BFH Beschluss v. - III B 10/08

Kein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit bei Wohnsitzverlegung des Klägers

Gesetze: GVG § 17 Abs. 1, FGO § 38 Abs. 1, FGO § 70

Instanzenzug:

Gründe

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begann am eine Tätigkeit bei einer Versicherung. Der der Tätigkeit zunächst zugrundeliegende „Dienstvertrag” vom 1./ bezeichnete ihn als „Angestellten im Außendienst"; ferner erhielt er ein monatliches Gehalt in Höhe von 1.000 DM, Tagegelder und Prämien. Urlaubsanspruch und Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall richteten sich nach dem Tarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe.

2

Am / wurde ein neuer Vertrag unterzeichnet. Nach diesem „Vertreter - Vertrag” war der Kläger als „selbständiger Gewerbetreibender” damit betraut, für die Versicherung Versicherungsverträge zu vermitteln. Zeit und Art der Durchführung seiner Tätigkeit konnte der Kläger frei bestimmen. Die gewerbe- und steuerrechtlichen Bestimmungen hatte er in eigener Verantwortung selbst zu beachten. Zur Abgeltung seiner Tätigkeit erhielt der Kläger Provisionen. Die Provisionen wurden auf ein Konto ausbezahlt, dessen Inhaberin die Ehefrau des Klägers war; die Ehefrau war allerdings der Versicherung nicht bekannt. Aus diesen Einnahmen hatte der Kläger sämtliche persönlichen und sachlichen Kosten seines Geschäftsbetriebs, wie z.B. Reiseaufwendungen und Aufwendungen für den Bürobetrieb, zu bestreiten. Für die Dauer des Vertrages verpflichtete er sich, nur für die Versicherung tätig zu sein und ohne schriftliche Zustimmung keine Nebengeschäfte zu betreiben. Nach den dem Vertrag beigefügten Richtlinien hatte der Kläger für den Fall, dass er seine Tätigkeit wegen Krankheit nicht ausüben konnte, die Versicherung unverzüglich zu unterrichten. Dauerte die Krankheit länger als drei Tage, war ein ärztliches Attest vorzulegen, damit sich die Versicherung ein Bild von der voraussichtlichen Dauer der Erkrankung machen konnte. Die Urlaubszeit hatte der Kläger unter Wahrung einer angemessenen Frist mit dem Bezirksdirektor abzustimmen.

3

Die Einkünfte aus der Versicherungstätigkeit erklärte der Kläger in den Streitjahren 1990 bis 1997 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (in den Jahren 1992 bis 1996 füllte er die Anlage GSE nicht aus). Aufwendungen z.B. für das Büro im Untergeschoss seines Privathauses waren in den erklärten Betriebsausgaben enthalten. Da die erklärten Einkünfte unter dem Freibetrag des § 11 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes lagen, wurden keine Gewerbesteuermessbescheide erlassen.

4

Nach einer Steuerfahndungsprüfung erhöhten sich die gewerblichen Einkünfte des Klägers aus der Tätigkeit als Versicherungsvertreter. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) erließ entsprechende Gewerbesteuermessbescheide. Seinen Einspruch gegen diese Bescheide begründete der Kläger damit, dass er nie als „Gewerbetreibender”, sondern stets als „Angestellter” der Versicherung tätig gewesen sei. Der Einspruch blieb erfolglos.

5

Im Klageverfahren trug der Prozessbevollmächtigte des Klägers u.a. vor, es werde nicht mehr bestritten, dass die Versicherungsvermittlung als selbständige Tätigkeit ausgeübt worden sei, die Tätigkeit sei aber seiner Ehefrau zuzurechnen, die das Gewerbe angemeldet und entsprechend gewerblich tätig gewesen sei; die Provisionen seien auf ihr Konto überwiesen worden.

6

Das Finanzgericht (FG) Nürnberg wies die Klage ab. Es war der Auffassung, Gewerbetreibender sei der Kläger und nicht dessen Ehefrau gewesen. Er allein sei Vertragspartner der Versicherung gewesen, nur er habe eine Agentennummer gehabt und sei im Außendienst tätig gewesen. Einkünfte aus der Vermittlungstätigkeit habe immer nur der Kläger erklärt, seine Ehefrau habe sich in den Einkommensteuererklärungen als „Hausfrau” bezeichnet. Unerheblich sei, dass die Provisionen auf das Konto der Ehefrau geflossen seien, denn zuzurechnen seien die Einkünfte dem Kläger, der die gewerbliche Tätigkeit ausgeführt habe.

7

Der Kläger trägt mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde im Wesentlichen vor, die Revision sei nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen Verfahrensfehlern und nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit des FG-Urteils zuzulassen. Das FG sei örtlich unzuständig gewesen. Er habe in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass er seinen Wohnsitz in der Schweiz habe. Da sein letzter inländischer Wohnsitz in Westfalen gewesen sei, hätte das FG den Rechtsstreit an das für den letzten inländischen Wohnsitz des Klägers zuständige FG verweisen müssen. Das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt, weil es den Vertretervertrag vom / nicht beigezogen habe, aus dem sich ergeben hätte, dass er bei der Versicherung als Angestellter tätig gewesen sei. Das Urteil des FG sei außerdem greifbar gesetzeswidrig, weil sich das FG nicht mit der Rechtsprechung zur Scheinselbständigkeit auseinandergesetzt habe.

8

II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).

9

1. Verfahrensmängel, auf denen das Urteil des FG beruhen könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), liegen nicht vor.

10

a) Das FG ist zutreffend von seiner örtlichen Zuständigkeit ausgegangen.

11

Nach § 38 Abs. 1 FGO ist das FG örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat. Nach § 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes wird die örtliche Zuständigkeit des FG durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt. Es ist daher für ein beim örtlich zuständigen FG eingeleitetes Verfahren unerheblich, wenn der Kläger während des Prozesses seinen Wohnsitz verlegt (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 70 FGO Rz 4).

12

Im Streitfall war das FG Nürnberg örtlich zuständig, da die angefochtenen Bescheide durch das —zum Gerichtsbezirk des FG Nürnberg gehörende— FA X erlassen worden waren. Ob das FA X in Hinblick auf den Wohnsitz des Klägers in den Streitjahren örtlich zuständig war, ist für die örtliche Zuständigkeit des FG unerheblich (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 38 Rz 5). Auch wenn der Kläger mittlerweile seinen Wohnsitz verlegt hat, bleibt die örtliche Zuständigkeit des FG erhalten.

13

b) Die Rüge des Klägers, das FG hat seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil es den Vertreter-Vertrag vom / nicht beigezogen habe, rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht.

14

Zum einen befand sich dieser Vertrag bei den Gerichtsakten und wurde vom FG, das den wesentlichen Inhalt des Vertrags im Tatbestand seines Urteils dargestellt hat, auch zur Kenntnis genommen. Zum anderen kam es auf den Inhalt dieses Vertrages, der ausschließlich Bestimmungen über das Vertragsverhältnis des Klägers mit der Versicherung und über die Durchführung seiner Tätigkeit enthielt, nicht mehr an, nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklärt hatte, es werde nicht bestritten, dass die Tätigkeit als Versicherungsvertreter als selbständige Tätigkeit ausgeführt worden sei.

15

Das FG brauchte den Sachverhalt auch nicht weiter aufzuklären in Bezug auf die Überweisung der Provisionen auf das Konto der Ehefrau und die Anmeldung eines Versicherungsgewerbes auf ihren Namen, da dieser Sachverhalt feststand. Dass das FG aus diesen Tatsachen nicht den vom Kläger gewünschten Schluss gezogen hat, die Einkünfte aus der Versicherungstätigkeit seien nicht ihm, sondern seiner Ehefrau zuzurechnen, ist eine Frage der Sachverhaltswürdigung, die dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Mit der Rüge, die Würdigung des FG sei fehlerhaft, kann ein Verfahrensmangel nicht begründet werden (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2008, 1509, m.w.N.).

16

2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO wegen eines offensichtlichen Rechtsanwendungsfehlers von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung zuzulassen.

17

Voraussetzung hierfür wäre, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2008, 113, m.w.N.). Dies kann u.a. dann gegeben sein, wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. , BFH/NV 2006, 1116). Derartige Rechtsfehler sind nicht erkennbar; vielmehr ist die Entscheidung des FG, die —gewerblichen— Einkünfte aus der Versicherungstätigkeit allein dem Kläger zuzurechnen, rechtlich nicht zu beanstanden.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 658 Nr. 4
GAAAD-37341