darauf verneint werden, dass die Kläger die aus den Wertpapiergeschäften erzielten Verluste bei ihrer selbst erstellten Gewinnermittlung außer Ansatz gelassen und erst im zeitlichen Zusammenhang mit der Erstellung der Steuererklärungen als betrieblichen Vorgang erfasst haben.
20 Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben sowie unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids vom und des Feststellungsänderungsbescheids vom über den verbleibenden Verlustvortrag die Einkommensteuer für 2001 erklärungsgemäß herabzusetzen und den vortragsfähigen Verlust entsprechend erhöht festzustellen,
hilfsweise, die streitigen Verluste aus Wertpapiergeschäften gesondert festzustellen.
21 Das FA beantragt im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des FG-Urteils, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
22 Zugleich hat das FA in der mündlichen Verhandlung zugesagt, entsprechend dem Hilfsantrag die Verluste aus Wertpapiergeschäften gesondert festzustellen, soweit sie in dem während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid noch nicht berücksichtigt sind.
23 II. Die Revision ist unbegründet.
24 Nachdem die Vorentscheidung durch die nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Änderungsbescheide vom überholt ist, entscheidet der Senat aufgrund seiner Befugnis aus den §§ 121 und 100 FGO in der Sache selbst (§ 126 Abs. 2 FGO).
25 Ohne Erfolg machen die Kläger geltend, die streitigen Wertpapiere seien dem gewillkürten Betriebsvermögen der ärztlichen Praxis der Klägerin zuzurechnen.
26 a) Zutreffend gehen die Beteiligten allerdings davon aus, dass auch Freiberufler mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gewillkürtes Betriebsvermögen bilden können, wenn die Einbeziehung der betroffenen Wirtschaftsgüter in den betrieblichen Zusammenhang dem Rahmen betrieblicher Tätigkeit entspricht, der durch das freiberufliche Berufsbild geprägt wird (vgl. , BFHE 203, 373, BStBl II 2004, 132, m.w.N. zur früheren abweichenden Rechtsprechung).
27 b) Wertpapiere können aber nur dann dem gewillkürten Betriebsvermögen eines Freiberuflers zugerechnet werden, wenn ausschließlich betriebliche Gründe für ihren Erwerb maßgeblich waren (vgl. , BFH/NV 1998, 1477 unter Bezugnahme auf , BFHE 158, 254, BStBl II 1990, 17, und unter Aufgabe der früheren Auffassung in den BFH-Urteilen vom IV R 107/77, BFHE 133, 168, BStBl II 1981, 564, sowie vom VIII R 100/69, BFHE 108, 304, BStBl II 1973, 289; ebenso , BFH/NV 2000, 708; vom IV R 14/07, BFHE 226, 332, BStBl II 2010, 227; BFH-Beschlüsse vom VIII B 216/06, BFH/NV 2008, 42; vom III B 123/07, BFH/NV 2009, 916).
28 Daran fehlt es indessen, wenn es dem Steuerpflichtigen im Wesentlichen auf den Ertrag aus der Kapitalanlage ankommt (vgl. , BFHE 228, 212, BStBl II 2010, 612 zur Zurechnung der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft zum Betriebsvermögen).
29 c) Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall eine Zurechnung der streitigen Wertpapiere zum gewillkürten Betriebsvermögen nicht möglich.
30 aa) Eine solche Zuordnung setzt voraus, dass die betroffenen Wirtschaftsgüter
ihrer Art nach objektiv geeignet sind, dem Betrieb zu dienen und ihn zu fördern, und
subjektiv von ihrem Eigentümer dazu bestimmt sind (vgl. dazu , BFH/NV 1996, 327, m.w.N).
33 Dabei kann der erforderliche objektive Förderungszusammenhang nicht allein aufgrund einer Willensentscheidung des Steuerpflichtigen —wie durch die Erfassung in der Gewinnermittlung der freiberuflichen Praxis— angenommen werden (vgl. Beschluss des Großen Senats des , BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817). Vielmehr ist für die Bestimmung des Steuerpflichtigen, das Wirtschaftsgut zur Erzielung betrieblicher Einkünfte zu verwenden, ein eindeutig nach außen verbindlich manifestierter, d.h. unmissverständlich, zeitnah und unumkehrbar dokumentierter, Widmungsakt erforderlich (vgl. , BFHE 133, 513, BStBl II 1981, 731; vom IV R 13/03, BFHE 203, 373, BStBl II 2004, 985; vom IV R 87/05, BFH/NV 2009, 1650 zu Verlusten aus dem Handel mit DAX-Optionsscheinen und aus Devisentermingeschäften).
34 bb) Im Streitfall fehlt es für die Zuordnung der streitigen Wertpapiere zum Betriebsvermögen schon an dem erforderlichen nach außen erkennbaren Widmungsakt der Klägerin. Denn die Zugehörigkeit des streitigen Wertpapierdepots zum Betriebsvermögen der ärztlichen Praxis der Klägerin ist den im FG-Verfahren vorgelegten Unterlagen (Depot-Unterlagen und Kontenplan) nicht zu entnehmen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Vortrag der Kläger, die Erfassung der Wertpapiergeschäfte nicht zeitnah zu ihrer Abwicklung, sondern erst nach Ende des Streitzeitraums 2001 vorgenommen zu haben. Wer, wie die Kläger, Wertpapiere zunächst nicht in seiner Gewinnermittlung berücksichtigt, sondern erst mehr als zwei Jahre nach Ablauf des Veranlagungszeitraums im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den angefochtenen Einkommensteuerbescheid geltend macht, er habe Wertpapiere dem gewillkürten Betriebsvermögen zugerechnet, versucht erst in diesem Zeitpunkt und damit nicht mehr zeitnah die erforderliche Dokumentation des Widmungsaktes zu schaffen.
35 Auf dieser Grundlage sind die streitigen Wertpapiergeschäfte der Klägerin getrennt von der im Übrigen freiberuflich ausgeübten ärztlichen Tätigkeit der Klägerin als private Veräußerungsgeschäfte zu beurteilen und die aus diesen Geschäften erzielten Verluste —wie vom FA in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zugesagt— gesondert festzustellen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1847 Nr. 11
StBW 2011 S. 915 Nr. 21
StuB-Bilanzreport Nr. 18/2011 S. 722
BAAAD-90749