Die Frage, was unter der von einem Unternehmer nach § 6a Abs. 4 UStG zu beachtenden Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu verstehen ist, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, UStG § 6a
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt —FA—) ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den Bundesfinanzhof (BFH) geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2009, 976, m.w.N.). Ferner darf sich die Bedeutung der Rechtssache nicht in der Entscheidung des konkreten Einzelfalls erschöpfen, sondern muss eine Vielzahl gleichartiger Fälle betreffen und einer Verallgemeinerung zugänglich sein (vgl. z.B. , BFH/NV 2006, 1844).
Im Streitfall hält das FA sinngemäß die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, was unter der von einem Unternehmer gemäß § 6a Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1999 zu beachtenden „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns” zu verstehen ist, wenn der Gegenstand einer Lieferung tatsächlich nicht in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet wurde.
Dieser Frage kommt entgegen der Auffassung des FA keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie nicht klärungsbedürftig ist. Denn ob die „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns” beachtet wurde, ist durch eine Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls, ggf. nach Durchführung einer entsprechenden Beweisaufnahme, zu entscheiden. Dies erklärt auch, weshalb das FA in der bereits vorliegenden Rechtsprechung keine abstrakten Erörterungen, sondern nur Feststellungen im jeweiligen Einzelfall gefunden hat.
2. Auch die vom FA behaupteten Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind entweder bereits nicht in zulässiger Weise gerügt worden oder liegen aus anderen Gründen nicht vor.
a) Soweit das FA vorträgt, das Finanzgericht (FG) habe eine Gehörsverletzung i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO begangen, ist die Rüge nicht schlüssig erhoben worden.
Das FA führt in diesem Zusammenhang aus, es habe diverse Schriftsätze der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) am , und damit erst zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung am erhalten. An diesem Tag sei die Streitsache beim FG abweichend vom Sitzungsprotokoll nicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert worden. Da seine, des FA, Vertreter verkehrsbedingt erst verspätet zum Fortsetzungstermin der mündlichen Verhandlung am hätten erscheinen können, habe die Erörterung der Sach- und Rechtslage in Abwesenheit seiner Vertreter stattgefunden. Das FG habe sein Urteil erkennbar auch auf die genannten erst kurz zuvor übermittelten Schriftsätze der Klägerin gestützt. Dabei handele es sich um Tatsachen und Beweisergebnisse, zu denen es, das FA, sich aufgrund des Geschehensablaufs nicht habe äußern können.
Mit diesem Vorbringen hat das FA einen Verstoß gegen § 96 Abs. 2 FGO nicht schlüssig gerügt. Denn zur ordnungsgemäßen Rüge eines Verstoßes gegen diese Vorschrift gehört auch der Vortrag, dass der Rechtsmittelführer alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich das rechtliche Gehör vor dem FG zu verschaffen (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 1469).
Im Streitfall hat das FA nicht vorgetragen, dass es wegen der seiner Meinung nach zu kurz bemessenen Frist für eine Stellungnahme zu den bei ihm am eingegangenen Schriftsätzen in der mündlichen Verhandlung am entweder eine Vertagung auf einen späteren Termin als den beantragt oder eine Schriftsatzfrist bis zu einem seiner Meinung nach angemessenen Termin erbeten hat (vgl. dazu z.B. , BFH/NV 2000, 214). Soweit es einen weiteren Sachvortrag in der Sitzung vom beabsichtigt haben sollte und daran wegen seiner Verspätung gehindert war, trägt es selbst vor, dass seine Vertreter um 13.00 Uhr und damit vor Verkündung des Urteils im Verhandlungsraum anwesend gewesen seien. Das FA hat nicht dargelegt und es ergibt sich auch nicht aus den Akten, dass seine Vertreter von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO) zu beantragen.
Soweit das FA behauptet, eine durch das FG begangene Gehörsverletzung liege darin, dass das FG seine, des FA Ausführungen, mit denen es sich die Feststellungen und die Beweiswürdigung der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts (LG) Z zu eigen gemacht habe, nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe, ist sein Vortrag gleichfalls nicht schlüssig. Denn es führt selbst aus, dass das FG sich mit den Ausführungen der Wirtschaftsstrafkammer des LG Z in seinem Urteil befasst, die darin gegebene Begründung aber nicht für überzeugend gehalten hat. Das Recht auf Gehör gewährt keinen Anspruch auf „Erhörung” (vgl. , BFH/NV 2007, 1880).
b) Auch der vom FA gerügte Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten nach § 96 Abs. 1 FGO ist nicht gegeben. Denn diese Rüge kann nur Erfolg haben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat (vgl. , BFH/NV 2009, 431).
Die Rüge des FA, die Annahme des FG, der Klägerin habe der Aktenvermerk der X-Bank vom zur Verfügung gestanden, verstoße gegen den Inhalt der Akten, ist unberechtigt. Das FA hat keine Aktenstelle bezeichnet, aus der hervorgeht, dass der Aktenvermerk der Klägerin nicht bekannt war oder bekannt sein konnte. Dass auf der Kopie des Vermerks, die auf Blatt 550 der FG-Akten abgeheftet ist, oben rechts die Nr. "0146” eingetragen war, schließt nicht aus, dass der Vermerk oder eine Kopie davon der Klägerin zur Verfügung gestanden hatte. Die Klägerin hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, die Steuerfahndung habe die Unterlagen im Vorfeld bei ihr beschlagnahmt, so dass sie diese nach Einsichtnahme in die Akten der Steuerfahndung für das finanzgerichtliche Verfahren kopiert habe.
c) Auch die Rüge, das FG habe bei seiner Beweiswürdigung gegen Denkgesetze verstoßen, vermag keinen Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zu begründen. Denn die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 82).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 73 Nr. 1
NAAAD-31877