Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 269; StPO § 338
Instanzenzug: LG Hildesheim, vom
Gründe
Das Landgericht - Schwurgericht - hat den Angeklagten wegen "gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Revision ist im Wesentlichen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der näheren Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, das Landgericht habe zu Unrecht seine Zuständigkeit angenommen (§ 338 Nr. 4 StPO).
I.
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten die verfahrensgegenständlichen Straftaten in zwei getrennten Anklageschriften zum Amtsgericht Gifhorn - Strafrichter - zur Last gelegt. Der Strafrichter eröffnete in beiden Sachen das Hauptverfahren und bestimmte einen einheitlichen Verhandlungstermin. Am Ende der Hauptverhandlung vom erließ er gegen den Angeklagten Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen sowie der Körperverletzung und verwies das Verfahren an das Schöffengericht. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts Gifhorn für das Jahr 2008 war - wie der Senat freibeweislich ermittelt hat - der Strafrichter zugleich der Vorsitzende des einzigen für allgemeine Strafsachen zuständigen Schöffengerichts. Am hob der Strafrichter den Verweisungsbeschluss an das Schöffengericht wieder auf und legte die Sache durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Landgericht Hildesheim - Schwurgericht - gemäß § 225 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO zur Übernahme vor, weil jedenfalls in einem der Fälle der hinreichende Verdacht des versuchten Totschlags bestehe. Wiederholte Schläge mit einer Bierflasche auf den Kopf des Opfers seien objektiv geeignet, dessen Tod herbeizuführen; es sei nicht auszuschließen, dass der einschlägig vorbestrafte Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe. Eine Beschwerde gegen diesen Vorlagebeschluss verwarf das Landgericht mit der Begründung als unzulässig, der Strafrichter sei zur Vorlage berechtigt gewesen, weil er den Verweisungsbeschluss an das Schöffengericht zu Recht wieder aufgehoben habe. Dieser sei offensichtlich gesetzeswidrig gewesen, weil die Verweisung vor dem Hintergrund eines im Raum stehenden Vorwurfs des versuchten Totschlags vorgenommen worden und für die Verhandlung über diesen Vorwurf das Schwurgericht ausschließlich zuständig sei. Mit Beschluss vom übernahm das Landgericht gemäß § 225 a Abs. 1 Satz 2 StPO das Verfahren.
II.
Die Rüge ist im Ergebnis unbegründet.
Bejaht ein Gericht höherer Ordnung fehlerhaft seine Zus#tändigkeit, so bleibt die Beanstandung der sachlichen Unzuständigkeit im Revisionsverfahren (§ 338 Nr. 4 StPO) im Hinblick auf die Vorschrift des § 269 StPO regelmäßig ohne Erfolg (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 338 Rdn. 32 m. w. N.). Dieser Norm liegt der Gedanke zugrunde, dass die weitergehende sachliche Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung die dahinter zurückbleibende des Gerichts niedrigerer Ordnung mit einschließt; durch die Verhandlung vor einem an sich unzuständigen höheren Gericht wird der Angeklagte grundsätzlich nicht benachteiligt (st. Rspr.; vgl. BGHSt 43, 53, 55 m. w. N.). Dieser Grundsatz erfährt allerdings eine Einschränkung dahin, dass in Fällen, in denen die unzutreffende Annahme der Zuständigkeit auf sachfremden oder anderen offensichtlich nicht haltbaren Erwägungen beruht, wenn also objektive Willkür vorliegt und dadurch der Anspruch des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt wird, die sachliche Unzuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung gleichwohl zur Urteilsaufhebung führt (BGHSt aaO). Dies gilt auch dann, wenn das höherrangige Gericht nicht aufgrund einer Verweisung durch ein Gericht niedrigerer Ordnung (§ 270 StPO), sondern durch eine grundsätzlich unanfechtbare (§ 225 a Abs. 3 Satz 3, § 210 Abs. 1 StPO) und nach § 336 Satz 2 StPO im Revisionsverfahren regelmäßig nicht überprüfbare Übernahmeentscheidung nach § 225 a Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner aaO § 225 a Rdn. 25) mit der Sache befasst wird. Denn in Fällen der objektiv willkürlichen Entziehung des gesetzlichen Richters erfordert die verfassungskonforme Ausgestaltung des Strafverfahrens eine einschränkende Auslegung des § 336 Satz 2 StPO dahin, dass solche Verstöße zumindest revisionsrechtlich überprüfbar sind, weil sonst eine fachgerichtliche Kontrolle überhaupt nicht durchgeführt werden könnte (Frisch in SK-StPO § 336 Rdn. 20 m. w. N.).
Hier hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts die Sache jedenfalls nicht in objektiv willkürlicher Weise übernommen; die Verhandlung vor diesem Spruchkörper stellt daher keinen zur Aufhebung des Urteils gemäß § 338 Nr. 4 StPO führenden Rechtsfehler dar.
1.
Durch die Vorlage des Strafrichters nach § 225 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO ist das Schwurgericht zur Entscheidung über die beantragte Übernahme zuständig geworden (vgl. Schlüchter in SK-StPO § 225 a Rdn. 19 f.).
a)
Allerdings war der Strafrichter für die Vorlegung der Sache an das Schwurgericht nicht mehr zuständig; denn er hatte mit Beschluss vom das Verfahren gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO an das Schöffengericht verwiesen, wodurch die Sache dort rechtshängig wurde.
Der Verweisungsbeschluss war zwar rechtsfehlerhaft, weil nach Eröffnung des Hauptverfahrens eine Verweisung durch den Strafrichter an das Schöffengericht nicht in Betracht kommt, wenn er im konkreten Fall eine höhere Strafe als zwei Jahre Freiheitsstrafe (vgl. § 25 Nr. 2 GVG) für angemessen erachtet. Der Strafrichter hat nach Zulassung der Anklage die volle Strafgewalt des § 24 Abs. 2 GVG (BGHSt 16, 148 ; 42, 205, 213 ; BayObLG NStZ 1985, 470), so dass es sich in diesen Fällen bei dem Schöffengericht im Verhältnis zum Strafrichter nicht um ein Gericht höherer Ordnung im Sinne des § 270 Abs. 1 Satz 1 StPO handelt.
Dies ändert indes nichts daran, dass das Verfahren - unabhängig davon, ob die Verweisung für das Schöffengericht trotz ihrer Fehlerhaftigkeit bindend und daher eine Rückgabe an den Strafrichter ausgeschlossen war (vgl. Meyer-Goßner aaO § 270 Rdn. 19 f.) - schon aufgrund der mit dem Verweisungsbeschluss verbundenen "Transportwirkung" unmittelbar mit dessen Erlass beim Schöffengericht rechtshängig wurde (BGHSt 45, 58; Meyer-Goßner aaO § 270 Rdn. 18). Das Schöffengericht - und nicht mehr der Strafrichter - war damit für alle folgenden verfahrensrechtlichen Entscheidungen - also insbesondere auch für eine Vorlegung nach § 225 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO - zuständig (vgl. Meyer-Goßner aaO § 270 Rdn. 21).
b)
Die Unzuständigkeit des Strafrichters für die Vorlage der Sache an das Landgericht führte jedoch nicht zur Nichtigkeit des Vorlegungsbeschlusses. Dieser machte das Verfahren daher dort anhängig.
Zwar hält es die wohl noch herrschende Meinung (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner aaO Einl. Rdn. 105) grundsätzlich für möglich, dass eine gerichtliche Entscheidung an derart schwerwiegenden Mängeln leidet, dass sie nicht nur rechtlich fehlerhaft, sondern nichtig und damit unwirksam und unbeachtlich ist. Aber auch nach dieser Auffassung kann dies nur in seltenen Ausnahmefällen dann in Betracht kommen, wenn die Anerkennung einer auch nur vorläufigen Gültigkeit wegen des Ausmaßes und des Gewichts der Fehlerhaftigkeit für die Rechtsgemeinschaft geradezu unerträglich wäre, weil die Entscheidung ihrerseits dem Geist der Strafprozessordnung und wesentlichen Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung krass widerspricht, und wenn eine derart schwerwiegende Fehlerhaftigkeit offenkundig ist (BGHSt 10, 278, 281 ; 29, 351, 352 f.; vgl. Meyer-Goßner aaO Einl. Rdn. 105; Kühne in LR, 26. Aufl. Einl. Rdn. 114 ff.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO Bd. I, 2. Aufl. Rdn. 251 ff.; jew. m. w. N.). Das folgt aus den Erfordernissen der Rechtssicherheit und der ihr dienenden Autorität gerichtlicher Entscheidungen sowie aus der Gesamtstruktur des Strafverfahrens mit seinem zur Korrektur fehlerhafter Entscheidungen bestimmten Rechtsmittelsystem. Denn die Annahme rechtlicher Unbeachtlichkeit einer richterlichen Entscheidung führt dazu, dass jedermann sich in jeder Verfahrenslage, auch nach Rechtskraft der Entscheidung, auf deren Unwirksamkeit berufen kann, und zwar auch außerhalb der Ordnung, die das Strafverfahrensrecht mit den ihm eigenen Kontrollmechanismen darstellt (BGHSt 29, 351, 352 f. m. w. N.).
Jedenfalls die Bewertung gerichtlicher Zwischenentscheidungen als nichtig scheidet danach wegen der nicht hinnehmbaren Folgen, die dies für die Rechtssicherheit im Verfahren und für die geordnete Rechtspflege begründen würde, generell aus (BGHSt 29, 351, 355; 45, 58, 61 f. ; Meyer-Goßner aaO Rdn. 105 b; Felsch NStZ 1996, 163, 165). Bei dem Vorlegungsbeschluss des Strafrichters handelte es sich um eine solche Zwischenentscheidung; seine Bewertung als nichtig kommt daher von vornherein nicht in Betracht. Er litt zudem nicht an einem derart unerträglichen Rechtsfehler, dass er nach den oben genannten Grundsätzen unwirksam gewesen wäre; dies zeigt etwa die Regelung des § 338 Nr. 4 StPO, nach der selbst ein durch ein unzuständiges Gericht erlassenes Urteil allenfalls anfechtbar, nicht aber unbeachtlich ist (vgl. dazu BGHSt 29, 351, 354 f. zu § 338 Nr. 2 StPO).
Eine Unwirksamkeit des Vorlegungsbeschlusses liegt auch nicht in dem Sinne vor, dass er den gewünschten Erfolg - die Zuständigkeit des Landgerichts zur Prüfung der Übernahmevoraussetzungen - nicht herbeigeführt hätte. Eine solche Rechtsfolge wird von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes etwa für Verbindungsbeschlüsse, die nicht durch das gemäß § 4 Abs. 2 StPO zuständige Gericht erlassen wurden, angenommen, weil eine die sachliche Zuständigkeit verändernde Verbindung nur durch das zuständige Gericht höherer Ordnung bzw. das gemeinschaftliche obere Gericht herbeigeführt werden kann (BGH NStZ 1996, 47; 2000, 435, 436 ; 2005, 464 ; kritisch dazu Felsch NStZ 1996, 163 ff.). Diese Grundsätze sind auf die vorliegende Fallkonstellation aber schon deshalb nicht übertragbar, weil durch den Vorlegungsbeschluss - anders als durch einen Verbindungsbeschluss - die Rechtshängigkeit des Verfahrens und die sachliche Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts unberührt bleiben. Diese können vielmehr erst durch den Übernahmebeschluss des Gerichts höherer Ordnung verändert werden, das seine sachliche Zuständigkeit eigenständig zu prüfen hat (Schlüchter in SK-StPO aaO § 225 a Rdn. 19 f.; 30). Werden die Akten - wie hier - zudem im Wege des vorgesehenen, justizförmigen Verfahrens durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft vorgelegt, besteht für den Angeklagten auch nicht die Gefahr, wegen derselben Tat zweimal zur Rechenschaft gezogen zu werden (zu diesem Kriterium vgl. Felsch NStZ 1996, 163, 164).
2.
Die nach alledem zur Prüfung der Übernahme berufene Schwurgerichtskammer beim Landgericht hat in der Sache rechtsfehlerfrei ihre Zuständigkeit für das weitere Verfahren angenommen: Nach den konkreten Umständen des Falles - Angriff durch Schläge mit Bierflaschen auf den Kopf seiner Opfer, einschlägige Vorstrafe des Angeklagten - war die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts bezüglich eines die Zuständigkeit des Schwurgerichts gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 5, § 74 d GVG begründenden versuchten Tötungsdeliktes jedenfalls vertretbar.
Allerdings hat das Landgericht verkannt, dass der Strafrichter für die Aufhebung seines Verweisungsbeschlusses an das Schöffengericht und für die Vorlage des Verfahrens an das Landgericht nicht mehr zuständig war. Dieser sich in dem Übernahmebeschluss fortsetzende Verfahrensfehler begründet jedoch nicht die für eine erfolgreiche Zuständigkeitsrüge nach § 338 Nr. 4 StPO erforderliche objektive Willkür der Übernahmeentscheidung: Jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Strafrichter und der für den Vorlagebeschluss - die Entscheidung ergeht in der außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung (Schlüchter in SK-StPO aaO § 225 a Rdn. 12) - zuständige Vorsitzende des Schöffengerichts personenidentisch sind, ist die Vorgehensweise des Landgerichts, das die Sache nicht zur Vorlage durch das zuständige Schöffengericht an dieses abgegeben hat, zwar formal rechtsfehlerhaft, objektiv aber nicht völlig sachfremd oder offensichtlich unhaltbar. Denn die fehlerhafte Vorlage der Sache durch den Amtsrichter beruhte lediglich auf dessen unzutreffender rechtlicher Beurteilung des Weges, auf dem er den ihm als Strafrichter unterlaufenen Rechtsfehler der Verweisung der Sache an das Schöffengericht korrigieren konnte. Da er mit dem Vorsitzenden des zuständigen Schöffengerichts personenidentisch war, hätte er in dieser Funktion die Sache dem Landgericht gemäß § 225 a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO vorlegen und damit dasselbe Ergebnis erreichen können. Vor diesem Hintergrund ist eine objektive Willkürlichkeit des Verfahrens nicht gegeben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAD-19699
1Nachschlagewerk: nein