Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LAG München, 8 Sa 69/08 vom ArbG München, 4a Ca 10738/07 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Auslegung einer Nettolohnvereinbarung im Hinblick auf den Wegfall der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.
Die im Jahre 1955 geborene Klägerin war auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom seit dem als Fachverkäuferin im Juweliergeschäft K in M beschäftigt. Im Mai 2004 betrug die Vergütung der Klägerin 2.400,81 Euro brutto. Nachdem die Klägerin die Absicht bekundet hatte, den Arbeitgeber zu wechseln, bot die damals 86-jährige Inhaberin des Juweliergeschäfts, K, eine Gehaltserhöhung auf 3.000,00 Euro netto an. Unter dem unterzeichneten die Vertragsparteien folgende von dem Lebensgefährten der Klägerin formulierte Vereinbarung:
"Ab erhält Frau B ein monatliches Gehalt in Höhe von Euro 3.000,00 netto.
Die Zahlungen für Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie das vereinbarte Fahrgeld werden zusätzlich vergütet.
Die von Frau K festgelegten Vereinbarungen und Details über den Status von Frau B als vorerst stellvertretende und zukünftige Geschäftsführerin werden noch schriftlich in Form eines Vertrages bestätigt."
Ab Juni 2004 erhielt die Klägerin ein Nettogehalt in Höhe von 3.000,00 Euro abzüglich der abgeführten vermögenswirksamen Leistungen ausgezahlt, das sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge von 3.110,27 Euro aus einer Bruttovergütung von 6.110,27 Euro errechnete. Da die Jahresarbeitsentgeltgrenze gem. § 6 Abs. 6 SGB V durch die Vereinbarung vom überschritten wurde, endete die Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gem. § 6 Abs. 4 SGB V und § 1 SGB XI in den im Jahre 2004 geltenden Fassungen mit Ablauf des Jahres 2004.
Ab Januar 2005 war die Klägerin freiwillig bei der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert. Die Arbeitgeberin errechnete den Nettoverdienst iHv. 3.000,00 Euro nunmehr ohne Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherung und gewährte zusätzlich einen Beitragszuschuss gem. § 257 SGB V. Der Gesamtbeitrag zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung wurde vom Nettoverdienst abgezogen und im Wege des sog. Firmenzahlerverfahrens an die Krankenkasse überwiesen. Infolgedessen erhielt die Klägerin monatlich nicht mehr die vollen 3.000,00 Euro netto, sondern - unter Einbeziehung der weiterhin abgeführten vermögenswirksamen Leistungen - nur noch Beträge zwischen 2.709,73 Euro netto und 2.670,47 Euro netto.
Wegen der Beitragsabzüge wandte sich die Klägerin im Januar 2005 an ihre Arbeitgeberin. Diese ließ durch eine Fachanwältin für Steuerrecht erklären, als freiwillig Versicherte müsse die Klägerin die Beiträge selbst zahlen, die Überweisung erfolge als Serviceleistung nach Lohnabzug durch den Arbeitgeber. Die Klägerin gab sich damit zunächst zufrieden.
Frau K verstarb im Oktober 2005. Die Beklagte übernahm den Betrieb von der Erbengemeinschaft. Das Juweliergeschäft wurde Anfang 2008 geschlossen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist mittlerweile beendet.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin noch die Zahlung eines Betrags von insgesamt 10.347,26 Euro netto, der im Zeitraum von Januar 2005 bis September 2007 von dem errechneten Nettogehalt abgezogen und als Beitrag zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung abgeführt worden ist. Sie macht geltend, die Nettolohnvereinbarung sei so zu verstehen, dass sie in jedem Falle 3.000,00 Euro netto als Auszahlungsbetrag erhalten sollte. Ihr sollte dieser Betrag unabhängig davon zustehen, ob sie gesetzlich oder freiwillig krankenversichert sei.
Die Klägerin hat, soweit in der Revision noch erheblich, beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 10.347,26 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Ansprüche aus der Nettolohnvereinbarung seien vollständig erfüllt. Nettolohn sei der Lohn, der sich unter Berücksichtigung aller gesetzlichen Abzüge aus dem Bruttolohn ergebe. Die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung seien keine gesetzlichen Abzüge, sondern beruhten auf einer privaten Disposition der Klägerin und seien von ihr zu tragen. Eine Vereinbarung über die Übernahme durch den Arbeitgeber liege nicht vor. Weil die Klägerin sich mit dem sog. Firmenzahlerverfahren einverstanden erklärt habe, habe die Schuld der Klägerin auftragsgemäß mittels Abzug vom Nettolohn beglichen werden dürfen.
Das Arbeitsgericht hat dem bezeichneten Klageantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält die Beklagte an dem Ziel der Klageabweisung fest.
Gründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat, teilweise durch Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts, ausgeführt: Die Vereinbarung vom sei in der Laiensphäre der Vertragschließenden dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber 3.000,00 Euro nach Abzug sämtlicher Steuern und Sozialversicherungsbeiträge an die Klägerin auszahlen müsse. Zu den Abzügen sollten auch die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zählen. Maßgebend sei der Betrag, den die Klägerin hiernach am Monatsende tatsächlich erhalte. Das Überschreiten der Jahresentgeltgrenze und dessen Folgen sei den Vertragschließenden nicht bewusst gewesen. Die Höhe des Nettogehalts habe nicht von der Pflichtversicherung bzw. freiwilligen Versicherung der Klägerin abhängen sollen. Die Arbeitgeberseite habe statt der gesetzlichen Abzüge die an deren Stelle tretenden freiwilligen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vereinbarungsgemäß übernommen. Die Klägerin habe auch nicht auf diesen Teil ihres Nettogehalts verzichtet. Sie habe lediglich ihr Einverständnis zur Abführung der Beiträge an die Krankenkasse erklärt, ohne den Nettolohnanspruch aufzugeben. Auch habe sie den Abzug nur im Hinblick auf die Auskunft, sie müsse die Beiträge selbst tragen, hingenommen.
II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
1. Die Nettolohnvereinbarung vom galt gem. § 1922 Abs. 1 und § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB auch im Verhältnis zur Erbengemeinschaft und zur Beklagten. Die Beklagte hat nach § 1922 Abs. 1, § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB die rückständigen Forderungen gegen Frau K und gegen deren Erben zu erfüllen.
2. Die Vereinbarung vom stellt eine individuelle Vertragsabrede aus Anlass des Wunsches der Klägerin nach einem Arbeitgeberwechsel dar. Inhalt, Umstände und Zusammenhang der vertraglichen Regelungen, insbesondere auch die Erhöhung eines Bruttogehalts von ca. 2.400,00 Euro auf 3.000,00 Euro netto, sind nicht typisch. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Verwendung des an sich üblichen Begriffs "netto".
a) Die Auslegung von nichttypischen Verträgen und Willenserklärungen ist in erster Linie Sache der Tatsachengerichte und in der Revision nur eingeschränkt überprüfbar. Der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt allein die Frage, ob das Tatsachengericht die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt, Denkgesetze oder Erfahrungssätze beachtet und den Tatsachenstoff vollständig verwertet hat ( - BAGE 108, 1, 15 mwN).
b) Solche Rechtsfehler liegen nicht vor. Der Revision ist zuzugeben, dass der Wortlaut "netto" in erster Linie auf die gesetzlichen Abgaben und Beiträge abzielt. Diese sollen bei einer Nettolohnvereinbarung - grundsätzlich unabhängig von ihrer Höhe (vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb. 13. Aufl. § 71 Rn. 113) - nicht zu Lasten des Arbeitnehmers, sondern insgesamt zu Lasten des Arbeitgebers gehen ( - zu 1 a der Gründe, BFHE 167, 507; - BAGE 106, 345, 349 mwN). Die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung stellen keine gesetzlichen Beiträge oder Abgaben dar. Vielmehr ist die Versicherung gerade freiwillig. Dem steht aber nicht entgegen, dass die Vertragsparteien von einem erweiterten Verständnis des Begriffs "netto" ausgehen und demnach die Beitragsleistungen zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung ebenfalls zu Lasten des Arbeitgebers gehen sollen. Die Revision zeigt keine erheblichen Rechtsfehler bei der entsprechenden Auslegung durch das Landesarbeitsgericht auf. Vielmehr spricht für dessen Auslegung, dass die Möglichkeit eines nachträglichen Wegfalls der Versicherungspflicht außerhalb der Vorstellung der Vertragsparteien blieb und Kranken- und Pflegeversicherung nach ihrem Verständnis damit unmittelbar zum Arbeitsverhältnis gehörten. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, es sei nicht etwa eine unzumutbare Beitragsbelastung der Arbeitgeberseite entstanden. Dass die Klägerin ohne Kranken- und Pflegeversicherung auskommen konnte, stand nach den der Auslegung des Landesarbeitsgerichts zugrundeliegenden Vorstellungen der Vertragsparteien außerhalb jeder praktischen Möglichkeit. Tatsächlich ist es in dem hier einschlägigen Arbeitsund Verdienstbereich so, dass die Kranken- und Pflegeversicherung als zwingend mit dem Arbeitsverhältnis verbunden angesehen wird, so dass sich eine Nettovereinbarung jedenfalls als Übernahme der vollen Beiträge durch den Arbeitgeber darstellen kann. Dabei wird im Vertragsverhältnis nicht als wesentlich angesehen, dass es unter Umständen nicht um gesetzliche Abzüge, sondern um sog. freiwillige Beiträge geht. Deshalb ist die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, auf die technische Abwicklung durch Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge komme es im Verhältnis der Parteien nach deren laienhaftem Verständnis nicht an, möglich und vertretbar. Das Landesarbeitsgericht durfte als wesentlich ansehen, dass die freiwilligen Beiträge nach dem Wegfall der Versicherungspflicht an die Stelle der gesetzlichen Beiträge getreten sind.
c) Das Landesarbeitsgericht hat keine ergänzende Vertragsauslegung vorgenommen. Das ist im Ergebnis zutreffend, weil keine Regelungslücke im Vertragswerk der Parteien vorliegt. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr ausgeführt, die Vertragsparteien seien von einem entsprechend weiten Verständnis des Auszahlungsbetrags und damit des Nettoentgelts ausgegangen. Die Kranken- und Pflegeversicherung habe unabhängig von der Versicherungspflicht zu Lasten des Arbeitgebers gehen sollen. Auf den missverständlichen Satz, es sei zu ermitteln, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie das Problem gesehen hätten, kommt es nicht an. Das Landesarbeitsgericht hat tatsächlich nicht auf hypothetische Erwägungen abgestellt.
3. Die Beklagte hat keinen schlüssigen Vortrag dazu erbracht, dass die Vertragsparteien die Nettolohnabrede im Januar 2005 einverständlich geändert haben. Ihr Vorbringen kann nur dahin verstanden werden, dass die Klägerin ein Einverständnis mit der Abführung von Beitragsleistungen unmittelbar durch den Arbeitgeber erklärt hat. Das betrifft ausschließlich das anzuwendende Verfahren, nicht die Frage, wer materiell belastet wird. Mit einer Verringerung des Nettolohns war die Klägerin nicht einverstanden. Etwas anderes durfte die Arbeitgeberin aus deren Verhalten nicht herleiten (§§ 133, 157 BGB). Im Zweifel will kein Vertragspartner eine Rechtsposition ohne Gegenleistung aufgeben. Damit blieb der Nettolohnanspruch unberührt.
4. Die Höhe der Gesamtforderung für die Zeit vom bis zum ist zwischen den Parteien nicht streitig. Die schon in der Berufung nicht angegriffene Berechnung des Arbeitsgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen.
III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 160 Nr. 1
GAAAD-30919
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein