Informationszugangsrecht; Auskunft im Insolvenzverfahren
Leitsatz
1. Bestimmungen der Insolvenzordnung über die Erteilung von Auskünften (§§ 97, 101 InsO) sind - ebensowenig wie § 242 BGB - keine "Regelungen in anderen Rechtsvorschriften" im Sinne von § 1 Abs. 3 IFG, die dem Informationsfreiheitsgesetz vorgehen.
2. Der Ausschluss des Anspruchs auf Informationszugang gemäß § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG setzt nachteilige Auswirkungen auf ein laufendes Gerichtsverfahren voraus. Die Erstreckung der Vorschrift in entsprechender Anwendung auf das bevorstehende Gerichtsverfahren scheidet aus.
Gesetze: § 1 Abs 1 IFG, § 1 Abs 3 IFG, § 3 Nr 1 Buchst g IFG, § 97 InsO, § 101 InsO, § 242 BGB
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Az: 10 A 10091/10 Urteilvorgehend Az: 4 K 1059/09
Gründe
I.
1Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter von der Beklagten auf der Grundlage des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG -) Auskunft über Vollstreckungsaufträge, die das Hauptzollamt als Vollstreckungsbehörde für Sozialversicherungsträger ausgeführt hat. Das Verwaltungsgericht hat der gegen die ablehnenden Bescheide erhobenen Klage stattgegeben; das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass der nach § 1 Abs. 1 IFG grundsätzlich bestehende Informationsanspruch des Klägers nicht gemäß § 1 Abs. 3 IFG ausgeschlossen sei. Weder §§ 97, 101 InsO über die Auskunftspflicht des Insolvenzschuldners noch § 242 BGB, auf dessen Grundlage unter bestimmten Voraussetzungen ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Insolvenzgläubiger bestehen könne, verdrängten den Anspruch nach dem IFG. Der Anspruch auf Informationszugang scheitere auch nicht an § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG. Schließlich stünden auch § 3 Nr. 4 und Nr. 6, § 5, § 6 und § 9 Abs. 3 IFG dem Anspruch nicht entgegen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.
II.
2Die Beschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht wegen des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
31. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne der genannten Vorschrift lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Dazu müsste sie eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts formulieren, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt ( BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 46). Diese Anforderungen sind nicht schon erfüllt, wenn eine Frage noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde. Ist sie anhand der üblichen Auslegungsregeln auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres zu beantworten, erfordert ihre Klärung nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens ( BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270>).
42. Hiernach kommt den von der Beklagten für klärungsbedürftig erachteten Fragen
1. Verstößt eine Auskunftserteilung an einen Insolvenzverwalter auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes über durchgeführte Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Grundsätze des Zivilprozessrechts, wenn zu befürchten ist, dass sie der Vorbereitung eines nachfolgenden Anfechtungsprozesses nach der Insolvenzordnung dienen?
2. Verstößt eine Auskunftserteilung in dieser dargestellten speziellen Fallkonstellation gegen die Regelungen der Insolvenzordnung?
3. Verstößt ein zu gewährender Auskunftsanspruch eines Insolvenzverwalters auf der Grundlage des IFG zur Vorbereitung eines insolvenzrechtlichen Anfechtungsprozesses gegen die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die zum genau gegenteiligen Ergebnis kommt?
4. Ist diese dargestellte Fallkonstellation vom Gesetzgeber bei Erlass des Informationsfreiheitsgesetzes so beabsichtigt gewesen, dass ein Auskunftsanspruch nach dem IFG der Vorbereitung eines Anfechtungsprozesses dienen darf? Oder hat der Gesetzgeber an diese Fallkonstellation bei Erlass des IFG nicht gedacht und wollte er vielmehr hierzu keine Regelung treffen?
5. Ist § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG unter Berücksichtigung der o.a. gestellten Fragen zu 1., 2., 3. und 4. nicht so auszulegen, dass ein Auskunftsanspruch eines Insolvenzverwalters nicht besteht, wenn er der Vorbereitung eines künftigen, nachfolgenden Anfechtungsprozesses dient, bei dem aber der Darlegungs- und Beibringungsgrundsatz im Sinne des Parteivorbringens gilt?
grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
5Die Beklagte will das Verhältnis des im Informationsfreiheitsgesetz geregelten öffentlich-rechtlichen Auskunftsanspruchs zu den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen über Auskunftspflichten im Insolvenzverfahren geklärt wissen. Entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung einzelner Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes wirft die Beklagte dabei nicht nur unter Ziff. 5 auf. Neben der dort ausdrücklich formulierten Frage nach der Reichweite des Ausschlussgrundes nach § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG (b) lässt sich dem Vorbringen ausweislich der Erläuterungen zu den Fragen 2 und 3 auch die dem vorgelagerte Frage nach dem Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes gemäß § 1 Abs. 3 IFG entnehmen (a).
6Beide Fragen sind indessen im Sinne der angefochtenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu beantworten, ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
7a) Die Bestimmungen des Informationsfreiheitsgesetzes, die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG grundsätzlich gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gewähren, sind nur nach Maßgabe des § 1 Abs. 3 IFG anwendbar. Danach gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen mit Ausnahme des § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und des § 25 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vor.
8Hiernach verdrängen nur solche Rechtsvorschriften das Informationsfreiheitsgesetz, die in gleicher Weise wie dieses Regelungen "über den Zugang zu amtlichen Informationen" treffen. Als vorrangige spezialgesetzliche Informationszugangsregelungen führt die Begründung des Gesetzentwurfs beispielhaft die Informationsfreiheitsregelungen des Umweltinformationsgesetzes und des Stasi-Unterlagen-Gesetzes an (siehe BTDrucks 15/4493 S. 8) an. Einen insoweit identischen sachlichen Regelungsgehalt wie das Informationsfreiheitsgesetz (vgl. § 1 Abs. 1) weisen die insolvenzrechtlichen bzw. auf das Insolvenzverfahren bezogenen Vorschriften über Auskunftsansprüche nach §§ 97, 101 InsO bzw. § 242 BGB demgegenüber nicht auf. Denn sie regeln gerade nicht den Zugang zu amtlichen Informationen (§ 2 Nr. 1 IFG) gegenüber den Behörden des Bundes, sondern betreffen ganz allgemein die privatrechtlichen Rechtsverhältnisse im Insolvenzverfahren und Informationsansprüche der Beteiligten untereinander (vgl. auch BVerwG 7 B 28.10 - juris Rn. 7). Diesen Vorschriften kommt nicht deswegen ein anderer, mit dem Informationsfreiheitsgesetz identischer Regelungsgehalt zu, weil im Einzelfall eine juristische Person des öffentlichen Rechts Insolvenzgläubiger und folglich Verfahrensbeteiligter eines Insolvenzverfahrens ist (siehe etwa auch Schoch, VBlBW 2010, 333 <334>).
9Hat der Gesetzgeber das Verhältnis des Informationsfreiheitsgesetzes zu anderen Rechtsvorschriften in § 1 Abs. 3 IFG ausdrücklich im Sinne einer Subsidiarität geregelt, kann entgegen der Auffassung der Beklagten das Konkurrenzverhältnis nicht unter Berufung auf vermeintliche Widersprüche zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen abweichend im Sinne einer Bereichsausnahme für Teile der Verwaltung bestimmt werden. Denn dem Gesetzgeber steht es frei, durch die Abkehr vom Grundsatz der Vertraulichkeit der Verwaltung mit nur beschränkter Aktenöffentlichkeit und die Schaffung eines freien, materiell voraussetzungslosen, ungeachtet der allgemeinen Zielsetzung des Gesetzes nicht durch die Verwendungsabsicht beschränkten Informationsanspruchs (siehe BTDrucks 15/4493 S. 6 f.) auch mittelbar auf Rechtsbeziehungen einzuwirken, die die Kenntnis von amtlichen Informationen voraussetzen.
10Ob bei gegebenem Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes der Anspruch auf Informationszugang abweichend vom allgemeinen Grundsatz zu versagen ist, richtet sich nach den Ausnahmetatbeständen, die der Gesetzgeber unter Abwägung entgegenstehender Interessen insbesondere des Daten- und Geheimnisschutzes in §§ 3 ff. IFG normiert hat.
11b) Der Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG kann nicht in dem von der Beklagten vertretenen Sinn - erweiternd - ausgelegt werden. Nach dieser Bestimmung besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben kann u.a. auf die Durchführung eines laufenden Gerichtsverfahrens.
12Der Wortlaut als regelmäßige Grenze der Auslegung wird überschritten, wenn nicht mehr auf ein bereits laufendes, sondern auf ein erst bevorstehendes Gerichtsverfahren abgestellt wird. Auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift scheidet aus. Dem steht zum einen schon der Grundsatz entgegen, dass die Ausnahmetatbestände eng zu verstehen sind (vgl. BTDrucks 15/4493 S. 9). Zum anderen ließe sich die angestrebte entsprechende Anwendung mit dem Regelungszweck der Vorschrift nicht vereinbaren. Denn sie dient dem Schutz der Rechtspflege gegen Beeinträchtigungen durch das Bekanntwerden verfahrensrelevanter Informationen (vgl. auch, BVerwG 7 C 32.98 - BVerwGE 110, 17 <23> = Buchholz 406.252 § 7 UIG Nr. 1 zu § 7 Abs. 1 Nr. 2 UIG a.F.). Demgegenüber soll mit der von der Beklagten vertretenen Auffassung die verfahrens- und nachfolgend die materiellrechtliche Position der öffentlichen Hand und insbesondere der Sozialversicherungsträger im Insolvenzverfahren geschützt werden. Dieses Anliegen liegt jenseits des Schutzzwecks des Ausnahmetatbestandes nach § 3 Nr. 1 Buchst. g IFG (vgl. auch Schoch, VBlBW 2010, 333 <337 f.>).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
ZIP 2011 S. 41 Nr. 1
HAAAD-58603