BFH Urteil v. - IX R 2/09

Feststellungsverjährung bei Verlustfeststellungsbescheiden

Leitsatz

Dem Erlass wie der Änderung eines Verlustfeststellungsbescheids nach § 10d Abs. 3 bzw. Abs. 4 EStG steht solange keine Feststellungsverjährung entgegen, als diese Feststellung für künftige Einkommensteuerfestsetzungen oder Verlustfeststellungen nach § 10d EStG von Bedeutung ist.
Von Bedeutung im Sinne des § 181 Abs. 5 AO sind Feststellungsbescheide nicht nur für Steuerfestsetzungs- oder Feststellungsbescheide desselben oder des sich unmittelbar anschließenden Veranlagungszeitraums. Auch eine nur mittelbare Bedeutung dieser Bescheide für spätere Veranlagungen und Feststellungen genügt.
§ 181 Abs. 5 AO ist auch anwendbar, soweit sich der Ablauf der regulären Feststellungsfrist für den fraglichen Feststellungsbescheid seinerseits aus § 171 Abs. 10 AO ergibt.

Gesetze: EStG § 10d, AO § 181 Abs. 5, AO § 171 Abs. 10, AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

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I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden seit dem Jahr 1995 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erließ am für den Kläger den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum und stellte einen Verlust von 2.384.059 DM fest. Der entsprechende Bescheid für 1995 vom erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung über 2.267.761 DM, wobei der Anfangswert zum mit dem Endwert zum korrespondierte. Am änderte das FA den Bescheid für 1994 und stellte den Verlust auf 3.032.344 DM fest. Am hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung für den Verlustfeststellungsbescheid der Kläger zum auf. Für die Jahre 1997 bis 2000 ergingen entsprechende Verlustfeststellungsbescheide, die das FA zuletzt am änderte. Hiergegen erhoben die Kläger Einspruch. Weiter beantragten sie am die Änderung der Verlustfeststellungsbescheide zum bis zum mit der Begründung, dass aufgrund der Änderung des Verlusts zum die Folgebescheide auch entsprechend geändert werden müssten. Das FA lehnte den Antrag mit Bescheid vom ab. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Das FA wies mit zusammengefasster Einspruchsentscheidung vom die Einsprüche als unbegründet zurück, da wegen § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) eine Änderung nicht mehr möglich sei. Die Verlustfeststellungsbescheide zum bis zum änderte es am aus vorliegend nicht streitigen Gründen.

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Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, eine Änderung der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum bis zum wegen der Änderung des entsprechenden Bescheids zum sei im Hinblick auf § 171 Abs. 10 AO nicht möglich. Im Streitfall habe das FA den Verlustfeststellungsbescheid zum , der Grundlagenbescheid für den Feststellungsbescheid zum sei, am geändert. Ungeachtet der Feststellungsverjährung für den Verlustfeststellungsbescheid 1995 habe das FA nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO zwei Jahre Zeit gehabt, also bis zum , diesen Folgebescheid ebenfalls zu ändern, was aber nicht geschehen sei. Folglich sei der höhere Verlust aus dem Verlustfeststellungsbescheid für 1994 für die Folgejahre nicht zu berücksichtigen, da der Verlustfeststellungsbescheid 1995 diesen höheren Verlust als Grundlagenbescheid für den nächsten Folgebescheid für 1996 und die weiteren Jahre nicht enthalte.

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§ 181 Abs. 5 AO sei nicht einschlägig. § 181 Abs. 5 AO schließe die Anwendung des § 171 Abs. 10 AO nicht generell mit der Folge aus, dass die Festsetzungsbescheide auch dann keiner Feststellungsverjährung unterliegen, wenn sie nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert würden.

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Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie geltend machen, dass nach § 181 Abs. 5 AO dem Erlass eines Verlustfeststellungsbescheids nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG) solange keine Feststellungsverjährung entgegenstehe, als diese Feststellung für künftige Einkommensteuerfestsetzungen oder Verlustfeststellungen nach § 10d EStG noch von Bedeutung sei. Die Änderungsfrist des § 171 Abs. 10 AO bleibe hierfür außer Betracht.

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Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des FG aufzuheben und die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum bis zum , jeweils vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und unter Berücksichtigung des weiteren Verlustvortrags von 331.463 € erneut zu bescheiden, sowie den Bescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und den verbleibenden Verlustvortrag für die Jahre 2001 bis 2003 entsprechend abzuändern.

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Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Es beruft sich insbesondere darauf, dass der auf den geänderte höhere Verlustvortrag nur Bindungswirkung für die gesonderte Feststellung zum entfalte, nicht aber auf die darauffolgenden Veranlagungszeiträume. Erst eine Änderung des Feststellungsbescheids zum löse die Änderung der jeweils nachfolgenden Feststellungsbescheide aus. Eine unterbliebene gesonderte Feststellung, welche aufgrund der Feststellungsverjährung nach § 171 Abs. 10 AO nicht mehr nachgeholt werden könne, unterbreche diese „Kettenreaktion” und könne auch nicht im nächsten oder übernächsten Veranlagungszeitraum nachgeholt werden.

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Zu Unrecht hat das FG die Änderung des Feststellungsbescheids zum gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO als Folge der Änderung des Bescheids zum wegen Ablaufs der Festsetzungsverjährung nicht zugelassen, obwohl der geänderte Feststellungsbescheid zum ggf. noch Bedeutung für nachfolgende Feststellungsbescheide und Einkommensteuerfestsetzungen haben kann.

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Der begehrten Änderung der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags steht die Feststellungsverjährung des Bescheids zum nicht entgegen.

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1. Die begehrten Änderungen von Feststellungen des verbleibenden Verlustvortrags sind nicht wegen des Ablaufs der Feststellungsfristen unzulässig. Zwar ist für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum Feststellungsverjährung eingetreten. Dies ist jedoch nach Maßgabe von § 181 Abs. 5 AO unerheblich.

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a) Gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO gelten für die gesonderte Feststellung die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine gesonderte Feststellung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Feststellungsfrist abgelaufen ist. Diese beträgt bei der gesonderten Feststellung nach § 10d EStG vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Ihr Beginn bestimmt sich nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO (dazu , BFHE 222, 32, unter II. 2. a).

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Zutreffend geht das FG davon aus, dass die Feststellungsfrist für den Verlustfeststellungsbescheid 1995 am begonnen und am geendet hat (§ 181 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1).

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b) Gemäß § 181 Abs. 5 Satz 1 AO kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist; hierbei bleibt § 171 Abs. 10 AO außer Betracht. Das Gleiche gilt, wenn die gesonderte Feststellung Grundlagenbescheid für einen weiteren Feststellungsbescheid ist; dies ergibt sich aus § 181 Abs. 1 Satz 1 AO (vgl. BFH-Urteil in BFHE 222, 32, unter II. 2. b aa, m.w.N.). § 181 Abs. 5 Satz 1 AO gilt auch für die Änderung von Feststellungsbescheiden (, BFHE 224, 390, BStBl II 2009, 587, unter II. 4. b, m.w.N.; vom IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335, unter II. 2. a). Dem Erlass wie der Änderung eines Verlustfeststellungsbescheids nach § 10d Abs. 3 bzw. Abs. 4 EStG in der jeweils für die Streitjahre geltenden Fassung steht solange keine Feststellungsverjährung entgegen, als diese Feststellung für künftige Einkommensteuerfestsetzungen oder Verlustfeststellungen nach § 10d EStG von Bedeutung ist (, BFH/NV 2006, 16; vom XI R 26/01, BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681). Von Bedeutung i.S. des § 181 Abs. 5 AO sind Feststellungsbescheide nicht nur für Steuerfestsetzungs- oder Feststellungsbescheide desselben oder des sich unmittelbar anschließenden Veranlagungszeitraums. Auch eine nur mittelbare Bedeutung dieser Bescheide für spätere Veranlagungen und Feststellungen genügt. Dies entspricht der dienenden Funktion des Feststellungsverfahrens (BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 16, unter II. 2., m.w.N.).

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c) Nach diesen Grundsätzen sind der Verlustfeststellungsbescheid zum —sowie entsprechend die Verlustfeststellungsbescheide der folgenden Jahre bis 2003— gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO wegen der Änderung des Bescheids zum als Grundlagenbescheid zu ändern, soweit sie für Folgefestsetzungen oder Folgefeststellungen von Bedeutung sind.

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Auf § 181 Abs. 5 Satz 1  2. Halbsatz, wonach § 171 Abs. 10 AO außer Betracht zu bleiben hat, kommt es insoweit nicht an. Diese Regelung betrifft vielmehr die Frage, inwieweit für Folgebescheide des Verlustfeststellungsbescheids zum die Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist bereits abgelaufen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass § 181 Abs. 5 AO unanwendbar wäre, soweit sich der Ablauf der regulären Feststellungsfrist für den fraglichen Feststellungsbescheid seinerseits aus § 171 Abs. 10 AO ergibt. Gründe dafür, dass § 181 Abs. 5 AO auf Änderungen von Feststellungsbescheiden nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht anwendbar wäre, sind nicht ersichtlich und werden auch vom FG nicht genannt.

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2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt nicht geprüft, ob die geänderte Verlustfeststellung zum noch Bedeutung für folgende Verlustfeststellungen und Einkommensteuerfestsetzungen hat. Dies wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
WAAAD-37366