Strafverfahren: Voraussetzungen des Absehens von der Anordnung des Wertersatzverfalls
Gesetze: § 111i Abs 5 StPO, § 73c Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Essen Az: 26 KLs 21/10 - 71 Js 94/10
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit versuchtem Betrug und Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zugleich hat es festgestellt, dass wegen entgegenstehender Ansprüche des Verletzten nicht auf Verfall erkannt worden ist und der Wert des Erlangten 25.000 Euro beträgt. Hiergegen wendet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrüge, mit welcher eine Verletzung des § 261 StPO durch Verwertung des nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführten Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom geltend gemacht wird, dringt nicht durch.
3Die Revision beanstandet zwar zu Recht, dass das gegen den mitangeklagten Bruder des Angeklagten ergangene Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom im Wege des Selbstleseverfahrens nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist, weil die Vorsitzende keine Feststellung darüber getroffen hat, dass auch die Berufsrichter vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 280/09, StV 2010, 225, 226; vom – 5 StR 169/09, BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 5; vom – 2 StR 386/10, StV 2011, 267, 268). Für die revisionsgerichtliche Prüfung durch den Senat ist das Protokoll in der ursprünglichen Fassung maßgebend. Denn die vom Landgericht durchgeführte Protokollberichtigung entspricht weder in verfahrensmäßiger noch in sachlicher Hinsicht den Anforderungen, die der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung zur Rügeverkümmerung (Beschluss vom – GSSt 1/06, BGHSt 51, 298 Rn. 58, 60 ff.) für eine wirksame Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls entwickelt hat.
4Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil jedoch nicht, weil das Landgericht seine Feststellungen zu den einschlägigen Vortaten des Angeklagten durch Verlesung des gegen den Angeklagten ergangenen Urteils des Amtsgerichts Nürnberg-Fürth vom getroffen hat. Lediglich zur Darstellung des Gegenstands der Vorverurteilung hat die Strafkammer auch auf die in den Urteilsgründen wiedergegebenen Passagen aus dem Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom gegen den Bruder des Angeklagten verwiesen. Zum Verständnis des Urteils sind diese Passagen indes nicht erforderlich, da die übrigen Urteilsausführungen in einer für die sachlich-rechtliche Prüfung des Urteils hinreichenden Weise erkennen lassen, was für Taten dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg-Fürth vom zu Grunde lagen. So ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass der Angeklagte wegen der Begehung von – mit der neu abgeurteilten Tat vergleichbaren – Rip-Deals verurteilt wurde, wobei der in erster Linie als Fahrer fungierende Angeklagte zu den Bandenmitgliedern gehört hatte und mit den anderen Tatbeteiligten übereingekommen war, zum Erwerb der begehrten Gelder notfalls Gewalt anzuwenden, falls ein Betrug scheitern sollte.
52. Die materiell-rechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hin führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der verhängten Freiheitsstrafe sowie der Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO.
6a) Die Verurteilung auch wegen tateinheitlich begangenen versuchten Betrugs hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
7Nach den Feststellungen war für den Tattag ein Treffen verabredet, bei welchem nach den vorausgegangenen Absprachen der Geschädigte 25.000 Euro übergeben und im Gegenzug (vermeintlich) 50.000 Schweizer Franken erhalten sollte. Nachdem der Angeklagte am verabredeten Ort erschienen und in das Fahrzeug des Geschädigten eingestiegen war, packte er ein Bündel Papierscheine aus, das oben und unten jeweils mit einem echten 1.000 Schweizer-Franken-Schein versehen war, im Übrigen aber Falschgeld enthielt. Der Geschädigte entnahm seinerseits seiner Brusttasche einen Briefumschlag mit 25.000 Euro und „wollte“ nunmehr um die Schweizer Franken bitten, um diese zu zählen. „Stattdessen“ packte der Angeklagte mit festem und schmerzhaftem Griff die den Umschlag haltende Hand des Geschädigten, hielt diese kurzzeitig fest und entriss ihr dann den Umschlag, wobei er dem Geschädigten eine leichte Kratzwunde am Handrücken zufügte. Anschließend floh der Angeklagte mit der Beute.
8Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 249 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 52 StGB, nicht aber einen Schuldspruch auch wegen tateinheitlich begangenen versuchten Betrugs. Dass der Angeklagte nicht von vornherein eine gewaltsame Wegnahme des Geldes vorhatte, sondern zunächst (nur) die irrtumsbedingte Übergabe des Geldes anstrebte und sich erst nach dem Scheitern dieses Vorhabens dazu entschloss, den Umschlag mit Gewalt an sich zu bringen, ist der Sachverhaltsschilderung der Strafkammer nicht zu entnehmen. Bei den im Vorfeld des Treffens am Tattag entfalteten vielfältigen Täuschungshandlungen handelt es sich schließlich lediglich um bloße Vorbereitungshandlungen, die eine Strafbarkeit wegen versuchten Betrugs nicht zu begründen vermögen. Da auszuschließen ist, dass noch weiter gehende tatsächliche Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen werden können, ändert der Senat den Schuldspruch und lässt die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten Betrugs entfallen.
9b) Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der verhängten Freiheitsstrafe zur Folge. Da die Strafkammer ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte sich tateinheitlich auch wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht habe, kann der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass sich der fehlerhafte Schuldspruch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat.
10c) Die Feststellung nach § 111i Abs. 2 StPO über das Absehen von der Anordnung des Wertersatzverfalls und den Wert des Erlangten kann keinen Bestand haben.
11Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Regelung des § 73c Abs. 1 StGB im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu beachten ist (vgl. , NJW 2011, 624 Rn. 15 m.w.N.). Wird in Anwendung des § 73c Abs. 1 StGB teilweise von der Anordnung des Verfalls abgesehen, hat dies zur Folge, dass der in der Urteilsformel allein zu bezeichnende Vermögensgegenstand bzw. Geldbetrag, den der Staat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt, hinter dem Erlangten bzw. dessen Wert zurückbleibt (, aaO, Rn. 12 ff.). Die Strafkammer hat die - hier nicht fern liegenden - Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 StGB nicht erkennbar geprüft. Hierzu hätte sie nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten treffen und sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, inwieweit der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist.
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Fundstelle(n):
ZAAAD-88441