Betriebliche Altersversorgung - Tarifauslegung - Invaliditätsrente
Gesetze: § 1 TVG, § 1 BetrAVG
Instanzenzug: Az: 1 Ca 458/06 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 7 Sa 94/08 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin für den Zeitraum vom bis zum eine Invaliditätsrente zusteht.
Die Klägerin ist 1953 geboren. Sie war seit dem bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der V AG (im Folgenden: V), als Versicherungskauffrau beschäftigt. Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung fand auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der „Tarifvertrag über die betriebliche Versorgungsordnung“ vom (im Folgenden: TVO 85) Anwendung. Darin heißt es ua.:
Ebenfalls aufgrund beiderseitiger Tarifbindung galt für das Arbeitsverhältnis der „Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe“ vom (im Folgenden: MTV), der auszugsweise wie folgt lautet:
4Die Klägerin war seit Juni 2004 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Vom bis zum bezog sie Krankengeld, das 90 % ihres Nettogehalts in diesem Zeitraum überstieg. In der Zeit vom 1. Februar bis zum zahlte die V kein laufendes Gehalt. Ein Zuschuss zum Krankengeld wurde der Klägerin nicht gezahlt, jedoch erhielt sie mit der Abrechnung für April 2005 und mit der Abrechnung für November 2005 jeweils eine Sonderzahlung. Ab dem bezog die Klägerin Arbeitslosengeld.
5Die Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom , der Klägerin am zugegangen, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet bis zum . Als Beginn der Rentenzahlung wurde der festgesetzt. Nach dem Bescheid sind die Anspruchsvoraussetzungen seit dem erfüllt. Die Klägerin beendete das Arbeitsverhältnis mit der V zum .
6Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, nach dem TVO 85 habe sie seit dem gegenüber der Beklagten Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsrente.
Die Klägerin hat beantragt
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
9Sie hat die Ansicht vertreten, ein Versorgungsfall, der zur Rentenleistung verpflichte, liege erst dann vor, wenn das Arbeitsverhältnis beendet worden sei. Außerdem entstehe der Anspruch nach § 7 Ziff. 2.1 TVO 85 frühestens nach Ablauf der Gehaltszahlung einschließlich der nach dem Tarifvertrag im Krankheitsfall zu erbringenden Leistungen. Die Urlaubs- und Weihnachtsgeldzahlungen seien solche Gehaltszahlungen. Zudem habe bis zum zumindest dem Grunde nach ein Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld bestanden, der einem Leistungsanspruch auf Invaliditätsrente entgegenstehe. Auch das Krankengeld, das sie durch Abführung der Arbeitgeberanteile zur gesetzlichen Krankenversicherung mitfinanziert habe, sei als Leistung im Krankheitsfall anzusehen und stehe deshalb dem Anspruch auf betriebliche Invaliditätsrente entgegen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung, die sich lediglich gegen die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung einer Invaliditätsrente für die Zeit vom bis zum bezog, zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte für den noch streitbefangenen Zeitraum weiterhin das Ziel der Klageabweisung. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
11Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig und für den streitbefangenen Zeitraum begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Invaliditätsrente auch für die Zeit vom bis zum .
12I. Die Klage ist zulässig. Sie richtet sich entsprechend § 256 Abs. 1 ZPO auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien für den streitbefangenen Zeitraum, nämlich der Verpflichtung der Beklagten zur Rentenzahlung. Da die Beklagte diese Verpflichtung bestreitet, hat die Klägerin ein Interesse an alsbaldiger Feststellung. Die Klägerin kann nicht auf den Vorrang der Leistungsklage verwiesen werden. Ein Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn auf diesem Wege eine sachgemäße einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen ( - zu A der Gründe mwN). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
13II. Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht die geltend gemachte Invaliditätsrente auch für den Zeitraum vom bis zum zu. Das folgt aus § 2 Ziff. 5 iVm. § 7 Ziff. 2.1 TVO 85, der Kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet (§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis zur Rechtsvorgängerin der Beklagten, der V, ausgeschieden, weil sie erwerbsunfähig iSd. Bestimmungen über die gesetzliche Rentenversicherung ist (§ 2 Ziff. 5 Satz 1 TVO 85). Der Versorgungsfall nach § 2 Ziff. 5 Satz 3 TVO 85 ist vor dem eingetreten und die Voraussetzungen für die Zahlung nach § 7 Ziff. 2.1 TVO 85 liegen vor.
141. Der für die Invaliditätsrente maßgebliche Versorgungsfall iSv. § 2 Ziff. 5 TVO 85 ist bei der Klägerin am eingetreten.
15Nach § 2 Ziff. 5 Satz 3 TVO 85 ist „Stichtag für den Eintritt des Versorgungsfalles“ bei Arbeitnehmern, die - wie die Klägerin - nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, der vom gesetzlichen Rentenversicherungsträger genannte Tag des Versicherungsfalles unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt beendet ist. Der Stichtag wird lediglich dann hinausgeschoben, wenn der Arbeitnehmer über den Stichtag hinaus seine Arbeit leistet „und“ Gehalt bezieht. Dann kommt es darauf an, wann die Arbeitsausübung „oder“ die Gehaltszahlung endet (vgl. - Rn. 13 ff., NZA-RR 2008, 156). Hier hat die Deutsche Rentenversicherung Bund festgestellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem vorlagen. Dies ist der Tag des Versicherungsfalles iSv. § 2 Ziff. 5 Satz 3 TVO 85. Zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin keine Arbeitsleistungen für die V mehr erbracht, so dass der Stichtag nicht nach § 2 Ziff. 5 Satz 3 TVO 85 hinausgeschoben wurde.
162. Die Pflicht zur Zahlung der Rente entstand nicht nach § 7 Ziff. 2.1 TVO 85 erst zu einem späteren Zeitpunkt. Nach dieser Bestimmung beginnt die Rentenzahlung am 1. des Monats, der dem Tag des Versorgungsfalles folgt. Etwas anderes gilt nur, soweit noch eine „Gehaltszahlung“ einschließlich der „nach der Tarifvereinbarung im Krankheits- oder Todesfall zu erbringenden Leistungen“ erfolgt. Während des streitbefangenen Zeitraums hat die Klägerin keine Leistungen mehr erhalten, die eine Zahlungspflicht der Beklagten ausschließen würden.
17a) Die Klägerin hat nach dem kein „Gehalt“ iSd. Bestimmung bezogen.
18aa) Am war die Klägerin bereits länger als sechs Wochen ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt, so dass ein Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts im Krankheitsfall (§ 3 Abs. 1 EFZG) nicht mehr bestand. Das von der Krankenkasse bezogene Krankengeld stellt keine Gehaltszahlung im Sinne der tariflichen Regelung dar. Unter Gehalt wird im arbeitsrechtlichen Sprachgebrauch das Entgelt für die geleistete Arbeit, dh. eine Leistung durch den Arbeitgeber verstanden. Krankengeldzahlungen sind keine Gehaltsleistungen, sondern Entgeltersatzleistungen, die an die Stelle des Gehalts treten und von dem arbeitsrechtlichen Anspruch gegen den Arbeitgeber zu unterscheiden sind. In diesem Sinne ist auch der Begriff des Gehalts in § 7 Ziff. 2.1 TVO 85 zu verstehen. Wenn die Tarifvertragsparteien einen in der Rechtssprache üblichen Begriff verwenden, ist mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass sie ihn in diesem Sinne gebrauchen ( - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 87). Hierfür spricht im Streitfall auch, dass die Tarifvertragsparteien gerade die tariflichen Leistungen im Krankheitsfall ausdrücklich hervorgehoben haben. Dadurch wird deutlich, dass sie allein auf Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber abgestellt haben. Zu derartigen Ansprüchen zählt der in öffentlich-rechtlichen Bestimmungen (§§ 44 ff. SGB V) geregelte Krankengeldanspruch gegenüber dem Krankenversicherungsträger nicht.
19bb) Auch die der Klägerin im April 2005 und im November 2005 gemäß § 3 Ziff. 3 und § 13 Ziff. 9 MTV gewährten Sonderzahlungen sind keine Gehaltszahlungen iSv. § 7 Ziff. 2.1 TVO 85. Sie haben nicht ausschließlich Entgeltcharakter. Mit ihnen soll vielmehr auch die bisherige und die künftige Betriebstreue honoriert werden. Dies ergibt sich aus § 3 Ziff. 3 Abs. 4 und § 13 Ziff. 9 Abs. 4 MTV, wonach Angestellte, deren Arbeitsverhältnis im Auszahlungszeitpunkt beendet ist, keinen - auch keinen anteiligen - Anspruch auf die Sonderzahlung haben. Das Gleiche gilt - von Ausnahmen abgesehen - für Arbeitnehmer, die in einem gekündigten Arbeitsverhältnis stehen. Derartige Stichtagsregelungen sind typisch für Gratifikationen, die den Zweck verfolgen, zumindest auch die zukünftige Betriebstreue des Arbeitnehmers zu honorieren (vgl. etwa - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 280).
20Diese Auslegung des Begriffs der Gehaltszahlung in § 7 Ziff. 2.1 TVO 85 entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung. Diese dient dazu, den Versorgungsbedarf, der durch Invalidität verursacht wird, angemessen abzudecken. Das Bedürfnis nach Absicherung entsteht für den Erwerbsunfähigen zu dem Zeitpunkt, in dem andere regelmäßige Leistungen ausbleiben (vgl. - NZA-RR 2008, 156). Allein die Gewährung von zwei Sonderzahlungen im April und November eines Jahres iHv. 50 % und 80 % eines Gehalts ist nicht geeignet, den Versorgungsbedarf abzudecken.
21b) Die Beklagte hat der Klägerin in der Zeit vom bis zum auch keine nach der Tarifvereinbarung im Krankheitsfall „zu erbringenden Leistungen“ iSv. § 7 Ziff. 2.1 TVO 85 mehr gewährt.
22aa) Allerdings wären sowohl der Zuschuss zum Krankengeld nach § 10 Ziff. 2 MTV als auch die im April 2005 und die im November 2005 gewährten Sonderzahlungen derartige Leistungen. Hinsichtlich der Sonderzahlungen ergibt sich dies daraus, dass deren Kürzung nach § 13 Ziff. 9 und § 3 Ziff. 3 MTV für Zeiträume vorgesehen ist, während derer der Arbeitnehmer, wenn er - wie die Klägerin - keinen Anspruch auf Entgeltzahlung oder -fortzahlung mehr hat, keinen Zuschuss zum Krankengeld mehr erhält. Die Sonderzahlungen sind also zumindest auch davon abhängig, dass dem Grunde nach ein Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld besteht.
23bb) Der Beginn der Rentenzahlung wird nach § 7 Ziff. 2.1 TVO 85 jedoch nur dann auf einen späteren Zeitpunkt hinausgeschoben, wenn der Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld - und daran zumindest anteilig anknüpfend ggf. auch auf die Sonderzahlungen - tatsächlich besteht. Es kommt nicht darauf an, ob derartige Leistungen faktisch gewährt werden. Das folgt daraus, dass die Vorschrift auf die „zu erbringenden“ und nicht auf die erbrachten Leistungen abstellt.
24cc) Für den streitbefangenen Zeitraum hatte die Klägerin jedoch dem Grunde nach keinen Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld und damit auch nicht auf die davon abhängigen Sonderzahlungen. Das folgt aus § 10 Ziff. 2 MTV.
25(1) Nach dieser Vorschrift entfällt der Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld, sobald ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung geltend gemacht werden kann. Die Angestellten sind verpflichtet, Rentenansprüche unverzüglich anzumelden.
26Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht kann ein Rentenanspruch in diesem Sinne nicht erst zu dem Zeitpunkt „geltend gemacht“ werden, zu dem der Rentenbescheid bereits erlassen ist. Vielmehr bestimmt § 34 Abs. 1 SGB VI, dass Versicherte Anspruch auf Rente haben, wenn die für die jeweilige Rente erforderliche Wartezeit erfüllt ist und die jeweiligen besonderen versicherungsrechtlichen und persönlichen Voraussetzungen vorliegen.
27Ein Zahlungsanspruch kann jedoch lediglich in Abhängigkeit von der Antragstellung bei der gesetzlichen Rentenversicherung iSd. Tarifregelung „geltend“ gemacht werden. Denn nach § 99 Abs. 1 SGB VI wird die Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf dieses Monats beantragt wird, bei späterer Beantragung von dem Kalendermonat an, in dem sie beantragt wird. Deshalb sieht § 10 Ziff. 2 MTV die Verpflichtung der Angestellten vor, Rentenansprüche unverzüglich anzumelden. Dies dient der Begrenzung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Krankengeldzuschüssen.
28(2) Die Klägerin erhielt für den streitbefangenen Zeitraum eine Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie hat daher diesen Anspruch iSv. § 10 Ziff. 2 MTV geltend gemacht. Deshalb hatte sie keinen Anspruch auf Zuschuss zum Krankengeld und die daran geknüpften Jahressonderzahlungen mehr, der der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der Betriebsrente entgegenstehen könnte.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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BAAAD-86962