Bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bleibt Organschaft bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen; Unternehmereigenschaft des Organträgers; Verfügungsbefugnis und Verwaltungsbefugnis
Gesetze: UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2, UStG § 2 Abs. 1, InsO § 21, StGB § 283, AO § 74, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) liegen nicht vor.
Soweit der Kläger sinngemäß die Rechtsfrage für klärungsbedürftig hält, zu welchem Zeitpunkt eine umsatzsteuerliche Organschaft endet, wenn eine GmbH als Organgesellschaft in die Krise gerät und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, ist diese Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, weil sie durch die bereits vorliegende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt ist. Seit dem Grundsatzurteil vom V R 24/03 (BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905) hat der BFH die Auffassung vertreten, dass bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters eine Organschaft regelmäßig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen bleibt, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht und deshalb der Organträger weiterhin als Geschäftsführer der von der Insolvenz bedrohten Organgesellschaft tätig ist (vgl. z.B. auch , BFH/NV 2009, 235, m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 der Insolvenzordnung (InsO) anordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905; , BFH/NV 2007, 1936).
Die dagegen vom Kläger erhobenen Einwände enthalten keine Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung erforderlich machen.
1. Die Richtigkeit der Rechtsprechung zum Fortbestehen der umsatzsteuerlichen Organschaft bei der Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters wird durch § 283 des Strafgesetzbuchs (StGB) nicht in Frage gestellt.
Die Entscheidung, ob eine Organschaft besteht und wann sie beendet ist, hängt davon ab, ob der gesetzliche Tatbestand des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) erfüllt ist. Die danach erforderliche organisatorische Eingliederung kann insbesondere durch eine Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft herbeigeführt werden (vgl. , BFHE 202, 79, BStBl II 2004, 434). Ist —wie im Streitfall— der Organträger zugleich Geschäftsführer der Organgesellschaft, bleibt die organisatorische Eingliederung bestehen, solange die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht auf eine andere Person übergeht; dabei ist zu berücksichtigen, dass die Annahme einer Organschaft nicht erfordert, dass alle drei Eingliederungsmerkmale (die finanzielle, die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung) gleichermaßen stark ausgeprägt sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905).
An der fortbestehenden Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis eines Organträgers als Geschäftsführer einer GmbH und damit am Fortbestehen der organisatorischen Eingliederung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG vermag § 283 StGB nichts zu ändern. Danach unterliegt der Geschäftsführer bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit, also bei Eintritt der Krise der GmbH, zwar gewissen Verboten oder Einschränkungen und darf insbesondere das Vermögen der GmbH nicht beiseite schaffen oder zerstören. Dadurch, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Geschäftsführers in der Krise gesetzlichen Einschränkungen unterliegt, ist sie aber nicht entfallen. Dies wäre erst dann der Fall, wenn sie auf eine andere Person überginge.
2. Das Vorbringen des Klägers, der Gesellschafter-Geschäftsführer könne der Organgesellschaft nach Eintritt der Krise einen eigenkapitalersetzenden Gegenstand, wie z.B. ein Betriebsgrundstück, nicht mehr entziehen, ohne sich strafbar zu machen, rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Durch die Umqualifizierung der Gebrauchsüberlassung in funktionales Eigenkapital ändert sich der Rechtscharakter des Nutzungsverhältnisses nicht. Es bleibt ein Miet- oder Pachtverhältnis, dem vermietenden oder verpachtenden Gesellschafter wird lediglich für die Dauer der Krise verwehrt, den vereinbarten Miet- oder Pachtzins zu fordern; nach Überwindung der Krise ist der Gesellschafter nicht gehindert, sich den rückständigen Mietzins auszahlen zu lassen, soweit dies geschehen kann, ohne dass das zur Deckung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft angegriffen wird (vgl. , BGHZ 140, 147, unter II.2.b der Gründe).
Deshalb verliert selbst ein Organträger, der nur wegen der Vermietung des Betriebsgrundstücks an die Organgesellschaft Unternehmer i.S. des § 2 Abs. 1 UStG ist, seine für die Annahme einer Organschaft erforderliche Unternehmereigenschaft durch den Eintritt der Krise nicht.
Da im Streitfall eine Aufhebung des Mietvertrags nicht geltend gemacht und vom Finanzgericht (FG) auch nicht festgestellt worden ist, kann die Frage dahingestellt bleiben, ob § 283 StGB oder die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze des Eigenkapitalersatzrechts es dem Gesellschafter-Geschäftsführer und Organträger verwehren würden, den Mietvertrag aufzuheben und das Betriebsgrundstück der Organgesellschaft nunmehr mit der Folge unentgeltlich zur Nutzung zu überlassen, dass die Unternehmereigenschaft mangels einer Einnahmeerzielungsabsicht i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG und damit die Organschaft entfallen würde.
3. Mit seinem Vorbringen, das von der InsO verfolgte Ziel der Gleichbehandlung aller Gläubiger werde mit der Annahme, die Organschaft bestehe in der Krise fort, verfehlt, hat der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung nicht dargetan. Zum einen hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Vorliegen des Tatbestands des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG Unternehmer und somit Schuldner der Umsatzsteuer der Organträger und nicht die insolvente Organgesellschaft ist. Zum anderen hat der Gesetzgeber das Ziel der Gleichbehandlung aller Gläubiger nur innerhalb der InsO, aber nicht darüber hinaus verfolgt. So hat er an § 74 der Abgabenordnung (AO) festgehalten. Danach haftet dann, wenn Gegenstände, die einem Unternehmen dienen, aber nicht dem Unternehmer gehören, sondern einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person, diese Person mit diesen Gegenständen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet.
4. Soweit der Kläger sich dadurch benachteiligt fühlt, dass keine Organschaft vorläge und er folglich nicht Steuerschuldner wäre, wenn es sich bei der insolvent gewordenen Unternehmung nicht um eine GmbH, sondern um eine Personengesellschaft gehandelt hätte (rechtsformneutrale Besteuerung), rechtfertigt dies die Zulassung der Revision ebenfalls nicht.
a) Selbst wenn man für klärungsbedürftig hielte, ob es mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) im Einklang steht, dass nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG Organgesellschaft nur eine juristische Person und nicht eine Personengesellschaft sein kann, wäre dies im vorliegenden Verfahren nicht klärungsfähig. Denn die Frage, ob sich ein Unternehmer, der eine Organschaft mit einer Personengesellschaft geltend macht, weil sich das für ihn als günstig erweist, unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann (vgl. dazu z.B. Hahne, Deutsches Steuerrecht 2008, 910; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2008, 2, 5), wäre nur in einem solchen Verfahren entscheidungserheblich und damit klärungsfähig, in dem der Unternehmer eine Organschaft mit einer Personengesellschaft anstrebt. Das ist hier aber nicht der Fall.
b) Die Frage, ob durch die Beschränkung der Rechtsform für Organgesellschaften auf juristische Personen ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vorliegt, führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Denn zum einen ist der Kläger dadurch, dass Personengesellschaften nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nicht Organgesellschaften sein können, nicht beschwert. Zum anderen wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Richtlinie des Gemeinschaftsrechts in deutsches Recht umsetzt, insoweit nicht an den Grundrechten des GG gemessen, als das Gemeinschaftsrecht keinen Umsetzungsspielraum lässt, sondern zwingende Vorgaben macht (vgl. dazu Nichtannahmebeschluss des , BFH/NV 2007, Beilage 4, 449, unter IV.1.b. der Gründe). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG steht es vorbehaltlich der Konsultationen nach Art. 29 der Richtlinie 77/388/EWG jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Die von der Richtlinie 77/388/EWG verwendeten Begriffe sind auch dann autonom gemeinschaftsrechtlich auszulegen, wenn es auf sie im Rahmen der den Mitgliedstaaten erteilten Ermächtigungen ankommt (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom Rs. C-497/01 —Zita Modes—, Slg. 2003, I-14393, Randnr. 31 ff.). Für die als „Personen” bezeichneten Beteiligten der Organschaft liegt deshalb ein Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht vor mit der Folge, dass dieser Begriff zwingend nach den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts auszulegen ist und die Überprüfung der auf dieser Ermächtigung beruhenden nationalen Vorschrift ausschließlich nach den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen ist (vgl. Birkenfeld, UR 2008, 2, 6).
5. Mit seinen Ausführungen darüber, dass durch die Verpflichtung des Geschäftsführers, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung den Insolvenzantrag zu stellen, für den Organträger eine der Höhe nach völlig unbegrenzte steuerliche Haftung eintrete, weil weiterhin Umsätze getätigt würden, hat der Kläger keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dargetan. Gleiches gilt, soweit er geltend macht, es könne nicht Zweck der umsatzsteuerlichen Organschaft sein, zwangsläufig eine Haftung für Umsatzsteuern zu statuieren, die aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung als Quotenforderung in das Insolvenzverfahren Eingang nehmen solle. Denn dadurch, dass der Gesetzgeber für den Fall der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit einer Organgesellschaft keine Sonderregelung getroffen hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass er an dem Eintritt der gesetzlichen Rechtsfolge, dass nur der Organträger Unternehmer und damit Schuldner der Umsatzsteuer aus den von der verbundenen Gesellschaft bewirkten Umsätzen ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG), ebenso wenig etwas hat ändern wollen, wie z.B. an der Haftung des Eigentümers von Gegenständen nach § 74 AO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 977 Nr. 6
KÖSDI 2009 S. 16597 Nr. 8
VAAAD-18985