BVerwG Urteil v. - 3 C 3/10

Vorlage zur Vorabentscheidung; Rückforderung von Lagerkostenvergütungen für die Einlagerung von Zucker; Verjährungsfrist für Zinsansprüche; Vorabentscheidungsersuchen

Leitsatz

1. Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 auch für die Verjährung von Ansprüchen auf Zinsen gilt, die nach nationalem Recht neben der Rückzahlung des aufgrund einer Unregelmäßigkeit rechtswidrig erlangten Vorteils geschuldet sind.

2. Falls die Frage zu bejahen ist, werden dem Europäischen Gerichtshof weitere Fragen zur Auslegung von Art. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 mit Blick auf Zinsansprüche vorgelegt.

Gesetze: Art 3 EGV 2988/95, § 14 MOG, § 199 BGB

Instanzenzug: Az: 13 K 4803/07 Urteilnachgehend Az: C-564/10 Urteilnachgehend Az: 3 C 13/12 Urteil

Gründe

I.

1Der Klägerin wurden in den Zuckerwirtschaftsjahren 1994/95, 1995/96 und 1996/97 auf ihre monatlichen Anträge hin Lagerkostenvergütungen für die Einlagerung von Zucker gewährt. Mit drei Bescheiden vom forderte die Beklagte Lagerkostenvergütungen für diese drei Jahre zurück, weil die Klägerin in ihren Anträgen überhöhte Zuckermengen angegeben habe. In den Bescheiden wurde dem Grunde nach festgestellt, dass die zurückgeforderten Beträge vom Empfange an zu verzinsen seien; die Festsetzung der genauen Zinshöhe wurde späteren Bescheiden vorbehalten.

2Gegen die Bescheide erhob die Klägerin Widersprüche. Mit Widerspruchsbescheiden vom wurden die Rückforderungsbeträge reduziert, die Widersprüche im Übrigen aber zurückgewiesen. Die Klägerin erhob Klage mit dem Antrag, die Bescheide teilweise aufzuheben; hierüber ist bislang nicht entschieden. In restlicher Höhe von 469 941,12 € wurden die Rückforderungsbescheide bestandskräftig. Die Klägerin bezahlte diesen Betrag am .

3Mit Bescheid vom setzte die Beklagte Zinsen auf den gezahlten Betrag in Höhe von 298 650,93 € fest. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin unter anderem geltend, die Zinsansprüche seien teilweise verjährt. Mit Widerspruchsbescheid vom gab die Beklagte dem Widerspruch hinsichtlich der Zinsen für 1997 und 1998 statt, weil insoweit bei Erlass der Bescheide vom eine vierjährige Verjährungsfrist abgelaufen gewesen sei. In restlicher Höhe von 237 644,17 € wies sie den Widerspruch jedoch zurück; insoweit hätten die Rückforderungsbescheide vom den Lauf der Verjährungsfrist unterbrochen.

4Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Zinsfestsetzung für die Jahre 1999 bis 2002 in Höhe von 119 984,27 € mit der Begründung, die Zinsforderung sei auch insoweit verjährt. Der Lauf der Verjährungsfrist sei durch die Bescheide vom nicht unterbrochen oder gehemmt worden. Maßgeblich sei daher allein der Zinsbescheid vom , bei dessen Erlass aber die vierjährige Verjährungsfrist auch für die vor 2003 aufgelaufenen Zinsen verstrichen gewesen sei.

5Das Verwaltungsgericht hat den Zinsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides im Umfang der Anfechtung mit Urteil vom aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Auf die Frage der Verjährung komme es nicht an. Die Zinsforderung finde ihre Grundlage in § 14 des Marktorganisationengesetzes. Nach dieser Vorschrift seien Ansprüche auf Erstattung von besonderen Vergünstigungen "vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an" zu verzinsen. Die Rückforderung sei aber erst mit Bekanntgabe der Bescheide vom entstanden, so dass eine Zinspflicht für frühere Zeiträume nicht bestehe.

6Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, mit der sie die Abweisung der Klage erstrebt. Zur Begründung macht sie geltend, dass die Bescheide vom die Bewilligung der Lagerkostenvergütung rückwirkend beseitigt habe, weshalb die Klägerin den überzahlten Betrag schon vom Zeitpunkt des Empfanges an verzinsen müsse.

7Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beruft sich hilfsweise weiterhin auf Verjährung.

II.

8Ob die Revision begründet ist, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht abschließend beurteilen. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ergeben zwar eine Verletzung des Bundesrechts (1.). Ob das Urteil sich aber aus anderen Gründen als richtig darstellt, wirft Fragen zum europäischen Gemeinschaftsrecht auf, welche die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs erfordern (2.).

91. Das angefochtene Urteil beruht auf der Auffassung, die Pflicht zur Verzinsung des zu erstattenden Betrages sei erst mit der Rücknahme der Bewilligungsbescheide durch die Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide vom entstanden. Dem kann nicht gefolgt werden.

10a) Die Verzinsungspflicht richtet sich nach nationalem Recht; darin ist dem Verwaltungsgericht beizupflichten. Maßgeblich ist § 14 Abs. 1 Satz 1 des Marktorganisationengesetzes (MOG) in der Fassung des Art. 5 Ziff. 2 des Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften (VwVfR-ÄndG) vom (BGBl I S. 656). Hiernach sind Ansprüche auf Erstattung von besonderen Vergünstigungen - wie Vergütungen zum Ausgleich von Lagerkosten (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 11 MOG) - vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an mit 3 vom Hundert über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank zu verzinsen, soweit Rechtsakte des Rates oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften nichts anderes vorsehen.

11Europäisches Gemeinschaftsrecht enthält insofern keine Bestimmung, und zwar weder das besondere Recht für den Zuckersektor (vgl. Art. 8 der Verordnung <EWG> Nr. 1785/81 des Rates vom über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker, ABl Nr. L 177 S. 4, die Verordnung <EWG> Nr. 1358/77 des Rates vom zur Aufstellung allgemeiner Regeln für den Ausgleich der Lagerkosten für Zucker, ABl Nr. L 156 S. 4, sowie die hierzu ergangene Durchführungsverordnung <EWG> Nr. 1998/78 der Kommission vom , ABl Nr. L 231 S. 5) noch die sektorenübergreifende Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 des Rates vom über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl Nr. L 312 S. 1). Dieser Verordnung lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin insbesondere kein an die Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot entnehmen, bei der Rückforderung von Subventionen, die gemeinschaftsrechtlich geregelt sind, Zinsen auf der Grundlage nationaler Rechtsvorschriften zu erheben, wenn das Gemeinschaftsrecht eine Zinspflicht nicht begründet. In Art. 4 Abs. 2 der Verordnung ist lediglich bestimmt, dass eine Verzinsung möglicher Teil einer verwaltungsrechtlichen Maßnahme ist, mit der der durch eine Unregelmäßigkeit erlangte Vorteil entzogen wird. Ob die Verzinsung aber vorgesehen wird, richtet sich nach anderweitigen Vorschriften; das können Vorschriften des Gemeinschaftsrechts wie solche des nationalen Rechts sein.

12b) Das Verwaltungsgericht hat aber § 14 Abs. 1 Satz 1 MOG unrichtig ausgelegt. Wie erwähnt, sind gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 MOG Ansprüche auf Erstattung von besonderen Vergünstigungen vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an zu verzinsen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist nicht ausgeschlossen, dass derartige Erstattungsansprüche rückwirkend entstehen und deshalb auch für zurückliegende Zeiträume zu verzinsen sind. So liegt es, wenn der Bewilligungsbescheid, der der Leistung zugrunde lag, wie hier rückwirkend aufgehoben oder widerrufen wird. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage in der Parallelsache BVerwG 3 C 4.10 im Einzelnen dargelegt; darauf wird verwiesen.

132. Das Urteil erwiese sich allerdings aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), wenn die festgesetzte Zinsforderung hinsichtlich der noch strittigen Jahre 1999 bis 2002 verjährt wäre.

142.1 Nach deutschem Recht sind die Zinsansprüche nicht verjährt.

15a) Das ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Verjährung der Zinsansprüche erst mit der Bekanntgabe der Rückforderungsbescheide vom zu laufen begonnen hätte. Zwar waren die Zinsansprüche, auch soweit sie vergangene Zeiträume betrafen, erst von diesem Zeitpunkt an durchsetzbar, weil ihre Entstehung die - rückwirkende - Beseitigung der Bewilligungsbescheide voraussetzte. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass sie auch erst von diesem Zeitpunkt an verjähren konnten. Vielmehr sind auch sie rückwirkend, nämlich sukzessive mit dem jeweils verzinsten Zeitraum entstanden. Dann aber erfordert es der Vertrauensschutz des Betroffenen, auch einen rückwirkenden Beginn der Verjährung für möglich zu halten, unabhängig davon, ob der zuständigen Behörde die anspruchsbegründenden Umstände seinerzeit bereits bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.

16b) Für die Zinsen für 1999 und 2000 gilt eine vierjährige, für diejenigen für 2001 und 2002 eine dreijährige Verjährungsfrist.

17Gemäß §§ 197, 201 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in der bis zum gültigen Fassung verjährten Ansprüche auf Rückstände von Zinsen in vier Jahren vom Schluss des Jahres an, in welchem der Zinsanspruch entstand. Die genannten Vorschriften finden auf Zinsansprüche aus öffentlichem Recht entsprechende Anwendung ( BVerwG 3 C 17.94 - BVerwGE 99, 109 <110>).

18Das Schuldrechts-Modernisierungsgesetz vom (BGBl I S. 3138) hat die Verjährungsfrist für Zinsen auf drei Jahre verkürzt (§ 195 BGB in der seit dem geltenden Fassung); die Frist beginnt unverändert mit dem Schluss des Jahres, in dem der Zinsanspruch entsteht (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F.). Die Verkürzung ist im öffentlichen Recht nachzuvollziehen; die Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist deshalb auch in ihrer neuen Fassung auf Zinsansprüche aus öffentlichem Recht entsprechend anzuwenden.

19Nach Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) finden die Vorschriften über die Verjährung in der neuen Fassung auf die am bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung. Hinsichtlich der Verjährungsfrist bestimmt Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB, dass, wenn die neue Frist kürzer ist als die bisherige, die kürzere neue Frist ab dem läuft, dass Verjährung jedoch spätestens mit dem Ablauf der bisherigen längeren Frist eintritt. Dies führt dazu, dass es hinsichtlich der Zinsen für 1999 und für 2000 bei der bisherigen vierjährigen Frist bleibt.

20c) Der Lauf der Verjährungsfrist wurde durch Erlass der Rückforderungsbescheide vom gehemmt. Das ergibt sich aus § 53 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, hemmt hiernach die Verjährung dieses Anspruchs; die Hemmung endet mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder sechs Monate nach seiner anderweitigen Erledigung.

212.2 Die Frage der Verjährung könnte jedoch bei Anwendung des Art. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 anders zu beurteilen sein. Insofern stellen sich verschiedene Fragen zur Auslegung dieser Vorschrift, die der Senat nicht ohne Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs beantworten kann.

22a) Die Verordnung ist grundsätzlich anwendbar. Sie gilt für die Rückforderung von Leistungen, die der Erstattungspflichtige aufgrund einer Unregelmäßigkeit erlangt hat, sofern die Leistung von der Behörde im Namen oder für Rechnung des Gemeinschaftshaushalts erbracht wurde. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Klägerin hat die zu erstattende Leistung aufgrund einer Unregelmäßigkeit erlangt. Dabei steht der Anwendung der Verordnung nicht entgegen, dass die Unregelmäßigkeiten vor ihrem Inkrafttreten begangen wurden (, Vosding u.a. - EuGHE 2009 I-457 Rn. 31 ff.). Die Leistung wurde von der Beklagten auch im Namen oder für Rechnung des Gemeinschaftshaushalts erbracht (vgl. zu dieser Voraussetzung , Handlbauer - EuGHE 2004 I-6194 <Rn. 32> und vom a.a.O. <Rn. 21, 29>). Die Vergütung für Lagerkosten für Zucker wird von den Mitgliedstaaten für Rechnung des Gemeinschaftshaushalts gewährt. Daran ändert es nichts, dass die Aufwendungen für diese Vergütung durch eine Abgabe der Zuckerbetriebe refinanziert werden sollen.

23Es fragt sich aber,

ob Art. 3 der Verordnung auch für die Verjährung von Zinsen gilt, die nach nationalem Recht neben der Rückzahlung des aufgrund einer Unregelmäßigkeit rechtswidrig erlangten Vorteils geschuldet sind.

24Richtig ist, dass die Rückforderung von Leistungen gemäß Art. 4 Abs. 2 der Verordnung auch Zinsen umfasst, sofern solche - wie hier durch das nationale Recht - vorgesehen sind. Der Bundesfinanzhof hat daraus gefolgert, dass die Bestimmungen des Art. 3 der Verordnung über die Verjährung auch für solche Zinsen gelten ( - BFHE 225, 289 <Rn. 8>). Das erscheint aber nicht als zwingend. Ebenso ist denkbar, dass sich Zinsansprüche, die durch nationales Recht begründet sind, auch hinsichtlich ihrer Verjährung nach diesem nationalen Recht richten.

25Der Zweck des Art. 3 der Verordnung spricht nicht für seine Anwendung auch auf Zinsansprüche. Die Verordnung insgesamt dient, wie schon ihr Titel sagt, der Wahrung der finanziellen Interessen der Gemeinschaft. Art. 3 der Verordnung verfolgt diesen Zweck, indem er verhindert, dass die Verfolgung von Unregelmäßigkeiten dadurch unangemessen erschwert oder unmöglich wird, dass nationales Recht sie einer allzu kurzen Verjährungsfrist unterwirft. Deshalb sieht die Vorschrift für die Verjährung eine Mindestfrist von regelmäßig vier Jahren vor (Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1); bei dem nationalen Verjährungsrecht kann es nur verbleiben, wenn dieses längere Fristen bestimmt (Art. 3 Abs. 3). Der genannte Zweck der Verordnung beschränkt sich aber auf die jeweilige Hauptforderung, also auf die Rückforderung überzahlter Beihilfen oder auf die verwaltungsrechtliche Sanktion selbst. Die Wahrung der finanziellen Interessen der Gemeinschaft erfordert es hingegen nicht, auch für die Verzinsung eine kürzere Verjährungsfrist als vier Jahre auszuschließen. Art. 4 Abs. 2 der Verordnung belegt, dass Zinsen überhaupt nicht erhoben werden müssten, ohne dass hierdurch die finanziellen Interessen der Gemeinschaft gefährdet würden. Wenn das nationale Recht die Erhebung von Zinsen vorsieht, so fließt das Aufkommen aus solchen Zinsansprüchen nicht in den Gemeinschaftshaushalt, sondern kommt dem Haushalt des Mitgliedstaats zugute. Dann aber werden die finanziellen Interessen der Gemeinschaft nicht gefährdet, wenn Zinsen nach nationalen Vorschriften erhoben werden, aber in weniger als vier Jahren verjähren können.

26Hinzu kommt, dass Art. 3 der Verordnung nach seiner Regelungskonzeption nicht auf Zinsansprüche angelegt ist. Die Vorschrift regelt "die Verjährung für die Verfolgung" von Unregelmäßigkeiten, hat also die Befugnis (und die Pflicht) der Behörde vor Augen, eine Unregelmäßigkeit mit einer verwaltungsrechtlichen Maßnahme oder Sanktion zu ahnden. Diese Befugnis wird schon durch die Unregelmäßigkeit selbst begründet. Dementsprechend knüpft der Beginn der Verjährung an die Begehung der Unregelmäßigkeit selbst an, bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten an deren Beendigung. All dies liegt bei Zinsansprüchen anders. Zinsansprüche entstehen nicht schon mit der Unregelmäßigkeit, sondern sukzessive mit jedem weiteren Zeitablauf. Bei andauernden und wiederholten Unregelmäßigkeiten können Zinsansprüche auch schon für Zeiträume entstehen, während derer die Unregelmäßigkeit noch nicht beendet ist. Das wirft die Frage auf, wann die Verjährung derartiger Zinsansprüche beginnt. Hätte das Gemeinschaftsrecht auch die Verjährung von Zinsansprüchen erfassen wollen, so wäre zu erwarten gewesen, dass es hierfür besondere Regelungen getroffen hätte.

27In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nach deutschem Recht Zinsansprüche zwar abhängig (akzessorisch) vom Bestehen der Hauptforderung, ansonsten aber selbständig sind. In Ansehung der Verjährung bedeutet dies, dass sie ebenfalls nicht mehr geltend gemacht werden können, wenn die Hauptforderung verjährt ist, dass sie im Übrigen aber selbständig (sukzessive) entstehen und selbständig (ebenso sukzessive) verjähren können.

28b) Sollte Art. 3 der Verordnung auf Zinsansprüche anzuwenden sein, so stellen sich weitere Fragen.

29aa) Gemäß Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung beträgt die Verjährungsfrist, da sektorbezogene Regelungen des Gemeinschaftsrechts keine kürzere Frist bestimmen, vier Jahre. Nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung behalten die Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit, eine längere Frist anzuwenden. Hierzu stellt sich die Frage,

ob in den nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung gebotenen Fristvergleich allein die Fristdauer einzubeziehen ist oder ob auch nationale Bestimmungen einbezogen werden müssen, die den Beginn der Frist, ohne dass es hierfür weiterer Umstände bedarf, auf das Ende des Kalenderjahres hinausschieben, in denen der Zinsanspruch entsteht.

30In Deutschland besteht nämlich die Besonderheit, dass die kurzen Fristen - die zwei- oder vierjährige nach altem, die dreijährige nach neuem Recht - erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen beginnen, in dem der Anspruch entstanden ist (§§ 198, 201 BGB a.F., § 199 Abs. 1 BGB n.F.). Sie betragen daher nur in dem seltenen Ausnahmefall genau zwei, drei oder vier Jahre, wenn der Anspruch genau am 31. Dezember eines Jahres entstanden ist, sind in allen anderen Fällen aber länger.

31Die Frage kann für diejenigen Zinsansprüche offenbleiben, deren Verjährung nach nationalem Recht die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der seit geltenden - neuen - Fassung zugrunde zu legen wären; denn diese sehen eine Frist von nur drei Jahren vor, die auch bei Einbeziehung des hinausgeschobenen Fristbeginns keinesfalls länger ist als die vierjährige gemeinschaftsrechtliche Regelfrist. Insofern verbleibt es bei der Geltung des Gemeinschaftsrechts. Dies betrifft aber nur die in 2001 und 2002 aufgelaufenen Zinsen (vgl. oben 2.1 b). Die Verjährung der in 1999 und 2000 aufgelaufenen Zinsen hingegen richtet sich, wendet man nationales Recht an, nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zum gültigen Fassung, nach dem die kurze Verjährungsfrist vier Jahre beträgt. Stellt man für den von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 geforderten Fristvergleich nur auf diese Fristdauer ab, so ist die nationale Frist nicht länger, sondern genauso lang wie die gemeinschaftsrechtliche Regelfrist; dann ist allein Gemeinschaftsrecht maßgebend (so BFHE 225, 289). Bezieht man hingegen den regelmäßig hinausgeschobenen Fristbeginn mit ein, so ist die Frist nach nationalem Recht länger als nach dem Gemeinschaftsrecht, und das nationale Recht wäre maßgebend.

32Der Unterschied wirkt sich freilich nicht für sämtliche in den Jahren 1999 und 2000 aufgelaufenen Zinsen aus, sondern nur für diejenigen, die bis zum entstanden sind, also - etwas vergröbernd - lediglich für die Zinsen für den Januar 1999; denn diese waren bei Erlass der Rückforderungsbescheide vom , die am bekannt gegeben wurden, bei Anwendung des Gemeinschaftsrechts verjährt, bei Anwendung des nationalen Rechts infolge des hinausgeschobenen Fristbeginns hingegen unverjährt.

33bb) Ist Gemeinschaftsrecht anwendbar, so stellt sich des Weiteren die - bereits angesprochene - Frage, zu welchem Zeitpunkt der Lauf der Verjährungsfrist beginnt. Dabei müssen zwei Teilfragen unterschieden werden.

34Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1, Unterabs. 2 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 beginnt die Verjährungsfrist mit der Begehung der Unregelmäßigkeit, bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten mit deren Beendigung zu laufen. Sollte Art. 3 der Verordnung Zinsansprüche erfassen, so stellt sich die Frage,

ob die Verjährungsfrist auch für sie mit der Begehung oder der Beendigung der Unregelmäßigkeit zu laufen beginnt, selbst wenn die Zinsansprüche erst spätere Zeiträume betreffen und deshalb erst später entstehen.

35Das wirft vor allem dann Probleme auf, wenn das nationale Recht vorsieht, dass Zinsen erst für die Zeit nach der Ahndung der Unregelmäßigkeit verlangt werden können; sie könnten dann verjährt sein, noch ehe sie entstanden sind.

36Hiervon zu unterscheiden ist die weitere Frage,

ob der Beginn der Verjährung bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten durch Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung auch in Ansehung der Zinsansprüche auf den Zeitpunkt der Beendigung der Unregelmäßigkeit hinausgeschoben wird.

37Sieht das nationale Recht - wie in Deutschland - vor, dass Zinsen für die Zeit seit Erlangung des rechtswidrigen Vorteils verlangt werden können, so entstehen Zinsansprüche auch für Jahre, während derer die Befugnis der Behörde zur Rückforderung des Vorteils selbst noch nicht verjährt ist, weil die Unregelmäßigkeit noch andauert oder wiederholt wird. Das kann zur Akkumulation ganz erheblicher Zinsen führen, die die Hauptforderung erreichen oder übersteigen. Das deutsche Recht unterwirft derartige Ansprüche auf rückständige Zinsen auch deshalb einer von der Hauptforderung gesonderten - und damit ebenfalls sukzessiven - Verjährung, um eine solche Akkumulation zu vermeiden, die ruinös wirken könnte und jedenfalls als unbillig erscheint (vgl. oben 2.1 a).

38cc) Schließlich ist zweifelhaft, welche Auswirkungen der Erlass der Rückforderungsbescheide vom und der darin verfügten Feststellung der Zinspflicht dem Grunde nach auf die Verjährung nach dem Gemeinschaftsrecht hat.

39Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass der Erlass eines Rückforderungsbescheides den Lauf der vierjährigen Verjährungsfrist nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 unterbricht und dass diese Frist danach von neuem zu laufen beginnt (Urteil vom a.a.O. <Rn. 31 ff.>). Hiernach hätten die Rückforderungsbescheide den Lauf der - noch offenen (vgl. oben aa) - Verjährung auch hinsichtlich der Zinsen am unterbrochen; es hätte eine neue Frist zu laufen begonnen, die dann am abgelaufen wäre. Bei Erlass des Zinsbescheides am wäre die Zinsforderung mithin bereits verjährt gewesen.

40Hier kommt freilich hinzu, dass die Rückforderungsbescheide auch die Zinspflicht selbst dem Grunde nach verbindlich festgestellt haben. Die Feststellung wurde allerdings von der Klägerin angefochten und ist bislang nicht bestandskräftig. Dies wirft die Frage auf, ob die Zinsforderung während der Dauer des behördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahrens verjähren kann. Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 2 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 beginnt die Verjährungsfrist "nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung" von neuem. Es ist daher zu fragen,

wann die Unterbrechungswirkung eines Bescheides der zuständigen Behörde endet, durch den der fragliche (hier: Zins-)Anspruch dem Grunde nach festgestellt wird.

41Wie gezeigt (oben 2.1 c), bewirkt ein solcher Bescheid nach dem deutschen Recht in der seit 2002 gültigen Fassung, dass die Verjährung bis zu dessen Unanfechtbarkeit gehemmt ist (§ 53 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Während der Dauer eines Widerspruchs- oder Klageverfahrens kann also keine Verjährung eintreten. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass der Erlass eines solchen Bescheides einem Vertrauen des Betroffenen, die Behörde werde den (hier: Zins-) Anspruch nicht mehr geltend machen, die Schutzwürdigkeit genommen ist.

42Es spricht vieles dafür, auch für das Gemeinschaftsrecht anzunehmen, dass die unterbrechende Wirkung eines derartigen Bescheides bis zu dessen Unanfechtbarkeit anhält.

Fundstelle(n):
VAAAD-57473