Verzicht auf mündliche Verhandlung; beantragte Vernehmung "instruierter Mitarbeiter der Personalabteilung" kein ordnungsgemäßer Beweisantritt
Gesetze: FGO § 76 Abs. 1, FGO § 76 Abs. 2, FGO § 90 Abs. 2, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, GG Art. 103 Abs. 1, ZPO § 373
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhielt Kindergeld für ihre Tochter (T). Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom die Festsetzung für die Monate November 2005 bis August 2006, Dezember 2006 bis Februar 2007 und April 2007 bis Juli 2007 auf und forderte einen Betrag von insgesamt 2.618 € zurück, da T in diesen Zeiträumen nicht als Bewerberin für einen Ausbildungsplatz gemeldet gewesen sei und die Klägerin auch keine Unterlagen vorgelegt habe, aus denen eine ernsthafte Ausbildungsstellensuche ersichtlich sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Im anschließenden Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) bot die Klägerin im Schriftsatz vom das „Zeugnis eines instruierten Mitarbeiters der Personalabteilung des jeweiligen Betriebes” an. Mit Erklärung vom verzichtete sie auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, T sei in den streitigen Zeiträumen nicht bei der Berufsberatung gemeldet gewesen. Ausreichende Nachweise für eigene Bemühungen um einen Ausbildungsplatz habe die Klägerin nicht vorgelegt.
2 Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, das FG sei seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht nachgekommen, da es die angebotenen Beweise nicht erhoben habe. Außerdem habe es das rechtliche Gehör verletzt. Sie, die Klägerin, habe vorgetragen, bei welchen Ausbildungsbetrieben sich T beworben habe, auch habe sie Kopien von Bewerbungsschreiben und Absagen vorgelegt. Weiterhin habe sie die Zeugeneinvernahme von Mitarbeitern der Personalabteilung der jeweiligen Betriebe angeboten. Das Gericht hätte darüber hinaus T als Zeugin vernehmen können. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts wäre geboten und notwendig gewesen. Das angefochtene Urteil sei eine Überraschungsentscheidung. Sie, die Klägerin, habe dem Gericht mitgeteilt, dass weitere schriftliche Nachweise zu den Bewerbungsbemühungen nicht mehr vorhanden seien. Außerdem habe sie um einen richterlichen Hinweis für den Fall gebeten, dass das Gericht weiteren Sach- und Rechtsvortrag als notwendig erachten sollte. Ungeachtet dessen habe das FG ein klageabweisendes Urteil gefällt. Mit einer solchen Verfahrensbeendigung sei nicht zu rechnen gewesen.
3 II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
4 1. Die Rüge der Verletzung der Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) führt nicht zum Erfolg.
5 a) Die Klägerin ist der Ansicht, das FG hätte von Amts wegen T als Zeugin vernehmen müssen. Dieses Vorbringen rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, weshalb sich dem FG —auch ohne entsprechenden Antrag— eine Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (s. , BFH/NV 2009, 186).
6 b) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe zu Unrecht Mitarbeiter von Firmen, bei denen sich S beworben habe, nicht als Zeugen vernommen, kann sie mit diesem Einwand schon deshalb nicht gehört werden, weil sie im Schriftsatz vom auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat (§ 90 Abs. 2 FGO). Damit hat sie zugleich den Verzicht auf die zuvor beantragte Zeugeneinvernahme erklärt (BFH-Beschlüsse vom V B 74/00, BFH/NV 2001, 330; vom VII S 56/05 (PKH), BFH/NV 2006, 2116, und vom VII B 272/05, BFH/NV 2007, 725).
7 c) Unabhängig hiervon brauchte das FG dem Beweisangebot nicht nachzugehen, da die Klägerin den Beweis nicht ordnungsgemäß angetreten hatte. Nach § 82 FGO i.V.m. § 373 der Zivilprozessordnung (ZPO) wird der Zeugenbeweis durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll, angetreten. Die Klägerin hat jedoch nur pauschal „instruierte Mitarbeiter der Personalabteilung des jeweiligen Betriebes” benannt.
8 2. Das FG hat auch keine Überraschungsentscheidung getroffen und nicht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO).
9 a) Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassung nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2008, 1180). Die Klägerin sieht eine Gehörsverletzung darin, dass das FG sein Urteil gefällt habe, ohne zuvor den Beweisangeboten nachgegangen zu sein. Ein fachkundig vertretener Prozessbeteiligter kann jedoch nicht davon überrascht sein, dass ein Gericht einen Zeugenbeweis, der nicht den Vorgaben des § 373 ZPO entspricht, nicht erhebt.
10 b) Soweit die Klägerin sinngemäß beanstandet, das FG habe gegen die Pflicht zur Erteilung eines Hinweises nach § 76 Abs. 2 FGO verstoßen, ist diese Rüge ebenfalls unbegründet. Ein richterlicher Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass deren Eigenverantwortlichkeit eingeschränkt wird. Bei Beteiligten, die —wie die Klägerin— im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten sind, stellt das Unterlassen eines richterlichen Hinweises in der Regel keine Verletzung der Pflicht aus § 76 Abs. 2 FGO dar (z.B. , BFH/NV 2010, 918).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1847 Nr. 10
EAAAD-49023