Hilfe zur Aufklärung: Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrunds auf das Opfer der schweren Straftat; Ermessensausübung
Leitsatz
1. § 46b StGB ist auch auf das Opfer einer in § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 100a Abs. 2 StPO bezeichneten Tat anwendbar .
2. Zur Ermessensausübung im Rahmen des § 46b StGB .
Gesetze: § 46b Abs 1 S 1 Nr 1 StGB, § 100a Abs 2 StPO
Instanzenzug: LG Dresden Az: 3 KLs 422 Js 54164/08 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in acht Fällen und versuchter Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO zieht den Wegfall der Einzelfreiheitsstrafe von sieben Monaten und die Änderung des Schuldspruches nach sich.
32. Der Strafausspruch kann insgesamt keinen Bestand haben. Das Landgericht hat den Regelungsinhalt des § 46b StGB verkannt.
4a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte durch Offenbarung seines Wissens über einen an ihm selbst verübten erpresserischen Menschenraub (§ 239a StGB) in Tateinheit mit räuberischer Erpressung (§ 255 StGB) wesentlich zur Aufklärung dieser Tat beigetragen. Obgleich eine Katalogtat im Sinne von § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. i und k StPO in Frage steht, hat die Strafkammer § 46b StGB für nicht anwendbar gehalten, weil es sich bei dem Angeklagten nicht um einen Tatbeteiligten, sondern um das Tatopfer handele. Zudem seien die Angaben des Angeklagten im Hinblick auf seine Aussagepflicht als Zeuge nicht freiwillig erfolgt.
5b) Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6aa) Nach der vom Gesetzgeber bewusst überaus weit ausgestalteten Tatbestandsfassung des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist nicht erforderlich, dass es sich bei dem „Kronzeugen“ um einen Tatbeteiligten handelt (Regierungsentwurf in BT-Drucks 16/6268 S. 10, 12; Fischer, StGB 57. Aufl. § 46b Rdn. 13a). Der „Kronzeuge“ muss lediglich Aufklärungshilfe zu „einer“ der in § 100a Abs. 2 StPO aufgeführten Taten leisten. Ein Zusammenhang mit den von ihm verübten Taten ist nicht vorausgesetzt. Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang zitierte Vorschrift des § 46b Abs. 1 Satz 3 StGB enthält keine Eingrenzung auf Tatbeteiligte, sondern statuiert für den Tatbeteiligten das zusätzliche Erfordernis einer Aufklärung über den eigenen Tatbeitrag hinaus. Hieraus ergibt sich im Gegenschluss, dass der „Kronzeuge“ ansonsten lediglich Wissen über irgendeine Katalogtat offenbaren muss.
7bb) Entgegen der Auffassung des Landgerichts wird das Merkmal der Freiwilligkeit nicht mit Blick auf eine strafprozessuale Aussagepflicht des Zeugen (vgl. §§ 51, 70 StPO) ausgeschlossen.
8Freiwilligkeit ist nach der insoweit auf § 46b StGB übertragbaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 31 BtMG dann gegeben, wenn sich der Beschuldigte frei zur Offenbarung entschließen kann; unfreiwillig handelt hingegen, wer meint, nicht mehr anders handeln zu können (BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Freiwillig 1 und 2). Abgesehen davon, dass gesetzliche Anzeigepflichten betreffend begangene Straftaten nach geltender Rechtslage die Ausnahme bilden und der Zeuge – was das Landgericht im Grundsatz nicht verkennt – etwa bei polizeilichen Vernehmungen nicht aussagen muss, führt eine gegebene Zeugnispflicht nicht dazu, dass er nicht Herr seiner Entschlüsse ist und eine Aussage daher nicht mehr auf einem autonomen Entschluss beruhen kann. Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber den Tatbestand des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB und damit das Freiwilligkeitserfordernis selbst bei Bestehen einer strafbewehrten Anzeigepflicht nach § 138 StGB nicht in Frage gestellt sieht (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des federführenden Rechtsausschusses des Bundestages in BT-Drucks 16/13094 S. 5). Anders läge es, wenn der Zeuge erst nach gegen ihn konkret ergriffenen Erzwingungsmaßnahmen (vgl. §§ 51, 70 StPO) aussagen würde. Hierzu enthält das Urteil indessen keine Feststellungen.
93. Für die Ermessensausübung weist der Senat auf Folgendes hin:
10Es müssen, soweit im konkreten Fall relevant, die in § 46b Abs. 2 Nr. 1 StGB beispielhaft aufgeführten Umstände im Einzelnen dargelegt und bewertet werden. Vorliegend wird namentlich zu beachten sein, ob und wann der Angeklagte die Ermittlungsbehörden von der Tat informiert hat oder ob diese – etwa aufgrund der laufenden Überwachung der Telekommunikation – bereits Kenntnis von Tat und Tätern hatten. Ferner kann zu würdigen sein, ob und inwieweit der Angeklagte, wie es beim Tatopfer der Fall sein kann, mit seiner Wissensoffenbarung (Anzeige bzw. Aussage) ausschließlich oder vorrangig eigene Aufklärungs- bzw. Genugtuungsinteressen verfolgt hat. In diesem Rahmen kann auch der vom Landgericht bei der Prüfung der Freiwilligkeit erörterte Umstand, dass der „Kronzeuge“ nach den hier zu beurteilenden Gegebenheiten durch eine (wahrheitsgemäße) Aussage im Kern nur seine staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. Vor § 48 Rdn. 5), gegen die Gewährung der Strafmilderung sprechen (vgl. zu § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB Beschlussempfehlung und Bericht aaO).
11An Feststellungen zu den näheren Einzelheiten der Wissensoffenbarung durch den Angeklagten ermangelt es dem angefochtenen Urteil. Der Senat vermag daher nicht zu beurteilen, ob die Versagung der durch § 46b StGB gewährten Wohltaten im gegenständlichen – gewiss atypisch gelagerten – Fall einer „Kronzeugenaussage“ im Ergebnis gerechtfertigt ist. Trotz der auch angesichts des Wegfalls des Vorwurfs einer versuchten Urkundenfälschung maßvollen Bestrafung des Angeklagten kann er nicht ausschließen, dass der Strafausspruch bei Anwendung des § 46b StGB milder ausgefallen wäre.
124. Das nunmehr entscheidende Tatgericht wird die erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben. Es ist auch sonst nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen, rechtsfehlerfrei getroffenen und daher aufrecht erhaltenen nicht widersprechen.
13Sofern das Tatgericht zur Anwendung des § 46b StGB gelangen sollte, hat es nach der auch in diesem Punkt sehr weitgehenden und wenig bestimmten gesetzlichen Konzeption die Angemessenheit und Gebotenheit der Strafmilderung für jede dem Angeklagten zur Last liegende Tat zu prüfen (Regierungsentwurf aaO S. 13, unter Bezugnahme auf BayObLG NJW 1991, 2575, 2579). Mangels jeglichen inneren Zusammenhangs der vom Angeklagten begangenen Taten mit dem „Kronzeugensachverhalt“ und damit mangels jeglichen Maßstabs für differenzierte Strafmilderungen wird dies naheliegend nur durch einen – hier nicht sehr gewichtigen – einheitlichen Abschlag hinsichtlich jeder der verhängten Einzelstrafen geschehen können, der sich dann in der Gesamtstrafe niederschlägt. Für die Würdigung der hier inmitten stehenden besonders schweren Fälle der Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB gelten im Übrigen die allgemeinen Regeln (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 46b Rdn. 30a m.w.N.).
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Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 2741 Nr. 37
MAAAD-44574