Entscheidung über Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Vorrang vor Zurückstellung der Strafvollstreckung für betäubungsmittelabhängige Täter
Gesetze: § 64 StGB vom , § 35 BtMG, UnterbrSiG
Instanzenzug: LG Wiesbaden Az: 3321 Js 30297/08 - 1 KLs Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis" unter Einbeziehung anderweit verhängter Strafen und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es in der Urteilsformel die Zustimmung zur Zurückstellung der Vollstreckung dieser Strafe erteilt sowie die Anrechnung der stationären Behandlung des Angeklagten in einer psychosomatischen Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen angeordnet.
2Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge sowie die unausgeführte Rüge der Verletzung formellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
31. Als durchgreifend rechtsfehlerhaft erweist sich, dass das Landgericht keine Entscheidung über die Unterbringung des betäubungsmittelabhängigen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB getroffen hat. Die Zustimmung zur Zurückstellung der Vollstreckung der erkannten Strafe gemäß § 35 BtMG ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die Unterbringung nach § 64 StGB geht dieser dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltenen Maßnahme vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist (vgl. Senat, Beschl. v. - 2 StR 170/09; BGH StV 2008, 405, 406). Hieran hat sich durch die Neufassung des § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom (BGBl. I S. 1327) grundsätzlich nichts geändert (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 64 Rdn. 26). Zwar ist die Maßregel nach der Neufassung der Vorschrift nicht mehr zwingend anzuordnen. Auch besteht im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass der Angeklagte sich zur Zeit der tatrichterlichen Hauptverhandlung in stationärer Behandlung in einer psychosomatischen Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen befand, nachdem die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung aus der einbezogenen Vorverurteilung zurückgestellt hatte. Das Gericht muss jedoch das ihm nunmehr in § 64 Satz 1 StGB eingeräumte Ermessen auch tatsächlich ausüben und dies in den Urteilsgründen kenntlich machen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73 f.; 2009, 235; Beschl. v. - 3 StR 337/08). Daran fehlt es hier.
4Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5; BGH NStZ-RR 2008, 107). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.). Über die Maßregelanordnung ist daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a Satz 2 StPO) neu zu entscheiden.
52. Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Strafen erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
63. Der Senat hat die in die Urteilsformel aufgenommenen Entscheidungen des Tatrichters über die Zurückstellung der Strafvollstreckung (§ 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG) und die Anrechnung seines Aufenthaltes in der E.-W.-K. auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe (§ 36 Abs. 1 BtMG) zur Klarstellung aufgehoben, da diese in sachlogischem Widerspruch zu der vorrangig zu prüfenden Frage einer Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB stehen.
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Fundstelle(n):
CAAAD-41206