BGH Beschluss v. - XI ZB 36/09

Leitsatz

Leitsatz:

Zur Zulässigkeit einer Berufung, mit der die Abänderung des angefochtenen Urteils gemäß den Schlussanträgen in erster Instanz begehrt wird.

Gesetze: ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1

Instanzenzug: OLG Karlsruhe, 14 U 172/08 vom LG Offenburg, 2 O 439/07 vom Veröffentlichungen: Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja

Gründe

I. Das die Klage, mit der Schadensersatzansprüche und Zahlungsansprüche aus einer Kontoabrechnung geltend gemacht werden, abgewiesen und der Feststellungswiderklage der Beklagten überwiegend stattgegeben. Die Entscheidung ist der Klägerin zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom hat der Klägervertreter eine Berufungsschrift ohne Begründung eingereicht und die Ausfertigung des angefochtenen Urteils mit der Bitte um dessen Rückgabe beigefügt. Am hat das Berufungsgericht die Zustellung der Berufung an die Beklagtenvertreter, die Benachrichtigung des Klägervertreters hiervon nebst Rückgabe der Ausfertigung des landgerichtlichen Urteils sowie die Anforderung der Akten beim Landgericht veranlasst. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum wegen eines am Landgericht anhängigen Tatbestandsberichtigungsantrages des Klägervertreters hat dieser seine Berufung am begründet. Er hat beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und gemäß den Schlussanträgen der Klägerin in erster Instanz zu erkennen. Das Landgericht hat den Tatbestandsberichtigungsantrag mit Beschluss vom zurückgewiesen und am die Akten an das Berufungsgericht übersandt. Am selben Tage hat das Berufungsgericht den Klägervertreter darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden, da die Schlussanträge erster Instanz unbekannt seien, die Akten des Landgerichts nicht vorlägen und auch sonst kein Urteil erster Instanz greifbar sei. Die Akten sind am beim Berufungsgericht eingegangen.

Mit am zugestelltem Beschluss vom hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil weder die Berufungsschrift noch die Berufungsbegründungsschrift den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO genüge. Beide Schriftsätze würden keine Erklärung enthalten, inwieweit das landgerichtliche Urteil angefochten und welche Änderung beantragt werde. Da die Verfahrensakten bei Ablauf der Begründungsfrist nicht vorgelegen hätten, habe das Berufungsgericht über den Antrag auf Abänderung entsprechend der Schlussanträge erster Instanz keine Sachentscheidung treffen können. Trotz eines Hinweises des Berufungsgerichts habe der Klägervertreter diesen Mangel nicht behoben.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist (, NJW-RR 2003, 1580 m.w.N.).

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich, weil die angefochtene Entscheidung gemäß den nachstehenden Ausführungen das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und darauf beruht (vgl. Senat, BGHZ 159, 135, 139 f. m.w.N.).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO muss die Berufungsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Abänderungen beantragt werden. Diese Erklärung muss nicht notwendig in einem bestimmt gefassten Antrag niedergelegt werden. Die Vorschrift verlangt lediglich, dass die Begründungsschrift ihrem gesamten Inhalt nach eindeutig erkennen lässt, in welchem Umfang das Urteil der ersten Instanz angefochten werden soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 5/82, VersR 1982, 974 und vom - IVb ZB 20/85, FamRZ 1985, 584).

b) Das Berufungsgericht ist zwar ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass dies wegen der Komplexität des mehrere Vorprozesse fortführenden Rechtsstreits über die Auslegung eines gerichtlichen Vergleichs und die Abwicklung der darin vereinbarten Zahlungs- und Verrechnungsmodalitäten hier nur bei Kenntnis der in der Berufungsbegründungsschrift in Bezug genommenen erstinstanzlichen Schlussanträge der Klägerin der Fall ist. Angesichts der Tatsache, dass bereits mit der Berufungsschrift eine Ausfertigung des landgerichtlichen Urteils eingereicht worden war, in dem die Schlussanträge der Klägerin in erster Instanz wiedergegeben waren, musste der Klägervertreter jedoch nicht damit rechnen, dass das Berufungsgericht der Klägerin das Nichtvorliegen des landgerichtlichen Urteils anlasten würde. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem Klägervertreter die von ihm vorgelegte Urteilsausfertigung auf seine Bitte hin zurückgesandt hatte. Der Klägervertreter durfte vielmehr davon ausgehen, dass das Berufungsgericht jedenfalls bis zum Eingang der Verfahrensakten des Landgerichts einen Abdruck des Urteils zurückhalten würde.

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Dabei hat der Senat von § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch gemacht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 424 Nr. 6
WM 2010 S. 434 Nr. 9
JAAAD-35532