BFH Beschluss v. - II B 63/09

Ernstlich zweifelhaft ist, ob die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer für ein unpfändbares Kraftfahrzeug des Schuldners eine Masseverbindlichkeit ist

Gesetze: FGO § 69 Abs. 2, FGO § 69 Abs. 3, FGO § 69 Abs. 7, KraftStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, KraftStG § 5 Abs. 1, KraftStG § 7 Nr. 1, InsO § 36, InsO § 55, InsO § 80

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist Treuhänder i.S. des § 313 der Insolvenzordnung (InsO) der Schuldnerin G, über deren Vermögen gemäß Beschluss des Amtsgerichts X vom das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung war auf G ein Kfz zugelassen. Für dieses Kfz setzte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) durch Bescheid vom gegen den Antragsteller Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom bis in Höhe von jährlich 196 € fest. Mit dem Einspruch machte der Antragsteller geltend, G sei unselbständig tätig und benötige das Fahrzeug zur Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit. Das Fahrzeug sei gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung (ZPO) unpfändbar und gehöre nicht zur Insolvenzmasse. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Über die hiergegen gerichtete Klage, die bei dem Finanzgericht (FG) anhängig ist, hat das FG noch nicht entschieden.

Den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids lehnte das FA ab. Das daraufhin angerufene FG gab dem Aussetzungsbegehren mit Beschluss vom (13 V 3933/08) statt.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA geltend, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Kraftfahrzeugsteuer sei als Masseverbindlichkeit gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen. Die Eigenschaft des Schuldners als Halter eines Fahrzeugs gehe gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Dieser könne sich der Verbindlichkeit aus der Kraftfahrzeugsteuer nur durch Aufgabe der Haltereigenschaft gemäß § 13 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) entziehen.

Das FA beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat zutreffend angenommen, es bestünden ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit der streitigen Steuerfestsetzung.

1. Gemäß § 69 Abs. 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt oder aufgehoben werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. , BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl. 2006, § 69 Rz 87, m.w.N.). Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 110/01, BFHE 199, 55, BFH/NV 2002, 1267, unter II.1., m.w.N., und vom V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484).

2. Nach diesen Grundsätzen bestehen im Streitfall bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheids.

a) Der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) das Halten von inländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen. Die Steuerpflicht dauert bei einem inländischen Fahrzeug, solange das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG). Steuerschuldner ist bei einem inländischen Fahrzeug die Person, für die das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen ist (§ 7 Nr. 1 KraftStG).

b) Der Insolvenzverwalter hat gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der Abgabenordnung die steuerlichen Pflichten zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 InsO) zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter über. Zur Insolvenzmasse gehört nach der Rechtsprechung des , BFHE 218, 432, BStBl II 2008, 322; vom IX R 4/07, BFHE 218, 435, BFH/NV 2007, 2429; vom IX R 29/07, BFH/NV 2008, 251) auch die Rechtsposition als Halter eines Kfz, so dass der Insolvenzverwalter die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO schuldet. Dabei führt das durch das KraftStG unwiderlegbar rechtsvermutete Halten eines Fahrzeugs auch im Anwendungsbereich der InsO zu einer gesetzlich unterstellten Verwendungsmöglichkeit des Fahrzeugs „im Geschäft” des Schuldners und damit im Rahmen der Insolvenzmasse.

c) Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die vorstehenden Rechtsgrundsätze auch dann anzuwenden sind, wenn —wie vorliegend— ein Kfz gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar ist. Zu dieser Rechtsfrage liegt bislang eine Entscheidung des BFH nicht vor.

Nach § 36 Abs. 1 InsO gehören nicht der Zwangsvollstreckung unterliegende Gegenstände nicht zur Insolvenzmasse. Diese Gegenstände unterliegen als Teil des insolvenzfreien Vermögens des Schuldners nicht der Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters gemäß § 80 Abs. 1 InsO. Aus diesen insolvenzrechtlichen Bestimmungen könnte der Schluss gezogen werden, dass die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kraftfahrzeugsteuer für ein gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbares Kfz des Schuldners nicht Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 InsO ist (so z.B. Farr, Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung —NZI— 2008, 78; Menn, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht —ZinsO— 2009, 1189; vgl. auch Sterzinger, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2008, 1672). Andererseits erscheint zwar —in Fortführung der unter II.2.b zitierten bisherigen BFH-Rechtsprechung— die eine Masseverbindlichkeit bejahende gegenteilige Auffassung nicht gänzlich fernliegend, wonach allein das Kfz und nicht die Haltereigenschaft dem Pfändungsschutz des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unterliegt (so z.B. Roth, ZinsO 2008, 304). Bei summarischer Prüfung erscheint es jedoch fraglich, ob der Insolvenzverwalter unter Berücksichtigung der in § 36 InsO getroffenen Regelung überhaupt eine Beendigung der Steuerpflicht nach Maßgabe der §§ 13 und 14 FZV herbeiführen kann (verneinend Sterzinger in DStR 2008, 1676). Bejahte man dies, könnte der Insolvenzverwalter die durch § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützte Gebrauchsmöglichkeit (zu diesem Schutzgut des § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO vgl. Münzberg in Münchener Kommentar zur ZPO, § 811 Rz 13, m.w.N.) des Fahrzeugs zumindest beeinträchtigen. Es kommt hinzu, dass nach dem zur Umsatzsteuer ergangenen (BFHE 210, 156, BStBl II 2005, 848) solche Steuerschulden nicht zu den Masseverbindlichkeiten gehören, die während des Insolvenzverfahrens aufgrund der Verwendung gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbarer Gegenstände entstehen. Auch diese Rechtsprechung könnte der Behandlung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegenstehen.

Diese ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung lassen sich, wie vom FG zu Recht angenommen, im Rahmen einer summarischen Prüfung nicht ausräumen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 68 Nr. 1
ZIP 2010 S. 1188 Nr. 24
JAAAD-32807