BFH Beschluss v. - VII B 72/09

Keine Übertragung der von EuGH-Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Umsatzsteuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen auf das Verbrauchssteuerrecht; Zustellung eines deutschen Branntweinsteuerbescheids an ein in Italien ansässiges Unternehmen

Gesetze: GG Art. 101, EG Art. 234 Abs. 3, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), ein in Italien ansässiges Unternehmen, eröffnete 1996 und 1997 insgesamt fünf Steuerversandverfahren, mit denen Ethylalkohol unter Steueraussetzung von Italien über Deutschland nach Litauen bzw. in die Slowakei ausgeführt werden sollte. Tatsächlich wurden die begleitenden Verwaltungsdokumente im Steuergebiet durch andere Begleitdokumente ausgetauscht, in denen die beförderte Ware als Dämmplatten, Fliesen, Kabel und Kleber ausgewiesen wurde. Sodann erfolgte eine Ausfuhr des Alkohols nach Tschechien. Die ordnungsgemäße Erledigung der Steuerversandverfahren wurde durch gefälschte Zollstempel vorgetäuscht. Die Fahrer von zwei Transporten sind inzwischen wegen Steuerhinterziehung strafrechtlich verurteilt worden. Neben den Fahrern und den Transportfirmen nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt —HZA—) auch die Klägerin mit insgesamt fünf Steuerbescheiden auf Zahlung der Branntweinsteuer für den ausgeführten Alkohol in Anspruch. Dabei ging das HZA davon aus, dass der Alkohol durch den Austausch der Begleitdokumente in Deutschland dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden sei. Da die ersten vier Steuerbescheide zunächst mangels Mitwirkung der italienischen Zollbehörden nicht zugestellt werden konnten, wurden sie vom Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Mailand per Einschreiben der Klägerin übersandt. Ausweislich des Rückscheines erfolgte die Zustellung am . Ein weiterer Steuerbescheid wurde am zugestellt.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass die Steuerbescheide über die nach § 143 Abs. 1 des Branntweinmonopolgesetzes durch den Austausch der Begleitdokumente entstandene Steuer der Klägerin wirksam zugestellt worden seien. Die ersten vier Steuerbescheide hätten gemäß § 122 Abs. 5 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 14 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) nur mittels Ersuchen an das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Mailand per Einschreiben zugestellt werden können, denn durch die Weigerung der italienischen Zollbehörden, den Zustellungsersuchen nach Art. 5 der Richtlinie  76/308/EWG (BeitreibungsRL) des Rates vom über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 73/18) zu entsprechen, sei eine Bekanntgabe mittels einfachen Briefs nicht möglich gewesen.

Eine Exkulpationsmöglichkeit der Klägerin nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO komme nicht in Betracht. Denn sie müsse für die Personen eintreten, derer sie sich zur Durchführung des Steuerversandverfahrens bedient habe. Zudem habe sie nicht nachgewiesen, dass sie durch die Steuerhinterziehung keinen Vermögensvorteil erlangt und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe.

Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) und wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Entgegen der Rechtsauffassung des FG habe die Zustellung aufgrund der Spezialvorschriften der Art. 5 und 14 der BeitreibungsRL nicht nach dem VwZG erfolgen können. Durch den steuerlichen Zugriff mehrerer Mitgliedstaaten entstünde ein Kompetenzkonflikt, den der Versender nicht lösen könne. Im Streitfall hätte Italien längst auf die geltend gemachte Steuer verzichten und die Sicherheiten freigeben müssen. Die Frage der Zustellung könne noch nicht als höchstrichterlich geklärt angesehen werden. Aufgrund ihrer Bedeutung für den internationalen Frachtverkehr komme der Frage grundsätzliche Bedeutung zu. Auch der Frage, ob das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom Rs. C 271/06 (Slg. 2008, I-771) auf den Streitfall übertragen werden könne, komme grundsätzliche Bedeutung zu. Mit der Entscheidung des EuGH zu den Voraussetzungen einer umsatzsteuerfreien Ausfuhrlieferung habe sich das FG nicht befasst. Bei Zweifeln hierüber hätte das FG die Frage dem EuGH vorlegen müssen, insoweit liege ein Verfahrensfehler vor.

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der von ihr aufgeworfenen Rechtsfragen nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt. Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

1. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Ferner muss die aufgeworfene Rechtsfrage klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig sein (vgl. Senatsbeschlüsse vom VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.).

2. Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Insbesondere formuliert die Klägerin keine konkreten Rechtsfragen, denen eine grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Nur durch eine Gesamtbetrachtung ihres Vorbringens lässt sich diesem entnehmen, dass die Klägerin die Frage geklärt wissen will, ob eine Zustellung eines Steuerbescheids außerhalb der BeitreibungsRL wirksam erfolgen kann, oder ob das Gemeinschaftsrecht eine Sperrwirkung entfaltet, so dass auf andere Rechtsgrundlagen gestützte Zustellungen unzulässig sind. In seiner Entscheidung vom VII B 93/08 (BFH/NV 2009, 127) hat der Bundesfinanzhof (BFH) hierzu ausgeführt, dass sich aus den Begründungserwägungen der BeitreibungsRL ergibt, dass diese nicht dazu führen darf, dass die gegenseitige Unterstützung, die sich einige Mitgliedstaaten aufgrund bilateraler oder multinationaler Abkommen oder Vereinbarungen gewähren, eingeschränkt wird, und dass es zwischen Italien und Deutschland ein nichtvertragliches Einverständnis gibt, nach dem die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes durch einen einfachen Brief erfolgen kann (vgl. Anwendungserlass zur Abgabenordnung des BStBl I 2000, 190, 199). Auf die Erwägungsgründe des Gemeinschaftsgesetzgebers in Bezug auf den Anwendungsbereich der BeitreibungsRL, die darauf hinweisen, dass eine Zustellung auch nach anderen Rechtsgrundlagen bzw. in anderer Weise als dem in der BeitreibungsRL festgelegten Verfahren erfolgen kann, geht die Beschwerde auch nicht ansatzweise ein, sondern begnügt sich mit dem Hinweis, dass dem Gemeinschaftsrechtsakt bei einer wirksamen Zustellung durch einen einfachen Brief keinerlei Bedeutung zukomme. Zudem wird das Allgemeininteresse an der Beantwortung einer Frage in Zusammenhang mit der Zustellung eines Branntweinsteuerbescheids in Italien durch den bloßen Hinweis auf die Bedeutung für den internationalen Frachtverkehr nicht hinreichend belegt.

3. Auch dem weiteren Vorbringen hinsichtlich der Erhebungskompetenz der Mitgliedstaaten im Falle von Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung eines innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahrens lässt sich die schlüssige Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer damit in Zusammenhang stehenden Frage nicht entnehmen. Vielmehr richtet die Klägerin ihre Darlegungen an den besonderen Umständen des Streitfalls und an dem Verhalten der italienischen Zollbehörden aus, die die deutschen Zollbehörden entgegen der in Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG (SystemRL) des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABlEG Nr. L 76/1) normierten Verpflichtung nicht benachrichtigt und die geleisteten Sicherheiten „eingefroren” hätten. Konkret formulierte Rechtsfragen zur Auslegung und Anwendung von Art. 20 SystemRL lässt die Beschwerde vermissen.

4. Hinsichtlich der Frage, ob die vom EuGH in seiner Entscheidung in Slg. 2008, I-771 zur Umsatzsteuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen entwickelten Grundsätze auch im Falle einer Ausfuhr von verbrauchsteuerpflichtigen Waren im Steueraussetzungsverfahren zu beachten sind, fehlt es an schlüssigen Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Im Gegensatz zum Umsatzsteuerrecht setzt das Verbrauchsteuerrecht bei der steuerfreien Lieferung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren eine besondere Berechtigung des Versenders, die Leistung einer Sicherheit und die Einhaltung eines besonderen Überwachungsverfahrens unter Verwendung von Begleitdokumenten voraus. Damit nähert sich das Steuerversandverfahren den zollrechtlichen Versandverfahren an, die ebenfalls eine strenge zollamtliche Überwachung der Beförderung und eine besondere Verantwortung des Versenders vorsehen. In seiner Entscheidung vom Rs. C-230/06 (Slg. 2008, I-1895) hat der EuGH eine zollrechtliche Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten selbst bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns unbeanstandet gelassen. Zugleich hat er darauf hingewiesen, dass sich die Rechtsprechung zum Zollrecht aufgrund der in Aufbau, Zielsetzung und Zweck bestehenden Unterschiede zum Umsatzsteuerrecht nicht auf umsatzsteuerrechtlich zu beurteilende Sachverhalte übertragen lasse. Daraus kann gefolgert werden, dass der EuGH auch die umgekehrte Übertragung von Rechtsgrundsätzen für unzulässig hält. Mit dieser Entscheidung, die auch für das Verbrauchsteuerrecht richtungweisend sein dürfte, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Vielmehr wird die Übertragbarkeit der EuGH-Rechtsprechung zur Umsatzsteuer auf den Streitfall lediglich behauptet.

5. Der behauptete Verfahrensmangel liegt nicht vor. Nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist ein FG nicht zur Anrufung des EuGH verpflichtet, weil seine Entscheidung mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom V B 119/01, BFH/NV 2002, 1038, 1039, und vom VII B 35/02, BFH/NV 2002, 1499, 1503). Nur letztinstanzlich entscheidende nationale Gerichte sind zur Vorlage an den EuGH als dem berufenen gesetzlichen Richter i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verpflichtet, wenn es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht (, Neue Juristische Wochenschrift 2001, 1267, 1268). Diese Auffassung wird vom EuGH auch für den Fall geteilt, dass eine Zulassung des Rechtsmittels durch ein oberstes Gericht erforderlich ist (, Slg. 2002, I-4839, Rz 16 und 17). Demgemäß liegt kein Verfahrensmangel vor, wenn ein FG Gemeinschaftsrecht auszulegen hat und sowohl von der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH als auch von der Zulassung der Revision absieht (Senatsbeschluss vom VII B 259/02, BFH/NV 2004, 68).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 264 Nr. 2
IStR 2010 S. 7 Nr. 8
FAAAD-34048