Vollstreckung von Steuerforderungen auch bei Verlust der Steuerakten beim Finanzamt
Leitsatz
Im Vollstreckungsverfahren nach der AO besteht keine dem § 757 ZPO entsprechende Verpflichtung zur Vorlage eines Titels.
Die Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 249, 251 ff. AO können auch dann erfüllt sein, wenn die Existenz der der Vollstreckung zugrunde liegenden Steuerbescheide - einschließlich der darin enthaltenen Leistungsgebote - durch die wirksame Zustellung und durch den Inhalt der Vollstreckungsakten hinreichend belegt sind. Das gilt auch, wenn die Steuerbescheide nicht mehr auffindbar sind.
Gesetze: AO § 249, AO § 254 Abs. 1, ZPO § 757, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war seit 1970 als Bauunternehmer tätig. Aufgrund rückständiger Umsatz- und Gewerbesteuern und steuerlicher Nebenleistungen leitete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ab dem Jahr 1979 Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger ein. Die Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerakten der Jahre 1978 bis 1983 nebst den Steuerbescheiden sind inzwischen nicht mehr auffindbar. Die Klage, mit der der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit der der Vollstreckung zugrunde liegenden Steuerbescheide sowie die Feststellung der Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen begehrte, wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurück. Dabei gelangte das FG aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung, dass die Steuerbescheide durch Postzustellung wirksam bekannt gegeben worden seien. Dem Kläger sei es nicht gelungen, den Gegenbeweis für die Unrichtigkeit des Inhalts der Zustellungsurkunde zu erbringen, die die Zustellung der Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerbescheide für die Jahre 1978 bis 1983 belege. Aufgrund der Indizienlage könne auch kein Zweifel an der wirksamen Bekanntgabe der Gewerbesteuerbescheide für 1976 und 1977 bestehen, die mit einfachem Brief zur Post aufgegeben worden seien. Da von einer wirksamen Bekanntgabe der Steuerbescheide auszugehen sei, seien die vom FA ergriffenen Vollstreckungsmaßnahmen weder nichtig noch rechtswidrig. Bei den Steuerbescheiden handle es sich um computergestützt erstellte Verwaltungsakte, deren Verarbeitungsprogramme die Aufnahme von Zahlungsaufforderungen in den zu versendenden Bescheidausdrucken standardisiert vorsähen. Daher sei es nicht zweifelhaft, dass die nach § 254 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) für den Beginn der Vollstreckung erforderlichen Leistungsgebote vorlägen. Überdies sei in Bezug auf das gerügte Fehlen eines Leistungsgebots darauf zu verweisen, dass der Kläger jahrzehntelang das Fehlen von Leistungsgeboten rügelos hingenommen habe. Entgegen der Auffassung des Klägers bedürfe es bei einer Vollstreckung nach der AO keiner Vollstreckungsklausel.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Für grundsätzlich bedeutsam hält der Kläger die Rechtsfragen, ob bei Bekanntgabe mehrerer Bescheide durch förmliche Zustellung die Bildung von drei Geschäftszeichen auf der Postzustellungsurkunde und ohne Hinweis auf die in der Sendung enthaltenen Schriftstücke ausreichend sei, und ob eine Reduzierung des Beweismaßes bei dem vom FA zu führenden Beweis des Inhalts und des Zugangs von Steuerbescheiden in Betracht komme, wenn die der Vollstreckung zugrunde liegenden, computergestützt erstellten Steuerbescheide mit den damit verbundenen Leistungsgeboten beim FA abhandengekommen seien und das FA den Nachweis für die Existenz der Steuerbescheide nicht führen könne. Eine Klärung der Frage, ob die Finanzbehörden im Rahmen der Vollstreckung verpflichtet seien, die der Vollstreckung zugrunde liegenden Steuerbescheide vorzulegen, sei bisher noch nicht erfolgt. Schließlich rügt der Kläger eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von den Urteilen des (BFH/NV 2003, 1031) bzw. vom X R 11/07 (BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335).
II. Die Beschwerde, über die der Senat lediglich noch im Umfang der vom X. Senat des erfolgten Abtrennung zu entscheiden hat, also hinsichtlich der begehrten Feststellung der Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen, hat keinen Erfolg.
1. Die vom Kläger aufworfene Rechtsfrage, ob eine Vollstreckungsmaßnahme rechtmäßig ist, auch wenn die der Vollstreckung zugrunde liegenden Steuerbescheide mit den damit verbundenen Leistungsgeboten beim FA abhandengekommen sind und von diesem auch kein anderer Nachweis über den Inhalt und die Existenz der Bescheide geführt werden kann, wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Ausweislich der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung ist das FG zu der Überzeugung gelangt, dass die Bescheide und damit auch die Leistungsgebote wirksam bekannt gegeben worden sind. Darüber hinaus hat das FG sowohl auf den Inhalt der Vollstreckungsakten Bezug genommen als auch darauf hingewiesen, dass im Vollstreckungsverfahren nach der AO keine dem § 757 der Zivilprozessordnung entsprechende Verpflichtung zur Vorlage eines Titels besteht. Aus der maßgeblichen Sicht des FG ist somit die Existenz der Steuerbescheide —einschließlich der darin enthaltenen Leistungsgebote— durch die wirksame Zustellung und durch den Inhalt der Vollstreckungsakten hinreichend belegt worden. Unter diesen Gesichtspunkten hat das FG dem Verlust der Steuerakten keine Bedeutung beigemessen und die vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund nachgewiesener Erfüllung der Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 249, 251 ff. AO als rechtmäßig erachtet. Demgegenüber unterstellt der Kläger in seiner Fragestellung, dass kein anderer Nachweis über die Existenz und den Inhalt der Streuerbescheide als ein Nachweis durch Vorlage der Festsetzungsakten geführt werden könne. Seine Behauptung, dass die Vorentscheidung auf einer —vermeintlich— unzutreffenden Rechtsauffassung beruht, rechtfertigt für sich allein die Zulassung der Revision nicht.
2. Soweit der Kläger eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von den BFH-Urteilen in BFH/NV 2003, 1031 und in BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335 behauptet, liegt eine solche Divergenz nicht vor. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen im an. Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich das FG auch nicht in Widerspruch zur Senatsentscheidung vom VII B 31/06 (BFH/NV 2006, 2106) gesetzt. Der BFH hat sich in dieser Entscheidung nicht die Rechtsauffassung des FG zu eigen gemacht, dass ein wirksamer vollstreckbarer Verwaltungsakt als Grundlage der Vollstreckung nur durch Vorlage des Bescheids bzw. der Festsetzungsakten nachgewiesen werden könne, so dass andere Nachweise der Vollstreckungsvoraussetzungen außer Betracht bleiben müssten. Vielmehr hat der Senat die Bewertung des FG, dass den im Tatbestand zusammengefassten Umständen und Unterlagen keine den Festsetzungsunterlagen vergleichbare Beweiskraft zukomme, als denkgesetzlich möglich und nachvollziehbar bezeichnet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Sachverhalt dieses Streitfalles dadurch vom Sachverhalt im vorliegenden Streitfall unterscheidet, dass das FA dort nicht einmal in der Lage war, den Nachweis über die Existenz und die Bekanntgabe der der Vollstreckung zugrunde liegenden Steuerbescheide zu führen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1077 Nr. 7
XAAAD-21098